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SWR2 Wort zum Tag

Von Rabbi Bunam ist folgender Satz überliefert: Jeder Mensch sollte immer zwei Zettel bei sich tragen. Auf dem einen sollte stehen: „Ich bin die Krone der Schöpfung!“ Auf dem anderen: „Ich bin ein Häuflein Staub und Asche!“
Wie recht er hat. Der Mensch ist voller Widersprüche, die sich im Feld dieser Extreme bewegen. Da erreicht man höchste Perfektion in vielen Dingen, scheitert jedoch an den kleinsten Problemen. Größe und Elend in einer Person. Du hast den Menschen wenig niedriger gemacht als Gott, heißt es in einem Psalm. Aber die andere Seite ist eben auch immer beklemmend zu sehen: Dass die großen Menschen arme Würstchen sind, mit ihren Gaben letztlich
nicht vernünftig umgehen können, die Geister rufen, aber nicht beherrschen. Es ist ein ständiges Gegeneinander von Kräften, die das Gute wollen, und Kräften, die es hassen und zerstören.

Gewiß: nicht alle empfinden es so, und nicht wenige würden sich nur für einen der beiden Zettel entscheiden.
Es ist ja wirklich nicht einfach, mit solchen Widersprüchen zu leben. Aber die Bibel hilft mir, sie zu verstehen: Menschen sind Meisterwerke Gottes, genial konstruiert, wunderbar gemacht. Ein jeder hat Anteil an der Schönheit und Größe des Schöpfers. Aber zugleich sind alle vom Bösen infiziert, sind auf Gnade und Vergebung angewiesen. Und zwar unabhängig davon, ob sie das Bundesverdienstkreuz tragen oder sich mühsam durchs Leben schlagen.

Was Menschen außer den beiden Zetteln brauchen, ist eine Mitte, die ihre Botschaften zusammen hält. Ein klares Wort, das die Spannung hält zwischen Kritik und Ermutigung, Anklage und Freispruch. Groß bist du - unendlich wertvoll. Elend bist du - unendlich verloren. Aber in beidem bist du von Gott geliebt, von deinem Elend möchte er dich erlösen, und mit deinen Fähigkeiten sollst du Gutes bewirken.
Wer dieses Wort hört, kann mit dem eigenen Widerspruch leben. Was mir gelingt, wird mich nicht hochmütig machen, und an meiner Armseligkeit werde ich nicht verzweifeln.
Gottes Liebe weist mich zurecht und richtet mich auf. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6222
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SWR2 Wort zum Tag

Im Russland der 1980er Jahre herrschte noch der Atheismus. Vor der Kirche traf ein kommunstischer Funktionär einen orthodoxen Priester, der gerade den Gottesdienst beendet hatte. Außer ihm hatte niemand daran teilgenommen.
"Na, fühlst du dich nicht ein wenig einsam da drin?" spottete der Funktionär.
Doch der Priester blieb gelassen: "Wenn ich Gottesdienst halte, dann tue ich es im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Also sind wir schon zu viert. Und wo der Allmächtige zugegen ist, werden seine himmlischen Heerscharen nicht weit sein. Ich habe manchmal Sorge, überhaupt noch einen freien Platz in meiner Kirche zu bekommen!"
Sprachs und ging davon.

Gottes Dreifaltigkeit gehört zu den großen Geheimnissen des Christlichen Glaubens, und auch zu den Denkaufgaben der Theologie. Dass Gott Einer ist, das haben Christen mit dem Judentum und dem Islam gemeinsam. Aber der eine Gott offenbart sich nach christlicher Auffassung in drei Personen - und diese Fülle macht unsere Religion anfechtbar. Drei Personen, meinen Kritiker, sind auch drei Götter.
Die Kirche sagt dazu: Gottes Personen sind eines Wesens. Und dieses eine Wesen ist so groß und vielfältig, dass es sich nicht in einem Bild, ja auch nicht mit einem Gesicht umschreiben und denken läßt. Also ist Gott immer
schon zu dritt. Er ist der Vater - für mich ist das wichtig, einen himmlischen Vater zu haben, der mich sein Kind nennt, der mich vorbehaltlos liebt - wie eben ein Vater sein Kind. Gott ist Jesus, der Sohn: er ist der Gott an
meiner Seite, der Freund, der sein Leben für mich läßt und der folglich auch Herr darüber sein darf.
Den Heiligen Geist stelle ich mir vor wie eine Quelle. Aus ihr sprudelt Kraft und Trost. Sie nährt und stärkt den Glauben an Gott, sie stiftet eine weltweite Gemeinschaft, alle Konfessionen übergreift sie.
Gott ist also nie mit sich allein, er lebt in Beziehung zu sich selbst. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind immer im Gespräch, liebevoll einander zugewandt, wie man es auf manchen Ikonen so wunderbar sehen kann. Und doch ist diese Gemeinschaft offen für jeden, der am Gespräch teilnehmen will. Wenn ich mit Gott rede, trete ich ein in
diesen Kreis, werde hineingezogen in das göttliche Geheimnis, umfangen von göttlicher Liebe.
So glaube ich an einen Gott, der nicht für sich bleibt und gerade darin ganz ER selber ist.
Gott ist nicht mit sich allein und läßt auch mich nicht mit mir allein. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6221
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SWR2 Wort zum Tag

Alt werden möchten alle - aber alt sein, das will keiner. So lautet ein Sprichwort.
Und ich versuche zu verstehen: Aus Sicht des jungen Menschen ist es etwas schönes, ein hohes Alter zu erreichen. Man möchte ja leben und nicht sterben, jedenfalls nicht früh.
Und man möchte auch im Alter noch etwas vom Leben haben - vielleicht gerade das nachholen, was einem als junger Mensch verwehrt bleibt.
Aber da liegt auch schon das Problem. Es ist ja nicht gesagt, dass mit dem Altwerden auch ein gutes Leben einhergeht. Viele machen die gegenteilige Erfahrung, dass ihnen das Alter zur Last wird. "Altsein, das ist nicht schön, es ist eigentlich kein Leben mehr" - so höre ich es manchmal heraus.
"Ich werde gerne alt" - so heißt ein Buch von Jörg Zink. Er schreibt dazu: "Ich werde wirklich gerne alt. Ich meine, wir können ein Ja dazu finden, dass das Leben mühsamer wird. Dass es einsamer wird. Wir können ein Ja finden
zur Schwäche. Zur Schwäche des Gedächtnisses, aber auch der Augen, des Gehörs, der Hände, der Beine. Ein Ja zur Langsamkeit der Bewegungen und der Reaktionen. Wenn ich dazu Ja sage, dann meine ich damit nicht: Das ist alles nicht so schlimm. Sondern ich meine: So schmerzhaft ist es, das Alter, so und nicht anders. Und das alles
lege ich in Gottes Hände und bitte ihn, es möge mich nicht von ihm trennen." -
Eigentlich kann man das von jedem Lebensalter sagen, finde ich. Denn jedes Alter ist von Gott gegebene und von ihm gewollte Zeit, auch mein jetziges, mittleres Alter. Und ich möchte diese Zeit annehmen und gestalten, so gut
es geht. Nicht dem Vergangenen nachtrauern, auch nicht mit der Gegenwart im Streit leben.Wenn ich mein Alter verdränge oder sogar dagegen ankämpfe, kann ich mich im Grunde selbst nicht annehmen. Aber wenn ich Gott in diesem Punkt vertrauen kann, schafft das Ruhe und Gelassenheit, ich finde ein Ja zu mir selber. -
Dieses Ja zu finden und auch zu leben - das ist eine große Herausforderung. Altwerden ist nichts für zarte Seelen, las ich neulich, und das stimmt wohl. Ich denke an die Mutter meiner Frau, die in diesen Tagen Abschied nimmt
von ihrem selbstständigen Leben im eigenen Haus. Es fällt ihr nicht leicht, aber sie sagt Ja zu dem letzten Wegstück, und sie tut es im Vertrauen auf Gott. Sie verbreitet soviel Zuversicht, dass auch Jüngere davon angesteckt werden. Und vielleicht auch einmal sagen können: ich werde gerne alt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6220
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SWR2 Wort zum Tag

Ein Bekannter erzählt: "Ich erinnere mich mit Schrecken an ein Erlebnis meiner Kindheit.
Viel zu spät war ich nach dem Spielen nach hause gekommen. Meine Mutter machte sich
große Sorgen und war sehr wütend über mich - wir hatten eine klare Absprache getroffen,
und ich hatte sie gebrochen. Mutters Zorn war gewaltig, und noch schlimmer war: Ich wusste, dass sie im Recht war. Und doch habe ich viel gelernt durch den Zorn meiner Mutter. Im Rückblick wurde die Gewalt, das Verletzende dieses Zorns kleiner. Und ich verstand immer mehr, dass die Wurzeln dieses Zornes in der Liebe meiner Mutter lagen. Sie wollte, dass ich bewahrt bleibe, heil zu hause ankomme."
Zorn hat offenbar manchmal auch positive Seiten. Zorn entsteht ja häufig aus Enttäuschung. Paradoxerweise zeigt sich dann im Zorn nicht Hass, sondern Liebe, enttäuschte, verletzte Liebe.
In gewissem Sinne offenbart der Zorn aus Liebe genau das, was sich hinter ihm versteckt:
Du bist mir nicht egal! Du bist mein Kind, mein Partner, und ich liebe dich so sehr, dass ich
dir einfach böse sein muss.
Auch in der Bibel ist vom Zorn Gottes die Rede. Gottes Zorn entbrennt, wo er beleidigt wird, wo man ihn mit anderen Göttern betrügt oder goldene Kälber verehrt. Oder wenn Menschen Absprachen nicht einhalten oder den Hals nicht voll genug bekommen können.
Mir helfen die Geschichten vom zornigen Gott, mit eigenem Zorn besser umzugehen - und
mit dem Zorn anderer auf mich. Falscher Zorn hat immer etwas mit Macht zu tun und deren Missbrauch. Er zielt auf Kränkung und Erniedrigung des anderen. Echter Zorn hat etwas heiliges, denn er hat seine Wurzeln in der Liebe.
Er will Beziehung und wird schon deshalb niemals grundlos sein und auch nicht maßlos.
Diesem Zorn muss ich mich beugen, muss die Aussprache suchen und die Aussöhnung.
Diesen Zorn muss ich aber auch beenden und selber Vergebung gewähren.
Lernen kann ich das bei Gott, dessen Zorn, wie die Bibel sagt, niemals ewig währt.
Die Angst vor Gottes Zorn ist uns fremd geworden. Und doch glaube ich, dass Gott zornig werden kann - ein Vater, der von seinen Kindern immer wieder enttäuscht und verletzt wird.
Manches Unglück mag man als eine Folge dieses Zorns verstehen (Finanzkrise).
Aber im Rückblick zeigt sich auch hier ein Herz voller Sehnsucht und Liebe.
Gott will nicht leben ohne sein Kind.
Wenn er es wieder in die Arme schließt, dann ist sein Zorn verflogen.
Die Strafe hat ein anderer getragen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5698
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SWR2 Wort zum Tag

Ich hatte ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde: Mit einer Gruppe von Jugendlichen
machte ich einen Kletterweg durch einen Hochseilgarten.
Meterhoch stand ich auf schwankenden Brettern, gesichert nur durch ein Seil über mir, das Hochseil. Es kostete mich viel Überwindung, diesen Weg zu gehen, und keine Sekunde
vergaß ich, mich am Hochseil zu sichern - für den Fall der Fälle.

Das Leben gleicht in manchen Punkten dem Gang durch einen Hochseilgarten – das ist mir da oben klargeworden. Leben ist ein Balance-Akt: Man muß auf schwankenden Wegen gehen,
und es gibt viele Risiken. Man kann fallen, kann sich verletzen. Man muß Kraft und Geschick aufwenden, um diesen Gang zu meistern, und manche können es besser als andere. Immer wieder brauche ich Mut, den nächsten Schritt zu tun, immer wieder muß ich mich bremsen, wenn ich zu mutig und zu schnell war. Und darüber verläuft so etwas wie wie ein Hochseil.
Für mich ist das Seil ein Bild für Gottes Gegenwart. Ein Bild für Gottes Worte, seine Zusagen:
Fürchte dich nicht, ich verlasse dich nicht und lasse dich nicht fallen.

Gottes Gegenwart, seine Worte begleiten jedes Leben, davon bin ich überzeugt, und in der Taufe eines Menschen kommt das sinnbildlich zum Ausdruck.
Gott garantiert mir damit keine absolute Sicherheit, aber er lädt mich ein zum Glauben, und manchmal fordert er den Glauben auch heraus. Überwinde deine Angst. Vertrau dich mir an, häng dich an mich! Du wirst sehen: ich halte dich fest!
Ist der Vergleich stimmig? Was kann einem schon passieren, der sein Leben ohne Glauben, ohne Verbindung zu Gott lebt? Ich brauche diese Verbindung nicht, sagen mir manche. Und
ich lasse mir auch nicht einreden, dass ich ohne Gott gefährlich lebe, vom Absturz bedroht
bin.
Am Schluss des Parcours kommt eine Stelle, wo keine Planken mehr gibt, wo man einen Abgrund überqueren muss, nur gesichert durch das Hochseil. Ich hatte Angst, aber ich konnte nicht zurück. Ich musste hinüber, mich auf das Seil verlassen.
So stelle ich mir das Sterben vor, den letzten Schritt. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken.
Aber ich glaube daran, dass Gott mich hinüberbringt.
Dort, in seiner Welt, werde ich festen Boden unter meinen Füßen haben
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5697
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SWR2 Wort zum Tag

Jeder Mensch versucht, das Beste aus seinem Leben zu machen. Dieser Versuch kann zur Versuchung werden. Dann tue ich etwas, womit ich mir schade, wider besseres Wissen.
In einem tieferen Sinn erliege ich einer Versuchung, wenn Gott in den Hintergrund gerät,
wenn er zur Randfigur wird. Oder wenn ich mir einreden lasse, er sei ein Spielverderber,
einer, der mir das Gute nicht gönnt.
So ist es auch in der Geschichte, die von der Versuchung Jesu erzählt. 40 Tage hat Jesus in der Wüste gefastet, um sich auf seinen Auftrag vorzubereiten, 7 Wochen ohne Nahrung, ohne Menschen. Es hungerte ihn, heißt es in der Geschichte.
Und da hört Jesus eine Stimme: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sprich zu diesen Steinen, dass sie Brot werden. Das ist eigentlich ein vernünftiger Rat, erklingt fürsorglich und sensibel. Er erinnert mich an freundliche und besorgte Stimmen, die sich um mein Wohl bemühen, die mir schmeicheln und mich locken. Und haben sie nicht alle recht, die mich ermutigen, mir etwas Gutes zu gönnen? Ist es nicht völlig legitim, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die
einem gegeben sind?

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht, antwortet Jesus auf dem Versucher. Diese Antwort macht stutzig. Ist Brot denn etwas Schlechtes? Nein, würde Jesus antworten. Aber Brot allein, Brot ohne Gott, das ist gefährlich. Gesundsein und Sattsein, Genuss und Beziehungen sind Brot, gute Gaben. Aber wenn diese Gaben einen Keil zwischen mich und Gott treiben, ja wenn Gott dahinter verschwindet, dann richten sie mich zugrunde. Und Jesus sieht genau diese Gefahr: Das Brot soll ihn von seinem Vater entfremden, das Vertrauen zu ihm zerstören.

Ich persönlich denke hier an meine Familie, an meinen Beruf und die vielen Dinge, die mich beschäftigen. Und immer könnte ich noch mehr tun! Tus doch, sagt dann die Stimme, du kannst es doch. Was aber, wenn ich keine Zeit mehr finde, in der Stille zu Gott zu gehen? Wenn ich so beschäftigt bin, dass ich die Worte nicht mehr höre, von denen ich leben kann?

Eines wird mir an dieser Geschichte klar: Der Versucher macht vernünftige Vorschläge, er
hat gute Argumente. Aber Jesus durchschaut seine Absicht, und das möchte ich auch tun.
Zuerst auf Gottes Worte achten, sie als wichtigstes Nahrungsmittel zu mir nehmen.
Und dann das Beste aus meinem Leben machen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5696
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SWR2 Wort zum Tag

Wie kann ich mich richtig auf Weihnachten vorbereiten?
Wie kann ich erreichen, dass mich trotz Hektik und Zeitnot der Advent im Herzen anrührt?
Von Paul Gerhardt stammt ein Lied, das genau diese Frage stellt. Hören Sie einige Takte dieses Liedes - in einer vielleicht ungewohnten Version:

„Wie soll ich dich empfangen“ von Sarah Kaiser, Gast auf Erden

Ich gebe zu: Ich musste mich an diese Musik gewöhnen. Inzwischen habe ich mich in diese Version von Sarah Kaiser hineingehört. Und ich schätze daran, dass sie Altes neu zum Klingen bringt, auch die Botschaft dieses Liedes. Wie soll ich dich empfangen? Wie soll ich Gott begegnen, nach dem sich die ganze Welt sehnt, auch wenn sie vielleicht nicht an ihn glaubt?

Vielleicht hilft es, wenn man Altgewohntes einmal neu hört. Nicht, um das Alte beiseite zu schieben, sondern um es neu zu entdecken. O Jesu, Jesu, setze, mir selbst die Fackel bei. Damit, was dich ergötze, mir kund und wissend sei.
Ich habe diese Zeilen jahrelang gesungen, ohne mich zu fragen. Der Kontrast zwischen altem Text und neuer Musik ließ mich jedoch neu aufhorchen. Muss ich denn wirklich wissen, was Jesus "ergötzt", woran er Freude hat? Ich merke: es ist eine alte Gewohnheit, immer zuerst nach dem eigenen Befinden zu fragen, nach dem, was mir gut tut.
Eine neue, anfangs vielleicht schmerzende Gewohnheit wäre es, zu fragen: Was gefällt dir, Gott, an meinem Leben, an meinem Advent-Feiern. Und was gefällt dir nicht so gut? Wo siehst du Änderungsbedarf?

Es lohnt sich, dieses Lied einmal ganz zu lesen oder sogar zu singen.
Es enthält Gedanken, die gewöhnungsbedürftig sind, aber es lässt keinen Zweifel daran:
Gott kommt, weil das "geliebte Lieben" ihn dazu treibt, und Gott hat längst die ganze Welt in seine Arme geschlossen.
Also auch mich. An dieses Bild will ich mich neu gewöhnen - und neue Klänge helfen mir dabei.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=5096
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SWR2 Wort zum Tag

Eines der bekannten Adventslieder stammt von dem Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld:
O Heiland, reiß die Himmel auf - herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
Spee wusste, worum er bat. Der Himmel schien verschlossen zur Zeit des 30-jährigen Krieges, in der er lebte. Deutschland war gezeichnet durch Gewalt und Vertreibungen, Hunger, Seuchen und Tod. Zudem bildete diese Zeit einen schrecklichen Nährboden für religiöse Wahnvorstellungen: Zu Tausenden wurden Frauen als Hexen denunziert, angeklagt, gefoltert und verbrannt.

Spee wirkte als Seelsorger für zum Tode verurteilte angebliche Hexen. Er selbst jedoch lehnte die Hexenprozesse kompromisslos ab und veröffentlichte anonym eine Schrift mit dem Titel: Rechtliche Bedenken wegen der Hexenprozesse. Da seine Autorschaft bekannt und sein Orden tief in die Hexen-Verfolgung verstrickt war, riskierte Spee sehr viel. Doch letztlich trug sein Buch zu einem Umdenken bezüglich der Hexenprozesse bei, brachte Licht und Trost in die Kerker. Ebenso wirkten seine Lieder, gesungene Texte, in denen sich das Elend gequälter Menschen ebenso spiegelt wie die Hoffnung des Dichters:
Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod. Ach komm, führ uns mit starker Hand, vom Elend zu dem Vaterland.

Spee lebte im Horizont eines jüngsten Gerichts, er rechnete mit der Möglichkeit einer ewigen Verurteilung durch den göttlichen Richter. Doch dieser urteilt nicht wie die Richter der Inquisition, die mit leichter Hand Todesurteile unterschrieben. Der göttliche Richter streckt mir eine helfende Hand entgegen, und sein Gesicht trägt die Züge eines liebenden Vaters. Dieser hat den verschlossenen Himmel aufgerissen, Tore und Schlösser zerbrochen, um auf die Welt zu kommen. Und Spee beschreibt, wie sich das Licht Gottes mit einem unbeschreiblichen Glanz in das Dunkel ergießt. Der Richter ist der Retter, und es gilt, die ausgestreckte Hand dieses Retters zu ergreifen, festzuhalten, sich vom ihm ins Helle ziehen zu lassen.
Mir persönlich bedeutet das sehr viel: Der Richter, dessen Urteil ich fürchten müsste, nimmt mir die Angst. Denn er ist mein Vater, dem ich vertrauen kann, mit dessen starker Hand ich verbunden bin - im Leben und im Sterben.

Friedrich Spee, der göttliche Minnesänger, so nannte man ihn. Er besang die Liebe eines Gottes, der Not und Leiden zu einem Ende bringt. Und er sang es nicht nur, er lebte es auch.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5095
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SWR2 Wort zum Tag

Manchmal erinnert mich mein Leben an den unaufgeräumten Hobbyraum in unserem Keller.
So sehr ich mich auch mühe, nie herrscht da länger als ein Stunde Ordnung. Dann landet garantiert die nächste Hose mit Loch, das nächste unvollendete Bastelprojekt unserer Kinder auf dem Tisch. Darum fühle ich beim Betreten des Hobbyraums immer etwas Angst vor dem vielen, was sich da durcheinander und unvollendet angesammelt hat.
Wie soll ich das je in Ordnung bringen?

Und genauso ist es im wirklichen Leben. So vieles bleibt bruchstückhaft, ungesagt, unerledigt. Wollte ich nicht diesen Kranken noch besuchen, mich um jener Person wieder zuwenden?
An ein Hilfswerk eine Spende überweisen? Die Welt durch mein Leben ein winziges Stückchen schöner oder geordneter machen?

Vor einiger Zeit fotografierte ich eine alte Scheue, die von Durchwanderern gerne als Unterkunft benutzt wird. Die Tore standen schief in den Angeln, und der Platz davor war eine einzige Müllhalde. Blechdosen, Autoreifen, Glasscherben. Es sah schlimm aus. Dabei ist so ein Müll-Chaos ja noch harmlos gegen das, was uns aus den Nachrichten entgegenschreit.
Und doch: Gottes Sohn kommt gerade in diese chaotische Welt. Er kommt auf den Scherben- und Müllhaufen, den Menschen anrichten und nicht wieder in Ordnung bringen können. Er wartet nicht ab, bis ich alles für seine Ankunft aufgeräumt habe. Weder in meinem Privatleben noch in meiner Familie, weder in meiner Umgebung noch in der Welt.
Er wartet nur darauf, dass ich mich ihm öffne - wie jenes Scheuentor offen stand. Dass ich ihm gerade das Zerbrochene, das Unfertige hinhalte.
Ich denke daran, wenn ich den Vers singe:
Komm, o mein Heiland, Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist.
Auch in den bevorstehenden Gottesdiensten kann ich im Stillen aussprechen, was auf mir lastet, kann es in sein Licht halten. Wenn es offen zutage liegt, dann kann er hineinleuchten. Und dann kann er auch helfen, beim In-Ordnung-Bringen, beim Zusammensetzen der Scherben. Nicht gegen meinen Willen, denn er kommt nicht mit Zwang. Aber auf meinen Wunsch, mit meiner Erlaubnis wird er es tun.

Die Scheune fotografierte ich übrigens nicht nur wegen des Mülls.
Denn durch die Lücken im Dachgebälk schossen Strahlen der Sonne hindurch, die hinter dem Gebäude aufging. Es sah aus wie der Stern über dem Stall von Bethlehem.
Das wurde mir zum Bild für den Advent. Gottes Licht strahlt hinein in das Dunkel.
Mein Leben ist noch nicht ganz hell, und es ist auch noch nicht ganz heil.
Aber der Tag kommt, da wird das Chaos besiegt sein, da werden die Wunden geheilt und die Tränen getrocknet sein. Auf diesen Tag freue ich mich schon jetzt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5094
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SWR2 Wort zum Tag

Leben zu dürfen, ist ein kostbarer Schatz.
Eigentlich weiß ich das. Und doch lebe ich oft so gedankenlos, ja undankbar vor mich hin. Dann ist es gut, wenn ich aufgeschreckt werde, wie z.B. durch einen Film mit dem Titel: Schmetterling und Taucherglocke.

Er zeigt eine furchtbare Geschichte, die sich vor einiger Zeit in Frankreich ereignet hat. Ein Mensch, Anfang 40, wird durch einen Schlaganfall aus einem erfüllten und erfolgreichen Leben herausgerissen. Der Schlag ist so schwer, dass die Ärzte von einem locked-in-Syndrom sprechen: Der Mensch ist in seinem Körper eingeschlossen wie in einer Taucherglocke, er ist völlig gelähmt und kann nicht mehr sprechen. Er kann noch klar denken, kann und muß hören, was die Menschen an seinem Bett sagen, und hat noch ein funktionierendes Auge. Das einzige Körperteil, das er bewegen kann, ist das Lid dieses Auges, und mithilfe einer Therapeutin lernt er, über dieses Lid zu kommunizieren. Einmal blinkern bedeutet: Ja, zweimal blinkern bedeutet: Nein. Sie liest ihm die Buchstaben des Alphabets vor, und er blinkert bei dem Anfangsbuchstaben des Wortes, das er sagen möchte, dann beim nächsten, und so weiter. Der erste Satz, den er auf diese Weise kommuniziert: Ich will sterben.

Die Geschichte erzählt nun, wie die Therapeutin ihm hilft, aus dieser Verzweiflung herauszukommen und sich mitzuteilen. Eines Tages überrascht er sie mit der Mitteilung, dass er ihr seine Gedanken diktieren möchte, alles buchstabenweise, mit Alphabet und Augenzwinkern. Das zwinkernde Auge wird für ihn zum Tor in ein neues Leben, und indem er dieses beschreibt, findet er ein Ja dazu. Es ist ein kleines, ein immer wieder gebrochenes Ja, aber selbst in dieser Gebrochenheit mutet es geradezu ungeheuerlich an.
Der Film ist beklemmend und verstörend, er wirft viele Fragen auf, ohne Antworten zu geben. Und doch – so denke ich – dieses hier erzählte Schicksal beinhaltet ein verhaltenes, zugleich deutliches und mutmachendes Ja zum Leben.
Ja! – Leben ist schön, und diese Schönheit zeigt sich auch dort, wo viele lieber wegschauen würden. Leben hat Würde und Kraft, und diese entfaltet sich auch noch unter schwierigsten und traurigsten Bedingungen.

Also möchte ich gedankenvoller und dankbarer leben.
Dieses begrenzte, vergehende Leben ist ein Geschenk Gottes.
Ich will dieses Geschenk nutzen mit der Zeit, mit den Kräften und Gaben, die ich habe.
Lernen kann ich das auch, indem ich auf die Menschen achte, die weniger vom Leben haben –und dennoch Ja dazu sagen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3986
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