SWR2 Wort zum Tag

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02JUN2020
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„Wir sind hier in einen Sturm geraten, den keiner von uns so zuvor erlebt hat.“ Das war eine Erkenntnis und Reaktion in der Corona-Krise. Von einem Sturm erzählt auch die Pfingstgeschichte. Merkwürdig, dass es Parallelen gibt. In beiden Fällen geschieht etwas, das noch nie jemand erlebt hat. Und in beiden Fällen ist es erstaunlich, wie verbindend die Angelegenheit sein kann. In einem Fall ist es der Sturm des Heiligen Geistes, der Petrus zu einer Ansprache inspiriert, die alle Menschen verstehen können. Im anderen Fall ist es eine Krankheit, die alle betrifft und Menschen herausfordert, mutig und selbstlos für andere einzustehen. In beiden Fällen ist nüchternes Handeln gefragt. Es ist nüchterne Geistesgegenwart, die die eben noch ängstlichen Apostel den Schritt in die Öffentlichkeit wagen lässt. In dem anderen Fall der Krankheit ist es nüchternes Abwägen von Gefahren, das Menschen bewogen hat, Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Leicht ist beides nicht.

Es ist nämlich gar nicht so einfach, in stürmischen Zeiten besonnen zu bleiben, vor allem dann, wenn es um eine Erfahrung geht, die keiner von uns so zuvor erlebt hat. Eine große Kunst besteht etwa darin, zu entscheiden und auch zu unterscheiden – nämlich zwischen bösen und guten Geistern. Ein Kriterium sind die Taten und Früchte, die sie hervorbringen. Hier lohnt sich der Rückblick, auch der auf einen kurzen Zeitraum, denn vorab fällt die Unterscheidung schwer. Böse Geister verkleiden sich und geben vor, höhere Ziele zu verfolgen. Sie schaffen Zerstörung, Zwietracht, Hass, Verzweiflung, Verschwörungstheorien. Manchmal merkt man leider erst an den Früchten, welchem Geist man gefolgt ist. Ein guter Geist dagegen bringt Leben, Menschen freuen sich, finden miteinander Gemeinschaft, auch wenn sie Distanz wahren müssen, schenken oder erhalten Trost, finden Hilfe und guten Rat.

Wir sind in diesen Zeiten auf Menschen angewiesen, die nicht von allen guten Geistern verlassen sind und in der Lage, nüchtern zu überlegen, wie wir Stürme überstehen können. Menschen, die auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – auch wenn man nicht sicher sagen kann, wie lange der Sturm andauern wird.

Für viele Menschen ist es ein Gedanke von Dietrich Bonhoeffer, der die Kraft gibt, weiterzumachen: Bonhoeffer war gewiss, so hat er gesagt, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann. Mich überzeugt dieser Satz ebenfalls, und er tröstet mich. Schließlich könnte es sein, dass ich manchmal in der Unterscheidung der Geister falsch liege. Ich glaube dann daran, dass Gott dann bei mir ist, am Abend und am Morgen und an jedem neuen Tag. Und in jedem Sturm. Auch heute.

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