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SWR2 Wort zum Tag

Heute vor 50 Jahren wurde in den frühen Morgenstunden die Grenze zwischen Westberlin und Ostberlin und der DDR geschlossen. Mit Stacheldraht und Spanischen Reitern wurden die Übergänge von Ost nach West abgeriegelt. Der U- und S-Bahn Verkehr wurde unterbrochen. In den folgenden Tagen ersetzten Bautrupps unter Bewachung die provisorischen Befestigungen durch eine Mauer, an deren Ostseite ein beleuchteter Kontrollstreifen errichtet wurde. Die Bürger der DDR waren eingesperrt. Die Massenflucht über Berlin war nicht mehr möglich. Viele haben in den folgenden Jahren an der Mauer ihr Leben verloren. Aber auf die Dauer konnte diese dem Willen zur Freiheit nicht standhalten. Im November 1989 wurde sie überwunden. Dazu haben auch die Friedensgebete und die gewaltlosen Demonstrationen in Leipzig beigetragen. Es wurde deutlich: Auf die Dauer lässt sich die Sehnsucht nach Freiheit nicht einmauern.
Nach der ersten Begeisterung über die Überwindung der Mauer und die Wiedervereinigung war aber bald von der Mauer in den Köpfen der Menschen die Rede. Die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Erfahrungen hatten die Menschen in Ost und West geprägt. Abwehrhaltungen gegen die Anderen waren die Folgen. Man musste erkennen: Es ist ein langer und mühsamer Prozess, wenn zusammenwachsen soll, was zusammengehört. - Eine Mauer im Kopf - heute entdeckt man sie auch, wenn sich einander fremde Kulturen begegnen. Durch unterschiedliche Lebensstile kann sie aufgerichtet werden. In der Kirche gibt es sie, wenn Christen bei anderen Christen unterschiedliche Formen der Frömmigkeit oder unterschiedliche Glaubensüberzeugungen wahrnehmen.
So war es auch zur Zeit des Paulus. Es gab den Zaun zwischen Judenchristen und Heidenchristen, die Mauer in den Köpfen beider Gruppen. Die an ihre Traditionen gebundenen Judenchristen hielten die Heidenchristen für viel zu liberal. Die wiederum fanden ihre Mitchristen hoffnungslos rückständig. Aber - so heißt es im Epheserbrief - der Zaun ist doch abgebrochen! Ihr seid nicht mehr wie durch eine Mauer eingesperrt in eure Erfahrungen und Überzeugungen, unfähig, Andere in ihrer Andersartigkeit anzunehmen. Denn ihr seid mit euren Erfahrungen und Prägungen von Gott angenommen und von ihm wert gehalten - aber die Anderen mit ihrer Art auch. Auch sie sind von Gott wert gehalten und haben dadurch ihre Würde. Wer das weiß, wird frei, die Würde Anderer zu achten, Ihnen Freiheit zur Andersartigkeit zu lassen und sie anzunehmen. Freiheit überwindet Mauern, auch die in den Köpfen.

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SWR2 Wort zum Tag

Grenzen haben Übergänge. Auch bei offenen Grenzen führen die Straßen an alten Zollhäuschen vorbei. Und gleich nach dem Übergang zeigen neue Verkehrsschilder, dass man in einem anderen Land angekommen ist.
Von Übergängen ist das ganze Leben bestimmt. Manche Übergänge werden von Freude und Hoffnung begleitet. Andere sind mühsam und schmerzhaft. Ich denke an eine ältere Frau im Altersheim. Ihr Mann ist vor Jahren schon gestorben. Manchmal erzählt sie von ihm. Sie erinnert sich, wie sie sich kennen gelernt, sich lieb gewonnen haben und wie sie dann glücklich waren über den Übergang in ein gemeinsames Leben. Manchmal spricht sie auch von ihrer Kindheit in schwerer Zeit und davon, wie sie später das Elternhaus verlassen und den Übergang in Ausbildung und Beruf erlebt hat. Auch von ihren Kindern berichtet sie gerne. Nach der Geburt des ersten Kindes hat sie ihren Beruf aufgegeben. Der Übergang in das Leben ganz zu Hause ist ihr nicht leicht gefallen. Aber es war zu ihrer Zeit das Übliche. Und durch die Kinder hat sie viel Glück erlebt. Der Tod ihres Mannes und der Übergang in das Leben als Witwe hat sie nur schwer verkraftet. Und bitter war es auch, als sie merkte, dass sie nicht mehr für sich selbst sorgen konnte und der Übergang in das Altersheim notwendig wurde. Sie musste lernen, die durch das Alter bedingten Grenzen zu akzeptieren, hat aber dann gemerkt, dass es auch jetzt noch viel Gutes in ihrem Leben gibt. - Es ist so: Übergänge bestimmen das Leben, auch mein Leben.
Aber nun gibt es einen unvergleichlichen Übergang, der hilft, die Übergänge im Leben mit ihrem Glück und ihrem Schmerz neu zu verstehen und anders zu erleben: Gottes Kommen in unsere Wirklichkeit, sein Übergang in unser Leben, das er mit uns geteilt hat. Dort hat er wie wir Freude und Schmerz erfahren. Dort hat er mit uns gelitten und ist für uns gestorben. Jetzt kann ich glauben, dass er auch zu mir gekommen ist und alle meine Übergänge, die schweren und die schönen, begleitet. In keiner Lebensphase bin ich allein gelassen. Dass ich mich darauf verlassen kann, erfahre ich durch Riten, die mir nahe bringen, was durch Gottes Grenzüberschreitung für mich geschehen ist: durch die Taufe, die mich mit Jesus Christus und seiner Geschichte verbindet, durch das Abendmahl, das Wegzehrung ist auf meinem Weg, und durch Gottesdienste, die mir an Übergängen in meinem Leben zum Vertrauen helfen. Sie machen mich dankbar für das Gute, das ich erlebe, und trösten mich in schmerzhaften Übergängen.

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SWR2 Wort zum Tag

Grenzen trennen. In Europa sind die Grenzen offen, ein Gewinn, der nicht verspielt werden sollte. Beim Übergang in ein fremdes Land stößt man allerdings auf die Sprachgrenze, auch auf unterschiedliche Mentalitäten und Bräuche und erfährt dabei doch, dass Grenzen trennen. - Andererseits berührt sich an den Grenzen, was durch sie getrennt ist. Länder, Gemeinden, Menschen können über die Grenze hinweg vielfältige Beziehungen pflegen. So ermöglichen Grenzen auch Begegnungen von Getrennten, eine Zusammengehörigkeit über die trennende Grenze hinweg.
Grenzen gibt es auch im Leben jedes Menschen, Begrenzungen, die auch schmerzhaft sein können und die dann doch miteinander verbinden, was einmal war und was künftig sein wird. Grenzerfahrungen macht man auch im Glauben. Immer wieder bedrängt einen die Einsicht, dass man nicht ist und nicht tut, was man sein und tun sollte. Man möchte gerne eins sein mit sich selbst, aus den Widersprüchen herauskommen und schafft es einfach nicht. In Krisen- oder Konfliktsituationen, in denen man sein Versagen genau kennt, ist die Grenze zwischen Sein und Sollen besonders bedrückend. Wer bin ich eigentlich? Diese Frage lässt sich dann nicht mehr unterdrücken und versetzt in eine quälende Unruhe. Aber nun weiß der Glaube auch: Ich versage zwar und bin nicht, was ich sein sollte. Dennoch bin ich Gott recht, weil er mich liebt. Dadurch kann ich die Grenze zwischen Sein und Sollen aushalten. Ich kann auf dieser Grenze leben in der Gewissheit, dass in Gottes Liebe der Widerspruch zwischen Sein und Sollen aufgehoben ist und ich durch sie mit mir selbst eins sein kann. - Oft fällt es schwer, das Vertrauen auf Gott und seine Liebe mit den Leiden in der Welt und im eigenen Leben zusammenzubringen. Man spürt eine beunruhigende Grenze zwischen diesem Vertrauen und der Erfahrung der Wirklichkeit. Man wird von der Frage gequält, warum Menschen so leiden müssen, warum einen selbst großes Leid getroffen hat. Aber der Glaube kann das Vertrauen auf Gottes Liebe und die Erfahrung der Wirklichkeit zusammenhalten. Ich kann zwar die Leiden in der Welt und in meinem Leben nicht verstehen; Gott verbirgt sich für mich hinter ihnen. Ich kann mich aber dann an das halten, was ich durch Jesus Christus von Gott und seiner Liebe weiß und so mit meinen Fragen, die keine Antwort finden, dennoch beim Vertrauen bleiben. Im Glauben kann ich auf der Grenze zwischen meinem Vertrauen auf Gottes Liebe und meiner Erfahrung der Wirklichkeit leben. Der Glaube hält auf der Grenze scheinbar nicht Vereinbares zusammen.

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SWR2 Wort zum Tag

Ihr werdet immer erhört. Was ihr erbittet, wird euch gegeben. Bittet und ihr könnt nehmen, was ihr erbeten habt. Das verspricht Jesus seinen Jüngern beim Abschied von ihnen, wie ihn das Johannesevangelium schildert. Wie soll man das verstehen? Wie kann man das glauben? Menschen, die beten, wissen, dass sie im Gebet alles aussprechen können, was sie bewegt. Dass man, wie es ein schönes Bild ausdrückt, vor Gott sein Herz ausschütten und ihm sagen kann, was man keinem Menschen sagen würde. Manchmal fällt das Beten zwar schwer; das Gebet kann verstummen, weil man das Gefühl hat, wie gegen eine Wand zu sprechen. Wer betet, weiß aber, dass man gegen diese Erfahrung anbeten kann und beim Beten bleiben oder zu ihm zurückkehren soll. Denn es ist zugesagt, dass Gott alle Gebete hört, auch wenn nur ein Seufzen über die Lippen kommt. Wer betet, weiß aber auch, dass nicht alle Wünsche, die man im Gebet vor Gott ausspricht, erfüllt werden. Und manchmal ist es so, dass auch, was man ganz dringend braucht, eben nicht gegeben wird, dass es trotz aller Bitten beim Leid, beim Schmerz, bei Überforderung und Versagen bleibt. Immer erhört? Wie soll man das verstehen? Wie kann man das glauben?
Jesus verspricht die Erhörung denen, die in seinem Namen beten. So kann man Gebete ja abschließen: ... in Jesu Namen. Amen. Aber das ist gewiss keine magische Formel, durch die man erreichen kann, was man wünscht. Aber was bedeutet es dann? Ich denke daran, was gemeint ist, wenn ein Mensch im Namen eines anderen spricht oder handelt. Er sagt oder tut dann etwas im Auftrag und im Sinne des Auftraggebers. Wenn also etwas im Namen eines anderen gesagt oder getan wird, ist der, in dessen Namen es geschieht, ist der Auftraggeber immer dabei.
Dass Jesus bei seinen Jüngern, dass er bei und mit mir sein will, das hat er zugesagt. Wenn ich in seinem Namen bete, ist er dabei und betet mit mir. Dies gibt meinem Bitten Gewicht. Gott hört und erhört es. Wenn Jesus bei mir und mit mir ist, macht er aber auch etwas aus mir. Er zeigt mir die Verantwortung für das Leben, das Gott liebt. Er erlaubt nicht, auf Gott abzuschieben, was ich in seinem Auftrag tun kann und soll. Er nimmt mir aber auch immer wieder die Angst, die lähmende Sorge um mich selbst und lässt mich immer neu glauben, dass ich keinen Augenblick von ihm verlassen bin. Dies alles hilft, in seinem Sinne zu beten - und im Gebet auch zu sagen: Dein Wille geschehe.

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SWR2 Wort zum Tag

Manchmal kann man nur durch Schmerz zur Freude kommen. Das erleben Frauen elementar bei der Geburt. Es ist eine schmerzhafte Angelegenheit, ein Kind zur Welt zu bringen. Die Männer ahnen jedenfalls, wie hart das ist, wenn sie bei der Geburt ihres Kindes dabei sind und die Hand ihrer Frau halten können. Aber dann, wenn das Kind da ist und in die Arme der Mutter gelegt wird, legt sich Freude über den Schmerz, wie groß der auch war. Glück, Freude über das Wunder eines neuen Lebens beherrschen alles. - Auch in anderen Lebenssituationen geht dem Glück, der Freude der Schmerz voraus, und die Freude muss durch ihn hindurch. Eine Krankheit kann schwere Schmerzen verursachen; die Heilung und Genesung empfindet man dann dankbar und froh als wiedergeschenktes Leben. Ein Konflikt kann einem hart zusetzen; wenn Versöhnung möglich wird, vertieft sich in der Regel die Beziehung und man freut sich neu an einander.
Auch im Glauben kann es so sein: Man muss manchmal durch Dürrezonen, um erst danach in Regionen zu kommen, in denen durch neues Vertrauen Freude wieder einkehren kann. Die Ursache kann ein unverstandenes Leid sein, das an Gott zweifeln lässt. Oder ein Unrecht, das einen anderen Mensche schwer verletzt hat und das unbereinigt bleibt. Oder der Sog in ein Leben, in dem der Glaube in den Hintergrund tritt, in dem man mit dem Beruf, mit Aufgaben in der Familie, mit Alltagsproblemen ganz ausgefüllt ist. Aber immer wieder ist es der Schmerz, der in Dürrezonen führt. In ihnen scheint sich Gott zu verbergen. Man kann nicht mehr beten. Man zweifelt. Man ist nahe am Verzweifeln und verliert den Halt im Glauben.
Diese Situation sagt Jesus seinen Jüngern voraus, als er Abschied nimmt von ihnen. Sie fassen es nicht. Sie können noch nicht nachvollziehen, dass sie loslassen und ratlos und traurig werden müssen. Sie können noch nicht verstehen, dass Jesus diesen Weg bis an dieses Ende gehen muss, um dort sein zu können, wo Menschen leiden und schuldig werden, um seine Liebe auch in die Abgründe des Lebens zu bringen. In dieser Situation erinnert Jesus an das, was eine Frau bei der Geburt erleidet - und was sie dann glücklich macht. Es ist ähnlich,  wenn man versteht, was das Leiden Jesu bedeutet, wenn der Auferstandene einem in seinem Geist und seinen Worten begegnet und tröstlich nahe ist. Dann wird immer wieder Freude aufkommen - trotz allem, was das Leben immer wieder schwer macht, durch den Schmerz hindurch.

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SWR2 Wort zum Tag

Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann, auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen... So singt die Marschallin im Rosenkavalier. Sie fließe, lautlos, wie eine Sanduhr, heißt es im Text von Hugo von Hofmannsthal. Manchmal höre man sie aber fließen - unaufhaltsam. Im Rosenkavalier wird so der unaufhaltsame Abschied von einer Liebesgeschichte vorbereitet. Bei jedem Abschied spürt man die Zeit, oft schmerzhaft. Wenn man zum Beispiel durch Alter oder Krankheit hinter sich lassen muss, was bisher selbstverständlich war, tut es weh. Am meisten, wenn man den Menschen, mit dem man ein Leben lang verbunden war, hergeben muss. Aber schon wenn Liebende sich nur kurze Zeit trennen müssen, kann der Abschied schwer fallen, weil sie sich jeden Tag vermissen. Wie lange kann da auch eine kurze Zeit werden!
Beim Abschied von seinen Jüngern spricht Jesus von einer kleinen Weile, in der sie sich verlassen vorkommen, ratlos und unendlich traurig sein werden. Wieder nach einer kleinen Weile werden sie Jesus aber wieder begegnen, und ihre verzweifelte Traurigkeit wird sich in Freude verwandeln. Die Jünger verstehen Jesus nicht. Wie sollen wir das verstehen? Unsere ganze Lebenszeit ist doch gefüllt mit Abschieden, die wehtun. Schmerzen und Leid hören nie auf. Es wird so bleiben bis an das Ende unseres Lebens. Und das ist doch dann keine kleine Weile, sondern eine lange Zeit.
Am Ende des Lieds der Marschallin heißt es, man müsse die Zeit dennoch nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns erschaffen hat. Ist also das Fließen der Zeit, in dem wir fort getragen werden zu immer neuem Schmerz, einfach der Wille des Schöpfers? Aber wie soll uns das trösten? Und wie kann man es mit Jesu Verheißung zusammenbringen, dass nach kurzer Zeit Traurigkeit und Schmerzen in Freude verwandelt werden? Er verspricht seinen Jüngern, dass er ihnen in Kürze, und das heißt nach seinem Tod und seiner Auferstehung, begegnen will. Auch für Christen bedeutet Jesu Versprechen also: In der Erfahrung der Zeit mit allem, was sie uns bringt, will er bei uns sein - alle Tage, bis an das Ende unserer Zeit, ja bis an das Ende der Welt. Weil uns dies immer neu zugesagt wird, muss es beim Abschiedsschmerz, bei Traurigkeit und Verzweiflung nicht bleiben. Immer neu müssen sie der Zuversicht und  der Freude weichen, dem Vertrauen, dass wir mit unserer Zeit in Gottes Händen sind.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Auf dem Bahnhof sehe ich eine junge Familie. Eine ältere Frau steht dabei. Sie ist wohl die Großmutter des kleinen Mädchens. Sie umarmt das Kind. Lächelnd spricht sie mit dem jungen Ehepaar und sieht doch ein wenig traurig aus. Gleich wird der Zug einfahren, und dann heißt es Abschied nehmen. Ich überlege, was die ältere Frau denken mag oder auch ausspricht. Vielleicht: Es war schön, dass ihr mich besucht habt. Kommt bald wieder. Vielleicht auch: So schnell wird es nicht wieder sein können. Die Entfernung ist zu groß. Aber die Hoffnung auf ein Wiedersehen macht wohl den Abschied doch weniger schmerzlich. Ob die ältere Frau manchmal auch denkt: Wie lange werde ich noch da sein und besucht werden können? Am Leben meiner kleinen Enkelin werde ich nur noch eine begrenzte Zeit teilnehmen können. Irgendwann wird es einen endgültigen Abschied geben, ein Abschied ohne Wiedersehen. Wird das für sie auch ein Abschied ohne Hoffnung sein?
In der für mich schönsten Geschichte, die Johann Peter Hebel geschrieben hat, finde ich eine solche Hoffnung. Sie ist mit Unverhofftes Wiedersehen überschrieben. Es geht um ein junges Brautpaar kurz vor der Hochzeit. Der Mann ist Bergmann und hat, wie jeden Morgen, beim Gang zur Arbeit an das Fenster seiner Braut geklopft und ihr einen guten Morgen gewünscht. Aber dieses Mal ist er nicht wieder vom Bergwerk zurückgekehrt. Jahrzehnte vergingen, und die Braut hat ihren Bräutigam nie vergessen. Aus der jungen, schönen Braut ist schließlich eine alte Frau geworden. Da entdeckten Bergleute eines Tages in großer Tiefe den Leichnam eines jungen Mannes. Der Leichnam war ganz von Eisenvitriol durchdrungen, und das hatte die Verwesung verhindert. Er sah aus, als ob er erst vor einer Stunde gestorben wäre. Niemand kannte ihn, bis die ehemalige Verlobte, alt und gekrümmt, kam und mit mehr freudigem Entzücken als mit Schmerz vor dem Toten niedersank und nach einer Weile sagte: Es ist mein Verlobter, um den ich 50 Jahre getrauert habe. Nun hat mich Gott ihn noch einmal vor meinem Tod sehen lassen. Am Grab sagte sie dann: Schlafe nun wohl... Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald. ... Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweiten Mal auch nicht behalten. Und sie verließ das Grab, ohne sich noch einmal umzusehen - in der Hoffnung auf ein anderes und endgültiges Wiedersehen.
Wie ist eine solche Hoffnung möglich? Als Jesus von seinen Jüngern Abschiednehmen wollte, haben seine Freunde nichts verstanden. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass einfach zu Ende sein sollte, was sie so mit Hoffnung erfüllt hatte. Jesus muss sie mit der Realität konfrontieren: Sein Ende steht bevor, und es wird ein schreckliches Ende sein. Er muss ihnen sagen, dass er ihnen Trauer und tiefe Bestürzung nicht ersparen kann. Aber dann sagt er ihnen auch: Das alles ist doch nicht endgültig. Ihr werdet mich wiedersehen. Ihr werdet voll Freude sein, und diese Freude kann euch dann niemand mehr nehmen. Alle Eure Fragen, Euer Leiden, Eure Ängste werden dann überwunden, und ihr werdet immer bei mir sein. - Es ist eine große Hoffnung, die Jesus den Seinen macht, eine Hoffnung gegen den Tod. Auf ihre Weise hat die Greisin in Hebels Geschichte eine solche Hoffnung zum Ausdruck gebracht. Aber kann eine solche Hoffnung helfen, wenn Leiden und Schmerzen nicht aufhören wollen, wenn schmerzhafte Abschiede das Leben jetzt bestimmen? Jesus meint mit seinen Worten über das Wiedersehen nicht nur die Hoffnung über den Tod hinaus. Er wird nicht im Tod bleiben; jetzt schon kann und will er bei uns sein - durch seinen Geist, und das heißt: in seinen Worten, seinen Zusagen, die in Trauer trösten, in Ängsten Mut machen und die Gewissheit schenken, dass wir geliebt sind und uns von dieser Liebe nichts trennen soll. Das macht die Hoffnung stark.

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SWR2 Wort zum Tag

Ich werde gebraucht - wer das weiß und spürt, freut sich darüber.
Alte Menschen meinen manchmal, dass sie nicht mehr gebraucht werden, und beklagen es. Menschen ohne Erwerbsarbeit empfinden Leere in ihrem Leben. Wer zur Kirche gehören will, kann wissen, dass er gebraucht wird. Ein schönes Bild der Bibel beschreibt die Kirche so: Sie ist wie ein Haus. Das Fundament, auf dem das Haus der Kirche ruht, ist, was die Menschen am Anfang der Kirche erfahren und weitergegeben haben. Der Grundstein, der das Fundament zusammenhält,  ist Jesus Christus. Die Menschen in der Kirche aber sind die Steine, mit denen der Bau aufgerichtet wird. Sie tragen andere Steine und werden von anderen getragen. Sie werden alle gebraucht. So gilt in der Kirche: Ich werde gebraucht.

Alle werden in der Kirche gebraucht. Ich werde gebraucht. Aber wozu?
Die Kirche braucht meine Erfahrungen mit dem Glauben im Alltag. Meine Fragen, meine Zweifel, auch meine Kritik müssen Raum haben in der Kirche. Wenn sie gehört werden, gewinnt die Kirche die Realität, in der die Verkündigung des Evangeliums „ankommen" und verstanden werden soll. Und wenn das Gespräch über Glaubenserfahrungen im Alltag in ihr Platz hat, kann so etwas wie eine Sprachschule entstehen, durch die man befähigt wird, Auskunft über das zu geben, was einen im Glauben hält und trägt. Dieses Sprechen über den Glauben im Alltag braucht die Kirche. Nur so kann sie ihren Verkündigungsauftrag erfüllen. Und ich werde dazu gebraucht.

Glaube kann nicht folgenlos bleiben. Immer wieder muss und wird er die Zuwendung zu Mitmenschen zur Folge haben. Glaube und Liebe gehören zusammen. Auch ich werde dazu gebraucht, dass sie zusammen bleiben. Natürlich, es gibt die Diakonie, wo Menschen in unterschiedlichen Einrichtungen professionell geholfen wird. Das ist gut so. Es ersetzt aber nicht die vielfältigen Formen der Zuwendung zu anderen Menschen im persönlichen Umfeld, zum Beispiel in der Nachbarschaft, in der Gemeinde mit ihren Hilfsprojekten. Ehrenamtliche Mitarbeit in der Gemeinde auf unterschiedliche Art ist notwendig. Sie braucht die Kirche. 

Und wenn man alt oder krank ist und all dies nicht mehr vermag? Dann kann man für andere und für die Kirche beten. Und das braucht die Kirche ganz besonders. Man kann gerade auch damit erfahren, dass man zur Kirche gehört, dass man zusammen mit Anderen Kirche ist.

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SWR2 Wort zum Tag

Die Kirche brauche ich nicht. Ich brauche sie nicht für meinen Glauben.
Ich brauche sie nicht für mein Leben.
Viele Menschen denken so und sagen es auch. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe: Ein Elternhaus ohne Kontakt zur Kirche, ein Leben im Alltag, von dem eine Brücke zum Leben in einer Gemeinde nicht gefunden wurde, schlechte Erfahrungen mit der Kirche, mit einem ihrer Vertreter, vielleicht auch die Zugehörigkeit zu einer anderen Weltanschaungsgemeinschaft oder die bewusste Entscheidung für ein Leben ohne Religion. Unterschiedliche Erfahrungen lassen Menschen sagen: Ich brauche die Kirche nicht. Man muss diese Erfahrungen respektieren.

Ich brauche die Kirche. Ich will Ihnen heute Morgen sagen, warum das so ist. Meine Eltern haben mich auch in der Nazizeit in den Kindergottesdienst geschickt, auch wenn sie selbst nicht regelmäßig an Gottesdiensten teilgenommen haben. Es war aber vor allem die kirchliche Jugendarbeit, die mir Kirche nahe gebracht hat. Eindrucksvolle Jugendleiter und die Gemeinschaft mit anderen Jugendlichen haben mich geprägt. Auch die Beschäftigung mit der Bibel hatte in der schwierigen Nachkriegszeit selbstverständlich einen angemessenen Platz bei den Zusammenkünften. So Manches in dem Buch aus einer fremden Welt habe ich nicht verstanden; so Manches macht mir bis heute zu schaffen. Aber irgendwann habe ich mich dem Kern der biblischen Überlieferung angenähert. Ich buchstabiere ihn bis heute. Ich muss immer neu hören, was meinen Glauben erst möglich macht und mir im Leben hilft. Ich bin ein Mensch, der den Unterschied zwischen dem, was er sein soll und was er in Wirklichkeit ist, oft schmerzhaft empfindet. Immer wieder holt mich die Erkenntnis ein, dass ich nicht eins sein kann mit mir. Aber dann höre ich, was ich mir nicht selbst sagen kann: Ich bin dennoch angenommen und darf mich darum selbst annehmen. Ich bin voraussetzungslos geliebt und kann im Vertrauen darauf leben. Ich kann mir das nicht selbst sagen. Es wird mir zugesagt, vor allem im Gottesdienst. Dort geht es zentral um die Geschichte des Jesus von Nazareth, darum, was sie bedeutet. In ihr entdecke ich Liebe, Gottes Liebe. Zusammen mit Anderen kann ich diese Entdeckung machen, kann mit ihnen hören, beten, singen und in den alten Worten der Liturgie einen Raum finde, in dem meine alltäglichen Erfahrungen transzendiert werden, einen Raum der Geborgenheit.  In ihm werde ich gestärkt für den Alltag, in ihm auch erinnert an das, was ich tun soll. Und es wird mir versprochen, dass mir davon mindestens Anfänge gelingen können. All das brauche ich. Darum brauche ich die Kirche.

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SWR2 Wort zum Tag

Wozu ist die Kirche gut? Was bedeutet sie für einen Staat, der religiös neutral ist, und für eine Gesellschaft, in der es eine Vielzahl von Überzeugungen und Weltanschauungen gibt? Ist denn noch gerechtfertigt, dass die Kirchen in dieser Gesellschaft Möglichkeiten haben, die anderen Religionen und Weltanschauungen versagt bleiben? Entsprechen sie noch dem fortgesetzten Mitgliederschwund bei den großen Kirchen? Viele fragen so und denken z. B. an den Religionsunterricht in staatlichen Schulen, an die erheblichen staatliche Zuschüsse für die soziale Arbeit der Kirchen, nicht zuletzt an den Einzug der Kirchensteuer durch den Staat. - Man muss diese kritischen Anfragen ernst nehmen. In unserer pluralen Gesellschaft haben die Kirchen in ihrem Wirken tatsächlich keinen Alleinvertretungsanspruch.

 Wozu ist die Kirche in unserer Gesellschaft dann gut? Warum ihr besonderes Verhältnis zum weltanschaulich neutralen Staat? Ich denke daran, dass es Grundüberzeugungen und Maßstäbe für ethisches Handeln auch in unserer Gesellschaft gibt, die trotz der großen Vielfalt in ihr dennoch weitgehend gemeinsam sind. Von der unantastbaren Würde jedes Menschen sind auch die überzeugt, die keine Verbindung zur Kirche haben. Die Überzeugung, dass der Mensch frei ist und als solcher mitverantwortlich für das Zusammenleben, bestimmt unsere demokratische Ordnung. Das Bild vom Menschen in seiner Würde hat aber seine Wurzeln in der jüdisch-christlichen Tradition, im Glauben, dass jeder Mensch von Gott geschaffen und geliebt ist. Die Freiheit des einzelnen Menschen war bestimmendes Thema der Reformation; sie hat ihren Grund im Glauben, dass jeder Mensch von Gott voraussetzungslos angenommen wird, dadurch einen unmittelbaren Zugang zu Gott hat und so eine große Befreiung erlebt. Die Kirche hält diese Traditionen wach, vermittelt sie und verweist damit auf Voraussetzungen menschlichen Zusammenlebens, die der Staat nicht schaffen kann.

Ich denke auch daran, dass die Kirche den Staat vor allem im sozialen Bereich entlastet. Durch diakonische Einrichtungen und nicht zuletzt durch soziale Verantwortung in den Gemeinden erfahren Menschen in schwierigen Situationen ohne Ansehen der Person oder Weltanschauung Hilfe, wie sie der Staat nicht leisten kann. Auch wenn sich die Verhältnisse in der Kirche und in der Gesellschaft verändern sollten: durch ihre Verkündigung und durch die Zuwendung zu Menschen in Not wird die Kirche der Gesellschaft auch in Zukunft gut tun

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