SWR2 Wort zum Tag

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15JUN2020
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Blau ist die Farbe der Stunde. Fotos in Blau in Zeitschriften und auf Plakaten. Sie locken in diesen Tagen zu Sandstränden, über denen sich der blaue Himmel wölbt. Sie zeigen Menschen in Liegestühlen vor dem azurblauen Meer. Es scheint, als machten sich gerade alle aufgeschobenen Wünsche fest an der Farbe Blau.

Fast sieht es so aus, also könne sich die Seele gesund baden im Blau des Meeres oder des Himmels. Oder wie es in einem Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer heißt: „O du heil´ge Bläue,/immer freut aus neue/mich der stille Glanz./Abgrund ohne Ende!/Himmlisches Gelände,/Seele, tauche unter ganz!“

Eintauchen ins heilige Blau, da klingt für mich etwas an von Taufen! Tauchen und Taufen, beide haben damit zu tun, dass mein Leben nicht bleiben muss wie es ist.

In der Kunst ist Blau von jeher die himmlische Farbe, sichtbares Sinnbild des Unsichtbaren. Aber auch die blaue Stunde fällt mir ein, jene dem Alltag entrückte Zeit auf der Grenze zwischen Realität und Traum. Oder die Gedichtzeilen: „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.“ Und natürlich das Blau, in das der Mantel der Madonna, der Himmelskönigin, getaucht ist.

Ich finde es herrlich, wie dieses blaue Gefühl um mich herum die Welt weitet. Und lasse mich davon verleiten zu spirituellen Lockerungsübungen, die Leib und Seele gut tun. Dazu muss ich noch nicht einmal eine Reise machen an ferne Strände.

Stattdessen suche ich mir einen Platz am Rand eines Brunnens oder auf einer Parkbank. Möglichst unter einem Baum, durch dessen Blätterdach ein Stück vom Himmel zu sehen ist.

Und lasse die Zeilen des Gedichts von Conrad Ferdinand Meyer auf mich wirken: „O du heil’ge Bläue, immer freut aufs neue, mich der stille Glanz/ Abgrund ohne Ende!/Himmlisches Gelände,/Seele, tauche unter ganz!“

Tauche ein und tauche unter, sage ich mir, und suche das himmlische Blau! Vielleicht ahnst du irgendwann, dass im „stillen Glanz der heiligen Bläue“ ein Abglanz liegt von etwas viel Größerem.

Von dem Gott, der Grund und Ziel deiner blau eingefärbten Sehnsucht ist. Von dem es in einem Psalm so malerisch heißt: „Seine Güte reicht, soweit der Himmel ist, und seine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“

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