Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

 

Autor*in

 

Archiv

SWR1 Begegnungen

Hans-Peter SchwöbelPeter Annweiler trifft Hans-Peter Schwöbel, Mannheimer Kabarettist, Schriftsteller und Sozialwissenschaftler

Das Klingen der Worte

Er ist bodenständig und belesen,  heiter und ernst, glaubend und kritisch.  Ganz vielseitig habe ich den Mannheimer Kabarettist, Schriftsteller und Sozialwissenschaftler kennen gelernt.  Und in all seinen Talenten zeigt der 70jährige, dass er die Sprache liebt. Am meisten mag der frühere Professor es, wenn er in Mundart reden kann. Seine Vorliebe für das Kurpfälzische kommt daher,

dass ich den Dialekt wie eine Art innere Melodie empfinde - und das ich unheimlich mich daheim fühle in dem Dialekt. Ich kann hochdeutsch und habe ja in meinem Hörsaal immer hochdeutsch sprechen müssen. Aber richtig warm ums Herz wird mir’s eigentlich mit dem Dialekt -

Diesen warmen Klang habe ich ein paar Mal erlebt: Im Vortrag, auf der Bühne oder der Kanzel. Da redet einer „Muttersprache“ - und  ich spüre: Die kommt aus seinem Herzen - und dort findet das zusammen, was mir oft gegensätzlich scheint: Heimat und Weite, Pfälzisch und Predigt, Humor und  Glauben.
Wie seine Sprachbegeisterung angefangen hat, frage ich ihn - und er erzählt mir von seiner  sehr gläubigen, pietistischen Familie: Eng war es da in den Gedanken - und zudem sollte noch Hochdeutsch gesprochen werden.

Meine Oma  war mal so kess und hat gesagt: „In der Bibel steht: Eure Rede sei ‚Ja, Ja’   und  ‚Nein, Nein’“- und hat mir damit das „NÄÄ“ ausreden wollen - und dann habe ich zu ihr gesagt: Die Schwester Soundso sagt aber „NOI“- und da sagte meine Oma: „Ja, die ist auch Schwäbin - die darf das“ - Also das hat mir schon als kleiner Bub nicht eingeleuchtet, dass die Schwäbin „NOI“ sagen darf und ich als Mannemer darf net „NÄÄ“ sagen.

Als ob diese „Abfuhr“ der Oma  für den Jungen erst recht ein Ansporn war, seinem Sprachsinn immer mehr zu trauen.  Das Klingen der Worte hat ihm jedenfalls geholfen, die Strenge seiner Familie zu überwinden.

Ich habe mich dann in ein Zimmer zurückgezogen und habe nachgesprochen, was ich im Radio gehört habe, ich erinner mich zum Beispiel, dass ich eine Rede gehalten habe  als Mendez France, ein französischer  Ministerpräsident, und habe an die Radikalsozialisten gesprochen: Keine Ahnung gehabt, was das war

Die Worte (und ihr Klang) haben Hans-Peter Schwöbel immer weiter fasziniert - und er hat die schöpferische Kraft der Sprache entdeckt. Kein Wunder, dass ihm da der biblische Satz „Im Anfang war das Wort“ besonders imponiert hat: Wenn sogar Gott das Wort ist - dann lassen sich mit Worten Welten bauen und bewegen.
Für Hans-Peter Schwöbel haben schon im Klang der Worte Heimat und Weite zusammengefunden: Beides - das Eigene und das Andere - hat er im Sprechen wie im Denken nicht verloren - und das hat aus dem sprachbegabten Jungen einen weitsichtigen Professor werden lassen.

Glauben- Denken-Lachen

Hans-Peter Schwöbel ist Professor und Kabarettist. Und er liebt sein Kurpfälzisch. Auf der Bühne bringt der Mannheimer Protestant auch biblische Themen mit Mundart zusammen.

Die Seligpreisungen - dass man die überhaupt im Dialekt vorträgt - es kriegt eine heitere Komponente und ich sag am Schluss zum Beispiel der Seligpreisungen, dass die, die uns verfolgen, weil wir an den Herrn glauben - die sind alle „dappisch“ und  dann müssen die Leute drüber  lachen.

Aber wieso müssen die Leute da lachen, frage ich mich. - Vielleicht, weil „der Schwöbel“ (wie ihn die Kurpfälzer nennen) auf etwas Ernstes einen heiteren und kurpfälzischen Klang „draufsetzt“. So bringt er etwas zusammen, was für viele weit auseinander liegt: Glaubensthemen und Heiterkeit. - Der scheinbare Gegensatz hat ja eine lange Tradition: Glaube ist ernst und endgültig, schließlich geht es um die Ewigkeit.  Und da scheint es nichts zu lachen zu geben. Das galt auch in Schwöbels eigenem Leben:

In den Bibelstunden, und was immer mit Glauben zu tun hatte, war das Lachen nicht sehr präsent. Generell war ein großer Ernst.

Dabei ist es doch so: Wer lacht, macht sich unabhängig von dem, was das Leben schwer und mühsam macht. Wer  lacht, stellt in Frage. Das alles hat Hans-Peter Schwöbel für sich entdeckt - und heute nimmt er es in seinem Schaffen so für sich in Anspruch:

Mein eignes Gefühl ist, dass mein Humor eigentlich ein ernster Humor ist. Also ich kann über läppische Sachen nicht lachen.Ich kann eigentlich nur mit Leuten etwas anfangen, die mit dem Humor Bewusstseinsarbeit leisten -

und da ist der Kabarettist ganz Protestant - in einem guten Sinn, finde ich: Es geht ihm darum, ein anderes, ein besseres Leben  zu finden: Wer lachen kann, ist doch nah dran an der Hoffnung, dass sich etwas verändern kann, dass nicht alles so ernst und schwer bleiben muss, wie es manchmal scheint.
Klar, das Lachen richtet sich deshalb manchmal auch gegen die bestehende Ordnung und gegen traditionelle Glaubensgewissheiten.  Hans-Peter Schwöbel ist deshalb stolz darauf,

dass die Evangelischen  die Glaubensgewissheiten nicht mehr halten können - und ich halte das eigentlich eine emanzipatorische Situation, dass man einfach akzeptiert: Wir haben keine Gewissheit.

Auch für mich ist das ein Fortschritt, wenn die „Sicherheiten“ in Glaubensdingen wegfallen. Wenn zum Beispiel die Bibel nicht buchstäblich Gottes Wort ist, sondern einer Auslegung in unsere Zeit bedarf. Der glaubende Denker weiß nämlich auch, wie eng das werden kann, wenn man „nur“ glaubt oder „nur“ denkt. Deshalb ist für ihn das Lachen eine starke Kraft. Im Lachen über menschliche Ungereimtheiten entsteht eine lebens- und liebenswerte Weite. Eine Weite, die Raum für Gott lässt, weil wir ihn weder im Denken noch im Glauben „besitzen“, sondern womöglich lachend neu finden. Köstlich - eine solche Weite, die Glauben, Denken und Lachen verbindet. Eine Weite, wie ich sie bei Hans-Peter Schwöbel gefunden habe.

Mehr zu Hans-Peter Schwöbel unter:
www.hpschwoebel.com

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22639
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Florian GeithFlorian Geith

Schwindelnde Höhe - Heilsame Perspektive

Der 50jährige ist Jugendpfarrer der evangelischen Kirche der Pfalz. Seine große Leidenschaft sind die Berge.  Und die lässt der Vater von drei Kindern immer wieder in Projekte mit jungen Menschen einfließen. In den Bergen taucht er ein in eine andere Welt und kommt anders wieder zurück.

Ich habe den ganzen Tag an nichts anderes gedacht als nur da zu sein, die Tour zu klettern – und alles, was sonst in meinem Leben eine Bedeutung hat, was oft so schwerwiegend ist – das war für diesen Tag ausgeblendet – und das sind Tage und Erlebnisse – die brauche ich wie die Luft zum Atmen.

In seinem Büro in Kaiserslautern fallen mir als erstes die Fotos auf: Bergmotive, natürlich. - Ich bin neugierig zu erfahren, wie das für ihn alles angefangen hat:

Ich hatte als Jugendlicher zwei Freunde – und wir hatten ein Faible: Und zwar haben wir gerne auf Burgruinen in der Südpfalz übernachtet - und das war das Alter,  ich war  15-16, und wir sind jedes Jahr  mit den Rucksäcken losgezogenen, mit dem Ziel auf möglichst vielen Burgruinen zu übernachten.

 „Outdoor“ im Pfälzer Wald- damit ist es also losgegangen. In seiner Studienzeit hat sich seine Begeisterung dann noch mal gesteigert:

Da hat mich ein Mitstudent mitgenommen in die Südpfalz zum Klettern. Und da habe ich zum ersten Mal bei den wunderschönen Sandsteinfelsen mit Seil gesichert geklettert.  Und da wurd‘ in mir ein Feuer entfacht, das bis heute brennt.

Mir wird es ja ganz schnell schwindelig, wenn ich mir nur vorstelle, dass es unter mir senkrecht runter geht.  Für Florian Geith verändert sich sein Blick auf die Welt. Er sucht „draußen“ eine Extremerfahrung und gewinnt tief „drinnen“ einen freieren Blick auf sein Leben. Das ist für ihn wie eine geistliche Übung.

Wenn ich von einem Gipfel die Welt betrachte, dann habe ich immer das Gefühl, dass viele Dinge, die in meinem Alltag so wichtig und so problematisch und so schwer erscheinen auch plötzlich ganz klein werden. Und es tut mir gut, Abstand zu gewinnen und mal Dinge von außen zu betrachten.

Abstand gewinnen, von meinem Alltag ab-sehen, da finde ich mich neu. Ich komme in  einen neuen Einklang - auch mit Gott. Das ist nicht nur die Erfahrung von Florian Geith. In der Bibel begegnen Menschen Gott oft auf einem Berg: Mose empfängt die Zehn Gebote auf dem Berg. Jesus steigt auf einen hohen Berg und die Jüngern erkennen ihn dort in einer neuen Klarheit.
Aber dauerhaft waren diese „Offenbarungen“ für die Jünger auch nicht. Und längst nicht nur für sie. Die Berge sind nicht der Himmel, sie sind Teil der Welt. Deshalb möchte auch Florian Geith  keine „Schönwettervorstellung“ verbreiten. Er hat - jenseits aller Bergromantik - verstörende Geschichten aufgespürt. Geschichten von Kindern, die aus Not und unfreiwillig Alpenpässe überqueren mussten. Bald bricht er mit Jugendlichen in die Berge auf, um diese Wege nachzugehen.

Auf den Spuren von flüchtenden Kindern

Florian Geith liebt die Berge. Und dort findet er Anregungen für seine Projekte als Landesjugendpfarrer in der Evangelischen Kirche der Pfalz.

Was mich schon lange Zeit beschäftigt, das ist diese grandiose Berglandschaft auch mal mit anderen Augen zu sehen. Ich bin häufig in der Schweiz unterwegs, weil dort gibt’s die schönste Granitkletterei und hab gehört und gesehen, dass die Schweizer  alte Kulturwege wieder neu herrichten als historische Passübergänge,

- und weil für ihn die Berge keine Idylle sind- fernab von der Welt, deshalb interessiert sich der 50jährige auch für Geschichte und Geschichten in der Bergwelt.  An einem Pass hat er einen Hinweis auf die „Schwabenkinder“ gefunden. 

Es war die Situation von bitterarmen Bergbauernfamilien aus Graubünden, die bis vor 100 Jahren ihre Heimat verlassen mussten, weil sie nicht mehr satt geworden sind - und diese Kinder wurden ein halbes Jahr ins Schwabenland geschickt, um dort als billige Arbeitskraft auf den schwäbischen Bauernhöfen zu arbeiten - das ist eine bedrückende Geschichte,

denn die Kinder wurden dann weit weg von Zuhause auf „Kindermärkten“  in Wangen, Friedrichshafen oder Ravensburg vermittelt. Damit das Schicksal dieser Kinder nicht vergessen wird, hat der Jugendpfarrer ein Projekt initiiert:  Morgen in einer Woche bricht er mit 15 Schülerinnen und Schülern aus dem Trifelsgymnasium in Annweiler auf.  Im Kleinen Walsertal wandern die Elftklässler  los -  über Pässe und Gipfel laufen sie dann auf den Spuren der „Schwabenkinder. Anders als viele „Schwabenkinder“ werden sie lebend ankommen. Für sie ist das nur ein „erlebnispädagogisches Bildungsprojekt“.  Aber diese Wanderung wird bei ihnen ganz sicher tiefe Spuren hinterlassen: Die Jugendlichen fühlen sich in andere Schicksale ein. Und dabei werden sie entdecken, dass sich die Geschichte heute  auf dramatische Weise wiederholt,

wenn wir auf die Situation  der vielen Geflüchteten blicken, von denen auch sehr viele aus der Situation der Armut und der Perspektivlosigkeit heraus flüchten und bei uns Schutz suchen. Und diese Fluchtursache heute haben wir bis vor 100 Jahren auch in Europa im Alpenraum gehabt,

- und das finde ich  beeindruckend: Wenn es gelingt, bei einer Wanderung nicht nur die Natur zu genießen, sondern auch ganz aktuelle Erkenntnisse zu gewinnen.

Für Florian Geith ist das auch ein Stück Friedenserziehung. Frieden bedeutet für ihn, aus der Geschichte zu lernen. Davon ist er überzeugt. Und da knüpft sein Projekt zu der Geschichte der „Schwabenkinder“ an. Für mich ist das wahre Bildung. Bildend im besten Sinn ist das: Wenn es nicht nur um „meine“ spirituellen Gipfelerlebnisse geht. Sondern auch um  die Geschichte und  die Not von Menschen. Ich bin mir sicher: Bei meiner nächsten Bergtour bin ich anders unterwegs. Diesseits und  jenseits von faszinierender Bergromantik.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22219
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Martin Rothe

Peter Annweiler trifft Martin Rothe

Teil 1: Das Eigene ist nicht genug
Der 35jährige aus Ludwigshafen ist freier Journalist und Theologe. „Genug gejammert! – Gedanken über die Zukunft der Kirche“ heißt sein neues Buch. Das hat mich neugierig gemacht. Sein Credo: Die Kirche wird kleiner - und gleichzeitig wirken Christen munter in die Welt hinein. Er auch. Derzeit baut er munter vor Ort ein Projekt auf. Er hat den Auftrag, ein „Forum der Religionen“ auf den Weg zu bringen.

Es liegt natürlich auf der Straße, dieses Thema: Interreligiöse Zusammenarbeit. Und da habe ich mich da hineingestürzt. Es gibt in dieser großen Industriestadt Ludwigshafen so viele Religionen: Muslime, Aleviten, griechisch Orthodoxe, Buddhisten, Juden - es ist ganz wichtig, die endlich alle mal zusammen zu bringen an einen Tisch.

Das klingt so einfach.  Ist es aber nicht. Als einer, der mitten in der Stadt lebt, weiß ich, wie schwierig das ist. Das fängt bei mir selber an. Täglich komme ich an einer kleinen Moschee vorbei – aber reingetraut habe ich mich da noch nie. Das ist ja manchmal das Komische in der Stadt: Man lebt ganz nah zusammen und lebt doch nur nebeneinander her, und bleibt sich deshalb fremd. Und genau hier hat Martin Rothe angesetzt und es anders gemacht: Er- der christliche Theologe und Journalist hat in den letzten Wochen zusammen mit Partnern Expeditionen in solche nahen und fremden Welten unternommen.

Wir waren zum Beispiel in einer griechisch-orthodoxen Kirche, die ganz wunderschön ausgemalt ist jetzt, mit Ikonen. Und es ist einfach schön zu sehen, wie Muslime, Aleviten und Juden durch diese Kirche hindurch gehen - und sich dann plötzlich so ganz interessante Gespräche ergeben, über Religionsgrenzen hinweg - und man einfach das Andere entdecken lernt.

Das Eigene ist nicht genug. Martin Rothe war schon immer offen und neugierig. Er ist in Dresden groß geworden, bezeichnet sich als einen „Wendeprofiteur“ und blüht auf, wenn er über den Tellerrand seiner eigenen Konfession schauen kann.

Ich bin jetzt Mitglied der evangelischen Kirche der Pfalz - ich kenne aber auch eine Freikirche, die evangelisch-methodistische Kirche, aus der ich stamme. Ich kenne die römisch-katholische Kirche, ich kenne die orthodoxe Kirche, auch den Islam und andere Religionen. 

Martin Rothe hört sich an wie ein „bunter Vogel“, wie einer, der überall zu Hause ist. Aber in seinem Wesen wirkt er auf mich eher ruhig und bedacht. Einer, der weiß, wo seine eigene spirituelle Mitte ist. Eine gute Mischung ist das für einen Koordinator eines „Forums der Religionen“, finde ich. Wenn einer selbst ein Fundament hat, kann er zugleich bunt und bedacht, einladend und bestimmt sein. Schließlich sollen auf einem Forum ja nicht alle zum gleichen Glauben finden. Es geht darum, unterschiedlich zu sein – und dennoch gemeinsam in einer Stadt, einem Land, einer Welt zu leben. Die ersten Schritte dahin hat Martin Rothe geschafft.

Teil 2: Hohes Gut Sozialer Frieden
Das Eigene ist ihm zu wenig. Martin Rothe sucht die Begegnung zwischen den Religionen und Konfessionen.  In Ludwigshafen baut der freie Journalist und Theologe gerade ein „Forum der Religionen“ auf. Dafür hat der 35jährige in den letzten Monaten ganz viele Besuche in Moscheen, Tempeln, Synagogen und Kirchen gemacht. Dabei hat er eine wichtige Grundlage entdeckt:

Die großen Mehrheiten aller Religionen sind friedliebende Leute, das erfahre ich immer wieder, wenn ich rausgehe in die verschiedenen Gotteshäuser. Und die alle zusammen zu bringen - ist ganz wichtig für diese Gesellschaft in diesen Jahren jetzt.

Denn es gibt natürlich auch die anderen: Die, die Hass predigen. Die, die im Islam eine Bedrohung des „christlichen Abendlandes“ sehen. Da bleibt für ein Forum eine klare Abgrenzung wichtig.

Wir nehmen keine Extremisten auf - und wir halten uns ganz stark an den Rechtsstaat - und alle Moscheegemeinden und anderen religiösen Gruppen, Aleviten, Buddhisten, Juden, Christen , die da teil nehmen - die haben das auch unterstützt.

Die Mitglieder des Forums sind weniger die Lauten. Es sind eher die Leisen.  Im „Forum der Religionen“ geht es darum, der leisen Einsicht einer großen Mehrheit eine Stimme zu geben. Und zwar eine kräftige.

Eine wichtige Gemeinsamkeit, die die Mehrheit miteinander verbindet, heißt: Religion ist Quelle des Friedens und nicht des Hasses!  Dem hat Martin Rothe eindrucksvoll Ausdruck gegeben. Als er nach den Anschlägen von Paris über kurze Wege mit seinen Partnern eine Gedenkfeier organisiert hat.  

Die Menschen konnten Kerzen und Rosen nach vorne bringen. Es gab Lesungen aus den Heiligen Schriften  und da hat man ganz deutlich gemerkt, dass die Religionen dieser Stadt mit dem Terrorismus nichts zu tun haben, sich mit dem auch sehr kritisch auseinandersetzen und zusammenhalten.

Schön, wenn das gelingt. Und doch habe ich die Sorge, dass das alles zu wenig ist. Zu wenig angesichts der brennenden Flüchtlingsunterkünfte und Hassparolen. Es schockiert mich, wie schnell Menschen alles „dicht“ machen wollen:  Die Quoten, die Grenzen, ihre Meinungen. Auch in den Glaubensgemeinschaften gibt es diese Tendenz.

Aber ich glaube an einen Gott des Friedens, der Frieden und Versöhnung will. Für diesen Frieden braucht Gott Menschen, die sich nicht verschließen, auch wenn andere sie für verrückt halten. Gott braucht Menschen, die etwas wagen. Sie  gehen raus, ins Fremde,  in die Welt - und setzen Friedenszeichen.

Im Forum der Religionen treffen sich genau solche Menschen. Martin Rothe ist leidenschaftlich bei der Sache, wenn dort eben nicht auf dichte Grenzen gesetzt wird, sondern auf das, was Zukunft ermöglicht. Wir lassen uns nicht auseinander dividieren, lernen uns immer mehr kennen, bauen Vertrauen auf, tun etwas zusammen für diese Stadt.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Das Ludwigshafener „Forum der Religionen“ wird am 8. Mai offiziell gegründet. Ich wünsche ihm, dass die Saat des Vertrauens aufgeht - und den Geist der Stadt prägt. 

Das Ludwigshafener „Forum der Religionen“  sucht Sponsoren, um seine Arbeit effektiv fortzusetzen. Interessenten erhalten Infos unter dekanat.ludwigshafen@evkirchepfalz.de">dekanat.ludwigshafen@evkirchepfalz.de

Buchtipp: Martin Rothe, Genug gejammert! Vielstimmig.Streibar.Visionär. 22 Gespräche über die Zukunft der Kirche, Plöger Verlag 2014

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21569
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Waltraut MüßigPeter Annweiler trifft Waltraut Müßig

Sanfte Kraft

Ihr Herz schlägt für Kinder. Die 68jährige engagiert sich seit 40 Jahren bei „terre des hommes“, dem weltweiten Kinderhilfswerk.

Es geht ja immer um den Schutz der Schwächsten. Und die Schwächsten in der Gesellschaft sind die Kinder. Wenn sie Glück haben, haben sie Eltern, die für sie sorgen. Wenn die Eltern selber mit Sorgen überlastet sind, können sie den Schutz auch nicht mehr gewähren – und da setzen wir uns ein.

Mit langem Atem organisiert die Gründerin der Kaiserslauterer  „terre des hommes“-Gruppe  Spendenaktionen. Die frühere Lehrerin macht Unrecht bewusst und trägt dazu bei, dass  Flüchtlingskinder in Krisengebieten Hilfe bekommen.
Ganzjährig Weihnachten  ist das, finde ich. Zumindest,  wenn ich an die  weihnachtliche Fluchtgeschichte  aus der Bibel denke: Das Jesuskind wird gleich nach der Geburt zum Flüchtlingskind. Mit seinen Eltern flieht es nach Ägypten, um dem Terror des Herodes zu entkommen. Mit einer leisen und lange geübten Selbstverständlichkeit  ist Waltraut Müßig gewohnt, Schwache zu schützen

Meine Mutter hatte immer gesagt:  Was wir selbst tun können, dürfen wir nicht Gott überlassen – und meine Eltern haben auch danach gelebt und so bin ich aufgewachsen.

Eine sanfte Kraft geht von ihr aus. Die Mutter von drei erwachsenen Kindern macht das nicht aus Pflicht, es ist ihr ein Bedürfnis: Veränderungen kann ich nicht auf Gott abschieben  - ich bin gerufen, das zu tun, was möglich ist.  Mich etwa in diesen Tagen Flüchtlingen zuzuwenden. 

Ja durch die Presse haben wir ja erfahren, dass da großer Mangel herrscht an Helfern, an Material,  an Kleidung, Bettwäsche, Haushaltsgegenstände – und wir hatten uns gesagt: Wenn wir über „terre des hommes“ für Flüchtlinge in Afrika, Asien und Lateinamerika arbeiten – da können wir nicht so tun, als ob es hier  keine  gäbe, wenn es vor unserer Haustür brennt. –

Und so hat sie  - in Absprache mit der städtischen Koordination - die gesammelten Sachen in eine Kaiserslauterer Flüchtlingsunterkunft gebracht. Auf der Straße trifft sie zufällig  auf fünf junge Syrer  - und lässt sich auf weitere Begegnungen ein: Beim Einkaufen, bei Behördengängen oder ganz einfach, um mal anrufen zu können. 

Es sind eben junge Männer, die so um die zwanzig sind und im Grunde sehr allein. Sie sind ja auch schon länger auf der Flucht – das ist ne ganz schwierige Situation, diese Trennung von den Familien. In ihrem Telefonregister haben sie mich als Mama gespeichert -  lacht…

Eigentlich ist Waltraud Müßig eher eine überlegte Frau, nicht so sehr der spontane „Mama-Typ“ - und vom Alter wäre sie eher die Oma.
Aber genau das: Dass junge Männer eine wildfremde Frau zu ihrer „Mama“ machen - das zeigt ja auch: Die Welt ist heftig aus den Fugen.

Weihnachten vom andern her

Waltraud Müßig engagiert sich seit  Jahrzehnten für Flüchtlingskinder in der ganzen Welt. In Kaiserslautern hat sie die Lokalgruppe von „terre des hommes“ gegründet.  Die 68jährige  ist überzeugt: Jammern und Lamentieren helfen nicht weiter.  Sie konzentriert sich auf das, was sie motiviert.

Das aktuelle Motto von terre des hommes in Bezug auf die Flüchtlingshilfe ist: Du bewegst mehr, als du gibst: Und wenn viele etwas geben, dann wird sehr viel bewegt. Das Zeichen „terre des hommes“ ist der Tropfen – und viele Tropfen ergeben ein Meer.

Waltraud Müßig  ist voller Optimismus, dass wir den Flüchtenden nachhaltig helfen können. Da hat sie meine ganze Hochachtung. Und doch kenne ich auch die andere Seite: Wie kann das gut gehen? Wie bewahren wir dabei den sozialen Frieden in  unserem Land?
Meine Gesprächspartnerin ist da natürlich parteilich. Es ist ihr wichtig, zuerst auf die Flüchtlinge zu schauen, gerade wenn es keine „große“ Lösung  gibt. Besonders in diesem Jahr  sollte uns dann an Weihnachten klar werden:

Wenn wir Weihnachten feiern und die Herberge loben, die dann die Familie aufnimmt – dann können  wir nicht gleichzeitig sagen – die sollen hier alle verschwinden. – das ist für mich eine Diskrepanz, die kann ich nicht ertragen.

Ihre Klarheit imponiert mir: Zuerst die Flüchtlinge und dann unsere Befindlichkeit.
Die Welt vom andern her ausmessen. So versteht sie Christsein.

Und das setzt  hohe Maßstäbe, auch an die Helfer.  Bei symbolischen Weihnachtsaktionen etwa sieht Waltraud Müßig manchmal eine Schwierigkeit:

Das ist gut gemeint, aber es ist --- für die Seele des Spenders was Gutes: Jetzt habe ich was Gutes getan. Wenn man Pakete packt für Kinder mit Spielsachen:  Klar, die nichts haben freuen sich. – Die daneben stehen  - und nichts kriegen- für die ist es schrecklich.

Viel lieber wäre es ihr, wenn Helfende Zeit zur Begegnung mitbringen würden. Weil wir gar nicht wissen können, was die Menschen wirklich brauchen. Und um das herauszufinden, muss ich sie in ihrer Lebenssituation, in den Gemeinschaftsunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen,  ja erst mal wahrnehmen.

Als ehrenamtlicher Helfer muss man gucken, was nötig ist – in dem Moment, wo man zusammentrifft. Wenn man ein festes Raster hat  in seinem Kopf, was man macht und was richtig ist – dann funktioniert das nicht. Man muss bisschen flexibel sein.

Es ist die Mischung aus einfacher Zuwendung zu Menschen und Empörung über die Ungerechtigkeiten der Welt,  die mich an Waltraud Müßig beeindrucken.  Sie versucht „ lokal“ und „global“  zu verbinden.  Und nichts scheint sie dabei aus der Ruhe zu bringen.  Sie hat einen langen Atem. – Einen Atem der gegründet ist in einer tiefen Gewissheit.

Jeder Mensch ist gleich wichtig vor Gott. Wir haben nicht einzuteilen ‚Wer ist wichtig‘, wer ist weniger wichtig.

Und das ist für mich eine wunderbare Erinnerung daran, was es bedeutet, Weihnachten zu feiern

 

 

 

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21207
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Klaus SchneiderPeter Annweiler trifft Klaus Schneider

Faszination und Skepsis
Der Frankfurter Künstler hat gerade dreizehn großformatige Tücher zwischen den Säulen der Kaiserslauterer Stiftskirche aufgehängt. Geheimnisvoll schillern diese „Vorhänge“  im Licht. Mit schemenhaften Gesichter drauf und großen roten Punkten.
„Versuche zum Schweigen der Worte“ heißt ein Katalogtitel von Klaus Schneiders Ausstellungen  - und für mich klingt das, als ob hier  einer sein Lebensthema benennt:  Auf der Suche nach sprachlicher Klarheit immer wieder enttäuscht zu werden.  Vielleicht hat das für den heute 64jährigen ja schon in seiner Kindheit in einem oberhessischen Dorf angefangen.

Die erste Fremdsprache, die ich gelernt hab, war in der ersten Klasse Grundschule: Hochdeutsch!  In meinem Elternhaus gab’s keine Literatur außer dem Evangelischen Gesangbuch und der Bildzeitung vom Vatter.

Klaus Schneider mag es, wenn seine Werke Irritationen auslösen.
Irgendetwas stimmt hinter aller vordergründiger Schönheit der großformatigen Tücher nicht. Die Punkte stehen für „Blindenschrift“- und das ist schräg: Denn diese Punkte auf den Tüchern kann ja kein Blinder tasten. Bestenfalls können Sehende sie wahrnehmen, aber eben meist nicht lesen. So bleibt diese Sprache stumm.
Klaus Schneider hat lange auch keine Sprache gefunden für das, was er gesucht hat. Zuerst findet er in der Stadt und im Studium der Sprachwissenschaften einen Ausweg, aber auch der macht ihn nicht glücklich.

Ich bin dann irgendwann auf die Suche gegangen nach Sprache - und habe genau diese Suche so intensiv betrieben, dass ich daran auch gescheitert bin in meinem Studium. Ich bin geflohen von der Sprache in die Kunst aber um Sprache dort zu verhandeln.

Schon lange ist der feinsinnige Mann mit den leuchtenden Augen nun Künstler. Er ist weiterhin von der Sprache fasziniert, aber auch sehr skeptisch geworden: So vieles gibt es, was hinter den Worten stumm bleibt. Was nur die halbe Wahrheit ist. Was auf Manipulation und Propaganda angelegt ist.

Und in dieser nahezu schizophrenen Situation - ich sag’ immer 49%  Faszination und 51 % Skepsis gegenüber dem kommunikativen Auftrag, dass die Sprache den nicht erfüllen kann - das leitet mich und motiviert mich. Es lähmt mich nicht, das ist das Erfreuliche daran.

Ein Hauch mehr Skepsis als Faszination. Bei mir müsste das Umgekehrt sein, damit mich das nicht lähmt. Wenn ich spüre, dass Worte nicht ankommen oder gar missbraucht werden, dann brauche ich umso mehr das Vertrauen, dass Sprechen und Hören nicht vergeblich sind. Dass Menschen auch das hören können, was Gott ihnen sagen will.
Klaus Schneider betont mehr die Skepsis. Die Missverständnisse sind ihm Quelle der Inspiration. Das würde mich anstrengen. Aber doch fühle ich mich mit ihm verbunden, wenn es darum geht, Fragen lebendig zu halten.  Denn ich bin überzeugt; mit neugierigen Fragen bleiben wir lebendig und beweglich.

Schöner Schein - echte Kunst
FAKE  heißt die Installation des Frankfurter Künstlers Klaus Schneider in der Kaiserslauterer Stiftskirche: FAKE wie Fälschung oder Täuschung. Das passt zu einem, dem die Frage lieber ist als die Antwort, dem die Offenheit mehr behagt als das Dogma.
Zunächst wirkt es ungewohnt, dass so ein Künstler in Kirchen ausstellt. Im Kirchenraum scheint doch so Vieles festgelegt: Der Altar ist für das Abendmahl da. Das Kreuz verweist auf den Gekreuzigten und Auferstandenen. Und gerade das, was jahrhundertelang geprägt scheint, ist auch durchlässig für andere Deutungen und für Fragen, findet Klaus Schneider. 

Wenn ich durch die Gegend fahre, mir Städte ansehe, schau ich mir wahnsinnig gerne Klöster an, Kirchenräume , setz mich da gerne mal ne halbe Stunde hin und das ist für mich ein charismatischer Prozess - und jetzt auch noch künstlerisch zu intervenieren mit nem kritischen Potenzial einzugreifen in einen solchen Raum, finde ich hoch reizvoll.

Inter-venieren, dazwischen gehen - das macht der Frankfurter Künstler in seiner derzeitigen Installation in der Stiftskirche Kaiserslautern. Dort hängen seine großen Textildrucke im Kirchenraum. Neben Blindenschrift für Sehende kommen auf ihnen  Umrisse von Gesichtern zur Geltung: Drucke von Fotos von Da Vincis „Abendmahl“. Aber in kitschig bunter Mini-Nachbildung. Gerade weil es so schön präsentiert ist, stellt es wichtige Fragen, wie: Glauben wir dem, was wir sehen?  Oder: Sehen wir das, was wir glauben?- Wenn wir so etwas vor seiner Kunst fragen, hat Klaus Schneider seine „Mission“ erfüllt. Es ist ihm unmöglich, einfach nur „blind zu glauben“

Ich mochte mich nie delegieren an ein übergeordnetes Wesen, an die Eltern, die mich mehr mit Zweifel als mit Bestätigung erzogen haben. Und ich suche sozusagen immer Antworten, die alle Menschen haben wollen – aber ich suche sie nicht außerhalb meiner Denkfähigkeit  Ich muss das, was ich glauben kann, auch denken können.

Der Künstler trägt kritische Fragen in den Kirchenraum, auch zu Selbstverständlichkeiten des Glaubens. Damit macht er etwas deutlich, was auch für meinen Glauben ganz wichtig ist: Er macht ihn durchlässig für Fragen. Zweifel ist so etwas wie der Bruder des Glaubens, lerne ich. Nicht nur eine lästige Begleiterscheinung.
Bei Klaus Schneider lerne ich dazu: Skepsis und Feinsinn können zusammen finden. Fragen offen zu halten heißt eben auch, offen sein fürs Leben, für mich auch für Gott. Und das heißt immer auch: Intensiv leben.

Und das hat mich davor bewahrt, zynisch zu werden, weil ich gesehen  habe: Ich kann dieses Thema auf poetische Art und Weise, bildlich und sprachlich bearbeiten, ohne eine Lösung haben zu müssen. Sondern ich kann es in diese unendlichen und unbeantwortbaren Fragen hineingießen  und das speist mich permanent mit neuer Neugier. Es ist also unstillbar dieses Thema – und das mache ich seit 35 Jahren (lacht)

FAKE – Installation von Klaus Schneider im Rahmen der Reihe „BildWortBild“
Stiftskirche Kaiserslautern bis 01.11.2015

www.klausschneider-atelier.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20762
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Michael WeinerPeter Annweiler trifft Michael Weiner

Das Unmögliche möglich machen

„El Bombero loco“ haben sie ihn genannt: Den „verrückten Feuerwehrmann“. Michael Weiner ist auf dem Jakobsweg in 38 Tagen 880 km quer durch Spanien gelaufen. Dabei hat der dreißigjährige Mannheimer 25 Kilo Gewicht auf die normale Ausrüstung drauf gepackt. Mit Helm, Atemschutzgerät und Anzug war er unterwegs: Eine riesige Strapaze. Verrückt. Und für mich zugleich bewundernswert - als er mir gesagt hat, warum er das macht:

Man muss nur schauen: Wo sind meine Fähigkeiten und wie kann ich diese Fähigkeiten sinnvoll einsetzen - wie ich jetzt eben: Berufsfeuerwehr, viel Sport - gesagt: Ok ich nutze jetzt diese Fähigkeiten, wander’ in Einsatzkleidung den Jakobsweg, um Spenden zu sammeln für Kinder.

Er ist mir gleich sympathisch, dieser 1,90 m große Mann. Erst seit kurzem ist er wieder im Dienst und als „Brandoberinspektor“ im Einsatz als Zugführer. Noch hat er ein zufriedenes Strahlen um sich, das seinen kargen Büroraum auf der Feuerwache irgendwie heller macht.
Michael Weiner macht kein großes Gedöns um seine Initiative. Für ihn ist es normal, seine Fähigkeiten in den Dienst anderer zu stellen: Mal eben den ganzen Jahresurlaub in eine riesige Strapaze und ein einzigartiges Spendenprojekt stecken: Für „Paulinchen“. - Paulinchen ist das Mädchen aus dem „Struwwelpeter“, das sich verbrannt hat. Und die Initiative „Paulinchen“ kümmert sich um Kinder, die wegen Verbrühungen und Verbrennungen ärztlich behandelt werden müssen. 30000 sind das jährlich. Oft müssen sie mühsam lernen, mit entstellenden Narben umzugehen. Da ist „Paulinchen“, eine kleine Puppe des Vereins, manchmal die engste Vertraute. Dieses Paulinchen hatte Michael Weiner bei seinem Marsch immer am Rucksack.

Ich habe einfach gesagt: Ich möchte diese kleine Paulinchen mitnehmen und im Endeffekt ist das kleine Paulinchen den Jakobsweg gelaufen und nicht ich selbst. Und ich möchte den Kindern einfach zeigen: Es ist alles möglich.

Der große Mann mit Helm und die kleine Puppe – eine „verrückte“ Erscheinung. Und in dieser Verrücktheit erinnert Michael Weiner mich an die Propheten der hebräischen Bibel. Auch die haben Zeichen gesetzt. Manche haben sich den Kopf geschoren oder die Kleider zerrissen, lauter verrückte Sachen - auf den ersten Blick. Aber sie wollten nur auf Missstände aufmerksam machen, sie wollten nicht selber auffallen. Michael Weiner sieht das auch so.

Was ich auf jeden Fall nicht möchte, ist, dass ich mich selbst als Held sehe. Und ein Pilger hat dann so schön gesagt: Ja, aber Du bist irgendwo eine Inspiration! Das hat mir in dem Moment sehr gut gefallen.

Das Unmögliche möglich machen. Etwas, was noch niemand vorher so gemacht hat. Eben um andere in den Blick zu bekommen, die in ihrer Not übersehen werden. Auch Für mich ist Michael Weiner in seiner wunderbaren Verrücktheit zur „Inspiration“ geworden.

Kraft für Eigensinn und Hingabe

Der Mannheimer Feuerwehrmann Michael Weiner hat eine verrückte Idee gehabt und durchgezogen. Er ist nicht nur 880 km zu Fuß auf dem Jakobsweg gelaufen. Er hat es in voller Einsatzkleidung getan. Für Paulinchen, eine Initiative, die sich um brandverletzte Kinder kümmert. 23.000 € Spenden hat er auf seinem Weg gesammelt. - Irgendwie verrückt. Und zugleich faszinierend.
Der Dreissigjährige wollte nicht einfach so loslaufen. Er wollte aufbrechen als ein Gesegneter.

Es war eine Verabschiedungsfeier an der Jesuitenkirche in Mannheim geplant - und dort habe ich auch das erste Mal in meinem Leben eine Segnung speziell auf mich bekommen. Da fing für mich die Reise an, obwohl ich noch in Mannheim war - aber ich war ab diesem Moment auf den Jakobsweg geschickt worden! - Und das hat mich getragen.

Das ist es wohl, was aus einem Wanderer einen Pilger macht: Dass man nicht einfach losgeht, sondern sich „gesandt“ weiß. Gerade, wenn man so etwas Eigensinniges unternimmt, braucht man das, denke ich. Manche haben Michael Weiner ja den „ver-rückten“ Feuerwehrmann genannt. Ich will das wörtlich verstehen: Segen „ver-rückt“ die Perspektive. Nicht mehr nur ich will dann etwas, sondern mein ganzes Sein und Tun ist dann gewollt und gestärkt. Und so ging es Michael Weiner ja auch.

Ich bin da am letzten Tag , bin ich 55 Kilometer gelaufen, getragen worden - ich weiß selbst nicht. Ich hatte eigentlich geplant, das ganze in zwei Tagen zu machen. Aber als ich das Meer zum ersten Mal erblickt habe, hat mir irgendetwas gesagt. OK, heute muss ich das Ziel erreichen - und ich bin einfach gelaufen, ohne Pause.

Indem der pilgernde Feuerwehrmann an seine Grenzen gegangen ist, hat er erlebt, dass man dort gehalten wird und über sich selber hinauswächst. Der Apostel Paulus hat das so formuliert: „Alles vermag ich durch den, der mich stark macht.“
Wenn Dinge gelingen, die ich mir nicht zugetraut hätte - dann liegt darin für mich auch Gottes befreiende Kraft, die mich nicht nur dazu beflügelt, Grenzerfahrungen zu bestehen. Sondern auch dazu, andere neu wahrzunehmen.
Vielleicht musste Michael Weiner deshalb unterwegs an die denken, die in diesen Tagen als Flüchtlinge auch lange Strecken zurücklegen.

Auch die „pilgern“ oder müssen wandern und lange Strecken hinter sich bringen, haben aber nicht diese Sicherheit, müssen sich teilweise verstecken. Die können nicht in irgendeine Bar und können dort Pause machen - und wandern aber genau wie wir über Hunderte von Kilometern und da merkt man natürlich: Die kleinen Strapazen - das ist gar nicht schlimm. Andere Menschen machen ganz anderes durch.

Schön, wenn sich die Maßstäbe so ver-rücken. Wenn in einer spektakulären Aktion nicht nur die eigenen Kräfte zählen, sondern Notleidende in den Vordergrund treten. Wie bei Michael Weiner, dem „verrückten“ Feuerwehrmann. Für die am Rand ist es jedenfalls ganz kostbar, wenn sie so in unseren Blick rücken.

Mehr Infos unter:
www.paulinchens-jakobsweg.de

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20009
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Markus Finkler

KiTa und Mann - eine alltägliche Seltenheit.
Bei der Probe zum Weihnachtsspiel. Zwischen Engeln und Hirten ist er ganz in seinem Element. Markus Finkler, 45 Jahre, ausgebildeter Schauspieler. Seit diesem Sommer ist er Erzieher in der KiTa Hafenkirche im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. Männer in KiTas sind selten. Und sie stehen unter Beobachtung.

Ganz spannend war meine Einstellung im Kindergarten hier. Die Leiterin begrüßte mich und sagte: „50% meiner Mitarbeiteinnen r freuen sich, dass wir einen männlichen Erzieher bekommen - und die anderen 50 % werden Sie genau beobachten.“

Grundsätzlich ist aber nicht die Beobachtung komisch, sondern die Situation, meint der Mann mit dem gepflegten Bart.

Diese Welt besteht aus Mann und Frau. Und warum ist dann dieser Kindergarten so männerfrei? -  also gehören Männer rein! Die Kinder wollen auch im Kindergarten einen Mann.

Also hat Markus Finkler sich nach vielen Jahren als Schauspieler auf eine Ausbildung zum Erzieher eingelassen. Wohl gegen manchen Unkenruf anderer Männer. Und gegen die kritische Beobachtung mancher Kollegin. Das imponiert mir, wenn einer so überzeugt seinen Weg geht.  Mit seinen Begabungen ist Markus Finkler in der „Männermangelzone“ KiTa genau richtig.

Beim Theaterspielen  kann man ganz gut Kindern, die sehr schüchtern sind einfach auch näher bringen, dass sie bei den sieben Geißlein den Wolf spielen.

Und doch ist es nicht nur so, dass er den Kindern etwas gibt - sondern auch etwas bekommt:

Ein Kind von drei Jahren schaut aus dem Fenster raus - und ich setz mich zu ihm hin. Und dann sagt er: ‚Die Sonne scheint. Das ist schön. Das gefällt mir.“ - Und es immer noch so, dass diese drei kurzen Sätze mich begeistern, weil so ein Kind mir hilft, das Leben zu genießen, anzupacken, dass es Spaß macht, immer wieder neu ist.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder - sagt Jesus - könnt ihr das Reich Gottes nicht erfahren. Vielleicht ist es das, was das Spielen, Leben und Arbeiten mit Kindern immer wieder so spannend macht. Dass wir aus der Perspektive der Kinder etwas davon erfahren, wie die Welt von Gott her gemeint ist. Genau das wird ja in den kommenden Feiertagen auch ganz groß geschrieben: Wenn wir feiern, dass Gott in einem Kind „zur Welt“ kommt.
Markus Finkler und viele seiner Kolleginnen vermitteln dies auf ihre Weise. Etwa, wenn sie von ihren Lieblingsliedern schwärmen.

Das ist das Lied der Hummel, die Himmelsmusik macht. Und da macht es einfach unglaublich viel Spaß, das mit den Kindern zu erarbeiten - das ganz auch rhythmisch mit Klatschen und Drehen und Tanzen. Dass eben die Freude aufs Weihnachtsfest von innen heraus kommt.

Weihnachtsfreude von innen - das ist die Freude über die Geburt des Kindes. Eines Kind, das in ärmlichen Verhältnissen zur Welt kam. Und weil in ihm etwas für alle Menschenkinder aufscheint, ist Markus Finkler auch dort gut am Platz, wo es kaum christliche Kinder gibt: Im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. Darum geht es gleich im zweiten Teil meiner Begegnung mit dem Erzieher.

KiTa und Frieden - eine alltägliche Herausforderung. 
Markus Finkler ist Erzieher im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. Der 45jährige ausgebildete Schauspieler arbeitet dort im evangelischen Kindergarten. Das Quartier mit den vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen hat er sich ganz bewusst ausgesucht: Gerade weil Religion für den gebürtigen Saarländer dazu gehört. Schon ganz früh in seinem Leben hat er erfahren, wie man eine gemeinsame Sprache finden kann, wenn man ganz unterschiedlich ist.

Ich komme aus ner Großfamilie. Ich bin der jüngste von sieben Kindern. Und wir beten vor dem Essen und nach dem Essen. Ich fand das als Kind oft schrecklich - und dachte immer:’ O, dieses lange Gebet!’ - Und für mich ist das heute umso wichtiger, dass wir zusammen beten. Bei  uns in der Familie hat auch jeder seinen eigenen Kopf - und da ist auch einfach Stimmung miteinander - und beim Beten sprechen wir eine gemeinsame Sprache.

Wenn in seiner Einrichtung viele Sprachen gesprochen werden, wenn die Mehrheit der Kinder muslimisch ist, regt das den Pädagogen dann zu einer multireligiösen Erziehung an. Die Kinder sollen in ihrer eigenen Religion respektiert und gestärkt werden, aber sie sollen auch christliche Haltungen kennen lernen. Da ist ihm ein zentraler Auftrag wichtig:

Der eine wird getreten und der andere tritt zurück. Und genau da kann man auch gut ansetzen bei uns hier im Kindergarten im Jungbusch. Dass, wenn ich getreten werde, dass ich sage: ‚Stop!’ - Ich möchte das nicht.   und dass ich nicht dazu greifen muss, wieder zurück zu treten, sondern dass ich dies mit Worten lösen kann. Das finde ich ganz spannend. Weil dieser Wert der Vergebung - der ist ziemlich revolutionär durchs Christentum. Und da kann man die Hand reichen, den anderen.

Ob diese Friedenserziehung auch mit nichtchristlichen Kindern gelingen kann? frage ich Markus Finkler.
Der hält eine interessante Erfahrung gegen meine Skepsis. Denn er kennt ein muslimisches Mädchen aus seiner Gruppe - 

deren Mutter hat ganz viel Wert darauf gelegt hat, dass sie ganz klar den christlichen Angeboten Teil nimmt - dass ich überlegt hab: Gibt es die Möglichkeit  - so wie es bilingual gibt auch bi-religiös, dass man tatsächlich sich auch in beiden Religionen wohlfühlt und dann guckt, was verbindet die Religionen. Dass wir nicht gucken nach den Unterschieden. Sondern lasst uns lieber nach dem Gemeinsamkeiten gucken. Wo  wir miteinander in Frieden leben können.

Wenn die „Zweisprachigkeit“ in Sachen Religion die „Muttersprache“ ersetzen soll, bleibe ich skeptisch. Aber klar ist für mich: Der Friedensauftrag der Religion - er ist wichtig, um Fundamentalisten keinen Raum zu geben. Davon ist auch Markus Finkler überzeugt. Deshalb arbeitet er mit Kindern im Mannheimer Stadtteil Jungbusch.  -  Den Frieden Gottes in den Unfrieden der Welt zu tragen - das ist ja das Kernstück des Festes,  das unsere nächsten Tage prägt. Mich freut es,  wenn es gelingt, das auch in den Alltag nach dem Fest hinüberzutragen: Jeden Tag, wenn ein Kindergarten seine Türen öffnet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18854
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Spielend über sich hinauswachsen

Frieder Schmitz
Es war vor zwei Jahren. Da steht ein junger Mann vor mir - und fragt mich, ob ich in der Kirche spielen will. Ich schaue anscheinend ein wenig verdutzt und begreife dann, dass der Mann seinem Namen alle Ehre macht: Frieder Schmitz hat sich so mit seinem verschmitzten Lächeln bestens als Theaterpädagoge eingeführt.
Wir haben uns in der Mannheimer CityKirche Konkordien auf den verschmitzten Spieler eingelassen. Ganze Gruppen mischt der 30jährige auf. Etwa, wenn es ihm gelingt, eine zurückhaltende Mitspielerin in eine Rolle zwischen Tragik und Komik zu locken.

Wir haben das Stichwort „Traktor“  benützt und haben dazu einen dreiminütigen kurzen Text geschrieben. Und eine Frau stand letztlich vor dem Spiegel,  man hatte das Gefühl, ihr Leben ist zusammen gebrochen, sie hat gerade noch ihre Lippen nachziehen können, mit dem Lippenstift und hat ein Faust-Zitat verwurstelt: „Ich bin nicht Track, ich bin nicht Tor, ich so schlau als wie zuvor.“

Irgendwo zwischen traurig und lustig, zwischen dem eigenen Leben und einer Rolle - so hat die Frau in ein Spielglück gefunden.

Man hat einfach das Gefühl, sie geht in sich und in der Situation völlig auf und ist im Spielfluss - und das ist das Faszinierende.

Klar, manche Spielaufgaben mögen zuerst ein bissel verrückt wirken, aber Frieder Schmitz leitet sanft und klug an. Dadurch verschwindet bei den Mitspielern die Angst, etwas falsch zu machen. Eben weil es nicht darum geht, ein Theaterstück zu inszenieren, sondern im Spiel aus dem Alltag auszusteigen. Für mich ist es immer wieder faszinierend, wie schnell sich im Spiel eigene und manchmal auch ernste Themen ausdrücken.

Es lag eine Theatralik und eine Komik in dieser Frau drin und trotzdem hat man auch dieses Gescheitert sein gesehen. Ich hätte das nicht gedacht, eine Stunde vorher kamen wir unglaublich freudig zusammen und sind dann in diese unglaubliche Tiefe eingestiegen auch miteinander - und das war ein unglaublich schöner Moment.

Frieder Schmitz blüht auf, wenn er Mitspieler lockt, bisher Verborgenes auf der Bühne auszudrücken. Da kommt der Pädagoge durch, der anderen hilft, den eigenen Weg zu finden. Schließlich hat er den ja auch für sein Leben gesucht - und gefunden: Zuerst hat er soziale Arbeit und Diakoniewissenschaft studiert, dann im kirchlichen Bereich gearbeitet - und sich jetzt als Wahl-Mannheimer und Freiberufler „auf den Markt“ gestellt. - Schön finde ich das, wenn ein junger Mensch es schafft, den eigenen Weg zu finden und zu gehen. Ganz ohne Grund ist es wohl doch nicht, dass „Beruf“ und „Berufung“ sprachlich so verwandt sind.
Frieder Schmitz fühlt sich jedenfalls zum Spiel gerufen. Dabei war ihm das auch nicht viel mehr als anderen in die Wiege gelegt:

Als Kind - gut, ich bin evangelisch aufgewachsen - da macht man alles mal durch im Krippenspiel, vom Engel bis zum Josef, diese „Karriere“ hab ich hinter mir, sozusagen.

Aber ihm ist die Lust am Spiel auch nach seiner Kindheit auf der Schwäbischen Alb geblieben. Als ob er schon damals etwas von dem begriffen hat, was Schiller sagt: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Spielend Eigenes entfalten.
„Eigentlich bin ich ganz anders. Nur komme ich so selten dazu“ sagt der Schriftsteller Ödön von Horvath. - „Theaterpädagogik hilft, dieses Seltene häufiger zu erleben.“  - hält der Mannheimer Theaterpädagoge Frieder Schmitz dagegen.

Die Theaterpädagogik stellt für mich die Einzigartigkeit und das Schöpferische des Menschen in den Mittelpunkt.  Sie sucht diese schöpferischen Momente in Übungen auf der Bühne. Sie sucht die Einzigartigkeit des Menschen und da sind für mich die Anknüpfungspunkte zwischen Theater und Kirche: Dass sie da ganz toll miteinander harmonieren.

Die schöpferischen Möglichkeiten freilegen und entwickeln - das ist auch für mich nicht allein ein kreativ angehauchtes Bildungsprogramm. Es ist auch ein Grundzug christlichen Glaubens. Gott schafft den Menschen nach seinem Bilde, also legt er auch das Schöpferische in ihn. Gott lockt mich in ungelebte Möglichkeiten, die vielleicht bisher verschüttet waren - und die ich probeweise in einer Rolle ausprobieren kann: Zum Beispiel wie sich das Leben als Vogel anfühlt. Wie Abraham oder Mose im Leben stehen. Vielleicht sogar, wie das ist, wenn ich Gott wäre. Auf jeden Fall aber: Wie ich mehr bin als das, was man mir normalerweise zutraut. Frieder Schmitz:

Wenn ich das Spiel der anderen sehe, erfüllt mich eigentlich die Freiheit, die ich in ihnen sehe. Die Freiheit, sich gehen zu lassen auf ne Spielsituation einzulassen, Ideen nachzuspüren und auch lustvollen Ideen  und vielleicht auch Ideen, die man eigentlich nicht zulassen würde -  in die sich hineinzuwühlen.

In dieser Freiheit zeigt sich für mich die Leichtigkeit des Glaubens: Das Leben wird leichter, weil ich spielend über mich hinaus wachsen kann. Denn Gott hat mich mit vielen Möglichkeiten angelegt.
Das kann man zwar von der Kanzel auch sagen. Aber es kommt bei den Menschen viel tiefer an, wenn sie es im Spiel erkunden. Und deshalb bietet eine Kirche als Spielraum ganz besondere Chancen für diese Selbsterkundungen. Für Frieder Schmitz heißt es: Spielen in der Kirche? - Ja bitte!

Ich empfinde das so, dass die Theaterpädagogik eigentlich den Rahmen dazu gibt, dass man sich im Kontext der Kirche nochmal selbst erfahren kann: Seinen eigenen Lebensweg und seine Biographie im Kontext des Glaubens auch noch mal beleuchten kann.

Wenn es gelingt, spielend das eigene Leben in ein anderes Licht zu stellen,  ist das Theaterpädagogik vom Feinsten. Für Frieder Schmitz öffnet sie auch eine Bewegung zum Glauben, die alles Belastende der Vergangenheit, alle Sorgen um die Zukunft abstreift.

Also Spielen ist für mich letztlich wie ein tiefes Atemholen. Weil ich einfach das Gefühl hab, dass ich im Hier und Jetzt bin.

- und das ist dann alles andere als Kinderkram. Spiel kann wild und unberechenbar, heiter oder hintergründig sein - und es kann die Lust am Leben neu wecken. Vielleicht ja auch in Ihrem!

Mehr Infos unter: www.spielort-theater.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18524
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Gertrud KastnerDie Kraft der Empörung

Stundenlang kann ich ihr zuhören. So jung ist sie im Herzen. Dabei ist Gertrud Kastner am Montag neunzig geworden. Sie lebt heute in einer kleinen Wohnung in den Mannheimer Quadraten. Vieles dreht sich in diesen Tagen um die Erinnerungen an ihren 15. Geburtstag. Der fiel vor 75 Jahren auf den Kriegsbeginn -  und hat aus ihr eine Mahnerin für den Frieden gemacht.

Dieser Geburtstag wurde ein Geburtstag wie kein anderer vorher und wie kein anderer nachher. So gegen 7 Uhr morgen fuhr ein Hitlerjunge auf einem Fahrrad mit einer Flüstertüte durch unsere Straße und rief aus: Dass alle Häuser von den Bewohnern geräumt werden müssen.

Der Geburtstagskuchen blieb stehen und die Kastners mussten ihr Lebensmittelgeschäft mit vollen Regalen zurück lassen. Sie lebten im saarländischen Merzig in der so genannten „roten Zone“. Zur Sicherung der Grenze nach Frankreich musste die Zivilbevölkerung dort sofort ihre Häuser räumen.
Auch „Hansi“, ihren geliebten Kanarienvogel, musste sie zurücklassen. Ein Soldat hat ihn getötet, damit er nicht verhungert - was ein Schock für das Mädchen!

Da sind mir auch die Schrecken des Krieges erst bewusst geworden - was es bedeutet: Krieg, Tod, Menschen verlieren, Tiere, die man gern hat, verlieren. Das war der Auslöser für meinen Standpunkt, den ich heute noch habe: Jede Granate und jeder Schuss ist zu viel.

Krieg bringt Unrecht und Tod! Krieg darf nicht sein! - 
Wie können wir einer Kriegsproganda entgegentreten?  Wie können wir der Gewalt die Stirn bieten?
Gertrud Kastner zeigt mir: Man muss kein Widerstandskämpfer werden. Es reicht, Empörung zu spüren und auszudrücken. Mit der Empörung reift eine Überzeugung, die gerade in Kriegs- und Krisenzeiten trägt. Denn vor Gott und den Menschen mache ich mich schuldig, wenn ich „abtauche“ in die Gleichgültigkeit.
Die alte Dame, die damals ein junges Mädel war, hat jedenfalls in ihrer Empörung einen Vorsatz gefasst.

Wenn unsere Buben aus unseren Parallelklassen eingezogen wurden und wenig später in der Zeitung erscheinen musste: ‚In ehrenvollem Gedenken an unseren gefallenen Sohn.’  Da wusste ich schon: Ich werde nie, niemals irgendeinen Finger rühren  für eine Tätigkeit, die einen Krieg beeinflusst.

Beeindruckend. Ob wir einen solchen Vorsatz heute mit derselben Klarheit formulieren könnten?

 

Die Kraft des Gebets

Gertrud Kastner war empört.
Gertrud Kastner ist empört.
Vor 75 Jahren wurde die heute 90jährige gleich zum Kriegsbeginn vertrieben. - Und als sie dann ein paar Jahre später in einer Munitionsfabrik arbeiten soll, ist in ihr eine tiefe Überzeugung gereift.

Ich hatte beschlossen, ganz tief drin in mir: Wenn ich da hin muss, wenn man mich zwingt, dahin zu gehen - und etwas anzufertigen, was andere tötet, dann bringe ich mich zuerst aus dem Leben.

Stark, wie konsequent die junge Frau war. Das war sicher mit vielen inneren Konflikten verbunden. Aber sie hat auch gespürt, wie sie weiter wachsen kann.

Im Anfang hat mir der Glaube bei diesen inneren Verletzungen nicht geholfen.  Späterhin hat er mir geholfen. Weil ich überlegt habe, dass Gott uns helfen soll - aber dass wir ihn auch darum bitten müssen.

Der bloße Wunsch nach Frieden ist nicht genug. Der Wunsch muss eine Richtung bekommen, ein Gegenüber. Das ist auch die Erfahrung der Psalmbeter in der Bibel: „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir.“ ruft da einer zu Gott. Dass es da in aller Bedrohung und Zerstörung noch ein DU gibt - das kann dann schon ein Halt sein. Vielleicht sogar ein Trost, weil wir am Rand des Lebens die Mitte erfahren können.

Mein evangelischer Glaube hat mich dahin gehend bestärkt, dass dieser Gottesglaube sehr wenig von Prunk, von Äußerlichkeiten geprägt ist. Das sammelt die Kraft  auch in dieser Mitte  und deswegen bitte ich im evangelischen Sinn um den Frieden.

Gertrud Kastner geht es nicht nur um die Erinnerung an das Vergangene. Es geht ihr um die Lehren für die Gegenwart. Für die Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Gaza und im Irak.

Ich scheu mich manchmal, die Nachrichten zu sehen, die Krieg zeigen, die Tote und verletzte Menschen zeigen, vor allem Kinder. Alles dies ist zu viel. Jeder Schuss ist zuviel!

Aber was tun, wenn Kinder getroffen werden? - Ich bin mir da nicht so sicher, ob gegen die Terroristen des Islamischen Staats nicht doch geschossen werden muss.
Aber was ich mit Gertrud Kastner teile, ist die Sorge, dass viel zu schnell nach Waffen gerufen wird - und der Krieg die Politik ersetzt.
Wie wichtig, dass wir in allen heutigen Kriegsnachrichten die Erfahrung von empörten Alten noch hören können: „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18255
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft die Künstlerin Merja Herzog-Hellstén Merja Herzog-Hellstén

Einen Kilometer Kabelröhren aus dem Baumarkt hat sie genommen und in vierzehn großen Knoten in der Mannheimer Citykirche Konkordien aufgehängt: Die finnisch-deutsche Künstlerin Merja Herzog-Hellstén aus Hanau

Verwickelte Schönheiten
Mögen Sie Verknotungen? - Ich eigentlich gar nicht, weil ich viel zu ungeduldig bin, wenn ich Knoten entwirren muss. Da gebe ich dann schnell auf - und möchte es machen wie Alexander der Große. Der Sage nach hat er den „Gordischen Knoten“  auch nicht entwirrt, sondern mit dem Schwert durchgeschlagen.

Merja Herzog-Hellstén versteht ihre Knoten nicht als Aufgabe, sondern als „verwickelte Schönheiten“. So hängen sie in der Mannheimer Citykirche - und geben auch ohne Sprache zu denken. Zuerst wollte ich nach Anfang und Ende der Linien suchen. Und ich wollte fündig werden. - Das aber ist gar nicht so im Interesse von Merja Herzog-Hellstén:

Das Finden ist natürlich toll. Aber im Grund zelebriere ich hier tatsächlich das Suchen an sich: Wie reich eine Suche werden kann, auch wenn es sich verdichtet, verknotet, wenn man vielleicht teilweise das Gefühl hat: Mein Gott, ich komme da jetzt nicht weiter -

- und genau dann ist es möglich, Neues zu sehen. Eben nicht den Knoten als ein Problem. Eben nicht entwirren müssen und darin notwendig scheitern. Sondern einfach eine andere Perspektive suchen und finden. Dazu will Merja Herzog-Hellstén mit ihren „Verwicklungen“ anregen. Knoten und Probleme im Leben bedeuten eben nicht Chaos, sondern sie verdichten das Leben. Sie helfen bei der Suche nach neuen Perspektiven. Nach dem, wie wir das Leben und die Welt neu und tiefer begreifen können.

Die kluge Frau mit den blauen Augen ist alles andere als der wilde Künstlertyp. Sie arbeitet mit Genauigkeit und Präzision. Das hat sie schon als Kind in Finnland mitbekommen.

Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Eltern gebaut haben während meiner Kindheit, also ich durfte da sehr viel mitwirken

Schon immer war Merja Herzog-Hellstén vom Dreidimensionalen fasziniert und hat dadurch ihre Begabung  für raumgreifende Werke entdeckt.

Durch die Installationen finde ich das großartig, dass der Betrachter die Chance bekommt, so was wie in die Kunst hineinzutreten und tatsächlich Teil zu werden davon.

Genau das ist es, was mir an ihrer Kunst so gefällt. Man kann nicht „Betrachter“ bleiben, man wird Teil davon. Die Arbeiten wirken, auch wenn ich sie nicht gänzlich verstehe.

Da finde ich dann das Eintauchen in Kunst und Religion sehr verwandt: Beiden geht es nicht darum, alles zu aufzulösen oder zu analysieren. Sondern mit Herz und Sinn neue Einsichten zu bekommen: Wenn unterschiedliche Meinungen sich nicht in einem Knoten „verwirren“, sondern sich ergänzen und bereichern.

Es ist ja ganz klar: Erstmals ist nichts starr. Nicht unbeweglich, sondern es wird dann durch diese Bewegung neu in Frage gestellt und man bekommt die Möglichkeit, die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen -

Bewegtes Leben
Leben ist Suchen, sagt sie. Das Finden scheint ihr gar nicht so wichtig. Denn, wenn man „gefunden“ oder „verstanden“ hat, dann kann man ja auch erstarren. Ein wenig davon hat Merja Herzog-Hellstén wohl in Finnland erlebt. Dort waren alle um sie herum fraglos evangelisch-lutherisch.

Es ist für mich ein bisschen komisch gewesen, dass man von Geburt an etwas ist - bevor man selber noch Gedanken fassen konnte: Bin ich das? Will ich das sein?

Wie unterschiedlich Menschen geprägt sein können! Für mich hat die Tradition, in die ich hineinerzogen wurde, nichts Erstarrtes gehabt. Sie war mir ein Halt, hat mir Wurzeln gegeben, um die Stürme des Lebens besser bestehen zu können.
Merja Herzog-Hellstén hat Tradition wohl manchmal eher als „Festung“ erlebt - und deshalb ist ihr eine Skepsis gegenüber den Konfessionen geblieben. - Wo komm’ ich her und wo geh ich hin? Was gibt mir Sinn und Halt im Leben? -  Bei solche Gedanken fragt sie sich,

ob die vielleicht manchmal so was wie vereinnahmt werden von der Religion - und bekommen dann diese Stempel: Das ist jetzt eine katholische Gedanke, das ist jetzt eine evangelische Gedanke, eine buddhistische Gedanke und so weiter.

Und genau diese Sehnsucht nach einem Glauben, der die Grenzen von Konfessionen und Kulturen überwindet, passt gut zu Pfingsten, finde ich. In der biblischen Pfingstgeschichte haben die Menschen „be-geistert“ über die Grenzen von Kulturen und Religionen hinweg zueinander gefunden. Sie haben neue schöpferische Kräfte gespürt. -
Künstler sind da oft dem Pfingstgeist nahe, weil sie von diesen schöpferischen Kräften angetrieben sind. Sie sind voller Kreativität und schaffen, was bisher noch keine Auge so gesehen und kein Ohr so gehört hat - auch wenn es sich um ur-alte Menschheitsfragen und Sehnsüchte handelt.
Merja Herzog-Hellstén ist in ihrer künstlerischen Suche für mich ein pfingstlicher Mensch. Auf ihrem Weg hat sie die Religion als Lebenskraft wiederentdeckt. Evangelisch ist sie jedenfalls geblieben, vielleicht auch, weil sie immer wieder gute Erfahrungen in Kirchen gemacht hat, wie jetzt in der Mannheimer Citykirche Konkordien. In der Weite von Gotteshäusern mischen sich Suchen und Finden. Und so ist ihr Raumgefühl in der Kirche auch nicht „leer“:

Es ist sehr viel von konkreten Gedanken gefüllt. Es ist von geistlichen Gedanken gefüllt . Es wird da viel „gewirbelt“ gerade mit den Gedanken.

Das gefällt mir: Der Kirchenraum als ein Raum, der gefüllt ist. Mit Segen und Singen. Mit Klage und Lob. Mit Bibel und mit Kunst.
Und wenn das alles durcheinander „gewirbelt“ wird, wenn es gut und lebendig miteinander verknotet und vernetzt ist, dann ist - längst nicht nur heute - Pfingsten.

Infos zum aktuellen Projekt: www.citykirchekonkordien-de.
Infos zur Künstlerin: www.herzog-hellsten.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17713
weiterlesen...