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SWR4 Abendgedanken BW

„Jetzt ist Ostern auch schon wieder vorbei", sagt Erwin, „aber so richtig verstanden hab ich's immer noch nicht, wie das ist mit der Auferstehung."

Erika nimmt gerade ein paar verblühte Zweige aus der Vase mit dem Osterstrauß und wartet erst mal ab.

„Jesus war doch richtig tot", sagt Erwin, „nicht scheintot oder so was. Und dann auf einmal ist er aus dem Grab herausgekommen?"

„Das war ja ein Felsengrab, so eine Art Höhle", sagt Erika, „und er hat auch nicht im Sarg gelegen, sondern war nur in Tücher eingewickelt."

„Na ja", sagt Erwin, „das macht es auch nicht einfacher, und so genau will ich mir das auch gar nicht vorstellen. Wer kann das überhaupt wissen, es war ja keiner dabei."

„Aber die Jünger haben ihn doch gesehen danach", sagt sie, „und die Frau, die Maria Magdalena, der ist er im Garten erschienen."
„Erschienen", sagt Erwin, „das klingt ja nun eher nach einem Geist als nach einem lebendigen Menschen."

„Aber", sagt Erika und knipst noch ein paar verwelkte Blüten ab, „einer von den Jüngern hat ihn doch sogar angefasst, der Thomas, der beim ersten Mal nicht dabei war, als die Jünger Jesus gesehen haben. 'Erst wenn ich meine Finger in die Nägelmale lege, will ich's glauben', hat er doch gemeint, und dann ist Jesus gekommen durch die verschlossene Tür und hat gesagt, er soll das tun, seine Finger..."

„Und hat er's getan?", fragt Erwin.
„Das weiß ich gar nicht", sagt Erika.
„Ich glaub's nicht", sagt Erwin.
„Du bist halt auch so ein ungläubiger Thomas", sagt Erika.
„Moment", sagt Erwin, „ich sag nicht, dass ich diese Geschichte nicht glaube, ich sage nur, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass der Thomas ihn dann wirklich angefasst hat."
„Vielleicht doch", sagt Erika und ordnet die Zweige neu in der Vase.
„Wir wissen es nicht, und es ist mir auch nicht wichtig", sagt Erwin. „Weißt du, was ich wirklich wissen will? Warum die auf einmal keine Angst mehr gehabt haben. Zuerst haben sie abgestritten, dass sie ihn kennen, ihren Jesus, sie sind abgehauen und haben sich versteckt, und dann, irgendwann haben sie sich herausgetraut. Sind unter die Leute gegangen."
„Sie sind herumgereist", sagt Erika, „haben gepredigt, Gemeinden gegründet."
„Wie auch immer", sagt Erwin, „jedenfalls hat da was angefangen, was nach 2000 Jahren noch da ist. Weil sie keine Angst mehr gehabt haben. Alles, was die Mächtigen ihnen antun konnten, das hat auf einmal nicht mehr gezählt. Also, man kann ja über die Kirche denken wie man will, aber wie das angefangen hat damals, und wie es sich dann ausgebreitet hat, also, das hat was."

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SWR4 Abendgedanken BW

„Eigentlich müsste Ostern im November sein", sagt Erwin.

Erika weiß erst mal nicht, was sie darauf sagen soll. Ostern im November, das ist ja eine ganz dumme Idee, denkt sie. Zu Ostern gehört doch, dass man raus kann und die Natur genießen. Wenn es kalt ist und man den Enkeln die Ostereier und die Hasen im Haus verstecken muss, dann ist doch gar nicht richtig Ostern. Obwohl - um den Osterhasen geht's ja nicht an Ostern, das ist schon klar. An Ostern feiert man, dass Jesus auferstanden ist - aber warum kann ich da viel leichter dran glauben, überlegt sie, wenn die Sonne scheint und der Frühling schon angefangen hat?

„Also", sagt Erwin, „an Ostern feiern wir, dass Jesus auferstanden ist, das stimmt doch. Also nicht tot und alles aus und vorbei, sondern..."

„Auferstanden eben", sagt sie, „nicht mehr im Grab, wieder am Leben, aber vielleicht irgendwie anders als vorher."

„So richtig vorstellen kann man sich das also nicht", sagt Erwin, „was das heißt: auferstanden."

„Ach", sagt sie, „vielleicht doch. Wir erleben das doch auch immer wieder, so im Kleinen. Jedes Jahr. Wenn so ein schlimmer Winter endlich vorbei ist, und dann singen die Vögel wieder und alles fängt an zu blühen, Da spürt man es doch, wie das ist, wenn das Leben wieder neu anfängt. Weil es vorher wie abgestorben war."

„Das mag ich ja auch sehr", sagt er, „den Frühling, und wenn man selber merkt, wie die Säfte wieder steigen, aber das ist doch jedes Jahr so, immer wieder, nur wir werden immer älter dabei. Und da frag ich mich doch: Ist das gemeint mit Auferstehung, das ist doch immer das gleiche, Jahr für Jahr dieser Kreislauf."

„Ja", sagt sie, „es muss mehr gemeint sein. Dass es für uns auch eine Auferstehung geben wird, irgend wann einmal, aber das spürt man nicht so, das kann man nur glauben."

„Siehst du", sagt er, das kann man nicht so leicht glauben."

„Aber wenn man den Frühling erlebt", sagt sie, „dann schon."

„Eben", sagt Erwin, „und das bringt man dann durcheinander. Ostern und die Frühlingsgefühle. Die sind ja schön, aber es muss doch mehr sein, es geht doch nicht nur ums Absterben und wieder Aufleben. Also dieser ewige Kreislauf, der muss doch dann ein Ende haben, dann muss doch was ganz Neues kommen, oder wie soll man sich das vorstellen?"

„So richtig vorstellen kann man sich das nicht, glaube ich", sagt Erika, „es ist mehr eine Hoffnung."

„Ja", sagt Erwin, „und die braucht man im Herbst doch viel mehr, wenn alles trüb und dunkel ist. Und deshalb fände ich es besser, Ostern wär' im November."

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SWR4 Abendgedanken BW


„Ach komm, wir gehen mal rein.“ Erwin und Erika sind auf einem Ausflug, sie bummeln durch ein Städtchen und bleiben vor einer Kirche stehen.
Hoffentlich ist sie katholisch, diese Kirche, denkt Erika, dann kann man eine Kerze anzünden. Das tun sie manchmal und meistens bleiben sie auch noch ein bisschen sitzen. Darüber reden, was sie dabei denken – das tun sie eher nicht. Aber heute fängt Erwin damit an.
„Sag mal, was denkst du, wie ist das beim Beten?“, fragt er, als sie wieder draußen sind. „Also, ich finde es eigentlich sehr schön, wenn man sich da mal etwas von der Seele reden kann. Es tut mir gut. Aber kann ich für etwas beten?“
„Ja, warum denn nicht“, fragt Erika.
„Na ja“, sagt Erwin, „wenn einer darum bittet, dass Gott ihm hilft, also zum Beispiel, dass er gesund wird, und das erfüllt sich dann nicht – was ist dann? Dann ist er enttäuscht und denkt: Gott hört mich gar nicht, oder: Er will mir nicht helfen.“
„Hm“, sagt Erika, „dass Gott uns hört, das glaube ich schon, aber vielleicht hilft er uns nicht immer so, wie wir uns das vorstellen.“
„Na, ich weiß nicht“, sagt Erwin, „das hört sich so an, als ob er uns erst mal erziehen müsste.“
„Aber beim Beten ist es doch nicht wie bei einem Automaten“, sagt Erika, „wo man was reinwirft und nachher kommt das raus, was man bestellt hat.“
„Schon klar“, sagt Erwin. „Aber wie mach’ ich das dann? Sag’ ich zu Gott: Also, du weißt ja, wie es mir geht, ich hätte schon gern, dass das und das besser wird, aber ich will ja bescheiden sein, also mach das, was nach deiner Meinung das Beste ist, es wird schon recht sein.“
„So würde ich es nicht ausdrücken“, sagt Erika, „und du wahrscheinlich auch nicht wirklich, aber so könnte man schon beten. Einfach darauf vertrauen, dass Gott weiß, was gut ist für uns.“
„Aber“, sagt Erwin. „ich will da auch ein bisschen mitreden. Es geht doch um mich oder um die Menschen, die mir wichtig sind. Wenn ich sage: Du weißt, was gut ist für mich, dann heißt das doch, dass ich es auch so annehmen will, wie es kommt. Aber wenn zum Beispiel eins von den Kindern im Leben nicht zurechtkommt, dann würde ich Gott sehr genau sagen wollen, wie er helfen soll. Aber anscheinend darf man das nicht.“
„Doch“, sagt Erika, „Jesus hat gesagt, wir dürfen Gott um alles bitten. Also richtig bitten, ganz konkret und deutlich und mit Nachdruck. Was daraus wird, das sieht man ja dann. Manchmal war ich schon enttäuscht, das stimmt. Oder ich hab’s nicht verstanden, warum es so kam. Aber ich hab da auch schon Überraschungen erlebt und gedacht: Auf die Lösung wär’ ich nicht gekommen.
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SWR4 Abendgedanken BW

„Schön ist es dort, und so ruhig“, sagt Erwin. Er fährt mit Erika im Bus am Friedhof vorbei. Man kann über die Mauer auf die alten Grabsteine sehen. Die Baumkronen bewegen sich leicht im Wind, die Wege sind sauber geharkt, zwischen den Gräbern immergrüne Hecken.
„Richtig schön friedlich. Da mal liegen, das kann ich mir gut vorstellen“, sagt Erwin so vor sich hin.
Erika weiß nicht, was sie darauf sagen soll. Wenn du da mal liegst, kann es dir eigentlich egal sein, wie friedlich das Drumrum ist, würde sie gern sagen, aber sie sagt erst mal nichts.
„Eigentlich kann es mir dann ja egal sein“, sagt Erwin, „aber wenn ich mir vorstelle, ihr kommt dann zu meinem Grab, da ist es mir schon wichtig, dass ihr euch da wohl fühlt.“
Jetzt wird es Erika zu viel.
„Wie soll ich mich da wohl fühlen, wenn du da unten liegst, du hast sie ja nicht mehr alle.“
„Ach, ich wünsch mir, dass man an meinem Grab an mich denkt und zur Ruhe kommt. Das wäre doch schön.“
„Ja“, sagt Erika. „Aber ich, ich will mal nicht, dass ich da in der Erde - nein, am liebsten wäre es mir, wenn man meine Asche in den Wald streut.“
„Das ist aber nicht erlaubt“, sagt Erwin.
„Dann halt ins Meer oder von mir aus in einen Friedwald, an einem Baum vergraben.“
„Und wo sollen die anderen dann bittschön trauern?“, fragt Erwin, „und sich erinnern, wenn es keinen Ort gibt, wo man hingehen kann?“
„Das verstehe ich sowieso nicht“, sagt Erika, „dass man dafür einen Ort braucht. Der hat doch keine Bedeutung. Man kann doch überall an mich denken, in der Natur zum Beispiel. Da könnt ihr an mich denken. Wenn ihr dafür einen besonderen Ort braucht, kann es nicht weit her sein mit der Erinnerung.“
„Die Menschen sind verschieden“, sagt Erwin, „manche brauchen so einen Ort, es hilft ihnen in ihrer Trauer, und andere brauchen ihn anscheinend nicht. Aber vielleicht ist es ganz gut, wenn es so einen Ort gibt und man nicht überall –„
„Ach, du meinst“, sagt Erika, „ich soll dann, wenn ich mal tot bin, nicht rumspuken. Also es wäre besser, wenn man nicht überall an mich denken muss? Die Erinnerung an mich auf einen bestimmten Ort beschränkt? Das ist nicht nett.“
„So hab ich’s gar nicht gemeint“, sagt Erwin, „aber ich finde es besser, wenn man sich an einem Ort konzentrieren kann auf die Erinnerung und die Trauer und von nichts abgelenkt wird. Vielleicht will ich dann in Ruhe mit dir reden können – also, wenn du, was wir nicht hoffen, vor mir…“
„Jetzt ist mal gut“, sagt Erika. „Zum Glück können wir jetzt noch miteinander reden. Da fällt mir ein – was willst du zum Abendessen?“
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SWR4 Abendgedanken BW

„Und wie geht es deinem Mann?“ Erika war sich nicht ganz sicher, ob sie diese Frage stellen soll, aber nun hat sie es getan, und die Bekannte, der sie und Erwin in der Stadt begegnen, hat anscheinend nichts dagegen. Der Mann ist schon lange krank. Die Frau wirkt bedrückt, aber es ist ihr gar nicht unangenehm, dass man gefragt hat, und sie erzählt ein bisschen. „Die Ärzte machen uns keine große Hoffnung mehr“, sagt sie, „aber ohne Hoffnung könnte man das nicht aushalten, ihr wisst ja, die Hoffnung stirbt zuletzt.“
Erika sagt noch ein paar freundliche Sätze, Erwin bittet die Bekannte, den Mann zu grüßen, wünscht alles Gute und sie gehen weiter, erst mal ziemlich still.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt - ich glaub’ nicht, dass das ein hilfreicher Satz ist“, sagt Erwin nach einer Weile.
Erika bleibt stehen. Was soll man dazu sagen?
„Der Franz tut mir ja leid“, sagt Erwin weiter, „aber er ist ja schon lang krank, und wir sind alle nicht mehr die Jüngsten, und irgendwie muss man doch damit rechnen. Und sich darauf einstellen und den Tatsachen ins Auge sehen.“
„Und du meinst“, sagt sie, „wenn man dann noch Hoffnung hat, dann…“
„Ja, dann macht man sich was vor, dann tut man so, als ob man davonkäme.“
„Nein“, sagt Erika, „das glaube ich nicht. Man tut nicht so, als ob man nicht wüsste, dass man stirbt, aber man hält trotzdem bis zum Schluss an der Hoffnung fest. Oder die Hoffnung hält einen bis zum Schluss fest, vielleicht ist es sogar so.“
„Aber das ist es doch, was mich stört“, sagt er. „Das man sich an einer Illusion festhält. Oder dass die Illusion einen festhält und blind macht.“
„Das glaube ich nicht“, sagt Erika. „Ich glaube, Hoffnung ist etwas anderes. Wenn man sagt: Wir hoffen halt, dann meint man doch nicht, dass man nie stirbt, oder zumindest nicht so schnell. Ich glaub, es geht um was anderes, wenn man von Hoffnung redet.“
„Was soll das sein?“, fragt Erwin. „Keiner weiß, was danach kommt, und deshalb sollte man sich auf das konzentrieren, was jetzt ist. Und schauen, dass man seine Zeit noch sinnvoll nützt. Vor allem, dass man rechtzeitig regelt, was zu regeln ist.“
„Du hast ja recht“, sagt Erika, „und trotzdem. Ich zum Beispiel, ich hoffe, dass ich einmal Ja sagen kann zu meinem Leben, so wie es eben war. Und ich möchte mir vorstellen, dass ich nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Dass einem Menschen die Hoffnung bleibt, das ist doch ein Geschenk. Wenn einer keine Hoffnung hat, gerade dann steckt er doch fest, dann ist er wie in einem Gefängnis. Die Hoffnung hilft uns, dass wir nicht stecken bleiben.“
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SWR4 Abendgedanken BW

„Nie ist es genug“, sagt Erwin. Und das reicht mir jetzt. Verstehst du, ich hab genug davon, dass es nie genug ist.
Was ist bloß in ihn gefahren, denkt Erika.
Du könntest vielleicht im Garten noch mal nachschauen, ob die Rosen richtig abgedeckt sind, hat sie gesagt, und da ist es losgegangen. Wenn sie ihn richtig verstanden hat, geht es gar nicht um die Rosen. Es geht um dieses: Du könntest vielleicht noch. Offenbar macht ihn das fuchsteufelswild.
Zum Glück sind die beiden ein gut eingespieltes Team, auch wenn’s ums Streiten geht, also kommen sie bald auf den Kern des Problems.
Es ist das „Nie genug“, das „Es reicht nicht“, „ich kann tun, was ich will, immer kommt noch was hinterher“.
„Wann kann ich eigentlich das Gefühl haben, ich hab genug getan in meinem Leben?“, fragt Erwin. „Erst dann, wenn ich tot bin, oder vielleicht doch schon ein bisschen vorher? Sei mir nicht bös, das mit den Rosen war ja gar nicht so schlimm, da hätt ich nicht so aus der Haut fahren sollen, aber gestern Abend beim Gesangverein sind sie damit angekommen, ich könnte vielleicht noch – ich weiß schon gar nicht mehr was, dann hat der Thomas angerufen heute Morgen, ich könnte ihm doch beim Umzug helfen, weil’s dann billiger wird, und so weiter und so weiter.“
Wenn er nicht mehr gebraucht würde, wärs ihm auch nicht recht, denkt Erika.
„Es ist ja schön“, redet Erwin weiter, „wenn man noch gebraucht wird, aber es ist immer so ein Anspruch dabei.“
„Du könntest doch einfach nein sagen, wenn einer was von dir will“, schlägt Erika vor. Beim Thomas bitte nicht, denkt sie, es wäre schon gut, wenn Erwin sich um den Umzug kümmern könnte, ihr Sohn hat wenig Geld und ist ziemlich chaotisch.
„Dich möchte ich hören“, sagt Erwin, „wenn ich dem Thomas absage.“
„Na ja“, sagt Erika, „der verlässt sich halt auf uns.“
„Und wenn wir nicht mehr da sind“, sagt Erwin, „was ist dann? Dann wird er schon zurechtkommen, da bin ich sicher.“
Erika seufzt. Thomas, das Nesthäkchen, ist schon immer ihr Sorgenkind gewesen. Sie hatte wenig Zeit für ihn früher und manchmal noch ein schlechtes Gewissen deshalb.
„Weißt du“, sagt Erwin, „wir tun ihm keinen Gefallen, wenn wir immer nachgeben. Ich will auf meine alten Tage auch mal an mich denken, und du sollst das auch. An dich denken, meine ich. Ich will den andern einfach zutrauen, dass sie es schon irgendwie hinkriegen. Wie wäre das, hm?“
Erika schaut ihn an. Bald siebzig, graue Haare, der Rücken schon ein bisschen krumm, aber in seinen Augen ist etwas, das ist ihr neu.
„Schön wäre das“, sagt sie.
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SWR4 Abendgedanken BW

„Vorspiel gibt’s“, sagt Erwin, „und Nachspiel; Vorsicht und Nachsicht.“
„Vorteil und Nachteil“, sagt Erika. Sie mag diese Spiele mit Wörtern.
Nun ist er wieder dran: „Vorhut und Nachhut.“
„Jetzt wird’s militärisch“, sagt sie, „dann lieber: Vorfahren und Nachfahren…“
„Ja“, sagt er, „aber Vorfreude – was passt zur Vorfreude? Warum gibt es keine Nachfreude?“
Jetzt ist es doch kein Spiel, denkt Erika. Er will was anderes.
„Gibt es doch“, sagt sie, „Nachfreude gibt’s schon, bloß halt als Wort nicht.“
„Das ist kein Zufall“, sagt er. „Wenn das Wort dazu fehlt, dann gibt es das auch nicht. Was soll das denn sein, Nachfreude?“
„Wenn ich mich hinterher über etwas freue. Vorher hab ich drauf gewartet, dann ist es da, und ich freu mich dran, und das kann noch eine ganze Weile dauern, die Freude. Die Nachfreude.“
„So ist es eben nicht“, sagt er, „meistens ist es ganz schnell vorbei mit der Freude.“
Erika wird nachdenklich. „Ja, da ist was dran. Was hab ich mich gefreut auf meinen Geburtstag, dass alle mal wieder da sind. Und als es vorbei war – ja, da war’s eben vorbei. Und ich war mehr erschöpft als dass ich mich“ nach-gefreut“ hätte. Aber warum ist das so?“
„Vielleicht weil wir die Dankbarkeit verlernt haben, weil alles zu selbstverständlich ist?“, sagt Erwin.
„Ach“, sagt sie, „das stimmt nicht. Ich war wirklich dankbar, es war ja schön, aber…“
„Ja“, sagt er, „aber…, es ist immer ein Aber dabei. Und das verdirbt die Nachfreude. Dieses Aber. Was ist das?“
„Vielleicht sollte man manche Sachen einfach mehr ausklingen lassen“, sagt Erika nachdenklich, „nicht gleich an das nächste denken. Und die Erinnerung daran mehr pflegen. Wir können ja mal wieder die Fotos anschauen von meinem Geburtstag heute Abend, hm, wie wär das?“
„Gern“, sagt er, „aber damit wissen wir immer noch nicht, warum es das nicht gibt, die Nachfreude.“
„Ach du immer“, sagt Erika, „du willst wieder auf irgendwas raus, dann sag halt, was du denkst.“
„Ich glaub“, sagt Erwin, „man traut sich nicht, sich richtig zu freuen, weil man denkt, man kriegt dann eins drauf.“
„Na, das ist ja bescheuert“, sagt Erika. „Du denkst, wenn du dich zu sehr freust, schlägt das Schicksal zu und schickt dir zum Ausgleich was Schlechtes?“
„Wenn du es so sagst, klingt es wirklich dumm“, sagt Erwin, „Ich denk halt, wenn man sich nicht zu sehr freut, fällt man nachher nicht so tief, wenn’s wieder anders kommt.“
„Und bringt sich damit um die Freude, die Nachfreude“, sagt Erika, „nein, mit mir nicht.“
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SWR4 Abendgedanken BW


„Ach schau, der Mond, genau halb“, sagt Erika. Sie ist mit Erwin auf dem Abendspaziergang. Sie bleiben stehen, Erika lehnt sich ein bisschen an ihn. „Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar...“
„Na ja, für die Sterne ist es noch ein bisschen früh“, sagt Erwin, „und hier ist es ja so hell, dass man sie kaum sieht. Das war immer schön, wenn man die Milchstraße gesehen hat, früher.“
„Ja“, sagt Erika, „wir müssten mal irgendwohin fahren, wo es ganz dunkel ist, auf eine Lichtung im Wald vielleicht... Der Wald steht schwarz und schweiget...
Ist schon ein schönes Lied. Und so schöne alte Wörter drin.
„Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und sind doch rund und schön...“
„Wie war das bitte?“, fragt Erwin.
„So heißt das“, sagt sie, „’Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel’. Stimmt doch – wenn man da hoch schaut, was wissen wir schon.“
„Das hat aber anders geklungen eben“, sagt er, „nämlich: wir sind arme Sünder und doch rund und schön.“
„Quatsch“, sagt sie, „das ist aus dem anderen Vers – seht ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön, so sind wohl manche Sachen, die wir getrost verlachen...“
„Ich hab das genau gehört“, sagt er, „und es gefällt mir sehr gut: Wir sind arme Sünder - und doch rund und schön.“
„Ach komm“, sagt sie, „du musst mich jetzt nicht auf den Arm nehmen. Ich hab das vielleicht ein bisschen durcheinander gebracht. So oft singt man das Lied ja nicht mehr.“
„Nein, nein, das ist wunderbar“, sagt er. „Wir sind unvollkommen und machen vieles falsch, und wissen tun wir auch nicht viel, aber trotzdem: rund und schön. Ich mit meiner kaputten Hüfte und kaum noch Haare auf dem Kopf und meine schlechte Laune krieg ich nicht immer unter Kontrolle, aber wenn ich hier so bei dir stehe und du dich an mich lehnst, dann fühl ich mich rund und – vielleicht nicht schön, aber irgendwie ganz.“
„Ich glaub“, sagt Erika, „dass Gott uns so anschaut, dass wir für ihn so sind. Rund und schön. Ganz. Gut und richtig. Genau so wie wir sind mit allen Fehlern. Bloß wir können es nicht glauben.“
„In solchen Momenten schon“, sagt Erwin.
„Warum kann das nicht immer so sein?“, fragt Erika.
„Weil wir nicht im Himmel sind“, sagt Erwin. „Komm, es wird allmählich kühl.“
„So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder, kalt ist der Abendhauch..., Warum nicht auch wir Schwestern?“
„Ja“, sagt Erwin, „das wär jammerschade, wenn wir euch nicht hätten.“
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SWR4 Abendgedanken BW


Kann man für die Wahl am Sonntag beten? Erwin und Erika sind da unterschiedlicher Ansicht. „Selbstverständlich kann man das“, sagt Erika. „Gott interessiert sich für alles, was uns Menschen betrifft, also auch für die Bundestagswahl.“
Erwin hat ein Problem damit. Er findet, die Menschen dürfen die eigene Verantwortung nicht abgeben. ‚Lieber Gott, lass endlich Frieden werden oder: hilf uns, dass die Klimakatastrophe nicht kommt’ – das, meint er, geht nicht. Weil man da nämlich Gott etwas zuschiebt, was die Menschen zu verantworten haben. Und genauso wenig kann man für ein gutes Wahlergebnis beten. Wie will man das denn tun?
„Vielleicht beten, dass die Leute gewählt werden, die unser Land mit Verantwortung regieren“, schlägt Erika vor.
„Wie – soll Gott bei allen, die zur Wahl gehen, die Gedanken lenken, dass sie ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle machen, oder wie stellst du dir das vor?“
„Vielleicht dass Gott denen, die gewählt werden, Weisheit gibt und Sachverstand?“ Erika gibt noch nicht auf.
„Ach komm“, sagt er, „wir müssen uns die Leute, die uns regieren wollen, anschauen und die wählen, denen wir das zutrauen. Wie hast du gesagt – Weisheit und Sachverstand, ja. Denen wir das am noch am ehesten zutrauen.“
„Aber warum soll ich nicht dafür beten dürfen, dass Gott den Politikern gute Gedanken schickt?“, fragt Erika.
„Und was wären dann gute Gedanken?“, fragt Erwin zurück. „Wenn ein Grüner dafür betet, stellt er sich grüne Gedanken vor, bei den Roten sind es rote usw...“
„Das überlasse ich Gott“, sagt sie, „was gut wäre.“
Erwin runzelt die Stirn. „So kommst du mir nicht davon.“
Erika merkt, dass er sie mal wieder in die Enge getrieben hat. Das ist ja schlimmer als wenn sie Mühle spielen.
„Okay“, sagt sie, „wir sind selber verantwortlich, sagst du. Die Politiker, aber wir alle auch, für das, was passiert auf der Welt.“
„Ja, so kann man es sagen.“
„Dann könnten wir“, fährt Erika fort, „aber doch dafür beten, dass uns diese Verantwortung bewusst wird – für den Teil, auf den wir Einfluss haben?“
„Ja“, sagt er, „dagegen ist nichts zu sagen.“
„Aber wenn ich das getan habe“, sagt Erika, „dann darf ich doch Gott bitten, dass er uns hilft mit der Verantwortung. Uns allen, also uns Wählern und den Politikern.“
„Ach“, sagt er, „irgendwie hast du ja recht. Vielleicht wäre es ganz gut, man würde sich das eingestehen. Dass es nicht schlecht wäre, wenn es eine Hilfe gäbe, so wie es heute aussieht in der Welt. Wenn man sich das klarmacht...“
„... wird man auf jeden Fall bescheidener“, sagt Erika.
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SWR4 Abendgedanken BW


Was macht sie denn da? Erwin schaut zu Erika rüber. Sie hat die Hände gefaltet, bewegt die Lippen, als ob sie... – sie betet doch nicht etwa, wenn ich mit ihr durch die Stadt fahre?
„Macht dir mein Fahrstil Angst?“, fragt er. „Ich fahr doch nicht mehr so wie früher, also ich würd’ sagen, ich fahr richtig defensiv inzwischen.“
Erika lacht. „Nein, Angst hab ich nicht bei dir im Auto, aber einen Parkplatz – das wär mir recht, wenn wir bald einen finden würden. Ich muss ganz dringend mal wohin.“
Erwin denkt: Das darf nicht wahr sein. Sie hat um einen Parkplatz gebetet!
Erika sagt: „Ach, guck mal, da drüben fährt grad einer raus!“
Erwin schaut zu ihr rüber. Hat sie jetzt ein zufriedenes Lächeln im Gesicht? Als ob der rausgefahren wäre, weil sie aufs Klo muss? Und der Himmel hat dafür gesorgt? Tatsächlich, so denkt sie. Sachen gibt’s.
Er sagt erst mal nichts, weil er vermutet, wenn er sie direkt danach fragt, gibt sie es nicht zu.
Später, als alle Einkäufe erledigt sind und sie bei einem Cappuccino vor ihrem Lieblingscafe sitzen, sagt er: „Du, sag mal, beim Beten, also wenn man Gott um etwas bittet – was denkst du? Gibt es da eigentlich eine Grenze?“
„Eine Grenze?“, fragt sie zurück.
„Ja, bei den Dingen, um die man betet. Also, dass man dafür betet, dass jemand gesund wird oder dass man wieder Frieden hat in der Familie, das kann man ja machen, obwohl ich immer noch denke, man soll erst mal selber anfangen mit dem Frieden.“
„Ja, das schließt sich doch nicht aus“, sagt sie und nimmt ein Stück vom Apfelkuchen, „ich kann beim Beten doch auch um Kraft für den ersten Schritt bitten und so.“
„Okay“, sagt er, „aber kann man zum Beispiel darum beten, dass man einen Parkplatz findet?“
Erika lacht. „Was stört dich daran?“
„Also, ich mein“, sagt Erwin, „dass das einfach läppisch ist. Ein Gebet, das sollte doch für die wichtigen Dinge da sein. Ich meine, Gott hat anderes zu tun als sich um so was zu kümmern.“
„Und wenn ich ihn mit so was belästige, dann hat er keine Zeit für die wichtigen Dinge, meinst du das?“, fragt Erika. „Ich stell mir vor, dass er unbegrenzt viel Aufmerksamkeit hat und Kraft.“
„Also für ihn kommt’s da nicht drauf an?“, fragt Erwin, „man kann ihm einfach mit allem kommen?“
„Ja“, sagt sie, „kein Bereich im Leben muss da ausgeschlossen werden.“
„Also, ich käme mir da einfach unverschämt vor“, sagt Erwin, „wenn ich Gott mit so was Albernem belästigen würde.“
„Ich nicht“, sagt Erika, „ich lass ihn gern an allem teilhaben.“
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