SWR1 Begegnungen

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Annette Bassler trifft Prof. Dr. Gerhard Trabert, Mainz

An Ostern feiern wir Auferstehung. Weil Jesus von den Toten auferstanden ist. Aber wie soll man sich das vorstellen? Auferstehung?
Gerhard Trabert ist Professor für Sozialmedizin und war vor wenigen Wochen als Notfallarzt in Haiti. Dort hat er vielen Menschen das Leben gerettet und er hat noch mehr Menschen sterben sehen. Ostern wird für ihn dieses Jahr ein besonderes Fest.

Einmal nutze ich wirklich die Osterzeit in Ruhe über all das, was in den letzten Wochen mir begegnet ist, noch mal nachdenken zu können. Das Haitierlebnis hat mich schon sehr geprägt und betroffen gemacht. Und ich bin an bestimmten Punkten daran zu überlegen: gibt es nicht noch eine ganz andere Herausforderung in deinem Leben?

Wie die Begegnung mit dem Tod das Leben verändern kann, das hat er mir bei sich zu Hause in der Nähe von Mainz erzählt.

Teil 1
Auferstehung- Durchgang zu einer Welt hinter der wahrnehmbaren Welt

In Jeans und T-Shirt öffnet er mir die Tür- es ist Samstagnachmittag. Wochenendstimmung. Einen Tee? Fragt er mich. Gerne. In der Ruhe liegt die Kraft, das hat er als Notfallarzt immer wieder gelernt. Man darf sich nicht überfordern, sonst ist man nicht hilfreich für andere.

Zwei Wochen nach dem Erdbeben war Gerhard Trabert als Notfallarzt in Haiti im Einsatz. Ein Erlebnis, dessen Spuren ich meine, in seinem Gesicht wahrzunehmen.

Einmal war man ständig konfrontiert mit der Melancholie, mit der Traurigkeit der Menschen, wenn sie sich die Dimensionen vergegenwärtigen: ungefähr 300 Tausend Menschen sterben, noch mal so viele werden verletzt, schwerst verletzt, fast 2 Millionen werden obdachlos. Sie sind dann in ihrem Medizinischen Handeln ständig mit Menschen konfrontiert, die in Trauer sind, weil sie trauern um die Tochter, den Sohn, Vater, Mutter Schwester .Diese Ohnmacht, mit der man konfrontiert wird. Ich kann eine Wunde versorgen, aber ich kann die Traurigkeit nicht behandeln.

Und da ist sie. Immer wieder. Diese Grenze. Diese Ohnmacht. Die Erfahrung: hier kann ich nichts machen, nichts managen, nichts regeln und schon gar nichts in den Griff kriegen. Hier muss ich alles loslassen, was ich mir vorgenommen habe. Wie dort auf Haiti, wo er mit seinem Ärzteteam stundenlang um das Leben eines fünfjährigen Mädchens gekämpft hat. Und das dann auf OP- Tisch gestorben ist. Tod und Trauer. Aber die haben eine Kehrseite.

 Diese Form der Verbundenheit, was die Helfer angeht, auch die Erfahrung, wie man sich gegenseitig versucht zu trösten, mit den Angehörigen zusammen mit dem Vater. Das hat mich tief bewegt, wie dankbar er ist, dass wir alles versucht hätten.

Und immer wieder blitzt es auf. In diesen so besonderen Begegnungen, in dieser tiefen Verbundenheit. Da blitzt auf eine Ahnung davon, dass da  mehr ist als das, was er sieht und fühlt und sich vorstellen kann.

Ich kann das schwer rational begründen, dass ich durch die Nähe zu Tod und Sterben immer intensiver das Gefühl habe, dass das nicht das Ende ist, sondern dass das das Ende ist dessen, was wir uns vorstellen können, ich kann es nicht in Worte fassen. Es ist etwas, was in diesem Augenblick entstanden ist und immer wieder entsteht, dass es eine andere Form des Weiterlebens gibt.

Eine andere Form des Weiterlebens, eine Welt hinter der Welt, die wir fühlen, begreifen und uns vorstellen können. Und Auferstehung- das könnte der Durchgang sein. Der Durchgang in diese andere Welt, von der Jesus immer gesprochen hat als das „Reich Gottes".

Viele Menschen, die ich begleiten durfte die gestorben sind, da ist häufig doch so ein Loslassen, ein Friede, etwas was sehr viel mit Harmonie und Gelassenheit zu tun hat in einem Bild: ein Sonnenaufgang. Ich liebe auch Sonnenaufgänge, mach da immer wieder Bilder. Der Unter- und der Aufgang, das könnte es ausdrücken.

Teil 2
Auferstehung als Neubeginn

Auferstehung- damit kann Gerhard Trabert viel anfangen. Gerade weil er schon viele Menschen sterben gesehen hat.

Ich glaube dass vor Auferstehung das zeigt auch die Geschichte Jesu, dass davor Leid ist. Auferstehung ist mit Leid verbunden.

Auf Augenhöhe mit Menschen, die in Not geraten sind, für Gerhard Trabert ist das zur zweiten Natur geworden. Und das bringt Leid mit sich. So hat er in einem Sozialen Brennpunkt von Mainz gelebt, um nach seinem Studium über Armut zu forschen.

Und hab mit meiner Vita mit dem Absender Bewerbungen geschickt. Ich hab fast keine Antwort bekommen und die Antworten, die ich bekam, waren ablehnend. Weil einfach in der Region klar war: mit diesem Absender, der lebt in diesem sozialen Brennpunkt. Und schon haben sie keine Chance mehr.

Chancengleichheit- die gibt es bei uns in Deutschland immer weniger, sagt er. Nach einer neuesten Studie sterben arme Männer 12 Jahre früher als der Durchschnitt. Bei Frauen sind es 8 Jahre. Und die Selbstmordrate bei Langzeitarbeitslosen ist im Vergleich zu denen, die Arbeit haben, 20 mal so hoch.

Das hat damit was zu tun, dass die Wertigkeit eines Menschen hier sehr stark mit dem Beruf, grade bei Männern mit dem sich identifiziere können mit einer Tätigkeit, die auch honoriert wird, die bezahlt wird.

Arbeitslosigkeit beschädigt empfindlich das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Und deshalb gibt es für ihn nur eine Lösung des Problems.

Nach dieser sozialen Abwärtsspirale, die viele Menschen erleiden mussten, aus dieser Situation herauszukommen, da auch wieder auferstehen zu können, da ist es wichtig dass man Menschen begleitet, dass man ihnen mit Respekt und Wertschätzung begegnet, damit sie wieder an sich selbst glauben. Wenn man ihnen das wieder zurückgibt, dann ist die Chance größer, dass sie auferstehen.

Wertschätzung und Fairness gegenüber denen, die in Not geraten sind- das klingt so einfach, so christlich.
Das aber in die Tat umzusetzen - so wie Jesus das getan hat- das kann einen in Situationen bringen, die gefährlich sind, in denen das bisherige Leben durcheinandergerät. Jesus hat sich diesen Situationen gestellt. Weil er Gott vertraut hat und seinem Reich, das hinter dieser Welt ist und nicht von dieser Welt. Deshalb hat Gott ihn von den Toten auferweckt. Und davon bekommt Gerhard Trabert immer wieder eine Ahnung, wenn er bei seinen Einsätzen als Notarzt in zum Teil lebensbedrohliche Situationen gerät.

Und genau in solchen Phasen wo ich genau weiß, ich kann jetzt nichts mehr kontrollieren und dann sage: o.k., ich weiß aber um dich, um Gott, um dieses Getragen werden. Ich gebe jetzt einfach mal diesen Anspruch immer alles bestimmen zu können, ab. Ich lass mich in diese Situation ein, ich lass mich fallen. Und ich muss sagen, das klingt jetzt vielleicht aufgesetzt, aber ich hab wirklich die Erfahrung gemacht, dass ich mich immer von Gott getragen gefühlt habe. Das ist ne unheimliche Erkenntnis, Sicherheit, Glücksgefühl.

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