Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR3

  

Autor*in

 

Archiv

SWR3 Gedanken

29JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich komme mit dem Fahrrad um die Ecke gebogen, aber noch vorher erreicht es mich:
Lindenduft! Die ganze Straße rund um die Kirche ist davon eingehüllt. Mitten in den Mannheimer Quadraten duftet es wie verrückt. An der Kirche duften außerdem Rosen, Jasmin und Lavendel. Um den Turm herum zischen Mauersegler, wirbeln durch die Luft mit schrillen Pfiffen. Ein Leben im Flug. Alles hier ruft: Es ist Sommer! Genieß es!!

Ich liebe den Sommer. Ich liebe es, am Abend auf meinem Balkon zu sitzen. Eingehüllt in Düfte von Basilikum und Jasmin. Pfirsichduftender Chardonnay. Den Mauerseglern zusehen, die direkt am Balkon vorbeifliegen. Der Abend taucht den Himmel über den Dächern in sanftes Licht. Der Himmel, ein Opal, leuchtet blau und rot, rosa und orange. Ich weiß genau, es hat schon wieder zu lange nicht geregnet. Die nächste Hitzeperiode kündigt sich an. Aber dann:

Der frische Morgen nach einer Regennacht. Ich meine: genießen ist eine Gottesgabe. Die Helligkeit am Abend, die Wärme, zusammensitzen mit Freundinnen. Einfach in den Himmel schauen. Mit der Seele den Duft einatmen, den Himmelsglanz bestaunen und tief spüren: Das alles hat uns Gott geschenkt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37908
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

28JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mit den Kindern aus meiner 2. Reli-Klasse geh ich in die Kirche. Vor der Kirche schauen wir in den Himmel. Mauersegler zischen da durch die Lüfte. In der Kirche sind Bilder zu sehen von Künstlerinnen aus dem Iran. Auch Kinderbilder. Kinder im Iran haben im Verborgenen Bilder gemalt. Bei den Protesten im Iran werden auch Kinder und Jugendliche getötet, davon erzähle ich den Kindern.

Auch von Kian, der Junge wurde bei den Protesten erschossen, ermordet von sogenannten Sicherheitskräften. Kian war erst 9 Jahre alt. Von Kian gibt es ein Video, darin sagt er: ‚Ich bete zum Gott des Regenbogens.‘ Seine Mutter hat das Video veröffentlicht. Seither ist der Regenbogen ein Symbol der Proteste und die Vorstellung das Gott anders sein muss als der grausame Gott des Mullah-Regimes, dessen Anhänger Frauen und Mädchen unterdrücken Ihnen ihre Gedanken, ihre Freiheit nehmen.

So haben die Kinder auf den Bildern immer wieder den Regenbogen gemalt. Eine Frau die ein Siegeszeichen macht mit der Hand. Die Hand ist ein Regenbogen. Eine Frau von Messern bedroht, die durch die Luft fliegen. Ihr Schal ein Regenbogen. Sie haben auch Vögel gemalt: Kinder, denen Flügel wachsen, Mädchen, die die Haare offen tragen und aus ihrem Käfig fliegen wie die Mauersegler.

Die Kinder aus meiner Schulklasse suchen den Regenbogen in den Bildern. Sie sehen die Bilder genau an und sie entdecken vor allem eines: Berenice sagt: ‚Die Frauen sind so mutig und so stark!‘ Dann fangen die Kinder an, eigene Bilder zu malen. Sie sind ernsthaft und vertieft, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich frage, was ihre Bilder bedeuten. Der kleine freche Christopher schaut mich an und raunt leise, fast ehrfurchtsvoll: ‚Die Frauen sollen frei sein! Alle!‘

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37907
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

27JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Meine süßen Wunden, so heißt das Bild einer iranischen Künstlerin. Es hängt derzeit bei uns in der Kirche. Vorne. Unter dem großen Holzkreuz, da wo sonst bei uns ein Bild von Christus zu sehen ist. „My sweet wounds“ zeigt die Büste einer Frau. Weit geöffnete Augen. Tränen. Dornen wachsen ihr in den Hals in die entblößte Schulter. Sie wehrt sich nicht. Sie schaut einfach, das Gesicht in die Hand gestützt. Sie zuckt auch nicht weg, entzieht sich nicht dem Schmerz.

‚Jedes Mal wenn ich in die Kirche komme, schaut diese Frau mich an.‘ meint eine ältere Dame. ‚Ich kann den Schmerz kaum aushalten!‘ Ich weiß, diese Ausstellung ist für viele eine Zumutung. Der Blick der Frau auf dem Bild ist für mich eine Erinnerung. Im Iran werden derzeit so viele Menschen hingerichtet wie seit den Anfängen der islamischen Revolution nicht mehr. Es ist dort so schlimm wie seit 40 Jahren nicht mehr. Gilda Sahebi, Journalistin aus dem Iran, sagt: Die Menschen im Iran verlieren das Vertrauen in den Westen. Es ist, als würde hier keiner wahrnehmen, was dort passiert. Weil der Westen weiter mit der Regierung im Iran zusammenarbeitet, verlieren die Menschen im Iran langsam den Mut und die Hoffnung.

Das Bild der Frau in unserer Kirche steht für all die Frauen, die verhaftet werden, die gezwungen werden, sich zu verleugnen, die ihrer Freiheit beraubt werden. Mädchen und Frauen, vergewaltigt, gefoltert und hingerichtet.

Das Bild dieser Frau muss genau an dieser Stelle hängen in unserer Kirche. Diese Märtyrerinnen der Freiheit und der Gerechtigkeit, sie sind heute das Gesicht Jesu Christi in der Welt. Sie bleiben. Sie ertragen den Schmerz. Sie riskieren den Tod. Und sie sterben.

Ich will mich nicht wegducken, mir zumindest diesen Schmerz zumuten und die Frauen nicht vergessen. Mindestens das.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37906
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

26JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Gott ist queer!“ Das hat Pfarrer Quinton Ceasar beim Kirchentag gepredigt. Danach wurde er beleidigt und bedroht. Auf dem Kirchentag haben alle begeistert applaudiert. Aber in den sozialen Netzwerken, da war es als hätten Leute nur darauf gewartet: Auf jemand wie Quinton Ceasar. Quinton Ceasar stammt aus Südafrika. Eine Person of Colour mit deutlichen Positionen. ‚Was hat der für eine komische Pumuckelfrisur?‘ war nur eine dumme Frage, die er sich anhören musste, in den Kommentarspalten. Aber er wurde beschimpft als Diener des Satans und Teufel in schwarz. In seiner Predigt hatte Ceasar erklärt: ‚Die Kirche ist kein sicherer Ort für mich und meine Geschwister. Menschen mit Behinderung, queere Menschen.‘ Das hat er nun am eigenen Leib erfahren. Menschen akzeptieren ihn nicht. Sie zeigen ihm voller Hass, dass er nicht dazu gehört. Bis jetzt hat das nicht aufgehört.

Quinton Cesar schreckt vor den Angriffen nicht zurück. Mutig sagt er: ‚Ich würde das genauso noch einmal sagen und noch mehr.‘ Für ihn ist am wichtigsten zu sagen: Wir brauchen keine paternalistische Zuwendung, keine sogenannte Liebe, die sich von oben denen, die angeblich unten sind, zuwendet. Wir sind Kirche, genauso wie die, die schon immer dazugehören. Menschen erfahren Hass. Weil sie queer sind, People of Colour, anders glauben, anders lieben, anders denken. 

Ich meine, wie Quinton Ceasar: Gott ist auf der Seite derer, die ausgegrenzt werden! Es ist Zeit, dass wir üben, Kirche MIT denen zu sein, die bisher noch am Rand sind. Dietrich Bonhoeffer sagte einmal, Kirche muss Kirche für die anderen sein. Ich meine es ist Zeit: Kirche muss Kirche Mit den anderen sein. Weil sie eben sie selbst sind, nicht die ‚Anderen‘. Für Gott, da bin ich mir sicher, gehören sie immer schon selbstverständlich dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37905
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

25JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In Mannheim ist BUGA, Bundesgartenschau. Auch die Kirchen sind da. Jeden Tag gibt es Andachten und Lieder, Segen und Gelegenheit zum Gespräch. Heute geht es um queere Kirche. Queer ist alles, was nicht so ist, wie viele meinen, dass es sein müsste: Ein Mann und eine Frau und ein oder zwei Kinder. Am besten hat der Mann mehr zu sagen als die Frau und sowieso mehr als die Kinder.

Auf Der BUGA geht es darum, dass das auch anders sein kann. In dieser Woche werden Lesben und Schwule, Trans und Intersexuelle, Menschen, die bi und ganz anders lieben, von ihren Erfahrungen mit der Kirche erzählen. Diese Erfahrungen sind oft anders als ich hoffen würde.

Auch Evangelische schätzen sich selbst falsch ein darüber, wie offen wir sind. Sie sagen: ‚Bei uns kann doch jeder kommen.‘ Aber so fühlt sich das für queere Menschen oft nicht an. Aus ihrer Perspektive auf die Kirche gucken, bedeutet festzustellen: Wir sind hier nicht selbstverständlich willkommen, nicht so wie wir sind.

Das zeigt sich auch darin, wie in der Kirche über Gott gesprochen wird. Wir sind noch immer ganz am Anfang damit, uns zu trennen von Jahrhunderte alten Vorstellungen. Gott lässt sich nicht festschreiben auf unsere Vorstellungen von Mann und Frau, von Vater und Mutter. Gott ist immer mehr, weiter, größer, kleiner, anders jedenfalls als wir uns das vorstellen können. Auf der BUGA in Mannheim wird eine Woche lang darüber geredet: Was Menschen, die queer sind, meinen dazu, wie es sein könnte, wenn die Kirche für alle, die queer sind, ein guter Ort ist. Einer, an dem sie sich willkommen fühlen und sicher. Ein Ort an dem Gottes Liebe für alle Menschen spürbar wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37904
weiterlesen...

SWR3 Worte

22APR2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Von Gott gibt es viele Bilder und Vorstellungen. Susanne Niemeier hat eine, die war mir neu:

Gott ist eine Diebin.
Ihre Lippen sind rot.
Sie kommt in der Nacht,
wenn auch die Rastlosen vor dem Fernseher
eingeschlafen sind und die Schlüssel der Straßenbahnschaffner am Haken hängen.
Sie schlüpft in die Häuser und in die Träume.
Den Größenwahnsinnigen stiehlt sie die Schuhe.
Den Verzweifelten nimmt sie das Messer aus der Hand.
Den Allzusicheren stiehlt sie die Bilder.
Den Harten nimmt sie die Steine von der Brust.
Den Strengen stiehlt sie das Maß.
Zum Abschied legt sie einen Kuss auf ihre Lippen,
dass ihre Herzen zu pochen beginnen.

Brot und Liebe. Susanne Niemeyer, Matthias Lemme, edition chrismon

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37500
weiterlesen...

SWR3 Worte

21APR2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mehrdad Zaeri ist ein iranischer Künstler. Er erklärt mir Bilder und Zeichnungen von Mädchen aus dem Iran, die wir in unserer Kirche ausstellen wollen.

Was die Kinder gemalt haben, das sind Bilder zum Thema Regenbogen. Regenbogen, die Farben sind zu einer Art Symbol geworden. Zu einer Metapher für die Revolution gegen die Islamisten.
Einmal Regenbogenfarben wegen der Offenheit, wegen des Offenseins der Welt gegenüber. Und dann gibt es einen ganz kleinen Jungen. Er war vielleicht zehn Jahre alt. Und er wurde erschossen. Im Auto. Die haben versucht die ganze Familie zu erschießen. Er wurde auch umgebracht mit ganz ganz vielen Schüssen.
Und es gab einen Film. Seine Eltern haben ihn irgendwann einmal mit dem Handy gefilmt und in diesem Film sagt er: Im Namen des Gottes des Regenbogens.
Und dadurch, durch diesen kleinen Film wurde der Regenbogen zum Symbol für den Widerstand gegen die Islamisten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37499
weiterlesen...

SWR3 Worte

20APR2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Hartmut Rosa ist Soziologe. Dass unsere Gesellschaft einseitig auf Wachstum ausgerichtet ist, findet er problematisch. Weder haben wir die Ressourcen, um weiter zu wachsen, noch brauchen wir wirklich, was da produziert wird, meint er und schreibt:

Noch absurder ist es, dass wir dieses ganze Wachstum ja gar nicht deshalb wollen, weil wir einfach gierig wären. Wir brauchen es, weil wir ohne Wachstum das gesamte bestehende Gefüge nicht mehr erhalten können.
Wenn wir jetzt beschließen, wir wollen nicht mehr wachsen, dann haben wir nicht nur über Nacht jede Menge Arbeitslose und geschlossene Firmen, dann sinken auch die Steuereinnahmen des Staates aber gleichzeitig steigen die Ausgaben, …weil wir diejenigen bezahlen müssen, die aus der Arbeit raus sind.
Wir können dann die Renten nicht mehr bezahlen, das Gesundheitssystem nicht aufrechterhalten.
Eine Gesellschaft, die systematisch sagt, wir stellen uns so auf, dass wir immer mehr Energie investieren müssen…um das Bestehende zu erhalten, die ist pervers.

Demokratie braucht Religion. Hartmut Rosa

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37498
weiterlesen...

SWR3 Worte

19APR2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Arno Geiger ist Schriftsteller. Jetzt hat er offengelegt, wie er zu seinem eigenen Schreibstil gefunden hat. Er hat jahrelang im Papiermüll nach Tagebüchern und Briefen gegraben. Dabei hat er sich auch eine besondere Kompetenz im Wegwerfen angeeignet. Dazu schreibt er:

Die einen Menschen werfen weg, wenn sie glücklich sind, die anderen, wenn sie deprimiert sind. Manche besitzen ein ausgeglichenes Naturell und werfen weg, wenn die Umstände es erfordern. Und wer nicht wegwirft, ist krank und jedenfalls nicht zu beneiden. Am Ende häuft sich immer das Schlechte an, Schulden, Sünden und Gerümpel.
Lebe ich ein erfülltes oder ein angefülltes Leben?
Das ist eine Frage, die ruhig öfter gestellt werden dürfte.
Ein bis zum Platzen angefülltes Leben kann niemals ein erfülltes Leben sein.

Arno Geiger Das glückliche Geheimnis

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37497
weiterlesen...

SWR3 Worte

18APR2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein kleiner Reigen von Bäumen steht mitten im Park der Bundesgartenschau in Mannheim, gepflanzt vom Forum der Religionen in Mannheim. Wie diese Bäume miteinander wachsen, so leben auch die Religionen aus der einen Quelle: Gott. Konstantin Wecker hat ein Gedicht geschrieben, das passt wunderbar dazu:

Der Baum singt
Ich bin ein Baum.
Ich bin auf einem Hügel geboren.
Mich schützen keine Wälder.
Ich steh allein.

Doch wir Bäume sind nie verloren.
Unter der Erde
unsere Wurzeln berühren sich leis.

Ich bin ein Baum.
Wende mich lieber zur Sonne hin.
Liebende lehnen sich an mich,
wenn sie hilflos sind.

Ich wechsle die Farbe, den Namen, die Form,
aber nie den Sinn.
Und hab eine kräftige Stimme gegen den Wind.

https://open.spotify.com/track/3txOgz2p2TyHSNZBHPua41

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37496
weiterlesen...