SWR4 Sonntagsgedanken

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"Die meisten Kriege sind doch nur wegen der Religion!", höre ich oft. Und stimmt es denn nicht auch? Die Kreuzzüge. Der Dreißigjährige Krieg - zwischen Evangelischen und Katholiken! Und heute die islamistischen Terrorakte und der Krieg des Westens dagegen.
Da kann ich gut verstehen, wenn Menschen misstrauisch werden gegen alle Religionen. Und im Moment meinen viele, am aggressivsten sei wohl der Islam.
Doch gibt es überhaupt muslimische Terrorakte? Oder doch nur die verbrecherischen Aktionen von Menschen, die Muslime sind? Genauso, wie es furchtbare Angriffe durch Menschen gibt, die Christen sind. Letzten Dienstag hat man in Japan wieder an den Atombombenabwurf auf Hiroshima gedacht. Waren die, die den befohlen und ausgeführt haben, nicht christliche Amerikaner? Oder der Norweger Anders Breivik, der vor zwei Jahren über 70 Jugendliche massakrierte. Der ist Christ - und seine Opfer mussten deshalb sterben, weil ihnen alle Menschen gleich viel wert waren.
Es gibt immer welche, die die Welt gerne in Gut und Böse einteilen. In "Wir" und "Die anderen". Solche Menschen haben immer ein bisschen recht. Aber immer auch nur ein bisschen. Dass es auch ganz anders geht, das zeigt mir ein Mann, der heute vor über 500 Jahren gestorben ist - am 11. August 1464. Geboren wurde er in einer kleinen Stadt an der Mosel, in Kues. Darum nennt man ihn einfach Nikolaus von Kues.
Nikolaus war einer der großen Gelehrten seiner Zeit. Auf einer seiner vielen Reisen ist er auch einmal in Konstantinopel gewesen, dem heutigen Istanbul. Er bewunderte die schöne, reiche Stadt. Einige Jahre später erreichte ihn die Nachricht, dass ein türkisches Heer die Stadt erobert und geplündert hat. Diese Nachricht hat ihn genauso tief getroffen wie alle anderen. Damals hat man einen Rachekreuzzug geplant, um die Stadt zurückzuerobern. Ja, warum auch nicht? Diebe straft man doch auch!
Aber Nikolaus setzt sich hin und schreibt ein ganz eigenartiges Büchlein. "Über den Glaubensfrieden" nennt er es. Die Religionen sind für ihn nicht der Grund, warum Menschen Kriege führen. Sondern in den Religionen sieht Nikolaus die Möglichkeit, die Kriege zu überwinden. Nicht Krieg schlägt er vor, sondern Gespräche. Um einander kennen und verstehen zu lernen.
Er erzählt in seinem Buch von einer Vision. Himmlischer Thronrat. Gott berichtet ganz erschüttert, wie die Menschen einander bekriegen und mit Gewalt zu ihrem jeweiligen Glauben bekehren. Da sagt der höchste Engel: "Die haben einfach zu viel um die Ohren! Ständig die vielen kleinen und großen Sorgen. Da halten sie sich an die Religion, die gerade bei ihnen praktiziert wird - und halten allen anderen Glauben für Lüge."
"Nun gut", sagt Gott. "Aber was sollen wir jetzt tun?"

Wie können die Menschen dazu gebracht werden, einander nicht mehr wegen ihres Glaubens zu bekriegen?
In seinem Buch lässt Nikolaus von Kues die Engel und Apostel im himmlischen Thronrat beraten. Da macht Gott selbst den Vorschlag, man sollte doch aus allen Völkern weise Männer zusammenholen, die ihre Religionen vergleichen. Nüchtern und vernünftig. Solche Männer wie Nikolaus von Kues.
Schon ein bisschen eitel - aber ich verzeihe es ihm gern! Und dass er dabei nur an Männer gedacht hat - na ja, 500 Jahre später sind wir da hoffentlich weiter! Heute hätte er sicher auch von Frauen gute Gedanken und Einsichten erwartet. Aber die Idee an sich finde ich für unsere Zeit noch genauso faszinierend: Weise, kluge, erfahrene  Menschen aus allen Völkern und Religionen kommen an einem ruhigen, sicheren Ort zusammen und vergleichen ihre unterschiedlichen Gewohnheiten und Ansichten. Ohne Rechthaberei und Besserwisserei. Nur mit dem Wunsch, Wahrheit zu finden. Und Frieden.
Die wahre Religion, die die Weisen bei Nikolaus von Kues dann finden, erinnert ein bisschen an das Christentum. Nikolaus war natürlich felsenfest von seinem eigenen Glauben überzeugt. Gerade darum ist es so bemerkenswert, wie er sich mit dem Glauben anderer beschäftigt hat. Er hat versucht zu verstehen. Hat versucht, Bekanntes im Fremden wiederzuerkennen, das Gemeinsame im Unterschiedlichen wahrzunehmen. Dabei hat sich auch sein eigener Glaube verändert. Wichtiges wird von weniger Wichtigem getrennt. Ist das nicht Weisheit?
Ich kann mir vorstellen, dass er mit dieser Weisheit zu seiner Zeit ganz schön angeeckt ist. Immerhin hat er anerkannt, dass auch die anderen eine Religion haben. Einen Glauben genau wie er. Dass auch sie sich um das Gute bemühen und Frieden halten wollen. Und er hat gewusst: Was einer glaubt, das ist nicht einfach seine eigene Entscheidung. Was einer glaubt, das kommt von Gott. Deshalb muss ich respektieren, wenn die anderen anders glauben als ich. In Nikolaus' Buch erkennen die Weisen schließlich, dass sie hinter allen Unterschieden eigentlich die gleiche Religion haben.
Natürlich stehen wir heute nicht mehr an der gleichen Stelle wie er vor 500 Jahren. Aber ich finde, unsere Fragen sind immer noch die gleichen wie seine damals: Müssen verschiedene Religionen einander hassen und verdrängen? Und wie kann man entscheiden, welche Religion die Wahrheit hat? Etwa durch einen Krieg?
Viele Menschen denken heute noch so. Christen ebenso wie Muslime. Da bringt Nikolaus von Kues auch nach 500 Jahren noch einiges heilsam durcheinander! Ich wünsche mir etwas von seiner Weisheit. Und ich weiß, dass auch woanders Menschen nach solcher Weisheit suchen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15827
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