SWR4 Sonntagsgedanken

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01MRZ2020
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„Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt“. Dieser Werbeslogan für eine Schokoladenmarke gehört wohl zu den bekanntesten in Deutschland. Ich finde ihn ziemlich genial. „Versuchung“, allein dieses Wort kommt ja schon zuckersüß daher, fast mit einem Augenzwinkern. Und natürlich verbunden mit der unterschwelligen Botschaft: Ist auch gar nicht schlimm, wenn du ihr erliegst.

Doch, das kann durchaus schlimm sein, würden die Autoren der Bibel wohl heute dagegenhalten. Denn der Text, der an diesem Sonntag in den katholischen Gottesdiensten im Mittelpunkt steht, erzählt genau davon. Nicht von Schokolade natürlich, aber von Versuchungen, und die kennt wahrscheinlich fast jeder von uns. Er erzählt aber auch von der Standhaftigkeit, diesen Versuchungen gerade nicht nachzugeben.

Da wird berichtet, wie Jesus sich für vierzig Tage in die Einsamkeit der Wüste zurückzieht. Fasten und Beten will er da, in der Stille meditieren. Und sich dabei wohl auch seiner Beziehung zu Gott, den er ja liebevoll Vater nennt, neu vergewissern. Doch am Ende dieser Wüstenauszeit kommt plötzlich wie aus dem Nichts der Satan daher. Wir erfahren nicht, wer das ist und wie er aussieht. Aber für den biblischen Menschen ist dieses Böse, das ihn verführen will, offenbar ganz greifbar, fast wie eine andere Person. Im Hebräischen bedeutet Satan so viel wie „Gegner“. Einer also, der sich abmüht, Jesus doch noch schwach werden zu lassen. Die drei Versuchungen, denen er sich ausgesetzt sieht, sind zum einen der Hunger. Wer fastet, muss dieses Gefühl aushalten, muss dem Drang, doch schnell noch was zu essen, widerstehen. Dann ist da das Gefühl der eigenen Stärke, ja, der Unverwundbarkeit. Dieses: Egal, ich schaffe das! Manchmal gipfelt es auch schlicht in Selbstüberschätzung. Und statt sich zu disziplinieren und Risiken realistisch abzuschätzen führt es womöglich dazu, immer größere Gefahren einzugehen. Und dann ist da noch die Versuchung der Macht, verbunden mit der Frage: Wie viele moralische Grundsätze würde ich letztlich über Bord zu werfen, um zu Einfluss und Reichtum zu kommen? Ja, werde ich am Ende sogar bereit sein, mich und meine Ideale zu verleugnen, nur um endlich ganz oben zu stehen?

An der Geschichte von der Versuchung in der Wüste finde ich zwei Aspekte besonders interessant. Jesus wird als ein Mensch vorgestellt, dem Versuchungen absolut nicht fremd waren. Der wie Sie und ich, also wie jeder von uns mit sich gerungen hat. Und es sind schon damals jene Versuchungen, die viele von uns auch heute noch gut kennen dürften. Beim Essen nochmal zuzulangen, oder beim Wein, obwohl ich genau weiß, dass es mir eigentlich nicht guttut. Das erhebende Gefühl, Macht ausüben zu können. Und wie schwer fällt es dann manchem Menschen, der schon mal mächtig war – sei es in der Politik oder im Unternehmen – davon wieder zu lassen? Solche Versuchungen können wirklich teuflisch sein. Vor 2000 Jahren schon und auch noch heute.   

Die biblische Geschichte von der Versuchung Jesu in der Wüste. Wie oft, wenn ich sie gehört habe, habe ich mir diese seltsame Begegnung in Gedanken vorgestellt? „Da trat der Teufel an ihn heran“ heißt es da lapidar, nachdem Jesus schon längere Zeit gefastet und gebetet hatte. Doch viel spannender als Jesus erschien mir immer diese Figur des Teufels. Sollte ihm da etwa ein schwarzer Geselle mit Hörnern, mit Hufen statt Füßen und einem Schwanz begegnet sein, in dessen Gegenwart es immer nach Schwefel riecht? So also, wie man den Teufel oft dargestellt hat? Die Bibel erzählt uns darüber rein gar nichts. Nur, dass diese ominöse Person dem fastenden Jesus eine Versuchung nach der anderen ins Ohr flüstert. Hat Jesus also vom vielen Fasten halluziniert, oder ist ihm vielleicht in der Wüste eine Fata Morgana erschienen? Vielleicht tun wir ja gut daran, uns die Person des Teufels gar nicht allzu plastisch vorzustellen. Weil es diese fremde Person womöglich nicht sicht- und greifbar gibt. Ich glaube nämlich vielmehr, dass dieses andere, das uns da herausfordert und immer wieder in Versuchung bringt, genau genommen ganz tief in uns wohnt. In jedem von uns. Dass es gewissermaßen ein Teil von uns selber ist. Und dass wir dieses Andere in uns oft lieber als etwas Fremdes sehen möchten. Weil wir so nicht sein wollen. Und darum erscheint uns diese andere Seite an uns dann eher wie eine unerwünschte, ungebetene Person. Wie ein von uns abgespaltener Teufel, der uns zu etwas verführt hat, das wir doch eigentlich gar nicht wollten. Und doch sind wir es und bleiben es auch.

Und warum sollte das nicht auch bei Jesus so gewesen sein? Seine Einzigartigkeit hängt doch nicht davon ab, dass er als Mensch nie in Versuchung geraten wäre. Sondern davon, wie er damit umgegangen ist. Die spannende Frage ist deshalb auch nicht, wer dieser Teufel eigentlich ist und wie er womöglich aussieht, sondern wie ich mit Versuchungen in meinem Leben umgehe. Lasse ich mich haltlos von meinen Wünschen und Trieben steuern? Oder bin ich ein Mensch der einen klaren moralischen Kompass hat. Der standhaft bleibt, auch dann, wenn er es einfacher, lustiger, schöner haben könnte? Ein solcher Mensch war wohl dieser Jesus. Seine letzte und vielleicht größte Versuchung kam ja ganz zum Schluss. Er hätte fliehen, sich seiner Verurteilung und Hinrichtung entziehen können. Er hat es nicht gemacht, ist seiner Mission, seinem inneren Kompass treu geblieben. Bis zu seinem Ende am Kreuz und zur Auferstehung an Ostern. Die nächsten Wochen der sogenannten Fastenzeit, die für die Christen gerade begonnen haben, laden mich deshalb ein, mich dieser Frage zu stellen: Was ist eigentlich mein moralischer Kompass im Leben? Und wie weit bin ich im Vertrauen auf Gott bereit, diesem Kompass zu folgen?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30451
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