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SWR4 Abendgedanken

„Ich kann einfach nicht an Gott glauben“, hat ein junger Mann zu mir gesagt. Seine Mutter war nach schwerer Krankheit gestorben. Ich habe ihn besucht, um die Beerdigung mit ihm vorzubereiten. Er hat mir von seiner Mutter erzählt. Sie hatte ein schweres Leben. Ihr Mann war früh verstorben. So musste sie für die drei kleinen Kinder alleine sorgen. Eines wurde schwer krank und starb. „Wie kann ich an einen Gott glauben, der so viel Leid zulässt?“, hat der junge Mann gefragt.

Ich habe ihm von meinem Freund aus Kindertagen erzählt. Als junge Burschen sind wir oft mit unseren Fahrrädern im Grünen unterwegs gewesen. Das war schön. Als mein Freund später ein Lehrling war, ist ihm auf dem Hof seines Ausbildungsbetriebes etwas Schreckliches zugestoßen. Eine tonnenschwere Drahtrolle löste sich aus ihrer Verankerung und begrub meinen Freund unter sich. Seitdem ist er querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Im Rückblick sagt er: „Ich verstehe nicht, warum Gott zugelassen hat, was mir damals passiert ist. Aber eines weiß ich: Ohne meinen Glauben hätte ich das nicht ausgehalten.“

Mich beeindruckt diese Antwort. Mein Freund hat erfahren: Gott gibt ihm die Kraft, sein schweres Schicksal zu tragen.

„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, so hat Gott dem Apostel Paulus geantwortet. Der hatte sich über sein schweres Schicksal beklagt. Ja, Kraft braucht es wirklich, wenn man Schweres tragen muss. Diese Kraft hat Gott dem Paulus gegeben. Trotz seiner Leiden ist er der erste Prediger des Christentums geworden und im ganzen Mittelmeerraum unterwegs gewesen. Mein Freund hat das auch erlebt. Gott hat ihm immer wieder Mut und Hoffnung gegeben und er ist trotz allem ein fröhlicher Mensch geblieben. Und dafür ist er Gott dankbar.

Warum Gott solches Leid über Menschen kommen lässt, weiß ich nicht. Aber eines habe ich von meinem Freund gelernt. Wer seinen Glauben nicht aufgibt, erfährt, wie der Glaube Kraft gibt.  

Ich weiß nicht, ob es dem jungen Mann geholfen hat, dass ich ihm von meinem Freund erzählt habe. Und von der Kraft, die von Gott kommt. Aber ich wünsche es ihm und allen, die es schwer haben: Dass sie erfahren: Gott hilft das Schwere zu tragen.

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SWR4 Abendgedanken

Soll man für alle Menschen beten? Das steht in der Bibel. Als Bitte. Der Apostel Paulus schreibt an seinen Schüler Timotheus: „So bitte ich euch herzlich, dass ihr vor Gott für alle Menschen im Gebet eintretet“. (1.Timotheus 2,1)

Vielleicht sagen Sie jetzt „Was? Für alle Menschen soll ich beten? Auch für den Arbeitskollegen, der mir das Leben in der Firma zur Hölle macht? Auch für die Schwester, die mich um das Erbe geprellt hat? Auch für die Selbstmordattentäter, die an so vielen Ecken der Welt Angst und Terror verbreiten? Für sie alle soll ich beten? Das kommt ja gar nicht in Frage! Da ist die Bibel anscheinend nicht ganz von dieser Welt.“ 

Wenn Menschen beten, beten sie für die, die ihnen am Herzen liegen: Für ihre Lieben. Für die Kinder und Enkel, für die Eltern, den Freund, die Freundin. Sie beten für die, die sie mögen. Das ist irgendwie normal.

Aber Jesus hat das anders gemacht. Er hat nicht unterschieden zwischen sympathisch und unsympathisch. Er hat zum Beispiel, als er schon am Kreuz hing, für die gebetet, die ihm das angetan haben: „Vater im Himmel, vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Die Bibel erzählt auch, dass Jesus besonders auf die Menschen zugegangen ist, die anderen das Leben schwergemacht haben. Der Zöllner Zachäus zum Beispiel. Bei den Leuten war er als Betrüger verhasst. Jesus hat ihn in seinem Haus besucht und sogar mit ihm gegessen. Das tat man damals nur mit Freunden. Und er hat seinen Anhängern gesagt: „Wenn ihr betet, betet auch für die, die euch verfolgen.“ (Matt. 5,44)

Im Sinne Jesu zu beten heißt für mich deshalb, für alle zu beten: Für meine Lieben wie für die, die mir unsympathisch sind. Für meine Freunde wie für meine Gegner. Für die, die mir am Herzen liegen, und für die, die mir das Leben schwermachen.

Manchmal bete ich so: „Gott, du weißt, wer mir das Leben schwermacht. Für sie bitte ich dich um deinen Segen. Und auch für mich: Hilf mir, mit ihnen klarzukommen.“

Ich glaube fest: Gott kann mir helfen, besser mit denen klarzukommen, die mir zu schaffen machen. Ich glaube auch, dass Gott ihre Herzen zum Guten verwandeln kann. Vielleicht wartet er nur darauf, dass ich ihn darum bitte. 

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SWR4 Abendgedanken

Warum treten Menschen aus der Kirche aus? Ich frage mich das oft. Wollen sie einfach nur die Kirchensteuer sparen? Oder sind die Menschen enttäuscht, weil sie in der Kirche nicht das finden, was sie suchen?

Die Bibel erzählt, dass es zurzeit Jesu ganz ähnlich war. Auch Jesus hatte Erwartungen enttäuscht. Deshalb sind ihm die Menschen in Scharen davongelaufen. Das geschah unmittelbar nach der Speisung von fünftausend Menschen. Die wollten Jesus dann zu ihrem König machen. Sie waren tief beeindruckt von dem, was sie gerade erlebt hatten: Jesus hatte mit fünf Broten und zwei Fischen Tausende satt gemacht. „Der kann bestimmt noch mehr!“, dachten die Menschen. „Der kann sicher alle Probleme durch ein Wunder lösen!“ Aber Jesus wollte kein Zauberkönig sein. Was er getan hat, sollte Menschen Mut machen, auf Gott zu vertrauen. „Ich bin das Brot des Lebens“, hat er über sich gesagt und davon gesprochen, wie der Glaube den Lebenshunger stillt. Viele wollten das aber nicht hören. „Daraufhin wandten sich viele von ihm ab“, heißt es in der Bibel. (Johannes 6, 66). Jesus erlebte am eigenen Leib wie schnell man out ist, wenn man Erwartungen enttäuscht.

„Wollt ihr auch weggehen?“- hat er deshalb seine engsten Anhänger gefragt. Einer von ihnen, Petrus, hat geantwortet: „Herr, wohin sollen wir gehen? Was du sagst, tut uns gut. Deswegen glauben wir, dass du der Sohn Gottes bist!“ Petrus hat nicht beeindruckende Wundertaten als Grund für das Bleiben bei Jesus genannt, sondern das, wovon Jesus gesprochen hat. Seine Worte haben den Menschen Kraft gegeben. Zum Beispiel: „Selig sind, die Leid tragen, denn Gott wird sie trösten.“ Jesus hat die Menschen an Gott erinnert, der die Traurigen trösten kann. Das gibt Hoffnung. Solche guten Worte können das Leben verändern.

Solche Jesus-Worte weiterzugeben – dazu ist die Kirche da, meine ich. In ihr versammeln sich Menschen, die von Jesus hören wollen und in seinem Sinn leben. Sie erinnern einander an den Trost Gottes. Sie stärken einander, sind für die Traurigen da und für die Bedürftigen. Der Glaube gibt ihnen Kraft, einander zu stützen, wenn es nötig ist. Ich glaube: Wer die guten Worte hört und die Nähe Gottes spürt– der bleibt gern in der Kirche.

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SWR4 Abendgedanken

„Müssen Pfarrer bei Beerdigungen manchmal weinen?“, hat mich jemand gefragt. Für mich selber muss ich zugeben: Ja, wenn ich den Verstorbenen sehr gemocht habe, kämpfe ich mit meinen Tränen. Dann fällt mir die Beerdigung wirklich schwer.

Besonders schwer ist es, wenn ich ein Kind beerdigen muss. Ich selber habe drei Kinder. Ich ahne, wie es Eltern zumute ist, die ein Kind verloren haben. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Kann ich solche Eltern überhaupt trösten? Und wie schaffe ich es, meine eigenen Tränen zurückhalten, wenn ich vor dem kleinen Sarg stehe und mir dieser Anblick die Kehle zuschnürt? Im selben Augenblick erwarten die Menschen von mir, dass ich ihnen über diese schwere Stunde hinweghelfe und etwas Tröstliches zu Ihnen sage.

Was mir hilft, ist die halbe Stunde vor der Beerdigung. Da bin ich im Nebenraum der Trauerhalle ganz für mich alleine. Die Stille tut mir gut. Ich spreche ein Gebet. Darin bitte ich Gott um Kraft und um die richtigen Worte. Dann ziehe ich meinen Talar an, das schwarze Gewand, das ein evangelischer Pfarrer trägt. Wenn ich den Talar anziehe, mache ich mir bewusst, welche Aufgabe ich jetzt habe. Als Pfarrer soll ich den Menschen von Gott erzählen, der die trösten möchte, die Schweres erleben müssen. Und ich soll an die Hoffnung auf das ewige Leben erinnern. Damit ist das Leben nach dem Tod gemeint. Das Leben bei Gott in seiner neuen Welt. Dort gibt es kein Leid mehr, glauben wir Christen, keine Schmerzen und keinen Tod. Dort sind die Verstorbenen gut aufgehoben – auch die Kinder. Mich selber tröstet diese Hoffnung. Und ich bete, dass auch die trauernden Eltern von dieser Hoffnung getröstet werden. 

„Müssen Pfarrer bei Beerdigungen manchmal weinen?“ Ja, manchmal kämpfe ich mit den Tränen. Aber in der Stille erinnere ich mich bewusst an das, was jetzt wichtig ist: Dass der Tod nicht das letzte Worte hat, sondern Gott. Von ihm sagt die Bibel, dass er die Traurigen tröstet wie einen seine Mutter tröstet.

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SWR4 Abendgedanken

„Schön ist die Jugend bei frohen Zeiten, schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr.“ Vielleicht kennen Sie dieses Volkslied. Erst neulich habe ich das Lied mit Senioren gesungen. Sie hatten es sich gewünscht. In meinen Ohren hat das Lied wehmütig geklungen, fast traurig. Als sei im Alter alles nur noch schlecht. Da meldete sich eine Seniorin zu Wort. Sie habe ein anderes Lied dabei, sagte sie. Das wolle sie jetzt mit uns singen. Die Melodie sei die gleiche wie bei dem Lied „Schön ist die Jugend“, nur die Worte seien andere. Sie teilte das Liedblatt aus. Alle waren gespannt. Ich las die Worte und staunte. Wunderbar, dachte ich, auch so kann man das Alter sehen. Wir fingen an zu singen. Die erste Strophe ging so: „Schön ist die Jugend, so stets geschrieben, doch auch im Alter kann man sich freun, ist man im Herzen noch jung geblieben, fühlt man im Alter sich nicht allein. Muss man auch langsam gehen, manchmal bei Seite stehn, schön ist das Alter trotz alledem.“ Während wir diese Strophe sangen, beobachtete ich, wie sich bei einigen die Gesichter aufhellten. Dann haben wir die nächste Strophe gesungen. „Das Buch des Lebens hat viele Seiten, das Schicksal blättert und fragt uns nicht. Doch Gottes Segen wird uns geleiten, er schützt in Treue, gibt Kraft und Licht.“ Auch diese hat mich angerührt. Da hat einer Schweres erlebt, aber auch, wie Gott ihn nicht im Stich gelassen hat. Dafür ist er dankbar.

Und dann die letzte Strophe. „Freut euch heut Nachmittag und nützt die Stunden in Fröhlichkeit und Zuversicht. Viel Schweres wurde schon überwunden, man scheute Mühen und Arbeit nicht. Seid froh und unverzagt, sagt Dank für jeden Tag, was er auch immer uns bringen mag.“

Wir waren uns einig. Das ist wirklich ein schönes Lied. Es ermutigt dazu, die schönen Seiten des Alters zu entdecken – und sich an ihnen zu freuen.

Die meisten Senioren haben ihr Liedblatt mit nach Hause genommen. Ich hoffe, sie legen es nicht weg, sondern haben es griffbereit auf ihrem Esstisch oder Nachtisch. Dann kann es sie erinnern: Auch das Alter kennt schöne Tage. Und alle sind sie von Gott begleitet.    

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SWR4 Abendgedanken

Vor einem ganz bestimmten Bild in unserer Stadtkirche in Blaubeuren bleiben die Menschen länger stehen. Zu sehen ist eine Kreuzigungsszene, wie man sie oft sieht. Weinende Frauen, Soldaten. Und mittendrin ein Zivilist. Er schaut mit klarem Gesicht auf den gekreuzigten Jesus. Und er hat eindeutig die Gesichtszüge von Martin Luther. Warum hat der Maler Luther da hinein gemalt?

Der Maler hieß Jörg Stocker. Er lebte zur gleichen Zeit wie Luther und hatte seine Meisterwerkstatt in Ulm. Offenbar hatte er von Martin Luther gehört. Und anscheinend kannte er die Luther-Bildnisse, die sein Malerkollege Lucas Cranach in Wittenberg anfertigte und die in hohen Auflagen weit verbreitet wurden. Der Luther auf dem Kreuzigungsbild sieht nämlich genauso aus wie der auf diesen Bildnissen von Cranach.

Aber was hat den Ulmer Maler Jörg Stocker an Luther so beeindruckt, dass er ihn in sein Bild malte?

Vielleicht hatte er ja die eine oder andere Schrift von Luther gelesen. Schaut man sich den Gesichtsausdruck von Luther in seinem Bild genauer an, hat man den Eindruck: Luther ist glücklich, als hätte er gefunden, was er gesucht hat. Ganz dicht steht er am Kreuz und schaut hinauf zu Jesus. Wenn Luther jetzt reden könnte, würde er dem Betrachter vielleicht sagen: „Schaut auf Jesus! Vertraut ihm! Dann braucht ihr nichts und niemanden zu fürchten!“

Luther hatte großes Gottvertrauen, wird erzählt. Als ihn seine Gegner unter Androhung von Gewalt zwingen wollten, seinem Glauben abzuschwören, soll er gesagt haben: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.“ Solche Standfestigkeit könnte heutzutage mancher gut gebrauchen, denke ich mir. Zum Beispiel, wenn einem andere einreden wollen, dass der Glaube an Gott nichts bringt. Oder wenn einer an seine Kinder oder Enkel denkt, um die er sich Sorgen macht. Da tut Gottvertrauen gut. Vielleicht war es dieses Gottvertrauen, das den Maler Jörg Stocker an Luther so beeindruckt hat, dass er ihn in sein Bild gemalt hat. Damit alle, die unsere Stadtkirche besuchen und Luther unterm Kreuz stehen sehen, es so machen wie Luther: auf Christus schauen! Und drauf vertrauen: Er steht mir bei, was auch geschieht!  

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SWR4 Abendgedanken

„Ich will aufhören, mehr von mir zu wollen als ich leisten kann.“ Das hat eine junge Frau gesagt. Ich habe von ihr gelesen. Sie hatte eine schwere Krankheit überstanden. Eine Herzkrankheit. Wochenlang hatte sie kaum noch Luft bekommen, war ständig müde. Deshalb war sie zum Arzt gegangen. Der hatte einen Tumor am Herzen entdeckt. Sofort musste operiert werden. Es sei ein großes Glück, dass sie überhaupt noch lebte, hatte der Arzt gesagt. Die Operation war dann erfolgreich, der Tumor gutartig. Aber der Heilungsprozess hat viele Wochen gedauert. Zeit genug für die junge Frau über ihr Leben nachzudenken.

„Ich habe überlebt, andere in meinem Krankenzimmer hatten nicht so viel Glück“, hat sie später gesagt. Sie wollte ihr Leben ändern. „Wenn ich gestorben und vor eine Art Jüngstes Gericht gerufen worden wäre“, hat sie erzählt, „dann hätte ich bekennen müssen: Ich habe zu wenig riskiert und geliebt, ich war zu selten zufrieden.“ Das hat sie erschreckt und sie hat sich vorgenommen: „In Zukunft will ich mit leichtem Gepäck unterwegs sein. Ich habe gemerkt, wie schön es ist, wenn ich Zeit für die Menschen habe.“ Und dann hat sie diesen wunderbaren Satz gesagt: „Ich will aufhören, mehr von mir zu wollen als ich leisten kann.“ 

Mich beeindruckt dieser Satz. Auch ich fordere oft mehr von mir als ich leisten kann. Das macht mich unzufrieden und ungeduldig. Auch im Umgang mit anderen. Dann spüre ich, wie mein Herz eng wird und mich drückt. Von dieser jungen Frau will ich lernen, geduldiger mit mir zu sein. Ich muss nicht alles auf einmal erreichen. Einfach ist das nicht. Schließlich fühle ich mich verantwortlich für das, was geschieht.

Aber hat Jesus den Menschen nicht geraten. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“? Sich selbst lieben. Ich glaube: Damit ist nicht gemeint, nur an sich zu denken ohne Rücksicht auf andere. Ich verstehe den Satz so: Auch wenn nicht immer alles gelingt: Ich darf mich mögen. Dazu gehört für mich auch zufrieden zu sein mit dem, was ich kann und was ich habe.

Wer das kann, der kann dann auch andere so annehmen wie sie sind. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Ich meine: Dann könnten alle – so wie die junge Frau gesagt hat - „mit leichtem Gepäck“ durchs Leben gehen.

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SWR4 Abendgedanken

Bei Zebrafischen wachsen die Flossen nach, habe ich gelesen. Ja, sogar Verletzungen am Herzen heilen vollständig aus. Wie das geht, haben Wissenschaftler jetzt entschlüsselt. Ein Protein steuert den Heilungsprozess. Dieses Protein befiehlt den Zellen sich zu vermehren. So wächst das verletzte Gewebe einfach nach. Und das Herz oder die Flossen werden wieder gesund als wäre nichts gewesen.

Als ich das gelesen habe, habe ich gestaunt. Toll, was die Natur alles kann! Wie schön, wenn das auch bei uns Menschen so gehen würde, habe ich gedacht. Auch Menschen haben ja manchmal ein verletztes Herz. Ich meine jetzt nicht im medizinischen Sinn, sondern im übertragenen Sinn. Es gibt vieles, was das Herz eines Menschen verletzten kann. Ein böses Wort zum Beispiel. Eine Beleidigung. Mancher weiß noch nach Jahren, wer ihn mit welchem Wort an welchem Ort beleidigt hat. Das vergisst man nicht so schnell. Oder wenn mich einer anlügt. Auch das verletzt mich. Oder wenn der geliebte Partner ganz plötzlich stirbt. „Das hat mir das Herz gebrochen“, sagt der, der alleine zurückbleiben muss.

Für alle diese Fälle müsste es doch so etwas geben wie ein Protein, denke ich mir. Aber so einfach ist das nicht. Ein verletztes Herz wächst sich nicht so schnell wieder gesund. „Die Zeit heilt Wunden“, sagt man. Aber ich glaube das nicht. Etwas bleibt immer zurück. Ein Schmerz, eine Enttäuschung, eine Sehnsucht. Die Gebete in der Bibel, die sind da ganz realistisch. Sie wissen: „Ein Herz kann man nicht reparier’n“ 

Wie aber dann mit einem verletzten Herzen umgehen? „Gott ist nahe denen, die zerbrochenen Herzen sind.“ (Psalm 34, 19). Das ist die Erfahrung in einem der biblischen Gebete.

Ich verstehe das so. Gott fühlt mit denen, denen das Herz weh tut. Die sind ihm nicht egal. Wenn es ihnen schlecht geht, ist er ganz nahe bei ihnen. Wie er das macht? In dem er ihnen zum Beispiel einen Menschen vorbeischickt, der ihnen guttut. „Dich hat der Himmel geschickt!“, sagt man. Das ist genau diese Erfahrung. Andere erzählen, wie gut ihnen das Beten tut. Das Beten beruhigt sie, nimmt ihnen die Angst und gibt neue Kraft.

Ich wünsche allen, die ein verletztes Herz haben, dass Gott ihnen ganz nahekommt. Denn seine Nähe tut herzlich gut.

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SWR4 Abendgedanken

Von vier Regeln fürs Älterwerden habe ich gelesen. Ich finde diese Regeln bedenkenswert. Deshalb möchte ich sie Ihnen weitergeben.
Die erste Regel: „Bleibe stets in der Nähe zur Natur. Sie ist Beispiel für das Leben.“ Tatsächlich tut es mir gut, mich in der Natur aufzuhalten. Nicht nur meinem Körper, auch der Seele. Wenn ich regelmäßig unterwegs bin, kann ich verfolgen, wie die Natur sich verwandelt: die kleinen Triebe wachsen und reifen, blühen und tragen Frucht. Ich erkenne darin etwas von meinem eigenen Leben wieder, das sich in solch einem Naturbeispiel spiegelt. Auch in meinem Leben wächst und reift es. Da hat doch dann auch das Älterwerden seinen Platz und sein Recht, meine ich.
Die zweite Regel: „Bleibe auf einem Lieblingsgebiet kenntnisreich und lasse andere daran teilhaben.“ Da kennt sich zum Beispiel einer in der lokalen Heimatgeschichte gut aus und teilt sein Wissen mit anderen, in dem er Führungen anbietet. Oder ich denke an die ältere Frau mit der Gabe zur Malerei. Sie unterrichtet andere Senioren ehrenamtlich darin. In der Bibel steht der Satz: „Ein jeder diene seinen Mitmenschen mit der Gabe, die er von Gott empfangen hat.“  Ich finde, das macht Freude und hält geistig jung und beweglich.
Die dritte Regel: „Gib den Erinnerungen Raum in deinem Leben.“ Manchmal gibt es Tage, die nichts Erfreuliches haben. Dann tut es gut, sich an dem zu erfreuen, was man einmal Schönes erlebt hat, worüber man sich gefreut hat und an das man gerne zurückdenkt. Erinnerungen an schöne Erlebnisse machen den Alltag irgendwie heller, finde ich. Und das tut gut.
Und die vierte Regel: „Bleibe stets in Gottes Nähe. Er führt dich und deine Sache zum Ziel.“ Das Älterwerden bringt auch manches Leiden mit sich. „Bleibe stets in Gottes Nähe“ kann dann heißen: beten und das, was einem Sorgen macht, Gott anvertrauen. Gott hat mich gestern geleitet und heute geführt. Er wird mich auch morgen an die Hand nehmen, wenn ich allein nicht mehr weiter kann. Auf ihn ist Verlass. Darauf will ich vertrauen. Darum: „Bleibe stets in Gottes Nähe. Er führt dich und deine Sache zum Ziel.“
Vier Regeln fürs Älterwerden. Ich glaube, sie können helfen. Das wünsche ich besonders denen, die sich mit dem Älterwerden schwer tun.

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SWR4 Abendgedanken

Krieg und Vertreibung kenne ich nur aus den Erzählungen anderer. Meine Eltern haben mir von meinem Großvater erzählt. Er war ein gebürtiger Ostpreuße aus Allenstein. 1945, als die Rote Armee auf Ostpreußen vorrückte, hat er sich mit seiner Frau und den 10 Kindern auf die Flucht Richtung Westen begeben. Viel Schlimmes haben sie unterwegs erlebt. Am Ende haben sie alle überlebt, bis auf den Vater. Der hatte sich auf der Suche nach einer sicheren Bleibe für seine Familie von ihr für einige Tage getrennt. Seine Spuren verlieren sich in einem russischen Gefangenenlager. Dort ist er verschollen. Niemand kennt sein Grab. Keiner weiß, was er in seiner letzten Stunde gedacht, gefühlt und gesagt hat. Eines aber ist sicher: er hat seine Familie bis zum Schluss geliebt. Ich kenne seinen Namen. Hinter seinem Namen verbirgt sich eine einzigartige Lebensgeschichte mit Ängsten und Sorgen, Hoffnungen und Wünschen.      
Auch hinter den Namen, die wir heutzutage hören: Jussuf und Rasin, Alima und Saida. Das sind Namen von Männern und Frauen aus Syrien und dem Irak. Auch sie haben einen langen Weg mit schrecklichen Erlebnissen hinter sich. Sie suchen Hilfe bei uns und eine Zukunft für ihre Kinder. Ich bin Enkel eines Flüchtlings. Meiner Familie wurde damals nach dem Krieg geholfen. Für mich ist es nicht nur Christenpflicht, sondern meinem Großvater gegenüber eine innere Verpflichtung, mich für diese Flüchtlinge einzusetzen. Das ist mein Erbe.
So widerspreche ich Menschen, wenn sie unfreundlich, ja verachtend über Flüchtlinge reden. Mein Großvater war vorausgegangen, um ein Quartier für seine Familie zu finden. So wie viele der jungen Männer, die in unser Land kommen. Sie sind bestimmt froh, wenn ihnen jemand hilft.
In der Bibel heißt es: „Bringt den Durstigen Wasser…bietet Brot den Flüchtlingen (Jesaja 21, 14). Die Menschen in der Bibel haben selber erlebt, was es heißt, Flüchtlinge in einem fremden Land zu sein. Darum haben sie sich immer neu verpflichtet, für die Flüchtlinge zu sorgen, die in ihr Land gekommen sind. Das will ich auch tun. Ich bin sicher: Mein Großvater hätte es genauso getan.

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