Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR4

  

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Sonntagsgedanken

Ich habe großen Respekt vor dem, was Kinder und Jugendliche bei uns fertig gebracht haben. Zu Jahresbeginn sind sie von Haus zu Haus gezogen, haben bei den Menschen gesungen und ihnen einen guten Wunsch, einen Segen ins neue Jahr gebracht .Die Sternsingeraktion hat auch dieses Jahr wieder ein großes Echo gefunden. Kinder und Jugendliche tragen die weihnachtliche Botschaft weiter, andere öffnen ihre Häuser und unterstützen die Solidaritätsaktion der jungen Menschen kräftig. Dieses Jahr haben sie für notleidende Kinder in Bolivien  gesammelt  und sind angetreten unter dem Leitwort: Respekt. Respekt bedeutet: Alle Menschen werde, egal wo sie herkommen oder wie sie aussehen, geschätzt. Jeder Mensch hat die gleiche Würde, Eigentlich ist das nichts anderes als die Botschaft von Weihnachten. Gott liebt den Menschen und schließt keinen aus seiner Zuneigung aus. Mit dieser Botschaft ziehen die Sternsinger los. Mit dem Stern voraus und mit der Kreide, mit der sie dann den Segen an die Türen schreiben: Christus segne dieses Haus!

Ich habe Respekt vor dieser tollen Leistung. Respekt vor diesem Einsatz ,auch vor der Fröhlichkeit mit der sie losgezogen sind. Respekt vor der Courage, mit der sie auch manche Enttäuschung hingenommen haben. Denn auch das mussten sie erleben: Türen wurden wieder vor ihrer Nase zugeschlagen andere haben sich hinter dem Vorhang versteckt und den Eindruck erweckt, es sei niemand zu Hause Die jungen Sternsinger haben sich davon nicht beirren lassen, genauso wenig von dem schlechten Wetter, dem sie die ersten Tage ausgesetzt waren.

Wenn es die Sternsingeraktion nicht gäbe, man müsste sie dringend erfinden. Kinder und Jugendliche entdecken  bei dieser Aktion schon frühzeitig wie sinnvoll es ist, sich für andere einzusetzen. Sie erfahren, dass es richtig Spaß machen kann, sich für andere Kinder einzusetzen. Und sie lernen dabei, nicht bloß für die eigene Tasche zu sammeln .Sie denken an andere Gleichaltrige, die dringend Hilfe und Unterstützung brauchen. Nach ihrer eigenen Motivation befragt, brauchen die Mitwirkenden nicht lang zu überlegen. Die neunjährige Annika hat schon zum fünften Mal mitgemacht weil es ihr, Riesenspaß macht und sie anderen Kindern helfen will. Ihre Begeisterung steckt an. Und nächstes Jahr sagt sie, ist sie wieder dabei.

Für mich geben diese jungen Menschen außerdem ein sympathisches Bild von Kirche ab. Eine Kirche die unverkrampft und engagiert zu den Menschen geht, die keine Bedingungen stellt, die jedem die Möglichkeit lässt, die Tür zu öffnen oder geschlossen zu halten. Der Stern leuchtet für alle. Die Sternsinger haben wesentlich dazu beigetragen, dass zu Beginn dieses Jahres nicht nur Bedenken und Ängste zu Wort kommen, sondern die Hoffnung, dass gerade solche Aktionen unsere Zeit  ein wenig friedlicher machen.

„Respekt für dich, für mich, für andere“-das Motto der diesjährigen Sternsingeraktion ist heute mein Thema in den Sonntagsgedanken. Ich habe erst kürzlich mit einem älteren Ehepaar gesprochen. Es ging um ihre bevorstehende Goldene Hochzeit .Ich habe sie gefragt, was war denn das wichtigste gewesen wäre, was ihnen in all den Jahren geholfen hatte, beieinander zu bleiben. Da hat der Ehemann geantwortet, ohne lange zu überlegen: Respekt! Das habe sie verbunden und auch in kritischen Phasen zusammengehalten.

Respekt bedeutet: ich achte dich, ich schätze dich, ich nehme Rücksicht und lasse dich gelten. Respekt braucht den nötigen Abstand zum Gegenüber, damit niemand vereinnahmt oder manipuliert wird. Respekt schützt die Würde jedes Menschen, egal wie dieser aussieht oder wo er herkommt. Lange Zeit galt Respekt als brav sein und sich klein machen, fast schon eine Form von Einschüchterung oder Angst. Und die sogenannten Respektspersonen betonten oft genug sehr eindringlich ihren Anspruch und ihre Autorität

Aber Respekt ist mehr und beruht nicht auf Unterwürfigkeit. Wörtlich übersetzt bedeutet Respekt Rücksicht, also noch einmal hinschauen, genau hinschauen und sich nicht vom ersten und oft oberflächlichen Blick leiten lassen. Ich bin überzeugt, unser Miteinander wäre geduldiger, und versöhnlicher, wenn wir so aufeinander Rücksicht nehmen würden

Mir fällt auf, wie sehr sich in letzter Zeit unser Umgangston verändert. Gegensätzliche Meinungen z. B über die gegenwärtige Flüchtlingspolitik werden nicht mehr sachlich und argumentativ ausgetragen Man hört sich gar nicht zu. Komplizierte Sachverhalte werden in gängige Parolen umgemünzt. Häme und Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Gerade in öffentlichen Gesprächsrunden scheint es nicht mehr um Lösungen für die anstehenden Probleme zu gehen, sondern ums Rechthaben und um  einen günstigen Startplatz für die bevorstehende Wahl.

Ich bin diese Schaukämpfe leid. Sie tragen weder zu Versachlichung noch zu einer Klärung der sehr schwierigen Fragen bei. Ich glaube mit ein wenig Anstand und Respekt voreinander kämen wir weiter Wer anderer Meinung ist, wird nicht verdächtigt oder in eine bestimmte Ecke gestellt, Wer an der Reihe ist, darf seine Gedanken vortragen ohne dass er ständig unterbrochen wird und wer am Reden ist, soll sich fragen, ob es auch wahr ist, was er sagt.

Ich danke den Sternsingern, dass sie mir für dieses Jahr eine Art Passwort geliefert haben .mit dem ich zu unterschiedlichsten Menschen  einen Zugang finden kann. Ein Passwort, das gerade fremde und ungewohnte Türen öffnen kann. Respekt ! Das könnte wie ein Schlüssel wirken. Und zwischen uns ein freundliches und wohlwollendes Klima schaffen, in dem dann auch schwierige und spannungsreiche Fragen miteinander gelöst werden können. Mit allem Respekt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21387
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Normalerweise steigt man nicht auf Tische; schon gar nicht in der Schule. Im Film „Club der toten Dichter“ gilt diese Regel nicht. Der Film handelt von einem Lehrer, der seine Schüler auf das Leben vorbereiten will. Und dazu gehört für ihn, ab und zu den Blickwinkel zu verändern. Das eröffnet neue Einsichten und ungewohnte Erkenntnisse. So lässt er seine Schüler auf die Tische steigen, damit sie die Welt aus einer anderen Perspektive sehen lernen. Gewiss, eine ungewöhnliche Methode, die vor allem von seinen Kollegen kritisch beäugt wird. Aber so bringt er die Schüler dazu nicht bloß zu denken, was man für gewöhnlich denkt oder zu sagen, was man halt allgemein sagt. Sie sollen nicht unüberlegt nachplappern was andere ihnen vorsagen, sondern eigenständig sehen und urteilen.

Wenn ich höre, wie mancherorts über die zu uns strömenden Flüchtlinge geredet wird, z. B ,“die kommen doch nur, weil sie sich von uns versorgen lassen wollen „ oder „die passen doch gar nicht in unsere Kultur“ ,“die wollen doch nur unsere Gesellschaft unterwandern“ dann wünschte ich mir, es gäbe so etwas wie im Film, von dem ich gerade erzählt habe. Vielleicht müssten jetzt viele auf den Tisch steigen, vor allem die Politiker, um sich für eine andere Sicht stark zu machen. Es würde schon reichen, sich einmal tatsächlich in die Situation dessen zu versetzen über den man geurteilt und gesprochen hat. Über die Flüchtlinge aus Syrien zu reden ist das eine, mit ihnen zu reden, über alle Sprachbarrieren hinweg, ist etwas anderes. Ich denke an einen 12 jährigen der mit seinen Eltern aus der zerstörten Heimat flieht und nachts durch Alpträume aufgeschreckt wird. Sich in dessen Lage versetzen, die Welt mit dessen Augen zu sehen und sich für seine Not zu öffnen, das würde sicher manches Urteil vorsichtiger und nachdenklicher machen.

Gewiss steht die deutsche Gesellschaft vor ganz großen Herausforderungen und Anstrengungen um die vielen Flüchtlinge einigermaßen würdig aufnehmen zu können und ihnen eine menschenwürdige Perspektive zu eröffnen. Dass in dieser angespannten Situation auch Ängste und Unsicherheiten auf allen Seiten aufkommen wundert mich nicht. Aber was uns überhaupt nicht weiterbringt sind Parolen und Feindbilder, die den Eindruck erwecken, es kämen zu uns Ungeheuer und keine Menschen, es kämen  nur Diebe, die es auf unseren Wohlstand abgesehen haben. Und dann sehe ich im Fernsehen, dass bei Demonstrationen  die deutsche Fahne geschwenkt wird. Für die Demonstranten war sie ein Zeichen gegen die Fremden. Aber das sind auch die Farben meines Landes und für mich bedeuten sie, dass man offen und menschlich mit Fremdem umgeht. Zwischendurch sind auch  Kreuze zu sehen, weil man das christliche Abendland verteidigen will. Ich versuche diese Sorge zu verstehen, merke aber, dass gerade Jesus uns zumutet, anders zu denken und anders zu urteilen. In der Bibel heißt es“ ich war obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“! und „ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben“. Jesus sagt das über sich selbst. Und dann erklärt er, wie er das meint: „was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan“, das ist ein einschneidender Wechsel der Perspektive. Mit diesen Worten wechselt Jesus die Seite. Er stellt sich auf eine andere Warte, um besser zu sehen, was da vor sich geht. und versetzt sich in die Situation eines Heimatlosen oder eines Hungernden, mehr noch, er macht dessen Schicksal zu seinem eigenen. Ob das die wissen, die mit dem Kreuz auf die Straße gehen und am liebsten hohe Zäume gegen die ankommenden Flüchtlinge errichten würden?

 Teil 2

In den heutigen Sonntagsgedanken spreche ich  über die Gefahr, andere Menschen falsch zu sehen und nicht angemessen zu behandeln Jesus von Nazareth hatte  dabei eine zutiefst menschliche Art. , Er hat sein Gegenüber vorsichtig und genau angeschaut. Wo immer möglich hat er darauf verzichtet, andere zu beurteilen. Was für ihn menschliches Zusammenleben schwierig macht sind nicht die kulturellen oder nationalen und religiösen Unterschiede zwischen den Menschen, sondern die Sehstörungen, die im anderen nicht mehr den Bruder oder die Schwester sehen können. Die Evangelien sind voller Geschichten, in denen erzählt wird, wie sehr Menschen mit Blindheit geschlagen sein können. Gemeint ist nicht nur die Blindheit an den Augen, die weit größere Not ist die Blindheit im Herzen.

Eindringlich weist Jesus darauf hin, wie oft wir nicht richtig sehen und dann auch nicht richtig über andere urteilen. “Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken vor deinem eigenen aber siehst du nicht “ Das sind Provozierende Worte, mit denen er uns aufrüttelt und uns die Augen öffnet. Wir können bei Jesus buchstäblich in eine Sehschule gehen und von ihm lernen, einander deutlicher, wahr zunehmen anstatt flüchtig und verzerrt. Am schlimmsten ist es, wenn wir den anderen gar übersehen. In seiner Sehschule lernen wir, die Welt und die Menschen in einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Er weitet unseren Blick, damit wir nicht nur uns selber sehen, er lässt uns nicht nur die Fehler anderer sehen, sondern macht uns aufmerksam auf die Stärken, er sorgt dafür, dass wir die Menschen und die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind. Die Menschen um Jesus reiben sich die Augen. So etwas haben sie noch nie gesehen. Da stellt einer die Welt auf den Kopf. Wer unten ist, kommt nach oben, wer draußen ist, wird aufgenommen, wer am Ende ist, kann wieder von neuem beginnen.

Offenbar gibt es Leute, die sich um das Erbe des christlichen Abendlandes Sorgen machen. , Die müssen sich dann aber dafür einsetzen, dass diese Sichtweise von Jesus auf die Menschen sich durchsetzen kann. Denn bei Jesus sind nicht die unsere Nächsten, die in unserer Nähe sind, sondern die, die unsere Hilfe brauchen. Und diese fremden Nächsten soll ein Christ lieben. Gott sei Dank, sehen das heute viele Menschen, Christen wie Nichtchristen, auch so, und setzen sich mit allen Kräften für die Flüchtlinge ein. Gott sei Dank gibt es bei uns diese Solidarität. Ich glaube, das christliche Abendland wird nicht durch fremdenfeindliche Propaganda geschützt, sondern dadurch, dass wir die bei uns ankommenden Flüchtlinge aufnehmen und menschlich so behandeln, wie auch wir behandelt sein wollen. Wenn der 12 jährige Junge aus Syrien eine neue Perspektive für sein Leben bekommt und keine Angst mehr haben muss, zeigt sich, wie heilsam die Sehschule Jesu ist. Ich bin froh, dass sich viele bei uns von seiner Sichtweise bewegen lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20768
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Am Südportal der Kathedrale von Santiago de Compostela gibt es eine faszinierende Skulptur: die Erschaffung der Frau. Eva wird auf dieser Darstellung nicht aus der Seite des Mannes genommen. Sie steht als eigenständige Gestalt vor ihrem Schöpfer, auf Augenhöhe, selbstbewusst und voller Lebenskraft. Und ihr Schöpfer schaut sie an, lächelt dabei und scheint mit seinem Werk sehr zufrieden zu sein. Ein wunderbarer Augenblick, der den Menschen erhebt und zu einem aufrechten Leben ermutigt und befähigt.

Dieses Schöpfungsbild außen am Portal hat für mich eine tiefe Bedeutung. Es zeigt den Eintretenden an, was drinnen gefeiert wird. Es vermittelt einen kleinen Vorgeschmack und ist wie eine Programmansage. Für das,was auf einen zukommt. Drinnen geht es um die Begegnung von Schöpfer und Geschöpf. Drinnen soll der Mensch nicht runtergemacht und erniedrigt werden, drinnen soll er zu sich selber kommen und sich seiner großen Würde bewusst werden. Drinnen soll er eine Botschaft hören, die tröstet und Hoffnung stiftet und einen lebenswerten Weg weist. Wie eine verlockende Einladung wirbt dieses Schöpfungsbild an der Außenfassade fürs Eintreten .Und stellt dabei keine Bedingungen .Egal woher einer kommt oder was einer auf dem Buckel  oder in seinem Herzen trägt, er wird von seinem Schöpfer liebevoll angeschaut und berührt.

Leider Gottes  haben viele Menschen ein anderes Gottesbild vermittelt bekommen und die Augen Gottes eher als Organe der Kontrolle empfunden, die Angst einflößen. Augen, die alles ausspionieren und denen nicht verborgen bleibt, Augen, die Menschen einschüchtern und kleinhalten und jeden Anflug von Freiheit im Keim ersticken wollen. Von wegen Augenhöhe! Vielen blieb gar nichts anderes übrig als vor diesen göttlichen Augen zu fliehen und einem solchen Aufseher-Gott zu kündigen. Gott und Freiheit, das ging für sie nicht zusammen.

Mir ist deswegen dieses Bild in Santiago so wichtig geworden. Es zeigt ein anderes Gottesbild. Gott und Mensch auf Augenhöhe und so bei einander, dass keinem von beiden etwas genommen wird. Der Mensch wird nicht zur Marionette, er darf frei und eigenständig handeln. Und der Schöpfer schaut ihn liebevoll an und lächelt. Jetzt muss der Mensch sich  nicht mehr fürchten oder sogar verstecken. Ich darf mein Visier herunter lassen. Gott schaut mich an. Und erst jetzt entdecke ich, wer ich wirklich bin

Musik 

Aufrecht und bereit steht der Mensch vor seinem Schöpfer. So zeigt es eine Darstellung am Südportal der Kathedrale von Santiago de Compostela. Davon habe ich im ersten Teil meiner Sonntagsgedanken gesprochen. Wer hier eintritt, weiß ,dass er willkommen ist. Gott liebt, was er geschaffen hat.

Wer durch das Südportal die Kathedrale wieder verlässt, kann sich nochmals die Erschaffung der Eva anschauen und dann ihr Lächeln aufnehmen und bewahren. Gott muss ein Liebhaber seiner Schöpfung sein!  Genial hat der unbekannte Künstler seine Überzeugung  in Stein gehauen und berührt damit tagtäglich unzählige Pilger, die in Santiago ankommen.

Vor wenigen Tagen hat Papst Franziskus ein bedeutendes Schreiben veröffentlicht. Es ist ein Loblied auf alles, was Gott geschaffen hat und ist voller Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens. Der Papst erinnert in seinem Schreiben besonders an die Verantwortung der Menschen. Mit ihren Gaben und Fähigkeiten sollen sie die Schöpfung bewahren und pflegen und dafür Sorge tragen, dass alle Menschen das haben, was sie zum Leben brauchen.

Man spürt es dem Schreiben des Papstes an. Er ist besorgt darüber, wie wir mit den natürlichen Lebensgrundlagen umgehen, wie sich die Welt immer mehr aufteilt in reiche und arme Menschen und wie wir immer wieder das zerstören, was uns anvertraut wurde. Er will mit seinem Schreiben wachrütteln und möglichst viele auf den Weg einer bewussten Umkehr mitnehmen. Er schreibt von der Schönheit der Schöpfung und von der Liebe dessen, dem wir das alles zu verdanken haben, er schreibt aber genauso von der Verantwortung der Menschen, denen Gott ein großes und schönes, und für alle bewohnbares Haus übergeben hat.

Gott muss ein Liebhaber seiner Schöpfung sein. Der unbekannte Künstler von Santiago und der Papst in Rom teilen miteinander diese Überzeugung. Und beide werben um möglichst viele Menschen, die sich heute von dieser Botschaft bewegen lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20097
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Zwei Jahre sind schon vergangen, seit der damals  unbekannte argentinische Kardinal Bergolio als Papst Franziskus vor eine überraschte und staunende Öffentlichkeit trat. Unvergesslich bleibt für mich das schlichte „Guten Abend“, mit dem der neugewählte Papst die Menge begrüßte und dann seine Bitte dass die Menschen ihn segnen. Was für ein Zeichen! Was für eine beeindruckende und herzliche Menschlichkeit.

Ein neuer Papst der nicht in brokatenen Gewändern erscheint und eine angehobene Amtssprache spricht sondern einer, einfach und bescheiden auftritt und so die Herzen der Menschen berührt. 

Es wird sehr bald deutlich, wie er sein neues Amt versteht. Er geht unverkrampft auf die Menschen zu, durchbricht höfische Gepflogenheiten und weigert sich, in den päpstlichen Palast ein zu ziehen.

Einiges ist seit seiner überraschenden Wahl seitdem  in Bewegung gekommen und manch einer in der Nähe des Papstes, nicht nur seine Sicherheitsbegleiter, kommen ins Schwitzen, weil der Papst vom anderen Ende der Welt, so hatte er sich selbst vorgestellt, mit vielen alten Privilegien und Ritualen aufräumt und nicht aufhört, eine glaubwürdigere und barmherzigere Kirche zu fordern ,auch gegen den Widerstand engster Mitarbeiter, denen seine Offenheit scheinbar zu weit geht. 

Wie ein roter Faden zieht sich durch all seine Äußerungen das Wort von der Barmherzigkeit. Für ihn ist es das zentrale Thema des Glaubens und eine der größten Herausforderungen für die Kirche. Ihm sei, sagt er, eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund  ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, krank ist. Ich glaube, so kann nur jemand reden, für den nicht die Gesetze und Normen im Vordergrund stehen, sondern der jeweilige Mensch, gerade wenn dieser vom Leben verbeult und verletzt worden ist. 

Unvergesslich bleibt mir, wie er vor jungen Strafgefangenen niederkniete, ihnen die Füße wusch und sie mit seinem gütigen Lächeln anschaute. Ein Papst der berührt weil er sich selber berühren lässt und der mit seinen Augen und seinen Händen ausdrückt, was für ihn Barmherzigkeit bedeutet. Er gibt den Straffällig gewordenen, was sie brauchen. Er zeigt ihnen ihre Würde, die sie trotz ihrer Schuld immer noch haben. Keiner von ihnen ist nur eine Nummer, oder eben nur ein Fall. Schon gar nicht ein hoffnungsloser. Allerdings, das Geraune im Hintergrund ist nicht zu überhören. Besonders skandalös empfinden manche, dass er sogar einer jungen Muslimin die Füße gewaschen hat. Und der Papst? Er lässt sich offensichtlich von solchen Bremsversuchen nicht beirren. Er macht weiter. Gott sei Dank. 

 Musik 

Ein Mensch, der viele berührt weil er sich selber von den Menschen berühren lässt-ich spreche heute in den Sonntagsgedanken über Papst Franziskus, dem die Barmherzigkeit ein zentrales Anliegen seiner Verkündigung ist. Kirche darf nicht nur als Hüterin von Gesetz und Lehre erfahren werden, sondern soll der Ort sein, wo Gottes Barmherzigkeit erlebbar ist. 

Vielleicht klingt für unsere modernen Ohren das Wort Barmherzigkeit abgegriffen und altmodisch. Interessant ist für mich jedoch das hebräische Wort in der Bibel. Wenn da von Barmherzigkeit die Rede ist, wird vom Mutterschoß gesprochen. Also der Ort, wo neues Leben heranwächst, wo ein Mensch zum Leben kommen und groß werden darf. Barmherzigkeit ist demnach mehr als nur Mitgefühl...

„Du hast mehr Möglichkeiten als du ahnst“-ich denke, mit dieser Einstellung begegnet auch Jesus seinen Mitmenschen, besonders denen, die keine Möglichkeiten mehr sahen und an der kalten Realität ihrer Umgebung zu erfrieren drohten. Ich denke zum Beispiel an die Geschichte jener gekrümmten Frau, die von dunklen und schweren Gedanken geplagt und buchstäblich niedergedrückt wurde. Alle in ihrer Nähe waren überzeugt, die muss irgendwie gesündigt haben, anders lässt sich ihre Krankheit nicht erklären. Und fertig war ihr Urteil. Und genauso fertig waren sie mit dieser Frau. Jeder ging ihr aus dem Weg und wollte nichts mit ihr zu tun haben. Nur einer gibt  ihr eine zweite Chance. Jesus erblickt sofort, was Not tut. Er schaut sie an, spricht mit ihr und sieht nicht nur ihre Krankheit sondern viel tiefer die Sehnsucht nach einem anderen, nach einem heilen Leben. 

Jesus hat in diesem Augenblick nicht das Gesetz im Sinn, nicht die Frage, was ist am Sabbat erlaubt oder nicht, er lässt sich ganz unmittelbar von der Not eines Menschen betreffen  und bezeugt ein Vertrauen, das über den Geltungsbereich der Gesetze hinausführt. Die sind nämlich für die Menschen da und nicht umgekehrt, die Menschen  für die Gesetze. 

Es scheint an der Zeit, dass die Kirche diese Zuordnung wieder begreift und in entsprechendes Handeln umsetzt.  Sie findet in den Geschichten der Bibel genügend Beispiele dafür, wie ein barmherziger Gott sich immer wieder von der Not gescheiterter und gefallener Menschen bewegen lässt, wie er mit unendlicher Langmut seinen Geschöpfen einen Neuanfang möglich macht ,wie er nicht aufhört, sie von neuem in die Freiheit zu entlassen. 

Ich wünsche ihnen einen erholsamen und gesegneten Sonntag und vor allem viele barmherzige Menschen, die ihnen Mut machen, sie bestärken und wenn es nötig ist, eine zweite Chance geben.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19454
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Eine Gruppe junger Strafgefangener trifft sich zu einem Gespräch mit ihrem Seelsorger. Heute geht es um das Thema: mein größter Wunsch an das Leben. Die Jugendlichen haben sich vorbereitet und  bringen zu der Runde große Plakate mit, auf denen sie ihre Wunschbilder aufgeklebt haben: Autos, schicke Frauen, Palmenstrand und Sonne, Essen und Trinken, coole Klamotten und vieles mehr. Auf einem Plakat ist nur das Bild einer Brille geklebt -sonst nichts. Auf die Frage was das zu bedeuten hat, sagt einer der Jugendlichen ganz spontan: „ich möchte endlich richtig gesehen werden“

Vielleicht musste er oft schon erleben, wie andere ihn verächtlich und vorwurfsvoll angeschaut oder sogar einfach nur weggeschaut haben. Es kann auch sein, dass andere nur noch seine Tat und seine Schuld gesehen haben, aber nicht mehr den Menschen. Möglich, dass man zu sehr auf sein Vergehen fixiert war und ihm keine Veränderung und Besserung zugetraut hat. Und wer weiß, wie oft er schon wegen seines Aussehens von vorneherein in eine bestimmte Ecke gestellt wurde. 

Das Bild der Brille steht für seinen größten Wunsch, von anderen Menschen richtig wahrgenommen zu werden. In dem jungen Mann lebt wie in jedem anderen Menschen eine tiefe Sehnsucht akzeptiert und verstanden zu werden, Willkommen zu sein und als gleichberechtigt anerkannt zu werden. Ich weiß es aus eigener Lebenserfahrung : wir leben nicht nur von materiellen Dingen, viel mehr brauchen wir von Anfang  an den gütigen Blick, der uns anschaut und uns Vertrauen und Ermutigung einflößt und der uns erfahren lässt, wie sehr wir respektiert sind.

Die Brille erinnert aber auch an Sehstörungen und Sichtbehinderungen, an die vielen Augenblicke, in denen wir andere Menschen verletzt und allein gelassen haben, in denen wir nicht richtig hingeschaut und infolge dessen auch falsch geurteilt haben. Sehfehler, die uns tagtäglich unterlaufen und zu vielen Missverständnissen und Verzerrungen führen .Die größte Fehlerquell dabei ist unsere Oberflächlichkeit. Ein einziger Blick, ein erster Eindruck und dann ein schnelles Urteil, besser gesagt, ein Vorurteil. Man spart  sich die Mühe, richtig wahr zu nehmen, gegebenenfalls auch nach zu fragen und ist nur schwer zu bewegen, fixe Bilder und Urteile zu verändern. Wir geben es ungern zu, aber wir sind leider oft blind und sehbehindert und das liegt weniger an unseren Augen als an einer inneren Haltung.

Kein Wunder ,dass in der Bibel viel von blinden Menschen die Rede ist. Gemeint ist damit nicht ein medizinischer Befund sondern  es wird damit beschrieben, wie tief verkrümmt ein Mensch sein kann, wie hartherzig. Aber dann geschieht das Wunderbare: unter den weitsichtigen Augen Jesu gehen Blinden die Augen auf, finden Menschen  den rechten Blick füreinander.

 Musik 

 Menschen wollen gesehen werden, darüber spreche ich heute in den Sonntagsgedanken.

Ein jüdischer Schriftsteller betont, dass es erst dann eine wirkliche Veränderung  unserer Zustände geben wird, wenn der Mensch so wie er lebt, wieder in Blick kommt. Er beobachtet eine Gruppe von Touristen mit ihrem Fremdenführer, der ortskundig und kompetent, die Steine eines alten romanischen Bogens erläutert, Und alle Blicke richten sich auf ein altes Gemäuer. Den Mann aber, der davor sitzt und sich ausruht,beachten sie nicht. 

Es wird erst dann eine wirkliche Veränderung geben wenn der Mensch wieder gesehen und in die Mitte kommt. So wichtig die antiken Steine auch sein mögen, ein Mensch, der für andere sorgt und sich abmüht, ist wichtiger. So alltäglich es auch scheinen mag, der Mann mit seinen Körben ist wirklich eine Sehenswürdigkeit. So stellt diese kleine Geschichte unsere Sichtweise auf den Kopf und öffnet uns die Augen für den konkreten Menschen, der uns gegenüber ist. Nicht nur der im Scheinwerferlicht will gesehen werden, sondern auch der auf der Schattenseite ,nicht nur mein Bekannter sondern auch der Fremde, nicht nur der, der meinen Vorstellungen entspricht, sondern auch der , der aus dem Rahmen fällt. Gesehen werden will jeder. 

Ich meine, den anderen richtig sehen lernen hat ganz viel mit Toleranz zu tun. Das ist mehr, als einen anderen aushalten oder ertragen was sich nicht ändern lässt. Für mich ist Toleranz die wohlwollende Sicht auf jeden Menschen, egal wie er aussieht, wo er herkommt, wie er sexuell orientiert ist oder was er glaubt. Toleranz ist die grundsätzliche Zustimmung, dass der andere genauso angesehen sein will wie ich selbst. Toleranz hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. “Soll doch jeder nach seiner Facon selig werden!“ –auch so kann man sein Desinteresse am anderen ausdrücken und deutlich machen, dass dieser im Grunde einem egal ist. Ich meine, eine solche Haltung, die so scheinbar großzügig daher kommt, ist auch eine Form der Blindheit.

Es bleibt ein spannender Weg. Weder jemand links liegen zu lassen, noch den anderen von vorneherein in einen festen Rahmen zu pressen. Tolerante Menschen werden versuchen, den anderen gerade in seinem Anderssein zu verstehen und zu respektieren. Aber das geht nur, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet, und man den anderen so sieht, wie man selbst gesehen sein will. 

Eine Woche lang wird jetzt in der ARD das Thema Toleranz in den Blick gerückt und beleuchtet. Eine Woche lang könnten wir daraus eine konkrete Sehübung machen. Ich schaue hin, ohne zu urteilen; ich sehe einen Menschen so lange an, bis ich tatsächlich begreife, was er mir mitteilen will: Dass er nämlich endlich richtig gesehen werden will. So wie der junge Mann im Gefängnis.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18612
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Es ist auffallend. Fast bei jeder Fernsehübertragung von der  Fußball Weltmeisterschaft in Brasilien wird das Wahrzeichen von Rio de Janeiro eingeblendet. Über der Millionenstadt erhebt sich eine über 30 Meter Hohe Statue mit weit ausgestreckten Armen, errichtet anlässlich des hundert jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit Brasiliens. „Die Brasilianer nennen diese grandiose Figur:“Cristo Redentor“ das heißt auf Deutsch: “Christus der Erlöser.

Die große einladende Geste der Christusfigur hat eine tiefe symbolische Bedeutung, die viele Menschen berührt und anspricht. Da öffnet jemand mit ausgestreckten Armen enge Grenzen und Horizonte. und macht deutlich, dass er für alle da ist, weithin sichtbar und zugänglich. Es ist eine menschliche Geste, die niemand ausschließt und keinem den Zutritt verwehrt. Hier ist Platz für alle. In dieser Offenheit finden sich die Schönen von Rio genauso wie die Armen von den Müllkippen, die Sieger aus den Stadien, wie die Verlierer, die Einheimischen und die Fremden. Egal von welcher Seite jemand zu den offenen Händen hinaufblickt, er wird feststellen, die Hände bleiben offen als würden sie die ganze Welt empfangen.

Diese gewaltige Figur ist nicht nur eine touristische Attraktion, zu der täglich die Massen hinaufsteigen, sie ist im besten Sinn ein Denkmal, das zum Nachdenken anregt und auf sprechende Weise die Botschaft des Evangeliums verkündet. Ich denke zum Beispiel an die Verse aus dem Matthäusevangeliums „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Oder nach einer anderen Übersetzung:“ich werde euch aufatmen lassen“(Mt 11,28).Jesus richtet sich hier nicht an eine bestimmte Glaubensgemeinschaft oder Volksgruppe, an keine der vielen Parteiungen seiner Zeit. Er spricht zu allen. Erst recht zu denen , die eine schwere Last tragen und gerne das drückende Gepäck ihres Lebens endlich ablegen möchten. Und sicher spricht er auch  zu denen, die ihren Glauben und ihre Religion als drückendes Joch empfinden. Sein Ziel ist nicht der verkrümmte und niedergedrückte sondern der aufgerichtet und befreite Mensch. Er erzählt von einem Gott, der niemand ausgrenzt oder abschreibt. und verkörpert mit dem, was er sagt und tut diese grenzenlose Offenheit Gottes und dessen unerschöpfliche Liebe zum Menschen.

 Ich meine, es ist kein schlechter Nebeneffekt, dass zur Zeit mit den Bildern aus Rio ganz nebenbei und sicher nicht mit Absicht diese Sicht auf die ausgebreiteten Hände Jesu mitgeliefert wird.                            

(Musikalisches Intermezzo)

Die offenen Hände haben Platz für alle. Ich spreche heute von der Christusfigur in Rio de Janeiro, die weithin sichtbar die Botschaft Jesu bezeugt. Sie erinnert mich an ein kleines prägnantes Gedicht, das der Lyriker Reiner Kunze vor vielen Jahren geschrieben hat. Und darin heißt es: “wer da bedrängt ist  findet ein Dach und Mauern. Und muss nicht beten“. Reiner Kunze  hat dieses Gedicht einem Pfarrer gewidmet. Es trägt den Titel Pfarrhaus und beschreibt, was Gastfreundschaft meint: einen Ort der Geborgenheit und der Sicherheit, wo jemand einfach willkommen ist. Und wo keine Bedingungen gestellt werden. Stellen sie sich das vor, ein Pfarrhaus, wo man nicht beten muss! Kunze beschreibt eine Offenheit, die dem anderen  Raum lässt, sich selber zu sein und ihm nichts abverlangt, zu dem er nicht oder noch nicht in der Lage ist. Eine Offenheit, in der der andere sich zeigen darf, wie er ist und wo er etwas spürt von der Achtung und dem Respekt, mit dem Jesus jedem Menschen begegnet.

Es gehört eine große Gelassenheit und Freiheit dazu, den anderen wirklich anders zu lassen. Aber erst so kommt es zu echten Begegnungen und erst so können wir uns verändern. Ich denke an die Begegnung Jesu mit Zachäus, .Mit dem wollte niemand sich an einen Tisch setzen. Er war außen vor und als Zollbeamte richtig verhasst. Mit so einem setzt sich Jesus an den Tisch, ohne zuvor von Zachäus dies oder das zu verlangen. Wir wissen, diese Begegnung hat das Leben des Zachäus total verändert. In der einladenden Gastfreundschaft Jesu hat er für sich selbst einen neuen Weg gefunden.

„Wer bedrängt ist findet Mauern und ein Dach und muss nicht beten“. Die Betonung liegt auf muss. Er muss nicht beten, aber findet hoffentlich Menschen, die für ihn beten und interessiert Anteilnehmen, an dem was er lebt und glaubt und hofft. Und er findet hoffentlich eine große Achtung vor dem ,was er als Fremder mitbringt  Kunzes Gedicht sollte nicht nur über allen Pfarrhäusern stehen, sondern über unseren Kirchen und kirchlichen Einrichtungen und über allen Häusern, wo Christen wohnen. Nicht als folgenlose Poesie, sondern als ständige Erinnerung daran, nicht neue Barrieren und Hürden zu errichten, sondern allen zu zeigen, dass sie wirklich willkommen sind.

Einmal nach der kürzesten Definition für Kirche gefragt, antwortete der frühere Münchner Kardinal Julius Döpfner:“das kürzeste Wort für Kirche heißt für mich: Einladung!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17886
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Vor dem gemeinsamen Essen nimmt der Vater das Brot, spricht ein Dankgebet und teilt das Brot an alle Anwesenden aus. Das ist eine einfache aber eindringliche Geste. Ich konnte sie erst vor kurzem bei einem Besuch in Israel wieder erleben. Das gesegnete und geteilte Brot verbindet die am Tisch Versammelten untereinander und sie ahnen, dass sie die Beschenkten sind. Eine einfache Geste mit einer tiefen Bedeutung. Das geteilte Brot nährt nicht nur den Körper, sondern auch den Hunger der Seele.

Eine der schönsten Ostergeschichten in der Bibel ist für mich die Emmausgeschichte. Auch in ihr geht es (am Ende) ums geteilte Brot. Zwei Jünger Jesu sind unterwegs in ihr Heimatdorf, das eben Emmaus heißt. Als sie ihren Freund Jesus am Kreuz gesehen haben, ist für sie eine ganze Welt zusammen gebrochen. Davor laufen sie weg.

Unterwegs treffen sie einen Fremden, mit dem sie sich gut unterhalten - auch über Jesus und das Kreuz. Am Ende des gemeinsam erlebten Tages nimmt er das Brot, spricht das Dankgebet und teilt mit ihnen. Daran erkennen sie, dass der Fremde Jesus ist, dass er lebt.   Das gibt ihnen neue Hoffnung

Wahrscheinlich war es nicht nur das kleine Stückchen Brot, das ihnen die Augen geöffnet hat. Auch das geteilte Wort und die geteilte Zeit und der geteilte Weg. Die Art und Weise, wie der scheinbar Fremde bei ihnen geblieben ist und sich ihnen mitgeteilt hat, hat sie daran erinnert, was sie mit Jesus erlebt haben. Er hat ihnen gezeigt, dass die Liebe und die Offenheit füreinander stärker sind als der Tod. Seit jenem Abend in Emmaus wissen die Jünger, dass auch der traurigste Weg nicht ohne Hoffnung ist, dass es im Scheitern und Zusammenbrechen einen neuen Anfang gibt, dass der Tod in unserem Leben nicht das Letzte ist.  Emmaus ist ein Ort voller Leben.

Musik

Emmaus ist ein Ort voller Leben. Davon spreche ich heute am Ostermontag in den Sonntagsgedanken. Wenn man nach diesem biblischen Ort in Israel sucht, wird man gleich an drei verschiedene Adressen verwiesen. Alle in der Nähe  von Jerusalem. Aber es lässt sich nicht klären, wo tatsächlich das richtige Emmaus liegt. Und in Wahrheit ist das auch nicht wichtig. Emmaus kann überall sein, erklärt mir Schwester Hildegard.  Sie lebt schon über zehn Jahre in einem dieser Emmaus-Orte. Dort leitet sie ein Heim für pflegedürftige Frauen und eine Schule für Krankenpflege. Emmaus - das sind hier nicht etwa alte geschichtsträchtige Ruinen, sondern Schwestern und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter oft Jugendliche aus Deutschland und Österreich, die dort ein freiwilliges soziales Jahr verbringen. Menschen, die mithelfen, dass alt gewordene Frauen würdig leben, dass Pflegebedürftige gut versorgt und aufgehoben sind und Sterbende nicht allein gelassen werden. Dieser Emmaus-Ort ist für viele eine Oase, ein Ort gelebter Menschlichkeit. Nicht die großen Worte vollbringen hier Wunder, sondern die einfachen und ehrlichen Gesten. Wie die in der biblischen Emmausgeschichte:„und er nahm das Brot, sagte Dank und gab es ihnen …“(Lk 24,30)

Auf die Frage, was ihr von der Botschaft Jesu im Heiligen Land besonders deutlich geworden ist, antwortet Schwester Hildegard: „Ich glaube, dass jeder Ort, an dem ich lebe und arbeite, Heiliges Land werden muss. Wir erleben hier zwar nicht die Art von Kirche, wie wir sie aus Europa kennen. Es gibt keine Pfarrgemeinde, keine erhebenden Gesänge mit viel Weihrauch. Aber es gibt viele Arme, in denen mich Jesus ansieht. Das ist die gleiche Armut und es sind ähnliche politische und religiöse Probleme wie damals, als Jesus hier lebte. Ich fühle mich berufen, so wie er zu handeln und zu helfen.“

Damit zeigt sie mir, wo das echte Emmaus liegt. Es geht dabei nicht um die geographische Lage, sondern um meine innere Einstellung und das konkrete Verhalten. Ich werde den Besuch bei Schwester Hildegard in Qubeibe/Emmaus nicht mehr vergessen. Der Weg dorthin, durch die Absperrungen und Grenzposten, war aufregend. Aber was ich dort erleben durfte, ist ein Geschenk. Ich habe erfahren: Ostern ist nicht an ein bestimmtes Datum gebunden. Ostern geschieht wie in Emmaus. Beim Teilen des Brotes gingen ihnen die Augen auf.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17404
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Nichts scheint ihn aus der Ruhe zu bringen. Seit einigen Jahren hängt in der großen Halle des Züricher Hauptbahnhofs ein bunter und kraftvoller Engel, den die französische Künstlerin Niki de Saint Phalle geschaffen hat „Engel der Reisenden" heißt dieses Kunstwerk, das sicher von vielen in ihrem Reisstress gar nicht wahrgenommen wird.

Der Engel bringt Farbe und Abwechslung in die graue Bahnhofshalle und er strahlt eine wohltuende Gelassenheit aus, als hätte er alle Zeit der Welt. Und während die Lautsprecher die nächsten Anschlüsse durchgeben oder zum Einsteigen auffordern, bleibt er oben ganz still und hat doch für alle eine Botschaft. Über den Reisenden schwebt ein Engel, eine Verheißung, eine Sehnsucht, eine Hoffnung, dass alles gut gehen möge. Seine Flügel haben genügend Platz, um darunter all die zu bergen, die sorgenvoll und bekümmert unterwegs sind. Und ebenso scheint er voller Energie zu sein, die auch noch für jene reicht, die auf ihrem Weg erschöpft sind. Der Engel weiß wohin die Reise geht und er geht mit jedem mit, egal wohin.
Lange Zeit stand unterhalb dieses Engels täglich oft stundenlang eine Frau, die versuchte mit ihren Möglichkeiten die Botschaft des Engels von oben zu übersetzen. Sie hat nichts anderes getan, als die Vorbeikommenden gesegnet. Meistens ganz beiläufig -ohne große Gesten. Unauffällig aber mit großer Verlässlichkeit. Viele haben sie gekannt und sich ihr anvertraut. Für viele ist sie einfach zum Engel geworden.
Engel müssen nicht immer Wesen mit Flügel sein, wie sie gewöhnlich dargestellt werden. Oft sind es Menschen am Weg. Menschen, die einen trösten auf deren Wort man sich verlassen kann, die da sind, wenn man sie braucht und die mit einem gehen, auch wenn es schwer ist. Menschen, die mit sprichwörtlicher Engelsgeduld zu einem halten, die einem den Rücken stärken und Mut machen, solche, auf deren Wort man sich wirklich verlassen kann. Zugegeben, manchmal können sie auch unbequem sein. Sie riskieren mitunter ein deutliches und ehrliches Wort.

Es ist ein Segen, wenn man von solchen menschlichen Engeln begleitet wird. Nicht umsonst sagen wir, sie schickt der Himmel. Tatsächlich wissen wir uns durch sie gesegnet, brauchen nicht an uns selber glauben, dürfen ihnen vertrauen und dabei erahnen, dass wir trotz unserer kurzen Arme und unserer begrenzten Kräfte von guten Mächten getragen und geborgen sind.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Diese tröstlichen Worte gehören zu einem bekannten und beliebten Gedicht, das Dietrich Bonhoeffer verfasst hat, wenige Monate vor seinem gewaltsamen Tod durch die Nazis. In seinem letzten Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer legt Bonhoeffer ihr dieses Gedicht bei und schreibt:
„Meine liebste Maria!
Ich bin so froh, dass ich Dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch Dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und Euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unsern Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit Euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt.“
Bonhoeffer fühlt sich trotz der bedrohlichen Situation nicht im Stich gelassen. Er weiß um die Angehörigen und die Freunde, die an ihn denken, er erinnert sich an viele Begegnungen und Gespräche, an Musikstücke, Bücher, Bibelworte ,an so vieles, was ihm jetzt in der Gefangenschaft wieder ganz nahe ist. Und so schreibt er weiter:
"Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: „zweie die mich decken, zweie, die mich wecken“ so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“

Die guten Mächte – das sind für Bonhoeffer die Engel die ihm nicht als gespenstische Wesen erscheinen sondern ganz handfest als seine Braut Maria, als seine Eltern, als seine Freunde, die ihm immer ganz gegenwärtig sind. Und seine Aufzählung der Engel, geht weiter: „Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher“. – Das alles erlebt Bonhoeffer als gute Mächte, als Engel, als kleine Form der Gegenwart Gottes. Und diese Engel, da ist sich Bonhoeffer sicher, brauchen Erwachsene Menschen nicht weniger als Kinder.

Bonhoeffers tröstende Worte sind selber zu einem menschlichen Engel, geworden. Sei es an der Schwelle zum neuen Jahr, sei es bei einem schmerzlichen Abschied, sei es in einer schlaflosen Nacht- diese einfachen Worte haben die Kraft eines Engels, der da ist und die Menschen segnet. Sie sprechen nicht von einer heilen Welt und einem angstfreien Leben, aber von einer Macht, auf die ich mich wirklich verlassen kann.

 
https://www.kirche-im-swr.de/?m=16644
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Seit meinem ersten Aufenthalt in Santiago de Compostella begleitet mich eine Begegnung, die mir besonders wichtig geworden ist. Es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Beim Eintritt in die grandiose Kathedrale durchschreitet der Pilger den Portico de la Gloria, das Tor der Herrlichkeit. Eines der größten Kunstwerke auf spanischem Boden. Dargestellt sind dort ein Reihe biblischer Gestalten und in der Mitte Christus, der mit einer einladenden Geste die Ankommenden Pilger empfängt. Es ist das Schlussbild am Ende eines langen und abenteuerlichen Weges und ist wohl auch gedacht als Hoffnungsbild für unsere irdische Pilgerschaft insgesamt. Nein nicht der Weg ist das Ziel. Der Weg hat ein Ziel! Er mündet in dieser weiten und offenen Einladung, die für jeden Platz hat.
Wird auf anderen romanischen oder gotischen Portalen unterwegs diese Ankunft eher als angsterregende Gerichtszene geschildert, der jedermann gnadenlos ausgeliefert scheint, klingt die Botschaft hier am Portico de la Gloria viel barmherziger und tröstlicher. Nicht umsonst sind dann auch Musiker abgebildet, die mit ihren Instrumenten offensichtlich zu spielen beginnen. Am Ende des Weges, am Ende des Lebens kann das Fest also richtig beginnen.
Dass diese hoffnungsvolle Botschaft einen Menschen glücklich machen kann sieht man einer der in Stein gehauen Gestalten besonders an. Es ist der Prophet Daniel. Seit Jahrhunderten steht er da und lächelt. Nichts kann ihn erschüttern, nichts verängstigen, nichts kann ihn aus seiner heiteren Gelassenheit bringen. Sein Lächeln ist einzigartig und ansteckend. Und man kann wirklich die Probe aufs Exempel machen. Wer sich vor dieses Bild hinstellt und dem lächelnden Propheten lange genug ins Gesicht schaut, wird bald nicht mehr damit beschäftigt sein, wie der Künstler dieses Lächeln wohl in den harten Stein gebracht hat - nein, er wird spüren, wie viel Ruhe, welche Heiterkeit und was für eine Tiefe von dieser romanischen Figur ausgeht.
Ich empfinde es als großes Glück, dass die unzähligen Menschen, die Tag für Tag in Santiago ankommen - gläubige und ungläubige, suchende und zweifelnde, verletzte und geschädigte, dass alle unterschiedslos in dieses gütige Gesicht schauen dürfen und dann vielleicht ahnen und spüren, dass hier tatsächlich einer am Ziel ist, angekommen und erwartet.

Im Zentrum Barmherzigkeit
Wenn schon steinerne Figuren Menschen zum Lächeln bringen können, wie viel mehr dann tatsächlich lebendige Gestalten aus Fleisch und Blut. In der vergangenen Woche wurde ein langes Interview bekannt, das Papst Franziskus einer Jesuitenzeitschrift gegeben hat. Unter anderem spricht er darin auch über sein Bild von Kirche und betont immer wieder, dass nicht die Gesetze und Normen an erster Stelle stehen, sondern die Barmherzigkeit. Was die Kirche heute brauche, sagt er, sei die Fähigkeit, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen - Nähe und Verbundenheit. Er sehe die Kirche wie ein Lazarett. Man müsse einen schwer Verwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man müsse die Wunden heilen. Und dann könnten wir von allem Anderen sprechen. Der Papst räumt ehrlich ein, dass die Kirche sich oft in Kleinlichkeiten verrennt habe. Die Diener der Kirche aber müssten vor allem Diener der Barmherzigkeit sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten - wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt. Der Papst spricht von einer Reform der Einstellungen und Haltungen, weil die Menschen Hirten bräuchten und keine Funktionäre.
Man nimmt ihm diese Worte ab. So wie er auftritt und die Menschen anschaut und berührt vermittelt er eine gütige und menschenfreundliche Botschaft. Dass er Jugendlichen Strafgefangenen die Füße wächst ist nicht die schrille Idee einer Werbeagentur sondern sein ureigenstes Bedürfnis. Das lässt hoffen. Der Papst verkörpert mit dieser Geste die Grundaussage des Evangeliums und zeigt, dass keiner ein hoffnungsloser Fall ist. Er sei ein Sünder, sagt er von sich selbst, ein Sünder, der aber vom Herrn berührt und angeschaut wird. Das ist die Frohe Botschaft, die er am eigenen Leib erfährt und die der Papst so leibhaftig und überzeugend weiter gibt.
Mich fasziniert, wie er auf Menschen zugeht - fast immer mit einem Lächeln. Nicht verlegen oder eingeschüchtert, nicht distanziert oder von oben herab. Einer, der zu Fuß geht und die Aktentasche selber trägt und wirklich auf Augenhöhe dem Menschen entgegen kommt. Und oft dabei lacht und andere herzlich in den Arm nimmt.
Man kann über diesen Papst staunen und sich wundern, man sich über ihn freuen, andere werden sich ärgern, man kann gespannt sein, was noch alles in Bewegung kommen wird oder auch nicht - man kann auch einfach nur dankbar sein, dass hier einer heiter und gütig und weise und fromm ist. So einer tut uns allen gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16125
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Tagtäglich werden wir Augenzeugen eines faszinierenden Geschehens. Einmal aufgebrochen ist die Natur nicht mehr zu halten. Es wächst und blüht an allen Ecken und Enden und endlich kann man wieder draußen sein und die Vielfalt der Farben und die frische Luft genießen. Das saftige und frische Grün ist voller Leben. Und jetzt spazieren gehen zu können tut meinem Leib genauso gut wie meiner Seele.

Mir kommt in diesen Tagen immer wieder ein Gedicht in den Sinn, das der Lyriker Reiner Kunze nach seiner Übersiedelung aus der damaligen DDR, in der ihm kappen und präzisen Form verfasst hat. Es trägt den Titel „Zuflucht noch hinter der Zuflucht". Kunze beschreibt darin seine neue Umgebung, einen alten Bauernhof, der ihm mittlerweile zur Heimat geworden ist. Einen Ort, wo er ganz sicher ist und nur der Wind ungebeten durchs Tor tritt und wo niemand anruft-schon gar nicht die alles überwachende Stasi Behörde. Nur Gott ruft ihn an, sagt der Dichter, und beschreibt wie Gottdurch den Regen viele und verschiedene Leitungen legt, um mit dem Menschen ins Gespräch zu kommen."Was machst du, fragt Gott"  und unbeholfen und unsicher sagt der Angesprochene:"es regnet, was soll man tun". Und was antwortet darauf Gott? Reiner Kunze  beschreibt es so:"Und seine Antwort wächst grün durch alle Fenster."

Kunze sieht nicht nur die äußeren Vorgänge der Natur. Er sieht in ihnen eine Tiefe und Weite, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen ist. Die Natur ist  für ihn mehr als nur eine Tatsache, ein Faktum. Sie ist eine Botschaft an  den Menschen und erzählt von einer wunderbaren Kraft, die alles geschaffen hat und alles in Bewegung hält. So wird nicht nur der urige und heimelige Bauernhof dem Dichter zur Zuflucht. Hinter dieser Zuflucht findet er noch eine weitere-so dann auch der Titel seines Gedichtes-eine Zuflucht, in der er geschützt und aufgehoben ist, die auch noch seine Unbeholfenheit und Hilflosigkeit und alle Verdrießlichkeit auffängt.

Ich finde es beeindruckend mit wie wenigen Worten in diesem Gedicht behutsam und sensibel von Gott geredet wird. Kunze muss nichts beweisen und demonstrieren: Er sprich von etwas ganz Alltäglichem. Aber gerade darin sieht er das Besondere. Vielleicht   hat  ihm  gerade die Stille und  die Zurückgezogenheit  geholfen, in den Prozessen  der Natur, den Initiator des Ganzen  und den Schöpfer von Allem zu entdecken. Kunze hat jedenfalls eine entscheidende Erfahrung gemacht: Die Antwort wächst grün durch alle Fenster.

Musik

Wenn ich wissen und erfahren will wie die Welt entstanden ist und wie die Gesetze der Natur funktionieren, wenn ich die Zusammenhänge und physikalischen und chemischen Bedingungen verstehen will, wenn ich kleinste Elementarteilchen und Atome entdecken will, werde ich nicht bei einem Dichter nachfragen sondern bei den Wissenschaften ,die dafür zuständig und kompetent sind.

Ich werde auch nicht die Bibel befragen, weil sie keine Antworten auf die naturwissenschaftlichen Fragen gibt. Die Antworten der Bibel sind anderer Art. Zum Beispiel der Schöpfungsbericht der Bibel mit seinem sieben Tage Schema. Das ist keine Reportage im modernen Sinn, eine Bericht oder eine Dokumentation. Das ist eher ein Lied, ein begeistertes Lied, in dem der Schöpfer besungen wird. Hinter allem, was es gibt-so die zentrale Botschaft dieses wunderbar poetischen Textes-,hinter allem steht nicht eine anonyme Zufälligkeit sondern das schöpferische Handeln Gottes, der sogar ein Liebhaber des Lebens genannt wird.

Der biblische Mensch ist so gesehen im besten Sinn ein Hinter- Weltler. Nicht weil er dumm und unaufgeklärt  wäre, bar jeglicher Einsicht. Und ohne kritischen Verstand. Er  kommt dahinter, dass alles eine Ursache und einen Anfang haben und dass es für alles einen Grund geben muss. Das ist  für mich nicht unsinnig sondern zutiefst hinter-sinnig. Weil selbst hinter dem Urknall oder wie auch immer der Anfang von allem erklärt wird, nochmals nach dessen Ursache gefragt werden muss.

Mich berührt es, dass auch namhafte Naturwissenschaftler bei allem Fragen Forschen und Entdecken immer wieder ins Stauen geraten und von der Großartigkeit der Schöpfung fasziniert und ergriffen sind. Sie haben keine Schwierigkeit einerseits ihren Forschungsergebnissen zu trauen und andererseits  oft einfach zu verstummen oder sogar zu beten.

Die Bibel ist voll solcher staunenden Ergriffenheit. Z.B wenn es im Psalm 104 heißt: „Herr wie zahlreich sind deine Werke, mit Weisheit hast du sie alle gemacht. Die Erde ist voll von deinen Geschöpfen."Oder an einer anderen Stelle:"Du lässt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für die Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz des Menschen erfreut". Schöpfung ist nicht ein längst zurückliegendes Geschehen, es ist jetzt und jeden Augenblick, weil der Atem Gottes, weil der schöpferischer und Heilige Geist alles belebt und bewegt. Wer der Heilige Geist ist- fragen sie jetzt vielleicht..Ich halte es mit dem Dichter und meine: die Antwort wächst grün durch alle Fenster.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15291
weiterlesen...