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SWR1 Begegnungen

Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens

Teil I:

Ich treffe den 59jährigen Journalisten in seinem Münchener Büro. Seit 2007 koordiniert er von hier aus das Programm des Ersten.
Die Stadt ist ihm schon seit Studienzeiten vertraut. An der Ludwig-Maximilians-Universität belegte er die Fächer Volkswirtschaftlehre, Politikwissenschaft und Publizistik und absolvierte eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Norden Deutschlands, geboren ist er in Cuxhaven. Wie viele andere auch kommt er dort in Kontakt mit Kirche und Religion, sucht aber bald seinen ganz eigenen Weg.

Ich bin christlich aufgewachsen, christlich erzogen, komme aus einem christlichen Elternhaus. Ich selber bin im Glauben nicht gefestigt, ich bin zwischen christlich geprägt und Agnostiker. Bin sehr stark geprägt durch den französischen Existenzialismus. Den größten Einfluss auf mich in meiner Haltung zum Leben hat Albert Camus gehabt. Mit seinen Schriften. Das hab ich alles verschlungen und das hat mich sehr geprägt.

Trotz seiner privat eher distanzierten Haltung zur Kirche ist ihm das Thema Glauben und Religion wichtig für das Programm. Klassiker wie das Wort zum Sonntag stehen für ihn nicht zur Disposition. Kirche bleibt Thema.

Sie hat einen großen Stellenwert. Wobei ich Kirche im Programm nie ausschließlich reduziert gesehen habe auf kirchliche Sendungen, etwa auf die Übertragung von Gottesdiensten oder das, was die Kirche im Rahmen ihrer Koordination zu unserem Programm beiträgt sondern ich glaube ein öffentlich-rechtliches Hauptprogramm wie das Erste muss ein wertegeprägtes Programm sein. Das ist unser spezifischer Auftrag und wenn Sie über Werte reden, sind sie ganz nah bei kirchlichen Themen.

Das diese wichtig sind für den gesellschaftlichen Diskurs steht für Volker Herres außer Frage. Er nennt zwei Komponenten:

Das eine ist eine gesellschaftliche, dass Kirche laut ist auch im öffentlichen Raum gerade in diesen Zeiten, dass Kirche die Menschen an ihre Verantwortung erinnert, die sie fürs Gemeinwesen haben. Da kann Kirche eine große Rolle spielen und lautstark einfordern, dass diese Gesellschaft darauf achtet gerecht zu sein, Menschen mitzunehmen, Menschen Geborgenheit zu vermitteln auch in sozialen, in politischen Systemen. Das zweite ist: Ich glaube gerade in der digitalisierten, globalisierten und damit fragmentierten Welt verlieren Menschen so etwas wie Sicherheit. Das führt zu Unsicherheiten d.h. die Suche nach Halt, nach Sinn im Leben spielt - glaube ich - wieder eine große Rolle oder eine größere Rolle und da kann Kirche mit dem Glauben auch Menschen Festigkeit und Halt bieten.

Dieser gesellschaftliche Umbruch ist für ihn auch spürbar in den Streitgesprächen im ARD Presseclub, zu dessen Moderatoren Volker Herres gehört. Er liebt den Diskurs und hält ihn für notwendig. Kein Wunder dass ihm der jetzige Papst in diesem Punkt imponiert.

Ja. Ich glaube Franziskus ist ein gutes Beispiel dafür, der findet großes Gehör. Der eckt ja auch an und das ist auch richtig so. Menschen müssen streiten um den richtigen Weg, das ist ganz elementar, man findet ihn nur in der Auseinandersetzung im Diskurs und das gilt für alle Felder. Pluralismus gehört dazu zu einer offenen Gesellschaft. Man muss damit leben können, dass Menschen Dinge unterschiedlich sehen und man muss auch große Toleranz auch haben gegenüber verschiedenen Sichtweisen aber am Ende muss man ja in vielen Dingen auch entscheiden und da muss gestritten werden um den richtigen Weg.

Was Volker Herres mit Sysiphus verbindet und warum er gerne einmal Martin Luther interviewt hätte, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

Teil 2

Volker Herres ist Moderator des Presseclubs und Programmchef des Ersten. Wenn er den Presseclub am Sonntagmorgen moderiert ist er in seinem Element. Für ihn ist es die Möglichkeit neben seinem Direktorenamt wieder direkt als Fernsehjournalist zu arbeiten. Das hat er gelernt und ist dabei mit vielen prominenten Zeitgenossen zusammengekommen. Eine geschichtliche Größe hätte er gerne mal interviewt.

Mit dem Luther hätt’ ich schon mal gern gesprochen. Das ist, glaube ich, schon eine Zäsur im Christentum und damit auch mit der Spaltung der Kirche, die heute ja nicht mehr so gravierend ist wie sie es mal war. Man merkt wie sehr das Bemühen um Ökumene eine Rolle spielt und wie beide Kirchen sich doch sehr stark annähern vor allem in wichtigen Wertefragen und gesellschaftlichen Grundpositionen - ja oft gemeinsam auch streiten.

Luther interviewen geht wohl kaum, aber sich näher mit ihm beschäftigen reizt den Fernsehprofi auch so. Gerade in diesem Jahr.

Luther war natürlich eine Figur die über die Kirchenspaltung hinaus die Welt verändert hat. Wir haben das Lutherjahr und wir werden in diesem Jahr einen Film zeigen, auf den bin ich ganz stolz: über Katharina Luther. Wir werden uns Luther einmal anders annähern, nämlich über Katharina von Bora, die ja eine bemerkenswerte Frau war und die nicht so bekannt ist wie die Luthergeschichte selbst. Wir nähern uns dem Reformationsthema von der Seite und das find ich schon sehr spannend.

Das Widerständige, was nicht nur Martin Luther charakterisiert, ist auch heute in der Zeit von schnellen Sprüchen und populistischen Parolen angesagt. Auch wenn es einen langen Atem braucht.

Ich finde es gut auch immer wieder zu widerstehen und sich gegen den Strom zu bewegen. Ich glaube das ist auch ein Wesensmerkmal von Mensch-Sein und wenn Sie so wollen: Sisyphus, der Stein rollt den Berg immer wieder runter aber man trägt ihn immer wieder neu rauf. Diese Kraft muss man haben und es heißt ja so schön am Ende wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Ein Zitat seines Lieblingsautors Albert Camus. Nicht aufgeben auch wenn der Erfolg nicht sichtbar ist, an seine Aufgabe glauben so unwichtig sie anderen erscheinen mag. Kein schlechtes Motto in diesen Zeiten.

 

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SWR2 Wort zum Tag

Der 7. Juni dieses Jahres wird für einige in besonderer Erinnerung bleiben. Australien erklärt die „Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte“ für ausgestorben. Die erste Säugetierart, die Opfer des Klimawandels wurde. Einige Ratten weniger, was soll’s, sagen die einen, Alarmsignal sagen die anderen. Je nachdem.  Insgesamt aber bleibt diese Info höchstens eine Fußnote im Blick auf das Jahr 2016. Abertausende von ähnlichen Nachrichten haben sich in den letzten zwölf Monaten angehäuft. Themen, die es nicht auf die Titel der Zeitungen geschafft haben oder zu Breaking News auf unseren Smartphones. Aber die doch für bestimmte Gruppen, Initiativen oder auch nur für einzelne Menschen zentral und wichtig waren. Heute am letzten Tag des Jahres erinnere ich mich besonders an die Ereignisse „meines Jahres 2016“. Ganz persönliche Bilder und Erlebnisse kommen mir in den Sinn. Menschen, die ich neu kennengelernt habe, mit denen ich gestritten oder gelacht oder die ich verloren habe und schmerzlich vermisse. Es ist gut bevor die Raketen ins neue Jahr starten sich die Zeit zu geben das ganz persönliche Jahr 2016 noch einmal Revue passieren zu lassen. So wie es nun mal war. Mit allem für das ich dankbar bin und mit allem, was ganz anderes gelaufen ist. Um Mitternacht beginnt wieder ein neues Jahr. Mit neuen Chancen, neuen Möglichkeiten. Vorsätze mache ich mir schon lange keine mehr. Ich kenne mich und meinen Hang zu Überforderungen. Was ich aber gerne mache ist Gott um seinen Segen bitten für alles Kommende im  Jahr 2017. 

Er, der Allmächtige, führe uns sicher durch die neuen Monate und lasse uns nie vergessen, wer der Herr der Welt und des Universums ist. Er schütze uns vor selbsternannten Götzen und Göttern. Er gebe uns Rückenwind, wenn wir uns selbst überfordern und außer Puste kommen. Der barmherzige Gott schenke uns Geduld mit uns selbst und die Größe auch die kleinen Schritte zu achten. Er befreie uns von allem, was uns vom Leben zurückhält. Er gebe uns ein empfindliches Gewissen, dass wir hellwach bleiben für das, was neben uns geschieht. Er bewahre uns vor allen populistischen Klischees und gefährlichen Sprüchen - auch bei heftigem Gegenwind. Gott der Ewig-Treue schütze alle, die zu uns gehören, und sei mit allen, die uns zugemutet werden, wie wir auch ihnen. Er gebe uns öfter Humor und Leichtigkeit und sei mit allen, die sich in diesem Jahr verlieben werden. Respektvoll lasse er uns sein gegenüber jedem menschlichen Leben- in all seiner Vielfalt. Er verlasse uns nicht, in alldem, was schön und was schwer sein wird. Gott behüte uns auf unseren Wegen und Umwegen. Mit seinem Rückenwind und Segen!

 

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SWR2 Wort zum Tag

„Wo ist denn da oben Schluss?“ Mit dieser Frage habe ich meine Mutter als Kind genervt. Eine meiner frühesten Erinnerungen. Da oben am Himmel, da müsse doch irgendwo eine Grenze sein, eine Mauer oder irgendsowas. Meine Mutter hat geantwortet: „Es gibt da keine“. Aber das hat mich nicht zufrieden gestellt. Konnte es ja auch nicht. Die Unendlichkeit kann ich einfach nicht denken. Die Vorstellung, dass sich alles grenzenlos ausdehnt, dass unsere Welt nur ein Universum unter vielen ist, diese Vorstellung sprengt mein armes Hirn. Aber trotzdem lässt mich das bis heute nicht los. Ich suche und frage trotzdem immer wieder. Das wird wahrscheinlich auch so bleiben. Das ist die Sehnsucht, die über mich hinausweist. Die mir zeigt, dass es da eine Kraft gibt, die mich übersteigt, die mich mit einer anderen Welt verbindet. Diese Kraft ist für mich Gott. Auch wenn sich mein Kopf dagegen wehrt: was ich verstehen sollte ist, dass ich gar nicht alles zu verstehen brauche. Es gibt Geheimnisse, die ich getrost und gelassen Gott allein überlassen kann. Nicht alles sollten wir können, nicht alles müssen wir wissen, nicht alles sollten wir entzaubern. Gott wird uns die Geheimnisse enthüllen, wird für manche Überraschung sorgen in dem Zustand, den wir mit unseren schwachen Worten Himmel, Paradies oder ewiges Leben nennen. Worte, die einst vergehen werden, die dann nicht mehr nötig sind, wenn sich Gott selbst zeigt, so wie er ist.. Woher ich das weiß? Ich weiß es nicht. Ich glaube es, ich hoffe es. Ich setze auf sein Versprechen, dass er uns in Jesus gegeben hat. „Euer Herz sei ohne Angst,“ heißt es im Johannesevangelium, als Jesus von der ewigen und endgültigen Heimat des Menschen spricht. 

Bis dahin taste ich mich vorwärts, versuche mein Leben zu gestalten  gebrauche meine Freiheit, staune über die Fülle der Welt. Leben gibt es auf so bunte und so unterschiedliche Weise. Mit Licht und Schatten. Wenn ich in diesen weihnachtlichen Tagen den Blick in den Sternenhimmel richte, dann wird mein Staunen noch größer. Der unendliche Gott, der Schöpfer alles Grenzenlosen steigt herab, in eine armselige Krippe, in die einfachsten Verhältnisse. Es gibt nichts Menschliches mehr, wirklich nichts, was er nicht selbst erfahren hat. Und dieser Gott, so glaube ich, kennt meinen Namen. Kennt mich. Hält mir den Himmel offen. Jetzt und später.

 

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SWR1 Begegnungen

Gründer von HOPE Capetown, Südafrika

„Emotional bin ich Südafrikaner!“

Ich treffe mich mit Stefan Hippler, Pfarrer und Gründer einer Hilfsorganisation in Kapstadt. Seit 20 Jahren wohnt Stefan Hippler
in Südafrika. Launig und etwas kokett fragt er mich, ob wir das Gespräch auf Deutsch führen, er wolle sich dann bemühen.
Englisch zu sprechen ist für ihn mittlerweile weitaus normaler. In Bitburg in Bistum Trier aufgewachsen, dort zum Priester geweiht,
hat ihn sein Weg über verschiedene Stationen nach Kapstadt geführt. Seit acht Jahren hat er neben der deutschen auch die südafrikanische Staatsbürgerschaft. Was überwiegt?

Das kommt drauf an. Die Südafrikaner sagen, du bist noch sehr deutsch und die Deutschen sagen du bist schon ganz schön südafrikanisch geworden. Und gefühlsmäßig ist das wirklich eine Gemischlage. Rein emotional fühle ich mich mehr als Südafrikaner.

Begonnen hat alles mit der Übernahme der deutschsprachigen Gemeinde in Kapstadt. Eine eigentlich überschaubare Aufgabe, die er aber bald mit einem Zusatzengagement anreicherte, die heute sein komplettes berufliches Wirken umfasst. Mit anderen gründete er eine Hilfsorganisation mit dem programmatischen Namen HOPE Capetown. Hoffnung Kapstadt. HOPE kümmert sich um Kinder und Familien die mit HIV und Aids zu tun haben, sorgt sich um infizierte Eltern oder deren Kinder. Über die Jahre hinweg haben sich die Aufgaben erweitert.

Als wir angefangen haben, um 2000 herum, ging es wirklich darum Leute medikamentös zu behandeln, Kinder auf Behandlung zu setzen. Heute macht das der Staat und wir schauen das alles andere stimmt, damit die Medikamente wirken können.

Heute kooperiert HOPE Cape Town mit städtischen und überregionalen Gesundheitseinrichtungen, anderen Hilfsorganisationen und gemeindebasierten Organisationen, um Ausbildung, Behandlung und Unterstützung für HIV-positive Kinder und deren Familien anzubieten. Zudem hat HOPE Cape Town auch Partnerschaften mit lokalen und internationalen Universitäten und Organisationen. 80% der Spenden die Hope tragen kommen aus Deutschland. Ein Allroundjob, der viele Reisen, Vorträge und Kontaktpflege mit sich bringt. Viel Management. Trotzdem bleibt für ihn Seelsorge wichtig.

Ich arbeite als sogenannter Supply-Priester, also ein Vertretungspriester, das heisst ich gehe in Gemeinden rein, ich hab diesen Kontakt noch, kann aber aufgrund der Aufgaben bei Hope, einfach keine Pfarrei mehr leiten.

Das Pfarreileben in Südafrika ist eher noch sehr traditionell geprägt. Papst-Franziskus-Effekt? Eher Fehlanzeige.

Der Franziskus ist weniger zu spüren in Südafrika. Die Bischöfe, die Kirchenstrukturen sind in Südafrika noch eher so wie wir das in den 60iger Jahren hatten. Wenn ich in eine katholische Schule gehe, zum Beispiel in Kapstadt, dann hab ich genau das Bild mit Ordensschwestern mit Zucht und Ordnung und allem was dazu gehört, wie ich es noch aus meiner Kindheit kenne.

Seiner Meinung liegt das, neben kirchlich internen Ursachen, auch am Erbe der Apartheid und Abgeschlossenheit des Landes durch den damaligen Boykott anderer Länder. Für ihn persönlich ist die Trendwende in der katholischen Kirche jedoch auf besondere Weise spürbar.

Für mich persönlich gibt es sicher einen Franziskus Effekt in der Art und Weise, dass mit Franziskus plötzlich mich auch wieder mehrere Bischöfe grüßen.

Warum das so ist, wie er die Bundeskanzlerin zum Staunen brachte und warum er Heiligabend mit einem Grillfest verbindet, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

„Heilig Abend am Grill – das genieße ich!“

Stefan Hippler aus Kapstadt ist Priester aus dem Bistum Trier und engagiert sich bei HOPE, einer Organisation, die sich um HIV infizierte Kinder und Familien kümmert. Seine Bemerkung, dass ihn einige Bischöfe wieder grüßen, quittiert er mit einem leisen Lächeln. Denn das war einmal ganz anders. Sein Engagement und vor allem sein Plädoyer für den Gebrauch von Kondomen zur Aidsprävention hatten ihm das Missfallen der Deutschen Bischofskonferenz eingebracht. Seinen Job als Leiter der deutschen Gemeinde in Kapstadt wurde er damals los. Sein Heimatbischof, der auch der meinige ist, Stephan Ackermann, hielt jedoch an ihm fest. Deswegen kann er auch heute noch in Südafrika wirken. Und seit Franziskus hat sich einiges verändert:

Es ist ruhiger geworden. Es auch irgendwie en vogue. Man hat jetzt plötzlich jemand in Südafrika, der die Arbeit tut die Franziskus ja eigentlich einfordert. Also von daher kann man ja ein bisschen stolz darauf sein. Allerdings sag ich immer: bau nicht drauf, man weiß nie was kommt.

Sein Namenspatron, den wir heute in der Kirche feiern, Stephanus, passt deshalb ganz gut zu ihm.

Ich oft erlebt wie Steine geschmissen worden sind, verbale Steine geschmissen worden sind, von daher kann ich mich schon ein stückweit identifizieren ohne je Märtyrer gewesen zu sein oder werden zu wollen. Ich denke das steht mir gar nicht.

Was aber nach wie vor zu ihm passt ist seine Lust immer wieder mal gerne ein bisschen Provokation in sein leidenschaftliches Engagement zu mischen. Das wird deutlich als ich ihn nach wichtigen Begegnungen in seiner Arbeit frage.

Eine der interessantesten Begegnungen bei Hope war der Besuch der Bundeskanzlerin, weil das so schon komplett aus dem Rahmen gefallen ist und weil ich etwas zeigen konnte, was sie noch nicht kannte und das war der weibliche Kondom. Das hat viel Freude gemacht.

Ob es Angela Merkel eben so viel Freude gemacht hat ist nicht überliefert. Sicher ist aber, dass durch solche Besuche prominenter Art Hippler’s Arbeit immer wieder Rückenwind und Zuspruch erfahren hat. Die wichtigste Stärkung bleibt aber für ihn sein Glaube, auch wenn er ihn teilweise auf unkonventionelle Weise lebt. Dass deshalb sein Heilig Abend bei sommerlichen Temperaturen ganz anders aussieht, wundert wenig.

Weihnachten in Südafrika heißt Swimmingpool, heißt Grillen, heißt schönes Wetter, im Endeffekt ist es ganz anderes als weiße Weihnacht im Schnee zum Beispiel. Man gewöhnt sich daran und ich muss sagen ich genieße es am Heiligen Abend nach der Christmette am Pool zu sitzen und mit Freunden zu grillen und sich einfach zu freuen, dass Jesus Mensch geworden ist.

Und das ist die Hauptsache.

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SWR1 Begegnungen

... Hausoberer des Schönfelder Hofes bei Trier für psychisch kranke Menschen

„Heute geht der Hof zu den Menschen!“

Ich treffe mich mit dem Theologen und Hausoberen Werner Schmitz aus Trier. Unter einem Hausoberen stellt man sich einen Ordensmann mit schwarzer Kutte und wohlmöglich strengen Blick vor. Werner Schmitz dagegen ist ein sportlicher Endfünfziger, glücklich verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne und eine Tochter und gehört keiner Ordensgemeinschaft an. Allerdings arbeitet er für eine, nämlich für die Gemeinschaft der Barmherzigen Brüder von Trier. Seit der Orden nicht alle Führungspositionen mehr mit Ordensleuten besetzen konnte entschied man sich auch qualifizierte Laien mit solchen Aufgaben zu betrauen. Was blieb ist der Titel: „Hausoberer“.

Der Hausobere ist im Prinzip der Mensch, der die Kontinuität in der Einrichtung wahren soll im Sinne des Ordens damit diese Einrichtung in der Tradition des Ordens weiterhin das macht wofür der Orden sie sieht: nämlich Menschen eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen, die eine psychische Erkrankung haben, die oftmals an den Rand geschoben sind durch ihre Erkrankung und wo man sich bemüht durch vielfältige Maßnahmen diesen Menschen wieder mehr Platz in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Zusammen u.a. mit einem kaufmännischen Direktor ist Werner Schmitz zuständig für den Schönfelder Hof in der Nähe von Trier. Ursprünglich ein landwirtschaftlicher Betrieb kümmert man sich dort schon seit hundert Jahren um Menschen die am Rande der Gesellschaft stehen. Die jetzige Gestalt erhielt die Einrichtung seit 1987, als man sich entschloss sich auf ein Angebot für psychisch kranke Menschen zu konzentrieren. Heute hat der Hof 100 stationäre Plätze, aber insgesamt werden 500 Menschen an weiteren 10 Standorten betreut.

Man könnte salopp sagen früher sind die Menschen auf den Schönfelder Hof gekommen und heute geht der Hof zu den Menschen. Wir versuchen Angebote in den Mittelzentren zu etablieren damit Menschen einerseits in ihren gewohnten Umfeld wohnen können, andererseits aber sehr punktgenau die Hilfen bekommen können um wieder mehr Alltag meistern zu können, um in ihrer Wohnsituation entsprechend ihrer Bedürfnisse das zu finden, was sie an Unterstützung brauchen oder auch im Bezug auf den Aspekt Arbeit.

Und der ist einer der wichtigsten im Konzept des Hofes.

So haben wir ganz unterschiedliche Arbeitsbereiche, etwa Montage, Verpackung wo Menschen serielle Tätigkeiten übernehmen. Wir haben eine Schlosserei, wir haben eine Schreinerei aber auch, eher ungewöhnlich, eine Metzgerei und eine Bäckerei in der unsere Klienten mitarbeiten können. Oder in der Küche oder in der Gärtnerei, also ein Sammelsurium unterschiedlichster Tätigkeiten. Das heißt wir können mit unseren Klienten auch viel probieren, damit die Leute den Platz finden, der Ihnen gut tut. Und es sind Entwicklungen möglich so dass Menschen sich nach gewisser Zeit stabilisieren und wir versuchen können Ihnen auch nochmal den Weg auf den 1. Arbeitsmarkt zu bahnen.

„Tröstlich, dass Gott als Kind in einer Krippe geboren wird!“

Werner Schmitz und ich, wir kennen uns seit gemeinsamen Zeiten in einer Pfarrgemeinde in Bad Kreuznach denn von Haus ist Werner Schmitz Gemeindereferent. Zusätzlich hat er Touristik studiert. Kompetenzen die ihm bei seiner späteren Aufgabe als Referent für die Hilfsorganisation „Missio“ sehr geholfen haben, denn viele Dienstreisen zumeist nach Afrika standen damals auf dem Programm. Sein jetziger Job bindet ihn eher an einen Ort. Aber es gibt Assoziationen.

Ich habe am Anfang das Gefühl gehabt der Schönfelder Hof, das ist so exotisch wie Afrika. Das ist soweit weg von der Normalität. Da leben ganz viele außergewöhnliche Menschen vor denen man eher Respekt oder auch Angst hat, weil man sagt: die sind psychisch krank. Und die Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, haben immer noch das Kainszeichen der Unberechenbarkeit, des Gefährlichseins, des Launischseins. Und ich war auch davon geprägt.

Aber nicht lange. Werner Schmitz ist Meister der Kommunikation. Er schafft es leicht eine Atmosphäre zu verbreiten, die von Vertrauen und Interesse am anderen geprägt ist. Die anfängliche Angst vor den Kranken ist vorbei. Auch durch deren Hilfe.

Das sind spannende, tolle Menschen, mit denen es Spass macht Leben zu teilen. Menschen, die sich weniger verstellen, die echter sind, die dicht an dem sind wie sie sind und von daher damit auch besser umgehen können. Ich finde das eine tolle Arbeit.

Mitunter ist diese tolle Arbeit aber auch sehr schwer wenn man erleben muss wie sich ein Mensch in kürzester Zeit in seinem Wesen verändern kann, so dass quasi ein anderer Mensch vor einem steht. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit kennt Werner Schmitz auch. Seine Kraft zieht er aus einem tiefen Glauben, von dem er gerne erzählt und der manche Begegnung prägt.

Ich hatte eine Knie-OP, kam dann nach einigen Wochen mit zwei Krücken, dann mit einer und dann irgendwann humpelnd und dann war es eine Klientin, die mich ansprach und sagte: „Herr Schmitz, ich hab’ Sie jetzt solange gesehen zuerst mit den beiden Krücken - und auch jetzt gehts ja noch nicht gut- aber seitdem Sie wieder zurück sind hab’ ich jeden Tag für Sie gebetet.

Werner Schmitz ist kein Einzelkämpfer. Er legt großen Wert darauf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermuntern selber Gesprächspartner und -partnerinnen für die Klienten zu sein.So wie sie können. „Die suchen sich selbst ihren Seelsorger,“ sagt er mir. So ist auch der adventliche Weg nach Weihnachten hin eine gemeinsame Geschichte an der alle beteiligt sind. Jede Adventswoche beginnt mit einem Impuls, mal vorbereitet von den Leuten in der Bäckerei mal von den Gärtnern. In ganz bunter Weise. Man sieht Werner Schmitz an wie gern er da ist wo er ist und wie er es schafft seinen Alltag nicht nur zu bestehen, sondern auch im Licht des Glaubens zu erleben.

Ich hab’ von einem alten Bruder, dem Bruder Maternus, etwas gehört, der sagte mir:„Herr Schmitz, wir haben hier die Lieblinge Gottes“. Die Schwachen, die Armen, die Menschen die am Rande leben müssen. Weihnachten passiert das Gleiche weil Gott damit ernst macht und genau in dieser Situation, weit weg, bei den Armen zu landen. Ich glaube für viele Menschen auf dem Hof ist das besonders tröstlich, dass das Kind abgelegen in der Krippe geboren wird. Ich glaube, dass Gott da das Untere nach Oben befördert und den Armen eine Würde gibt indem er selber arm wird. Das ist faszinierend.

Und dass ist Weihnachten im besten Sinne.

 

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SWR2 Wort zum Tag

(ARD Themenwoche)

„Mache Geld zu deinem Gott und es wird dich plagen wie der Teufel.“

Dieser Satz (von dem englischen Schriftsteller Henry Fielding) scheint nur bedingt zu stimmen. Denn die, deren Profite steigen, wirken meist nicht sonderlich unglücklich. Eher die, auf deren Kosten es geschieht. Wie viele Arbeitsplätze gehen verloren, weil der Aktienkurs das Maß aller Dinge ist oder die Kapitalrendite.

Mehr, mehr, mehr und wenn das auf Kosten von Menschen geht…

Wir haben in der Kirche dafür einen sehr alten Begriff: Sünde. Wenn wir in der Kirche von Sünde reden, denkt immer alle Welt: die Spaßverderber!

Aber lange vor dem 6.Gebot, das sich mit Ehe und Sexualität beschäftigt, steht das erste der 10 Gebote:„Du sollst keine Götter neben mir haben.“ Das hat Gott dem Mose damals als erstes auf Steintafeln und damit hinter die Ohren geschrieben. Das ist gültig bis heute. Wo Geld zur obersten Maxime wird, da fallen die Schranken zum ungebremsten und asozialen Kapitalismus. Die Kluft wird immer größer. Arme werden ärmer und Reiche werden reicher. Sicher es gibt genug Arbeitgeber, die alles tun, um Arbeitsplätze zu erhalten oder um neue zu schaffen. Und die vor schwierigen Entscheidungen schlaflose Nächte haben. Aber das andere ist leider auch wahr. Nach wie vor haben Millionen Menschen keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Die ARD Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ beschäftigt sich ausgiebig mit diesem Thema. Ein gutes Beispiel nicht nur zu klagen sondern etwas zu tun, finde ich in meinem Heimatbistum. „Besser in Arbeit investieren als Arbeitslosigkeit zu finanzieren“ ist der Leitsatz der „Aktion Arbeit“ im Bistum Trier. 1983 gegründet hat sie Tausenden mit neuer Arbeit, Qualifikation und Ausbildung geholfen, besonders älteren Langzeitarbeitslosen, allein erziehenden Frauen und jugendlichen Arbeitslosen. Für alle, die sich hier engagieren ist es eine Herausforderung sich einzusetzen, ohne Scheu vor aufgeplusterten falschen Göttern, ohne vor irgendjemand einzuknicken. Mit deutlicher Stimme benennen sie, was Unrecht ist und warnen vor menschenverachtenden Strukturen. Aber sie reden nicht nur, sondern packen auch mit an: Als Paten helfen sie bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder beim Kampf mit dem Formulardschungel. Pfarreien übernehmen zusammen die Finanzierung eines Arbeitsplatzes und vieles andere mehr. Es könnte bundesweit mehr solcher Aktionen geben. Vielleicht ist die ARD Woche ja Anlass ähnliches zu initiieren. Ich würde es uns allen wünschen.

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SWR4 Abendgedanken

Es ist der beste Trauspruch, den ich je gehört habe. Ein poetisch begabter Freund von mir hat ihn für sich und seine Frau zur Hochzeit geschrieben: “Liebe heißt: der Abstand, den ich brauche um Dir nahe zu sein. Und die Nähe zu mir selbst um den Abstand halten zu können.“ Noch mal: “Liebe heißt: der Abstand, den ich brauche um Dir nahe zu sein. Und die Nähe zu mir selbst um den Abstand halten zu können.“ Beide haben sich gegenseitig diesen Spruch während der Hochzeit zugesagt. Ich finde ihn großartig, weil er deutlich macht, dass bei allem verliebten „Wir“ jeder in der Ehe eine einzelne unverwechselbare Persönlichkeit bleibt. Gott erschafft nur Originale. In der Hochzeitszeremonie spielen die Ringe als Symbol eine große Rolle. Sie sehen ähnlich aus, sind aber jeder für sich ein eigenes Kunstwerk, unterschieden allein schon durch die Größe. Den eigenen Ring dem Anderen an den Finger stecken geht nicht, passt nicht. Das eigene Leben lässt sich dem anderen nicht überstülpen. Indem der Bräutigam der Braut ihren eigenen Ring übergibt sagt er ihr durch dieses Symbol ein dreifaches Ja: ich sage Ja zu Dir wie Du warst, zu Deiner Geschichte und ich sage Ja zu Dir wie Du jetzt bist und komme dazu. Das ist im Moment der Trauung leicht zu sagen. Da christliche ist das dritte Ja: ich sage Ja zu Dir wie Du sein wirst. In der Zukunft, die ich nicht überschaue. Umgekehrt geschieht das Gleiche. In diesem dreifachen Ja binden sich die Beiden aneinander: vor Gott und der Kirche, vor allen Anwesenden und vor sich selbst. Der Priester traut im eigentlichen Sinne nicht. Er bestätigt nur. Mann und Frau trauen sich selbst in der Hoffnung, sich auch in schwierigen Zeiten an dieses dreifache Ja zu erinnern, dass bei allem Wir nicht vergessen lässt, dass jeder in der Ehe einzigartig bleibt. So wie Gott es wollte.

Und wenn sich doch die Wege trennen: Respekt vor dem was mal wahrhaftig war.

 

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SWR2 Wort zum Tag

„Ein Mensch betrachtete einst näher

das Gleichnis von dem Pharisäer,

der Gott gedankt voll Heuchelei

dafür, dass er kein Sünder sei.

Gottlob, sprach er in eitlem Sinn,

dass ich kein Pharisäer bin!"

Mit spitzer Feder weist der humorbegabte Dichter Eugen Roth auf die Falle hin, in die man sehr leicht tappen kann, wenn man die biblische Geschichte vom Pharisäer und dem Zöllner liest. Der Pharisäer, ein frommer Jude dankt Gott im Stillen, dass er nicht so ist wie die Sünder, wie zum Beispiel der Zöllner der neben ihm steht. Der jedoch weiß um seine Fehler und bittet Gott stammelnd um Nachsicht. Sofort wird einem klar: der reuige Zöllner löst Sympathie aus, der überhebliche Pharisäer dagegen negative Gefühle. Prompt ist es nicht schwer den gleichen Fehler zu machen wie der Pharisäer: zu vergleichen und abzuwerten. Denn so schwarz-weiß gezeichnet wird man keiner der beiden Gestalten gerecht. Der Pharisäer ist arrogant, aber sicher in seinem Eifer und seiner Leidenschaft ein Leben mit und vor Gott zu führen eine respektable Person. Der Zöllner ist demütig, aber ein Hallodri und ein raffinierter Gauner mit der Fähigkeit, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen (nicht mit unseren heutigen Zöllnern zu vergleichen, keine Frage! ). Beides Gestalten mit Licht und Schatten, mit Ecken und Kanten. Aber mit einem wichtigem Unterschied: der Zöllner weiß um seine schwachen Seiten und versteckt sie nicht vor Gott. Der Pharisäer weiß um seine guten Seiten aber brüstet sich damit, indem er verächtlich auf den Zerknirschten herabschaut. Auf andere herabschauen geschieht schnell – auch mir. Jesus verschreibt als Rezept gegen diese alltägliche Versuchung: Demut oder vielleicht noch besser den Mut zur Demut. Der Begriff hat es in sich und hat nichts mit negativer Erniedrigung zu tun. „Demut“ kommt aus dem Althochdeutschen und heißt soviel wie „dienstwillig“. Wem gegenüber? Natürlich Gott, aber auch meinem Mitmenschen gegenüber. Dienen beginnt schon damit, dass ich mich zurücknehmen kann, ohne mich dabei aufzugeben, dass ich mich vorurteilsfrei für den anderen interessiere, ohne Schablonen, ohne Schubladen, ohne Beeinflussung durch manch leichtfertig-populistisches Geschwätz . So meint dienen denen gerecht zu werden, denen ich begegne. Und damit auch ihrer eigenen Wahrheit. Ich kann es zumindest versuchen. Immer wieder. Auch denen gegenüber, die mir zugemutet werden, wie ich auch ihnen.

 

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SWR4 Abendgedanken

Ein Sakrament ist ein Zeichen von Gottes Gegenwart unter uns Menschen. Das erste und wichtigste Sakrament ist die Taufe. Sie ist ein Eintrittsritual. Egal ob Säugling oder Erwachsener, in der Taufe wird der Mensch aufgenommen in die Gemeinschaft der Christen. Er selbst bekennt sich zu Gott, oder seine Eltern und Paten machen dies stellvertretend für ihn. Das ist ähnlich wie bei einem Beitritt in eine Partei oder einen Verein. Man sagt da auch Ja zu den Statuten und Satzungen. In der Taufe ist aber das viel wichtigere, dass Gott selbst sich für immer zum Getauften bekennt. Im katholischen Ritus wird das für mich an einer Stelle besonders deutlich. Wenn der Täufling vom Zelebranten, von seinen Eltern und Paten das Kreuzzeichen auf die Stirn gezeichnet bekommt ist das ein Zeichen, dass sich alle verpflichten sein Leben als werdender Christ zu begleiten. Vor allem aber Gott selbst. In frühen römischen Zeiten war es üblich die eigenen Sklaven mit einem unterscheidbaren Zeichen auf der Stirn zu versehen. Als Zeichen des Besitzes. Die ersten Christen haben dieses entwürdigende Zeichen aufgenommen und ihm mit dem kleinen Kreuz auf der Stirn die genau entgegen gesetzte Bedeutung gegeben: Du gehörst niemanden! Weder deinen Eltern, deiner Familie, weder dem Staat noch sonst jemand. Sondern du gehörst allein zu Gott, der dich mit dem schönsten und gefährlichsten Geschenk ausstattet, was er zu geben hat: deine Freiheit. Für mich ist dieser Ritus noch berührender als das Übergießen mit Wasser als Zeichen der Reinigung oder die Salbung und Entzünden der Taufkerze. Gott sagt Ja zum Menschen und das Wort gilt. Auf seinen Wegen und auch auf seinen Umwegen, die er gehen wird um sich zu finden. Gott bleibt dabei. Er ist treu.

 

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SWR4 Abendgedanken

Heute ist Allerseelen. In der katholischen Kirche der Gedenktag für die Verstorbenen. Der November ist überhaupt der Monat der großen Gedenktage. Reichspogromnacht, Volkstrauertag, Daten, an die wir in jedem Jahr erinnert werden. Erinnern heißt aber, nicht nur zurückschauen, heißt nicht nur Gedenkreden formulieren, - so wichtig sie sind - Sondern das heißt auch, mit dem, was uns heute klar ist, hellwach bleiben: Für den schmalen Grat, auf dem wir als Menschen balancieren.

Nichts ist nur schwarz, nichts ist nur weiß in jedem einzelnen Menschen.

Das Helle wohnt neben dem Dunklen, das Heilige neben dem Bösen. In unseren Grautönen sind wir Mensch: immer aufs Neue versucht, nie mit sich fertig, und sehr oft von sich selbst überrascht. Das zuzugeben ist schwer, das Eigene schönreden einfacher, der Angriff nach vorne liegt nahe: Man legt Schubladen schneller an, als man denkt, und wen man einmal darin untergebracht hat, der hat es schwer, da wieder rauszukommen. „Arbeitslose sind Faulenzer, Pfarrer weltfremd und irgendwie abgedreht, wenn man einem Politiker die Hand gibt,

sollte man danach die Finger nachzählen, und wenn wir nicht aufpassen,

ruft der Muezzin bald vom Kölner Dom.“ Sprüche ähnlicher Sorte gibt es genug. Sie sind weder wahr noch falsch, sondern schlicht völlig daneben.

Nicht ist nur schwarz, nichts ist nur weiß. Auch in der diskriminiertesten Randgruppe gibt es Idioten. Auch übelste Zeitgenossen bewahren menschliche Züge. Nie werde ich den versierten Einbrecherprofi vergessen, den ich in seinem Hafturlaub nach dem Tod seines Kindes besuchte, nie das Gespräch, das wir führten.  Es ist schön und schrecklich zugleich Mensch zu sein: das Dämonische wohnt neben dem Guten. Wir haben viel Freiheit, uns zu entscheiden. Wenn wir leben, was wir sind, es zumindest immer wieder versuchen, dann wird das Dunkle nicht endgültig triumphieren. Denn was wir sind, davon spricht die schönste Aussage, die für mich je über den Menschen gesagt worden ist

und die auch gleichzeitig seine größte Herausforderung ist: Der Mensch: das Ebenbild Gottes. Gott hat jeden einzelnen unserer Namen in seine Hand geschrieben. Wir sind ihm heilig. Und damit uns untereinander auch.

Mit allem Licht und allem Schatten. Das Ebenbild Gottes. Damit ist alles gesagt und alles gefordert. Für unsere Zukunft und für den morgigen Tag.

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