SWR1 Begegnungen
Peter Annweiler trifft die Künstlerin Merja Herzog-Hellstén
Einen Kilometer Kabelröhren aus dem Baumarkt hat sie genommen und in vierzehn großen Knoten in der Mannheimer Citykirche Konkordien aufgehängt: Die finnisch-deutsche Künstlerin Merja Herzog-Hellstén aus Hanau
Verwickelte Schönheiten
Mögen Sie Verknotungen? - Ich eigentlich gar nicht, weil ich viel zu ungeduldig bin, wenn ich Knoten entwirren muss. Da gebe ich dann schnell auf - und möchte es machen wie Alexander der Große. Der Sage nach hat er den „Gordischen Knoten“ auch nicht entwirrt, sondern mit dem Schwert durchgeschlagen.
Merja Herzog-Hellstén versteht ihre Knoten nicht als Aufgabe, sondern als „verwickelte Schönheiten“. So hängen sie in der Mannheimer Citykirche - und geben auch ohne Sprache zu denken. Zuerst wollte ich nach Anfang und Ende der Linien suchen. Und ich wollte fündig werden. - Das aber ist gar nicht so im Interesse von Merja Herzog-Hellstén:
Das Finden ist natürlich toll. Aber im Grund zelebriere ich hier tatsächlich das Suchen an sich: Wie reich eine Suche werden kann, auch wenn es sich verdichtet, verknotet, wenn man vielleicht teilweise das Gefühl hat: Mein Gott, ich komme da jetzt nicht weiter -
- und genau dann ist es möglich, Neues zu sehen. Eben nicht den Knoten als ein Problem. Eben nicht entwirren müssen und darin notwendig scheitern. Sondern einfach eine andere Perspektive suchen und finden. Dazu will Merja Herzog-Hellstén mit ihren „Verwicklungen“ anregen. Knoten und Probleme im Leben bedeuten eben nicht Chaos, sondern sie verdichten das Leben. Sie helfen bei der Suche nach neuen Perspektiven. Nach dem, wie wir das Leben und die Welt neu und tiefer begreifen können.
Die kluge Frau mit den blauen Augen ist alles andere als der wilde Künstlertyp. Sie arbeitet mit Genauigkeit und Präzision. Das hat sie schon als Kind in Finnland mitbekommen.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Eltern gebaut haben während meiner Kindheit, also ich durfte da sehr viel mitwirken
Schon immer war Merja Herzog-Hellstén vom Dreidimensionalen fasziniert und hat dadurch ihre Begabung für raumgreifende Werke entdeckt.
Durch die Installationen finde ich das großartig, dass der Betrachter die Chance bekommt, so was wie in die Kunst hineinzutreten und tatsächlich Teil zu werden davon.
Genau das ist es, was mir an ihrer Kunst so gefällt. Man kann nicht „Betrachter“ bleiben, man wird Teil davon. Die Arbeiten wirken, auch wenn ich sie nicht gänzlich verstehe.
Da finde ich dann das Eintauchen in Kunst und Religion sehr verwandt: Beiden geht es nicht darum, alles zu aufzulösen oder zu analysieren. Sondern mit Herz und Sinn neue Einsichten zu bekommen: Wenn unterschiedliche Meinungen sich nicht in einem Knoten „verwirren“, sondern sich ergänzen und bereichern.
Es ist ja ganz klar: Erstmals ist nichts starr. Nicht unbeweglich, sondern es wird dann durch diese Bewegung neu in Frage gestellt und man bekommt die Möglichkeit, die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen -
Bewegtes Leben
Leben ist Suchen, sagt sie. Das Finden scheint ihr gar nicht so wichtig. Denn, wenn man „gefunden“ oder „verstanden“ hat, dann kann man ja auch erstarren. Ein wenig davon hat Merja Herzog-Hellstén wohl in Finnland erlebt. Dort waren alle um sie herum fraglos evangelisch-lutherisch.
Es ist für mich ein bisschen komisch gewesen, dass man von Geburt an etwas ist - bevor man selber noch Gedanken fassen konnte: Bin ich das? Will ich das sein?
Wie unterschiedlich Menschen geprägt sein können! Für mich hat die Tradition, in die ich hineinerzogen wurde, nichts Erstarrtes gehabt. Sie war mir ein Halt, hat mir Wurzeln gegeben, um die Stürme des Lebens besser bestehen zu können.
Merja Herzog-Hellstén hat Tradition wohl manchmal eher als „Festung“ erlebt - und deshalb ist ihr eine Skepsis gegenüber den Konfessionen geblieben. - Wo komm’ ich her und wo geh ich hin? Was gibt mir Sinn und Halt im Leben? - Bei solche Gedanken fragt sie sich,
ob die vielleicht manchmal so was wie vereinnahmt werden von der Religion - und bekommen dann diese Stempel: Das ist jetzt eine katholische Gedanke, das ist jetzt eine evangelische Gedanke, eine buddhistische Gedanke und so weiter.
Und genau diese Sehnsucht nach einem Glauben, der die Grenzen von Konfessionen und Kulturen überwindet, passt gut zu Pfingsten, finde ich. In der biblischen Pfingstgeschichte haben die Menschen „be-geistert“ über die Grenzen von Kulturen und Religionen hinweg zueinander gefunden. Sie haben neue schöpferische Kräfte gespürt. -
Künstler sind da oft dem Pfingstgeist nahe, weil sie von diesen schöpferischen Kräften angetrieben sind. Sie sind voller Kreativität und schaffen, was bisher noch keine Auge so gesehen und kein Ohr so gehört hat - auch wenn es sich um ur-alte Menschheitsfragen und Sehnsüchte handelt.
Merja Herzog-Hellstén ist in ihrer künstlerischen Suche für mich ein pfingstlicher Mensch. Auf ihrem Weg hat sie die Religion als Lebenskraft wiederentdeckt. Evangelisch ist sie jedenfalls geblieben, vielleicht auch, weil sie immer wieder gute Erfahrungen in Kirchen gemacht hat, wie jetzt in der Mannheimer Citykirche Konkordien. In der Weite von Gotteshäusern mischen sich Suchen und Finden. Und so ist ihr Raumgefühl in der Kirche auch nicht „leer“:
Es ist sehr viel von konkreten Gedanken gefüllt. Es ist von geistlichen Gedanken gefüllt . Es wird da viel „gewirbelt“ gerade mit den Gedanken.
Das gefällt mir: Der Kirchenraum als ein Raum, der gefüllt ist. Mit Segen und Singen. Mit Klage und Lob. Mit Bibel und mit Kunst.
Und wenn das alles durcheinander „gewirbelt“ wird, wenn es gut und lebendig miteinander verknotet und vernetzt ist, dann ist - längst nicht nur heute - Pfingsten.
Infos zum aktuellen Projekt: www.citykirchekonkordien-de.
Infos zur Künstlerin: www.herzog-hellsten.de