SWR2 Wort zum Tag

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07MAI2020
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Die Ballade haben wir in der Schule auswendig gelernt. Heinrich Heines Belsazar. Vom hochmütigen König der Babylonier, der auf seinem Schloss ein maßloses Fest veranstaltet. Und dabei lauthals den Gott Israels verhöhnt.

Wie dann plötzlich und zum Entsetzen aller mitten in die Party hinein an der Wand ein flammender Schriftzug erscheint. Ein Menetekel. Eine Warnung, die der König Belsazar nicht entziffern kann. Er stirbt noch in derselben Nacht von der Hand derer, die ihm zuvor zugejubelt hatten.

Im Religionsunterricht habe ich dann gelernt, dass diese Geschichte ein biblisches Vorbild hat. Sie steht im Buch Daniel und erzählt von einem furchtlosen jungen Mann, der in der Lage ist, Träume zu deuten. Dieser Daniel liest dem entsetzten Belsazar die Schrift vor. Da steht: „Gott hat dein Königtum bewertet und seine Ende bestimmt. Du wurdest gewogen und zu leicht befunden.“

Daniel fügt noch hinzu: „Du, König Belsazar, hast die silbernen, goldenen und steinernen Götter gelobt, die weder sehen noch hören noch etwas wissen können. Den Gott aber, der deinen Atem und alle deine Wege in seiner Hand hat, den hast du nicht verehrt.“

Es ist eine Kritik an der Glanz-und-Glimmer-Welt, der der König sich verschrieben hatte. Gewicht hat allein die eigene Selbstinszenierung. Darum das Menetekel als Stoppschild: „Gewogen und zu leicht befunden“!

Wir als Schüler haben diese Ballade vermutlich gelernt zur vorbeugenden Erinnerung. Vielleicht für Zeiten wie diese. Darum frage ich mich: welche Botschaft steht an der Wand unserer Gegenwart?

Vielleicht diese: Überstrapaziere dein Leben nicht mit immer mehr und größeren Wünschen! Bestimme das Maß deiner Ansprüche so, dass anderen Raum bleibt zum Leben. Verlerne das Staunen nicht! Lenke deine Sinne hin und wieder auf das Wunder der Schöpfung, von dem Du ein Teil bist. Vor allem auf den, der inmitten von allem „deinen Atem und alle deine Wege in seiner Hand hält!“

Von Heinrich Heines Ballade lerne ich, dass es nicht gut geht, das Leben als maßlose Party zu inszenieren. Dass es aber darauf ankommt, die Sensibilität wachsen zu lassen für den Atem der Schöpfung. Und für den, der auch mir den Lebensatem eingehaucht hat.

Zu biblischen Zeiten war es einer wie Daniel, der sich darauf verstanden hat, den Schriftzug an der Wand zu deuten. Heute bin ich, sind wir gefragt, die Zeichen unserer Zeit zu lesen.

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