In der Zeitung hat ein amüsanter Artikel über Vernunft und Unvernunft der Deutschen gestanden. Die Welt staune über unsere Vernunft:
Wir rauchen nicht in Restaurants. Wir schnallen uns an beim Autofahren. Ja, und in der Corona-Krise sei unsere Vernunft geradezu sprichwörtlich geworden. Nur beim Auto – da ende des Deutschen Vernunft abrupt.

„Fest steht“, lese ich da, „dass der Mensch auf vier Rädern ein anderer wird. Er verwendet Schimpfwörter, die ihm lebenslanges Hausverbot in der Kinderstube eingebracht hätten Er schneidet, bremst aus, fährt auf, schläft ein...“
Stimmt. Ich kenne einige Menschen, den kann ich in Sachen Vernunft und Verantwortungsbewusstsein nicht das Wasser reichen. Aber kaum setzen sie sich ans Steuer, gewinnt plötzlich eine ganz andere Seite die Oberhand.

Die krasseste Veränderung habe ich ausgerechnet bei einem alten Kollegen von mir beobachtet - längst schon gestorben - ein Pfarrer durch und durch. Und zu jedermann freundlich und zugewandt. Aber wehe, wehe, er hat sich ans Lenkrad gesetzt! Da hat miteinemmal die Außenwelt nur noch aus - ich bitte um Entschuldigung - „Arschlöchern“ und „Idioten“ bestanden. Und er hat in einer Lautstärke herumgeschimpft, dass man fast fürchten musste, man könne ihn durch die geschlossene Scheibe noch hören.

Seine Mitreisenden waren jedesmal dermaßen verdattert, dass ihnen nichts mehr eingefallen ist. Vielleicht haben sie sich auch nicht getraut, was zu sagen, wo er doch ihr Pfarrer war; und sie noch dazu in seinem Auto saßen... Aber einmal saß eines seiner Gemeindeglieder mit im Auto, dem wurde es zu bunt. Er sagte: „Herr Pfarrer, wenn sie schon nicht ihren Nächsten im anderen Auto erkennen können - wie steht es dann mit dem Feind? Den sollten wir doch auch lieben!“

Leider ist nicht überliefert, was der Pfarrer geantwortet hat. Aber der Ansatz gefällt mir: Nämlich, dass im anderen Auto auch ein Mensch sitzt, der ebenfalls ein Recht hat auf Würde und auf die Straße und ganz allgemein auf sein Leben. Es wäre doch toll, wenn das der neue Ausdruck deutscher Vernunft wäre: Rücksicht nehmen, selbst beim Autofahren. Dann hätte die Welt wahrhaftig was zum Staunen!