SWR2 Wort zum Tag

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08MAI2020
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Was eigentlich ist Frieden? Worin besteht er? In Dankbarkeit denke ich daran, dass heute vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist. Am 8. Mai 1945.

Gleichzeitig ist mir klar: Frieden ist viel mehr als nur das Ende von Kriegshandlungen und das Schweigen der Waffen. Dieses Mehr steckt in dem biblischen Wort für Frieden: Schalom.

Schalom meint: es wird heil, was beschädigt ist. Es kommt in Balance, was aus dem Gleichgewicht geraten war. Menschen finden das richtige Maß für ihr Leben und das mit der Natur.

Dieser Frieden liegt noch vor uns! Der Philosoph Ernst Bloch illustriert das an einer alten Geschichte: „Ein Rabbi sagte einmal: um das Reich des Friedens herzustellen, werden nicht alle Dinge zu zerstören sein und eine ganz neue Welt fängt an.

Sondern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge sind nur ein wenig zu verrücken. Weil aber dieses Wenige so schwer zu tun und sein Maß so schwierig zu finden ist, können das nicht die Menschen, sondern dazu kommt der Messias“.

Mir gefällt diese Definition: Frieden als das Bemühen um das menschliche Maß, um eine gute Balance.

In der Krise, die wir gerade durchleben, ist auch der Glaube ins Schwanken geraten, alles könne immer so weitergehen. Immer weiter, immer größer, immer besser!

Ich denke, wir werden in der nächsten Zeit unser Leben neu austarieren müssen. Da ist die Frage hilfreich: worin eigentlich besteht das menschliche Maß? Was sind Maßlosigkeiten, die wir künftig besser lassen sollten? Wie können wir unser Verhältnis gegenüber der Natur sensibler gestalten? Und den Menschen gerecht werden, die von der Krise besonders betroffen sind?

Die kleine rabbinische Geschichte erklärt mir, dass nicht ich das Maß aller Dinge bin. Sondern dass mir in der Schöpfung Maße gesetzt sind, die mir Freiheiten, aber auch Grenzen aufzeigen. Zum Beispiel, was die richtige Balance angeht zwischen Tun und Lassen, Sein und Haben.

Oder auch wenn Jesus in der Bergpredigt sagt: dass die maßgeblichen Menschen die Sanftmütigen sind und die Friedenstifter.

Frieden, das bedeutet, sich an solchen lebensdienlichen Maßen und Haltungen zu orientieren. Ein solcher Frieden beginnt im Kleinen. Aber er zieht weite Kreise.

Was es dafür jetzt vor allem braucht, ist Phantasie. Die Phantasie, alle Dinge ein wenig zu verrücken. Damit sie zu einer neuen, guten Balance finden.

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