SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Er hat uns schon oft zum Schmunzeln gebracht, der Sohn einer guten Bekannten. Er ist noch keine achtzehn - doch eine ganz wichtige Entscheidung für sein Leben hat er schon vor vielen Jahren getroffen. Dafür reicht ein Wort: grün. Diese Farbe kommt bei ihm immer wieder vor. In seiner Kleidung, in allen Dingen, die er gern hat. Nichts in der Welt könnte ihn davon abbringen!
Hab ich auch so eine Farbe, die immer dabei sein muss? Ich weiß es gar nicht. Viele Jahre hätte ich gedacht, es ist blau. Blaue Sachen habe ich immer am liebsten getragen. Doch das hat sich dann allmählich geändert. Andere Farben kamen dazu. Ich habe mich ja auch sonst verändert in meinem Leben. Bestimmte Grundzüge sind geblieben. Anderes ist neu dazugekommen. Heute gibt es mehrere Farben, die ich sehr mag. Und bestimmte, die ich überhaupt nicht leiden kann. Übrigens noch nie leiden konnte.
Die richtige Farbe für mein Leben entdecken, die Farben, die zu mir passen. Das kann ein echtes Abenteuer sein! Denn da geht es ja immer um mehr als nur um die Farben. Da geht es auch um Eigenschaften, die ich habe oder besonders auspräge. Um Fähigkeiten, Begabungen. Vorlieben und Abneigungen. All die verschiedenen Seiten meiner Person, die mich zu dem machen, was ich bin. Vieles hab ich gar nicht selbst in der Hand.
Der Apostel Paulus hat einmal einen schönen Satz gesagt: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Das klingt jetzt so sicher. Als hätte Paulus das immer schon gewusst! Dabei war er zunächst eigentlich gar nicht zufrieden mit sich. In seinen Briefen in der Bibel schreibt er davon, wie er sich geirrt und verrannt hat. Wie er unbedingt seinen Kopf durchsetzen wollte. Aber dann hat er doch noch den richtigen Weg gefunden. Paulus schreibt: Gott hat ihn mir gezeigt. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Gnade, das heißt: Das muss ich mir schenken lassen. Das kann ich nicht aus mir heraus machen. Vielleicht ist es eine lange Suche. Vielleicht muss ich einiges ausprobieren, bis ich's raus hab. Dabei ist gar nicht so wichtig, wie mich die anderen sehen, sondern: Wie fühle ich mich selbst? Wann stimmt es für mich?
Mit solchen Lebens-Farben ist es genauso wie mit den wirklichen Farben: Es gibt nicht nur die eine. Auf die richtige Mischung kommt es an. Manche Menschen finden sich gut in einer Farbe wieder - wie der Sohn meiner Bekannten in der Farbe Grün. Das ist auch sonst ein ganz optimistischer, hoffnungsvoller, zufriedener junger Mensch. All das eben, was man so mit der Farbe Grün verbindet. Andere brauchen viele Jahre und manche Umwege, bis sie wissen, was ihre Farbe ist. Ihre Lebensfarbe. Oder die mehreren Farben. Die Palette, mit der Gott diesen ganz bestimmten Menschen gemalt hat!

Die richtige Farbe für sein Leben finden - das kann richtig anstrengend sein. Und wer gerade mitten in der Suche ist, der kann manchmal auch anstrengend für andere sein. Jugendliche zum Beispiel. Aber wenn mich so ein Vierzehnjähriger nervt, dann denke ich mir: Hab Geduld! Der sucht gerade nach seiner richtigen Farbe. Das ist eine Lebensaufgabe! Jetzt weiß er nur, was alles nicht zu ihm passt. Bestimmt nicht die Lebensfarben der Eltern!
Ich weiß noch gut, wie verzweifelt ich selber in dem Alter gesucht habe. Mir haben damals Menschen geholfen, die mich ernst genommen haben. Von denen ich eine liebevolle, freundliche, aber doch deutliche Rückmeldung bekommen habe: Das kannst du, das sehe ich bei dir, darin bist du gut, das solltest du verstärken. Aber auch durchaus: Weißt du, nimm's mir nicht übel, aber das passt doch gar nicht zu dir!
Um so etwas sagen zu können, muss ich aber bei dem anderen genau hinschauen. Mir Zeit nehmen. Geduldig sein. Dranbleiben.
Ich denke an den berühmten Komponisten Georg Friedrich Händel. Heute ist sein Todestag. Sein Vater wollte, dass der Junge Jurist wird. Er verstand einfach nicht, dass sein Sohn von Kopf bis Fuß voller Musik war! Georg Friedrich hat heimlich auf einem Spinett gespielt - das ist ein ganz leises Instrument, ähnlich wie ein Klavier, nur viel kleiner. Heimlich nachts auf dem Dachboden, damit der Vater nichts hört!
Nun, bei Georg Friedrich Händel waren die musikalischen Lebensfarben so stark ausgeprägt, dass sie irgendwann nicht mehr zu übersehen waren. Wer weiß, wie viele Händels heute unter uns heranwachsen! Die müssen auch erst mal ihre Lebensfarben finden! Das Grün oder das Blau - aber auch mal ein schrilles Lila oder ein punkiges Orange!
Klar kann das manchmal nerven. Aber wir Älteren sollten uns vielleicht vornehmen, etwas gnädiger damit zu sein. Ich denke noch mal an den schönen Satz von Paulus: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Paulus sagt nicht etwa: Ich hab mir hart erarbeitet, dass ich bin, was ich bin. Und erst recht nicht: Ich hab es verdient, dass ich bin, was ich bin!
Paulus sagt: durch Gottes Gnade. Ich hab's geschenkt bekommen. Gott hat geduldig gewartet und mir eine Chance gegeben.
Jetzt stelle ich mir Gott wie einen großen Maler vor, der für jeden Menschen ganz bestimmte Farben mischt. Hier einen jungen Menschen, der zu jeder Gelegenheit irgendetwas Grünes anhat. Da einen, der wunderschöne Musik macht. Dort einen, der sein Leben lang neugierig und auf der Suche bleibt. Milliarden ganz unterschiedliche Lebensbilder. Ich bin gespannt, welche Farben ich noch an mir entdecke!

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