SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Welche Waffen helfen gegen religiösen Fanatismus? Wenn islamistische Terrorkrieger Menschen abschlachten – sollte man da nicht möglichst viele Bomben werfen?
Frankreich zum Beispiel hat sich dafür entschieden. Und nimmt alle Konsequenzen in Kauf. So gibt es jetzt Terrorwarnungen etwa für die Pariser Metro.
Ich fahre gerne nach Paris – gerade vor kurzem war ich mit Kollegen ein paar Tage dort. Und ich liebe es, mit der Metro zu fahren – bei mir auf dem Hunsrück gibt es keine! Ein bisschen mulmig war mir ja diesmal. Aber natürlich sind wir trotzdem mit der Metro gefahren. Jeden Tag. Den anderen Fahrgästen habe ich nichts Besonderes angesehen. Es wirkte alles so wie immer.
Doch dann stehen auf einem Bahnsteig plötzlich drei Soldaten mit Maschinenpistolen. Und einer meiner Kollegen meint: „Also eigentlich mag ich ja keine Maschinenpistolen. Aber jetzt beruhigen sie mich doch irgendwie.“ Ich stelle fest, dass es mir genauso geht.
Obwohl es natürlich kein wirklicher Schutz ist. Wenn jetzt Islamisten wirklich einen Terroranschlag in der Metro verüben würden, dann helfen drei Soldaten mit Maschinenpistolen auch nichts mehr. Aber welche Waffen helfen überhaupt gegen solche wahnsinnigen Fanatiker? Die Bomben in Syrien und im Irak haben bisher auch nicht viel bewirkt.
Die Frage lässt mich nicht los. Ich habe keine Waffen, ich kann auch nicht mit ihnen umgehen. Und ich mag Waffen auch nicht besonders – da geht es mir nicht anders als meinem Kollegen!
Darum habe ich bisher auch manche Sätze in der Bibel links liegen gelassen, die mir zu kriegerisch erschienen. Jetzt entdecke ich sie neu und lese zum Beispiel von der „Waffenrüstung Gottes“: Wir sollen uns mit Wahrheit umgürten und den Panzer der Gerechtigkeit antun. So können wir das Böse überwinden. (Eph 5,13f)
Doch was ist das, Wahrheit und Gerechtigkeit? Und wie kann man mit Wahrheit und Gerechtigkeit den Fanatismus überwinden?
Es gibt vieles, was Menschen für wahr halten. Also muss ich nach etwas suchen, was für alle Menschen wahr ist. Eine Wahrheit, für die Unschuldige geköpft oder gesteinigt werden, ist keine Wahrheit für alle Menschen. Wahr ist, was Menschen zu leben hilft. Was ihre Herzen ohne Angst, Wut und Hass schlagen lässt. Und gerecht ist, was allen Menschen die gleichen Chancen gibt, sich zu entfalten und an Bildung, Arbeit, Kultur und Gesundheit teilzuhaben. In Europa hat es sehr lange gedauert, bis solche Wahrheit und Gerechtigkeit mehrheitsfähig wurden. Denn dafür müssen einige von ihren Privilegien etwas abgeben. Und wenn es nur das Privileg ist, recht zu haben. Oder das Privileg, allen anderen vorschreiben zu können, was für sie wahr sein soll und wie sie leben sollen.
Fanatiker in allen Religionen berufen sich dafür auf Gott. Aber für Gott sind alle Menschen gleich viel wert.

Welche Waffen helfen gegen religiösen Fanatismus? Darüber habe ich eben in den SWR 4 „Sonntagsgedanken“ mit Ihnen nachgedacht. In der Bibel heißt es einmal, wir sollen uns mit Wahrheit umgürten und den Panzer der Gerechtigkeit antun.
Wenn Wahrheit wie ein Gürtel ist, dann hilft sie mir, dass ich nicht nackt und ausgeliefert bin. Wahrheit ist, was mir Würde gibt. Und diese Würde kann nur allen Menschen gelten: Europäern und Afrikanern, Männern und Frauen, Armen und Reichen, Gesunden und Kranken. All diesen Menschen gebührt Gerechtigkeit.
Die Bibel nennt Wahrheit und Gerechtigkeit unsere Waffen. Die scheinen viel schwächer als Maschinenpistolen und Bomben. Aber ich glaube, Fanatiker haben vor Wahrheit und Gerechtigkeit mehr Angst als vor allen Bomben. Denn dann wäre es ja mit ihrer Herrschaft vorbei. Darum haben Islamisten in Nigeria Mädchen aus einer Schule entführt. Sind Schülerinnen denn schwer bewaffneten Männern gefährlich? Ja, denn sie werden etwas lernen und gleiche Chancen bekommen. Sie werden menschenverachtende Ideologien in Frage stellen und sich Männern nicht mehr unterordnen, nur weil es Männer sind. Sie suchen nach der Wahrheit, die ihnen ihre Würde zugesteht, und nach der Gerechtigkeit, die ihre Ansprüche schützt.
In Pakistan hat sich ein anderes Mädchen erfolgreich gegen alle Versuche gewehrt, sie am Besuch ihrer Schule zu hindern. Dafür hat sie gerade den Friedensnobelpreis bekommen. Malala Yousafzai heißt sie. Die Taliban haben sie bei einem Attentat schwer verletzt. Doch Malala hat sich nicht beirren lassen und die ganze Welt dazu gebracht, ihr zuzuhören.
Und in Afghanistan, nicht weit von Malalas Heimat, ist eine sehr junge Frau aufgewachsen, die jetzt in meiner Stadt lebt. Sie ist erst neunzehn Jahre alt, doch hat schon einen vierjährigen Sohn. Mit dreizehn wurde sie verheiratet. Ihr Mann ist inzwischen gestorben. Da sollte sein Bruder sie bekommen. Sie ist ausgerissen, hat ihr Kind mitgenommen und ist bis nach Deutschland gekommen. Denn in Afghanistan hatte sie deutsche Soldaten gesehen. Auch Frauen waren darunter. Und sie hatte gehört, in Deutschland dürften Frauen auch zur Schule gehen.
Jetzt ist sie hier und will lernen. Sie hat Schleier und Kopftuch abgelegt und wehrt sich gegen ihren Freund, der sie aus Eifersucht eingesperrt und geschlagen hat. Bis sie endlich Asyl, Schutz und Sicherheit gefunden hat, wird es noch ein weiter Weg sein. Da ist es leider mit Wahrheit und Gerechtigkeit bei uns nicht immer weit her. Doch immerhin hat sie erlebt, dass unsere Polizei ihr hilft.
Vor Hass und Angst, Lüge und Gewalt ist sie zu uns geflohen. Für sie und für uns müssen wir nach Wahrheit und Gerechtigkeit suchen. Das sind die Waffen, die Gott uns in die Hand gibt. Damit sollen wir uns stark machen für eine bessere Welt. Für alle Menschen, überall.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18523
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