SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Was führt Sie in Versuchung? Das leckere Stück Torte, das Sie sich eigentlich nicht leisten dürfen - oder die unwiderstehliche Bluse, die Sie sich eigentlich nicht leisten können? Ein gutes Glas Wein? Ein schnelles Auto? Eine luxuriöse Urlaubsreise?
Nun, ich denke, so etwas ist menschlich. Ich finde, gerade unsere kleinen Schwächen und Macken machen uns zu Menschen. Der perfekte Mensch, der alles immer richtig macht, der ist mir eher unheimlich. Manchmal denke ich: Ein Leben ganz ohne Versuchung - wäre das nicht völliger Stillstand und Langeweile? Ohne etwas, was mich mal aus meinem Trott herauslocken will? Was mir etwas verspricht, was ich nicht jeden Tag habe?
Versuchungen machen das Leben irgendwie menschlich. Mein Herz hängt ja nicht wirklich daran. Aber ich möchte der Versuchung nicht widerstehen. Sie verspricht Abwechslung und Farbe im Alltagseinerlei. Bei manchem kann ich einfach nicht widerstehen. Obwohl ich weiß, dass ich mir schade.
Gut wäre deshalb, wenn mir jemand hilft, mit den Versuchungen umzugehen. Jesus hat das offenbar auch gemeint. Sie kennen bestimmt die Bitte aus dem Vaterunser: "... und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen."
Versuchungen sind menschlich, aber das macht einen erst recht zum Menschen: einer Versuchung begegnen und entscheiden können, wie man damit umgeht. Als ich vor vielen Jahren das Rauchen aufgegeben habe, da habe ich einige Zeit ganz schön mit der Versuchung kämpfen müssen, doch noch mal eine Zigarette zu rauchen. Nur eine - die schadet doch nichts! Aber als dann irgendwann Rauchen für mich keine Versuchung mehr war, da war ich richtig stolz auf mich! Oder wenn ich durchaus gerne noch ein Glas trinken würde, aber genau weiß, dass ich das jetzt besser lassen sollte. Oder wenn ich dem einmaligen Angebot im Geschäft widerstehe. Es erscheint verlockend, aber es würde ein zu großes Loch in mein Konto reißen.
Versuchungen gehören zu unserem Leben. Die Versuchungen, denen wir nicht widerstehen können, ebenso wie die, bei denen wir standhaft bleiben.
Jesus hat sich anscheinend Sorgen gemacht, dass Menschen sich in einer Versuchung ganz verlieren. Wenn der Wunsch so stark ist, dass man dafür über Leichen geht! Wenn man alles verrät und über Bord wirft, was einem bisher lieb und teuer war. Deshalb heißt es in seinem Gebet: "Führe uns nicht in Versuchung."
Passieren kann das grundsätzlich jedem Menschen, dass er in Versuchung gerät. Und dass man manchmal schwach wird - das kann auch jedem passieren. Vielleicht sollten wir Jesu Bitte in Gedanken so ergänzen: "... aber wenn wir der Versuchung erlegen sind, dann führe uns mit Maß und Ziel hindurch."

Jesus weiß, wie das ist: in Versuchung geführt zu werden. Die Bibel erzählt davon eine Geschichte, da hat die Versuchung ein Gesicht und eine Gestalt: Es ist der Teufel. Jesus war vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste und hat nicht richtig gegessen. Überall Sand und - Steine. Wenn die doch Brot werden könnten! Einfach reinbeißen und endlich wieder satt werden! So flüstert der Teufel Jesus ins Ohr. Aber Jesus reißt sich zusammen und sagt dem Teufel: Es gibt Wichtigeres! Ein Mensch lebt nicht bloß vom Brot.
Der teuflische Versucher lässt das mal so stehen. Und testet, wie eitel Jesus ist: Sag mal, du bist doch Gottes Sohn, oder nicht? Da kannst du doch alles, was du willst! Spring doch einfach von der höchsten Mauer der Stadt! Bestimmt kannst du fliegen! Na, und wenn doch nicht - ach, dann wird Gott schon Engel schicken, dass sie dich tragen! Steht doch schon in der Bibel!
Das mag Jesus gar nicht, dass jetzt schon der Teufel aus der Bibel zitiert! Er schüttelt ihn wieder ab. Aber der Versucher gibt noch nicht auf. Er flüstert Jesus ein: Ist doch echt klasse, wenn die Menschen einem so folgen, oder? Aber könnten eigentlich 'n paar mehr sein, meinst du nicht? Und er führt Jesus auf einen hohen Berg, von dem aus er alle Länder der Erde sehen kann. Du kannst über die ganze Welt herrschen, sagt er. Du brauchst nicht ans Kreuz zu gehen. Du müsstest einfach nur mich anbeten, mehr nicht. Dann folgen sie dir alle!
Da scheucht Jesus den Teufel fort.
Ich habe eine Kinderbibel, in der wird der Versucher als eine Schattenfigur gemalt, die genauso aussieht wie Jesus. Dieser Schattenjesus, das ist der, der am liebsten die Steine zu Brot verwandeln und von der höchsten Mauer springen würde, um berühmt zu werden. Das ist der, der eigentlich gerne die ganze Welt beherrschen würde.
Mein Schatten - eigentlich ist das mein Spiegelbild. Das Spiegelbild meiner dunklen Seiten. So ein Schattenbild hat jeder von uns. Aber wer guckt sich das schon gerne an! Die Eitelkeit, den Hunger nach Anerkennung und Macht! Es ist viel leichter, das alles dem Teufel in die Schuhe zu schieben! Dann hat der Schuld - und nicht ich selbst!
Deshalb bittet Jesus: "... und führe uns nicht in Versuchung". Gott, lass uns nicht mit unserem Schatten allein! Lass uns die dunklen Seiten erkennen, damit wir rechtzeitig Nein sagen können. Hilf uns, dass wir uns selbst im Spiegel ertragen können! Halte uns fest, dass wir nicht im Bösen verloren gehen!
Unsere Schattenseiten gehören zu uns wie der richtige Schatten. Aber wir brauchen uns nicht darin zu verlieren. Von Jesus können wir lernen, unserem Schatten standzuhalten - und im Licht zu bleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14753
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