SWR2 Wort zum Tag

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12AUG2020
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Aus der Entfernung erkenne ich die Dinge besser. Aus dem Abstand heraus. Wie bei der Betrachtung eines feingewebten Teppichs ist das. Stehe ich unmittelbar davor, sehe ich allenfalls einzelne Webfäden und Knoten. Aber das bunte und vielgestaltige Muster erschließt sich mir nur mit Abstand.

Früher dachte ich immer, man müsste nah dran sein, um etwas zu sehen. Das stimmt für manche Sachen ja auch. Aber die wirklich wichtigen Dinge erkenne ich besser aus der Distanz.

Auf welchen Wegen ich in meinem Leben gegangen bin zum Beispiel. An welchen Weggabelungen ich richtig oder falsch abgebogen bin. Wer oder was mir geholfen hat, meinen Weg zu finden.

Oder auch: welche Rolle ich in meiner Familie gespielt habe. Wer oder was mich im Beruf gefördert hat. Welcher Engel mich vor einem falschen Schritt bewahrt hat.

Die amerikanische Sängerin Bette Midler hat ein eindrucksvolles Lied über den Abstand geschrieben. Es heißt: From a distance. Aus der Entfernung. Sie versetzt sich darin in die Perspektive eines Kosmonauten, der aus der Weite des Alls auf den blauen Planeten Erde schaut. Winzig sieht die Erde von da draußen aus. Friedlich und wunderschön.

„Aus der Entfernung sieht die Welt blau und grün aus“, heißt es in ihrem Lied, „und die schneebedeckten Berge weiß. Aus der Entfernung gesehen haben wir alle genug und keiner ist in Not.“

Aus der Entfernung sieht man nicht die Gewehre und Bomben, die Krankheiten und den Hunger. Aus der Entfernung sehen die Menschen wie Freunde aus, die in einem Musikzug marschieren und Lieder des Friedens spielen.

Und im Refrain heißt es dann: Gott schaut auf uns, er schaut auf uns aus der Entfernung. From a distance!

Das Lied ruft mir in Erinnerung: längst nicht alles, was man mit Abstand tut oder zu dem man Abstand braucht, ist schlecht. Oft hilft mir der Abstand, manches klarer zu sehen.

Mit Abstand erkenne ich das Muster in meinem Leben. Die Linien und die Farben, die Gottes Atem hineingewebt hat.

Es klingt vielleicht paradox: aber mit Abstand erkenne ich, wie nah mir Gott immer wieder gekommen ist. Oder seine Engel. Ohne dass ich das in dem jeweiligen Moment gemerkt hätte.

Solche Momente der Nähe geben dem Leben Tiefe und meinem Alltag Glanz. Sie nehmen die Angst vor der Zukunft und machen zuversichtlich. Solche Momente der Nähe wünsche ich Ihnen, immer wieder einmal.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31405
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