Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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23JUN2020
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Im Krankenhaus fragen die Patienten oft: „Warum ich?“ Ich frage oft zurück, ob sie eine Antwort darauf gefunden hätten. Meistens ernte ich ein trauriges Schulterzucken. Und die Einsicht, dass es wohl Fragen gibt, auf die findet man keine Antwort.

Aber ich habe auch schon Überraschungen erlebt. Ich erinnere mich an eine alte Dame, die hat auch lange über die Frage nachgedacht: Warum ich? „Und wissen Sie, was ich dabei herausgefunden habe?“ hat sie mich gefragt - und dabei hat sie ganz spitzbübisch gelächelt: „Warum denn ausgerechnet ich nicht?“

Ihr sei klargeworden, dass sie ihr Schicksal genauso wenig oder genauso sehr verdient habe, wie jeder andere auch. „Und wenn das so ist“, hat sie gesagt, „ja, sollte es denn dann besser einen anderen treffen, als mich? Hinter all meinen Fragen nach dem `Warum ich´ steckt doch der Wunsch: Hauptsache ich nicht! - Und als ich das durchschaut habe“, hat die Frau gesagt,, „da konnte ich plötzlich ganz anders mit meinem Schicksal umgehen. Ich habe es einfach nicht mehr so persönlich genommen.“

Das Schicksal nicht persönlich nehmen... – für manche mag das ein guter Weg sein. Ich selber aber merke: Ich kann gar nicht anders, als mein Schicksal sehr persönlich nehmen. Das ist eine Sache zwischen meinem Schöpfer und mir. Und wenn ich hundertmal keine Antwort bekomme, muss ich ihm doch ab und an ein paar Fragen an den Himmel schleudern, und mit ihnen meine ganze Auflehnung und Empörung.

Und wer weiß? Vielleicht wächst mit der Zeit ja doch ganz zaghaft und leise eine Antwort in mir heran... Eine Antwort, die ich eigentlich schon lange kenne: Glauben bedeutet oft gerade nicht, in allem einen Sinn zu finden.

Im Gegenteil: Glauben bedeutet für mich zu ertragen, was mir sinnlos vorkommt. Und auf Gott zu vertrauen. Vielleicht hilft es aber auch, die Frage einmal ganz anders zu stellen: Was ist eigentlich das Gute daran, dass es ausgerechnet mich trifft?

Ich habe mal einen Witwer kennengelernt, den hat es getröstet, dass er allein zurückgeblieben war – und nicht seine Frau. Ihr war das erspart geblieben, was ihm so schwergefallen ist. Daraus hat er die Kraft gezogen, weiterzuleben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31133
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