SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Tochter Zion, freue Dich“, viele kennen diese Worte mit der berühmten Musik Händels, die sich in unserem Evangelischen Gesangbuch findet. „Tochter Zion“, das ist der alte biblische Name für die Stadt Jerusalem. „Tochter Zion, freue dich!“, das findet der Prophet Sacharja. Sacharja prophezeit: „Tochter Zion freue dich, denn dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm, und reitet auf einem Esel.“ Weniger bekannt ist eine weitere Vision des Propheten. Er sieht auf den Plätzen der heiligen Stadt Jerusalem alte Männer und Frauen sitzen, Jungen und Mädchen spielen um sie herum. Für den Propheten Sacharja ist das ein wundervolles Bild des Friedens - für mich auch. Wie viel gäben Großeltern in Aleppo darum, so friedlich mit ihren Enkelkindern spielen zu können. Seit den Zeiten des Propheten damals bis heute sind alte und ganz junge Menschen die ersten Opfer von Unfrieden. Auch von sozialem Unfrieden. Die einen sind noch nicht in der Lage, für sich zu sorgen, die anderen nicht mehr.

Der König, über den sich Jerusalem freut, der auf einem Esel reitet, der ist selbst arm gewesen. Sacharja erzählt nicht von einem prunkvollen Herrscher, der auf einer Sänfte getragen wird. Er sieht einen armen König, dem es nicht um seine persönliche Prachtentfaltung, sondern um Gerechtigkeit und Frieden für seine Menschen geht.

Das ist nicht nur damals eine ganz ungewöhnliche Vision gewesen! Denn vielen Herrschern ging und geht es zuerst um ihre eigene Macht und erst dann um die ihnen anvertrauten Menschen. Was mich trotz dieses Elends tröstet ist: Die friedliche Vision ist nicht vergessen worden. Das bedeutet, dass sich Menschen nicht abfinden mit der Realpolitik. Tochter Zion soll sich freuen dürfen, aller politischen Wirklichkeit zum Trotz. Zugleich steht Jerusalem für alle Städte dieser Welt, in denen gerade Unfrieden herrscht und in denen Menschen wohnen, die sich nach Frieden sehnen.

Die Hoffnung für den Frieden in der Welt bleibt in diesen Worten lebendig, wenn auch manchmal als sehr leise, traurige Stimme.

Erstaunlicherweise, vielleicht aber gerade deshalb werden diese Worte weitererzählt und weiter gesungen. Als Hoffnung, als Botschaft der Liebe Gottes für alle Menschen. Eine Botschaft für die, die schwach sind, eine Hoffnung für alle, denen die Kraft zum Hoffen fehlt, Hoffnung aber auch für die Starken und Klugen.

Denn der Sinn des Lebens ist nicht mit Gewalt zu finden. Diesen Sinn findet nur die Liebe, und offensichtlich haben sich davon immer wieder Menschen anrühren lassen, bis heute. Sie sind unterwegs zu diesem Frieden, der allen Menschen gilt, auch den Alten, Schwachen und Kleinen, auch denen, die sich danach sehnen, zart sein zu dürfen, verletzlich, ehrlich und vertrauensvoll offen. 

Und dieser merkwürdige, arme, friedfertige König auf seinem Esel kommt uns entgegen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23241
weiterlesen...