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SWR1 Begegnungen

Jesu Niederlage am Kreuz ist nur eine scheinbare Niederlage

Michael Jäger ist Journalist bei der Wochenzeitschrift „Der Freitag“, einem politischen Magazin mit Sitz in Berlin. Und vielseitig interessiert. An Politik,
an Musik, und an Religion. Heute ist Karfreitag, die Christinnen und Christen gedenken des Todes Jesu am Kreuz. Was bedeutet Karfreitag für Michael Jäger?

Jesus scheint ja auf den ersten Blick eine Niederlage erlitten zu haben, eine furchtbare Niederlage. Und trotzdem war‘s nicht so. Daraus können wir die Lehre ziehen: Dass wir, wenn wir versuchen, etwas zu verbessern, nicht denken müssen, wir müssten selbst in unserem Leben einen Sieg erringen. Auch wenn das nicht der Fall ist, können wir etwas für die Zukunft tun, dann vielleicht sogar besser etwas für die Zukunft tun.

Immer wieder sagt Thomas Jäger „Trotzdem“ in unserem Gespräch, als ich ihn in Berlin besuche. Er sieht im Karfreitag, im Tod Jesu am Kreuz, die Christen gefordert.

Das Wort vom Kreuz kann die Christen zum Widerstand ermutigen. Sie sollen aber so widerstehen, das sie nicht an einem Widerstand, der sowieso stattfindet, sich auch anschließen und dasselbe tun, was die anderen tun, sondern sie habe als Christen etwas Spezielles einzubringen.

Das Spezielle des Christentum: Für Gerechtigkeit kämpfen, weil Gott die Ungerechtigkeit hasst. Für das Leben kämpfen, weil Jesus am Kreuz den Tod überwunden hat. Gott ist auf der Seite derer, die leiden, die gegen ein Leid ankämpfen.

Wenn man leidet, dann kann man nicht immer kämpfen. Leiden ist manchmal das Schwerste, dann nämlich, wenn es in Geduld ertragen werden kann. Und als Jesus am Kreuz hing, das war’s ja aus mit dem Kämpfen. Und wenn er an Gott dachte, schien Gott ihn verlassen zu haben. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Und doch wusste er auch, dass mit dem Karfreitag nicht alles aus ist. Damit hat ein Vorbild gesetzt, und in diesem Vorbild selbst steckt die Solidarität Gottes mit den Leidenden.

Und dann wieder „Trotzdem“. Mit der Angst, von Gott verlassen zu sein, stirbt Jesus am Kreuz. Und bleibt nicht im Tod, weil Gott seinen Sohn nicht im Tod belässt, sondern zur Auferstehung führt. Der Karfreitag ist ein trauriger Tag, und dennoch ein Feiertag.  Wirklich ein Feiertag?

Man kann den Karfreitag feiern, so wie ihn die Kirche feiert: In der Trauer und gleichzeitig in der Hoffnung. In dieser Weise können wir das feiern, obwohl das Wort „Feier“, wie wir es normalerweise gebrauchen, Anklänge hat, die da einem nicht so gerne einfallen.

„Ich höre an Karfreitag das Weihnachts-Oratorium von J.S. Bach“

Der 70-Jährige Journalist Michael Jäger („Der Freitag“, Berlin) hat Politik und Germanistik studiert, aber seine Steckenpferde sind Musik und Theologie. Johann Sebastian Bach und dessen Musik hat es ihm besonders angetan. Er hört sich gerne an Karfreitag und an Ostern das Weihnachts-Oratorium an.

Die Choräle, die dieses Werk durchziehen, die freuen sich dem Text nach über Jesu Geburt. In der Melodie aber wiederholen sie immerzu: „O Haupt voll Blut und Wunden“! Das bedeutet ja nicht nur, dass Jesus später gekreuzigt wird. Sondern es bedeutet vor allem umgekehrt, dass die Kreuzigung ohnmächtig ist gegen Jesu Geburt. Dieser Neuanfang kann nicht rückgängig gemacht werden.

Wieder höre ich das „Trotzdem“ von Michael Jäger. Der Karfreitag mit dem Tod Jesu kann nicht wegdiskutiert werden. Und trotzdem sind Weihnachten mit der Geburt Jesu und Ostern mit der Auferstehung Jesu stärker. - Michael Jäger ist politischer Journalist. Als Christ  glaubt er daran, dass Jesus am Kreuz die Schuld der Welt auf sich genommen hat. Er verzweifelt fast daran, wie wir mit Gottes Schöpfung umgehen. Da spricht er von Schuld. Von großer Schuld. Und zitiert Papst Franziskus.

Der hat gesagt: „Die Menschen unserer Gesellschaft glauben, so viel Schuld auf sich geladen zu haben, das sie an eine Möglichkeit der Umkehr, der tätigen Umkehr, gar nicht mehr glauben. Denn wer soll uns vergeben, was wir der Welt angetan haben.“ – Das finde ich sehr stark. Gerade als Mensch, der politisch tätig ist und jede Woche über Politik schreibt. Wenn wir uns eingestehen würden, dass es zum Verzweifeln ist, diese Vorstellung von uns, dass wir gar nicht mehr umkehren können, dann würden wir Karfreitag erleben.

Dass wir nicht mehr umkehren können…Mir wird fast Angst und Bange nach diesen Worten von Papst Franziskus und Michael Jäger. Und glaube trotzdem, dass Gott immer vergeben kann. Wer Vergebung sucht, dem kommt Gott entgegen. Michael Jäger sieht da die Kirchen in der Pflicht, Menschen dabei zu unterstützen.

Sie bieten an, dass man zu ihnen kommen kann, wenn man mühselig und beladen ist. Wer das nicht braucht, oder wer meint, dass er’s nicht braucht, oder wer nicht merkt, dass er das braucht, der geht eben woanders hin. Vielleicht gibt es doch mal einen Zeitpunkt, wo er froh ist, dass es dieses Angebot gibt. Das ist einfach Kirche.

Heute ist Karfreitag. Der Tod Jesu muss an diesem Tag ausgehalten werden. Nur wie?

Wenn der Karfreitag das Ende wäre, wäre er in der Tat nicht auszuhalten.

Heute: Karfreitag vor Augen, und doch Ostern schon fest im Blick. Mich beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit der politische Journalist Michael Jäger den Karfreitag bedenkt und über ihn nachdenkt. Und dann über Karfreitag hinausdenkt.

An Ostern feiern wir die Auferstehung. Jesus sitzt zur rechten Gottes. Das bedeutet: Jesus hat Recht, sein Weg war der Richtige. Das ist die  Freude von Ostern. Und dann eben die Ermutigung, die davon ausgeht. Wir haben nicht das Ende erlebt, im Gegenteil: Wir haben den Neuanfang erlebt. Wir können versuchen, eine bessere Welt zu schaffen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Ein neues Phänomen wird derzeit von Wissenschaftlern der Technischen Universität Darmstadt untersucht: „Me-Time“, also meine Zeit, oder: Zeit für mich. Aufgrund der modernen Kommunikationstechniken haben immer mehr Menschen immer weniger Zeit für sich, „Me-Time“ eben.

„Me-Time“ – gemeint sind damit Zeiten, in denen Menschen etwas tun können, und dies ganz frei von Erwartungen und Störungen durch andere.  Handy und smartphone machen die  Kommunikation schneller und leichter,  aber dass Menschen ständig erreichbar sein sollen, überfordert diese zunehmend. Moderne Kommunikationsmittel sind Segen und Fluch zugleich.

Unternehmen steuern dieser ständigen Verfügbarkeit ihrer Mitarbeiter entgegen. Manche haben verbindlich geregelt, wann ihre Mitarbeiter außerhalb der eigentlichen Arbeitszeiten angerufen werden dürfen. Diese müssen dann auch auf mails, die nach 19.00 Uhr eintreffen, nicht noch am betreffenden Abend Antwort geben.

Menschen brauchen einen sicheren Arbeitsplatz. Sie brauchen aber auch Sicherheit, was ihre Freizeit anbelangt. Mit den Kindern spielen, Sporttreiben zusammen mit anderen in einer Mannschaft, ins Konzert gehen mit dem Ehepartner – all‘ das darf nicht permanent in Frage gestellt werden. Wir sind keine Menschen, die dauernd erreichbar sein müssen. Weil es Wichtigeres gibt, als im Minutentakt zu reagieren. Dann lautet die Devise: „Me-Time“, meine Zeit, und das Handy bleibt, was den Beruf anbelangt, ausgeschaltet.

„Meine Zeit steht in deinen Händen – in Gottes Händen“, heißt  es in einem Kirchenlied. Wenn ich dieses Lied singe, ist das auch „Me-Time“, Zeit für mich, weil im Gebet komme zu mir, komme ich zu mir selbst. Ich spüre so, dass Gott mich in seinen Händen hält. Zu jeder Zeit.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Im Supermarkt kramte ich meine EC-Karte aus, um zu bezahlen. Mein Geldbeutel lag neben der Kasse, mein SWR-Mitarbeiter-Ausweis war zu sehen. Ein Mann, der eben noch seine Einkäufe in den großen Korb packte, warf kurz einen Blick darauf. Und dann sein Kommentar: „Lügenpresse!“ – Und weg war er!

Mich hat das verletzt.  Ich versuche, meine Arbeit in Hörfunk und im Fernsehen  ehrlich und redlich abzuliefern. Natürlich mache ich auch Fehler, aber eine generelle Verurteilung meiner Arbeit trifft mich als Mensch.

Der Ton in unserer Gesellschaft wird schärfer. Das spüre ich nicht nur bei meiner Arbeit tagtäglich. Ich höre das im Radio, höre und sehe das im Fernsehen, lese das in unterschiedlichen Zeitungen: Kraftausdrücke, Beleidigungen und Hetze.

Vor allem Medienleute unterliegen mehr und mehr einem Generalverdacht. „Lügenpresse!“ wird zum Vorwurf gegen alle, die in diesem Metier unterwegs sind. Alle Journalisten lügen,  unterschlagen Nachrichten, berichten einseitig und  stellen sich gegen die angebliche Mehrheit in der Bevölkerung. Meine Sorge darüber ist groß.

Freie Medien sind ein Garant für eine freie, demokratische Gesellschaft. So habe ich das mal gelernt. Und glaube auch, dass das zutreffend ist. Wenn die Medien und die dort arbeitenden Journalisten einem Generalverdacht unterliegen, ist unsere Demokratie bedroht. Dann sägen wir den Ast ab, auf dem wir alle sitzen.

Die meisten Journalisten arbeiten korrekt und engagiert. Dass es Ausnahmen gibt, sei problemlos zugestanden. Doch eine generelle Verurteilung von Medienleuten ist einfach nicht sachgerecht.

Meinungsäußerungen und Debatten sind ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Doch bei aller Härte gilt der erste Satz unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt auch für die Sprache. Das gilt auch für die Art und Weise, wie wir über Menschen sprechen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Vor mir liegt ein Flyer: Autofasten. Autofasten in der Fastenzeit, in den 40 Tagen zwischen Aschermittwoch und Ostern. Autofasten – auf das Auto verzichten – geht  denn das?

Der Flyer gibt Tipps, wie Autofahrer  ihr Auto möglichst oft stehen  lassen können zeigt  alternative Möglichkeiten, unterwegs zu sein.

Öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, auf das Fahrrad umzusteigen, Kurzstrecken zu Fuß zu gehen und – wenn möglich – Fahrgemeinschaften zu bilden. In meinem Kopf entstehen durchaus Bilder, wo all‘ das Wirklichkeit werden kann. Oder ich es ausprobieren sollte.

Autofasten – ich bekomme auch etwas zurück. Der Flyer macht richtig Appetit darauf, sofort damit anzufangen. Ich kann in der Fastenzeit meinen Lebensstil überdenken, um das Leben bewusster zu gestalten. Ich leiste so einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz und eröffne unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft. Auch tue ich meiner Gesundheit durch mehr körperliche Bewegung etwas Gutes. Und – nicht zuletzt: Mit Bus und Bahn komme ich mit anderen Menschen in Kontakt.

Das klingt alles ganz gut. Warum mache ich das nicht? Zumindest immer wieder? Oder öfter? - Weil meine Bequemlichkeit siegt? Weil Autofahren irgendwie cooler ist als die Fahrt mit der Bahn? Die sowieso immer zu spät kommt, was man sich auch einreden kann.

Ein wichtiges Argument für das Autofasten nennt der Flyer erstaunlicherweise nicht. Wer auf das Auto verzichtet, kann sehr viel Geld sparen. Hat am Monatsende mehr in der Tasche. Das könnte mit ein Grund für mich sein, mit dem Autofasten nicht nur während der Fastenzeit vor Ostern anzufangen, sondern diese Aktion auf das ganze Jahr über zu verlängern. Ein Versuch ist es allemal wert.

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SWR1 Begegnungen

Der 43-Jährige Thomas Heidenreich ist evangelischer Christ, Lehrer
an der Jüdischen Schule Frankfurt und  -  Musiker. Von Kindesbeinen
an war Musik für ihn ein Lebenselexier, und das Instrument, das ihn
seit jeher besonders fasziniert hat, ist das Schlagzeug.

Ich glaube einfach weil ich als Kind eben schon sehr rhythmisch interessiert war, und ich mein, dann gabs dann auch Hitparade im
ZDF, in den Medien eben auch Musikübertragungen, und dann
hab ich
immer schon auf den Schlagzeuger gekuckt, das fand ich immer
schon am geilsten, hab auch gemerkt, er ist derjenige, der das Ding zusammenhält, in der Popularmusik, nee, und er hat so diesen Drive, also diese Ur-Energie quasi vermittelt halt und das ist mir später eigentlich bewusst geworden, dass das für mich eigentlich die Rolle
spielt.
 

Thomas Heidenreich hat im Lauf der Jahre eine Fülle musikalischer Projekte realisiert, hat in Kirchen gespielt und bei Firmenveranstaltungen, hat Gottesdienste mitgestaltet, und er mischt musikalisch beim Karneval in seinem derzeitigen Wohnort Dieburg mit. Immer im Zentrum: das Trommeln. Das ist auch beim seinem aktuellen Projekt „drumlets“ so, eine Band, die aus vier Schlagzeugern besteht. Vier Schlagzeuge, nur Rhythmus, kein Text. Musik hat für Thomas Heidenreich immer auch eine religiöse Komponente. 

Das Göttliche, also das durchdringt natürlich mein Leben und meine Wirklichkeit, aber in dem Augenblick, wo ich musiziere, habe ich so den Eindruck oder so die Wahrnehmung, dass ich in einer anderen Wirklichkeit mich aufhalte, dass ich dann in so ne Art Trance kommen kann, und das merkst du dann auch, weil wir trommeln sehr kräftig, muskelkräftig sozusagen, und da gibt es so nen Punkt beim Spielen, da vergisst du das und dann weißt du yeah, jetzt kommst du aus diesem banalen Käfig des Körpers raus, so.

Rauskommen, losfliegen, schön und gut, aber gibt es nicht auch eine gefährliche Seite von Trance, bedeutet Ekstase nicht auch Kontrollverlust, wendet der rationale Theologe in mir ein.

Bestimmt. Aber ich vertraue auf, das sozusagen die Steuerung auch funktioniert, so dass es da jetzt nicht irgendwie gefährlich werden kann, aber es ist wie so ja ein schönes Gefühl , und du kannst dich auf die Musik legen, dich ihr so widmen, und du hast nichts anderes mehr im Kopf, also das … das sind ja schon kleine Formen von Trance.

Ob Trance oder nicht, Musik macht Gotteserfahrung möglich, diese Erfahrung teile ich mit Thomas Heidenreich. Rhythmus, Wiederholung, Monotonie, das immer Gleiche tun, immer wieder, das gibt es in der Musik ebenso wie in der Religion, beim Gebet.

Würde ich so beschreiben, also sagen wir mal, ich bin ja so in meinem Kulturkreis groß geworden, im jüdisch-christlichen Kulturkreis, und ich verknüpfe das für mich dann mit Gotteserfahrung, für mich zählt das dann unter Gotteserfahrung, ganz klar, ja. Also für mich ist es wie so ne Meditation, also analog zu ner Meditation. Aber ich könnte jetzt nicht sagen, kommt, lasst uns diese Gotteserfahrung machen, jetzt trommeln wir, und dann haben wir sie oder so, sondern wir machens einfach, und dann ist es da, ja.

 Teil 2

Und nach dem Referendariat hatte ich eigentlich gar keine Lust Beamter zu werden, das geht schon mal gar nicht, so, und irgendwie durch Zufälle, kam ich, ne Freundin sendete mir so ne Freundschaftsanfrage so im Internet, so ah Lehrerin an ner jüdischen Schule, da kuckst du mal, hab mich vorgestellt, und wir sind sofort zusammengekommen, und waren uns einig, ich durfte Trommeln besorgen, ich darf da ganz viel Musik machen und darf eben an dieser Kultur teilnehmen. 

Aber hat er nie daran gedacht, seine Leidenschaft für die Musik zum Broterwerb zu machen? Hat er, sagt er, und hat auch eine Weile von der Musik gelebt. Dass er dann doch die Sicherheit des Lehrerdaseins vorgezogen hat, das hat auch viel mit seinen beiden sieben und neun Jahre alten Kindern zu tun. Kinder, das wurde ihm klar, bedeuten Verantwortung

Irgendwie habe ich jetzt noch Verantwortung für zwei weitere Leben, und nicht nur für die nächsten zehn Jahre, sondern 20 Jahre, und will auch da sein für die Kinder und jetzt habe ich so sagen wir mal mit der Mischung, ich bin Lehrer an einer Schule und kann auch Musik machen, nebenberuflich, das finde ich ne super Mischung, weil dann habe ich auch Zeit für die Kinder, hab für sie auch die Sicherheit, dass ich ihnen die Ausbildung und so, das ist eigentlich das Ding gewesen. … Da fühl ich mich auch wohl bei…also ich hab viel mit Vollblutmusikern zu tun, die hundertprozentig davon leben, das finde ich auch klasse, aber so wie ich das jetzt habe, finde ich das genau richtig, weil ich kenn den Bereich, ich habe darin gearbeitet und kann das einschätzen und merke, es ist nicht das was mich komplett ausfüllt, weil ich bin halt auch Lehrer, weißte, stehe vormittags vor der Klasse und vor den Kindern und bringe ihnen die Kulturtechniken bei … und das ist also so ein Riesengeschenk, und komm dann mittags nach Hause und habe noch voll Energie. Also für mich wirklich Himmel auf Erden sozusagen. (lacht).

Wie es bei ihm zu diesem intensiven Verhältnis zur Musik kam, weiß er dabei bis heute nicht:

Es ist immer da, genau wie mein Gottesvertrauen, das muss ich ganz ehrlich sagen, meine Eltern waren auch eher agnostisch und eher religionskritisch, und wenn Religion, dann eher esoterisch, und für mich war seitdem ich denken kann, klar, für mich gibt es Gott, fertig, so. Und zwar kann ich heute sagen, weil ich mich sehr mit der jüdischen Religion beschäftige, praktisch, wirklich vollkommen praktisch, ich nehme teil, und ich muss sagen, mein Gott ist ziemlich jüdisch, es ist so ein personaler, so ein Gegenüber, mit dem ich reden kann, das ist toll. (lacht).

Thomas Heidenreich ist ein Mensch voller Energie, Temperament, Lust und Lebensfreude. Es ist eine Energie und Lebenslust, die ansteckend ist. Die nachglüht bei mir, lange über den Nachhauseweg hinaus.   

 www.drumlet.de

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SWR1 Begegnungen

„Der Glaube kam zu mir!“

Normen Odenthal ist Redakteur und Nachrichtensprecher beim ZDF. Regelmäßig spricht der 42-Jährige die Heute-Nachrichten. Er kennt sich aus in innen- und außenpolitischen Fragen, Katastrophen gehen ihm bis heute unter die Haut, erzählt er mir, als ich ihn in Mainz im Stammhaus des ZDF auf dem Lerchenberg besuche. Sehr gerne
erzählt er über seinen Glauben. Wie er denn zum Glauben gekommen sei, frage ich ihn, und ich bekomme eine erstaunliche  Antwort:

Der Glaube ist eigentlich zu mir gekommen. Ich habe mir das gar

nicht ausgesucht. Er war einfach da. Man hat Antworten gesucht und auch gefunden, und irgendwann verfestigt sich ein Bild, und das ist bei mir der Glaube. Und ich bin froh, dass es so ist.

Normen Odenthal ist zweifacher Vater. Als wir über seine Kinder sprechen, strahlen seine Augen besonders. Zusammen mit seiner Frau möchte er, dass seine Kinder wieder als Christen leben. Für den Älteren haben sie als Taufspruch eine Stelle aus dem Psalm 31 ausgesucht. „Du stellst meine Füße in weiten Raum.“

Der Satz fasziniert mich, wirklich. Weil ich finde, dass da alles drinsteckt, was der Glaube zu bieten hat. Für mich ist das Stabilität auf der einen Seite, und Freiheit auf der anderen. „Du stellst meine Füße…“ – zeigt für mich, da ist jemand der etwas mit mir macht, der mir nen sicheren Boden gibt, auf dem ich stehen kann. Und gleichzeitig: „…in weiten Raum!“ – sagt: Das Fenster ist auf, die Türen sind auf, du hast Freiheit, du kannst was damit machen, du musst es ausfüllen.

Für das Nesthäkchen gab es eine ähnliche Bibelstelle als Taufspruch. „Alle Dinge sind dem möglich, der glaubt.“ Stand und Weite im Glauben – das möchte Normen Odenthal seinen Kindern mitgeben auf ihrem Weg durchs Leben.

Ich sähe es gerne, dass sie überhaupt die Möglichkeiten sehen, die es gibt, dass sie begreifen, dass da ne Hand ist, die ausgestreckt ist, dass es ein Angebot gibt, dass sie wahrnehmen können,  annehmen  können. Ich glaube, dass letzten Endes die Kinder selbst entscheiden müssen, was sie damit machen. Ich hoffe, dass sie zupacken, ich hoffe, dass sie es spüren, - nur wenn man es selber spürt, kann man es na auch leben und profitieren davon. Ich würde gerne meine Kinder soweit vorbereiten, dass sie diese Option wahrnehmen und hoffe dann sehr, dass sie entsprechend diese Chance auch ergreifen.

Es berührt mich, wie Normen  Odenthal über sich und seinen Glauben spricht, ein Glaube, der ihn so gepackt hat, dass er nichtmehr davon loskommen will. Er sieht, wie seine Kinder – heute drei  und sechs Jahre alt - mit großem Vertrauen aufwachsen dürfen. Aber  das ist nicht alles.

Ich glaube, dass Kinder Sorgen und Ängste haben, wie jeder Mensch sie hat. Und wenn sie das Vertrauen spüren, nicht nur ihren Eltern gegenüber, sondern auch etwas Größerem gegenüber, dann wird sie das wieder zurückholen. (…) As wäre mir für meine Kinder sehr wichtig.

Die Kirchen sollten klarer auftreten!

Normen Odenthal ist Redakteur beim ZDF und Sprecher der Heute-Nachrichten. Der studierte Politologe macht seinen Job beim ZDF seit 16 Jahren. Er stammt aus Wolffenbüttel und lebt mit seiner Familie in einem Ort vor den Toren von Mainz. Seinen Zivildienst hat er in einer Kirchengemeinde absolviert.

Das habe ich im Zivildienst gelernt, wie wichtig Gemeindeleben ist. Ich finde, da können die Kirchen – katholische  wie protestantische Kirche – können auch stolz darauf sein, was sie Tag für Tag leisten gegenüber Einzelnen in der Gemeinde, die in Sorgen sind, die in Nöten sind, die Hilfe brauche, die ein offenes Ohr brauchen. Ich weiß, dass das manchmal gar nicht wahrgenommen wird, was da an Angeboten besteht, glücklicherweise auch helfe kann. Ich meine, da macht Kirche Sinn, wo der Einzelne in eine Gemeinschaft wieder aufgenommen wird.

 

Da höre ich fast einen Seelsorger sprechen. - Natürlich ist Kirche für den Journalisten Normen Odenthal auch beruflich immer wieder ein Thema. Und da bezieht er ganz klar Stellung:

Ich würde gerne mehr von der Kirche hören in den großen Fragen, die uns alle bewegen. Ich habe im Nachrichtenjob jeden Tag mit großen Krisen und Herausforderungen zu tun. Mir ist das zu wenig, was die Kirchen da an Worten bieten. Ich würde gerne hören, dass sie sich mehr einbringen, einmischen. Natürlich weiß ich, dass sie nicht unbedingt gehört werden. Die Zeiten sind leider so, dass Kirche nicht mehr das Standing hat, dass sie vielleicht haben könnte. Aber ich denke trotzdem, man muss mehr dafür tun, auch Gehör zu finden, denn Botschaften hat die Kirche sicher einzubringen.

Da kann ich Normen Odenthal nicht ganz folgen. Ich denke schon, dass die Kirchen zu aktuellen Themen wie zu den Flüchtlingen, die derzeit zu uns kommen, klar Stellung bezogen haben. Kein Bischof und (fast) kein Pfarrer hat zu Weihnachten darüber nicht (!) gepredigt. Dass da noch mehr notwendig sei, bringt uns wieder zusammen. Normen Odenthal bewegt sich als Mensch mit seinem Glauben auch da ganz selbstverständlich, wo das nicht selbstverständlich ist: Im Medienbereich, und da spricht man über alles, nur eben nicht über seinen Glauben. Wie er sich dabei fühlt , frage ich ihn.

Exot, ja, könnte man sagen. Ich finde es aber eher priveligiert. Ich wünschte, dass andere solche Erfahrungen machen, dass sie einfach wissen, was für sie wichtig ist. Dass sie ne Kernbotschaft für sich finden. Ass sie Antworten finden auf die vielen Fragen, die sie alle haben. Ob dazu letzten Endes jemand lächelt und sagt: Was der da macht, ist nicht mein Weg – damit kann ich natürlich leben. Das ist etwas, was man nur persönlich erfahren kann, erleben kann.

Die Bescheidenheit von Normen Odenthal in unserem Gespräch ist ansteckend. Er will seinen Weg weiter gehen – beruflich und als evangelischer Christ. Er lässt sich dabei tragen von einer großen Hoffnung.

Ich hoffe darauf, dass die göttliche Gnade größer ist die menschliche Vernunft. Weil ich große Zweifel habe an dem, was die Menschen so treiben auf dieser Erde. Und wenn es da nicht jemanden gibt, der das zusammen hält, der verzeihen kann, der vielleicht auch mal den richtigen Weg wieder vorgibt und zeigt – da hätte ich große Ängste, große Sorgen. Und das ist meine Hoffnung, dass das so ist.

Stand und Weite im Glauben – dieses Wort bleibt mir im Sinn nach meinem Gespräch mit Normen Odenthal. Der Glaube macht sicher und offen für Neues. Eine Grundlage für Normen Odenthal, und nicht nur für ihn.

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SWR1 Begegnungen

(Wiederholung! Das Gespräch zwische Stephan Wahl und dem Journalisten Heribert Prantl wurde verschoben)

Uwe Beck trifft Elke Picker, Vorsitzende der Elternstiftung Baden-Württemberg. Die Stiftung kümmert sich um Familien, die Hilfe brauchen. Elke Picker lebt mit ihrem Mann in Tübingen, drei Kinder sind aus dem Haus. Sich um Familien kümmern, die Hilfe brauchen – die 70-jährige Juristin weiß, wovon sie spricht. Vor 30 Jahren brachte sie ein Kind zur Welt, und sie hatte eine Ahnung, dass ihr Sohn behindert sein würde.

Als sich herausstellte, dass ich Recht hatte, leider, von da an war das ganze Leben anders. Die ersten Jahre, das war ein ganz schwierige Zeit für die ganze Familie. 

Elke Picker stellte sich der neuen Situation – sie, ihr Mann, die ganze Familie. Es war ein schmerzhafter Prozess, die Behinderung des Sohnes zu begreifen und zu akzeptieren. Elke Picker war als Mutter schnell klar, dass sie mit ihrem Sohn eine Lebensaufgabe übernommen hatte.  Sie erzählt mir bei meinem Besuch in Tübingen, was sie die ersten Jahre empfunden und erlebt hat.

Immer wieder ein „Mehr aufgeben müssen“ – von „Das kann er alles nicht lernen.“ Also er kann nicht lesen, er kann nicht schreiben, er kann vieles nicht. Ich habe lernen müssen, mich darüber zu freuen, was er kann. 

Lernen, mich darüber zu freuen, was mein behinderter Sohn kann – der Satz von Elke Picker lässt mich nicht los. Und sie erzählt mir mit einem Lächeln im Gesicht, was ihr Sohn Benedikt jetzt nach vielen Jahren der Therapie und der Erziehung in der Familie alles gelernt hat.

Dass er jetzt zum Beispiel mit uns lange Wanderungen machen kann. Das geht nur gut, wenn man ihm viele lustige Geschichten erzählt, dann ist er abgelenkt und macht prima mit. Dass er Freude am Leben hat, dass er ein menschenfreundlicher Mensch geworden ist, und ein glücklicher Mensch. Er liebt Menschen. Das hätte ich mir alles damals nicht vorstellen können. Das war natürlich eine tolle Sache, aber es war ein mühsames Geschäft, und das hat meine letzten 30 Jahre begleitet. 

In diesen 30 Jahren hat auch Elke Picker gelernt, auch für ihr eigenes Leben.

Verschärft hat sich mein Blick für Leid, für schwache Menschen, es hat offen gemacht für Menschen, die in der gleichen Situation leben. (…) Denn es ist so: Eltern behinderter Kinder müssen sich nur ansehen, dann wissen sie alles. 

Ihr Sohn Benedikt freut sich über Menschen, und Elke Picker erzählt mir eine Geschichte, die sie im Urlaub erlebt hat.

In Frankreich haben wir einen Wirt wiedergesehen, den er kannte und der ihn wiedererkannte, und dieses Bild, wie die beiden sich umarmt haben, da habe ich gedacht – so müssten die Menschen alle mit einander umgehen, (…) sich spontan aneinander freuen, das wäre schön. 

Wie wichtig positive Rückmeldungen für Elke Picker sind, dazu mehr nach der Musik.

Teil II:

Elke Picker ist Vorsitzende der Elternstiftung Baden-Württemberg. Die Stiftung unterstützt Familien, die Beruf, Schule und Erziehung  nur schwer unter einen Hut bekommen – weil die Kinder in der Schule überfordert sind, oder weil der alleinerziehenden Mutter alles zu viel wird. Als Vorsitzende treibt sie Sponsoren auf, die Stiftung bildet Mentoren aus, die bei Familien in Schwierigkeiten zwischen Elternhaus und Schule vermitteln. Der erste Schritt ist, konkrete Hilfe dann auch annehmen zu können.

Ich glaube, dass es ganz, ganz wichtig ist, wenn sich z.B. auch in unseren Mentorenausbildungen die Eltern einfach mal einen Raum haben, sich auszubreiten darüber, welche Schwierigkeiten sie alle haben, denn dann erkennt jeder, dass er nicht allein ist mit seinen Problemen, und allein schon diese Erkenntnis und das gemeinsame Überlegen , was man besser machen kann, das hilft.

Natürlich sieht Elke Picker die Verlockungen, denen Kinder heute ausgesetzt sind. Für sie ist wichtig: Eine Familie, die Hilfe braucht, darf nicht kapitulieren.

Wir stellen fest, dass viele Eltern ihre Rolle nicht als wichtig sehen in der Begleitung ihrer Kinder. Sie geben sie (entweder) völlig an der Schule ab, die Schule soll alles richten, und sie halten sich da völlig zurück. Sie sind oft auch nicht mutig genug in der Erziehung. Sie sprechen nicht viel mit der Schule ab. 

Für ihre ehrenamtliche Arbeit wurde Elke Picker mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Mir imponiert, wie sie auch noch nach Jahrzehnten unermüdlich Geld für ihre wichtigen Projekte sammelt.

Projekte haben den Nachteil der Endlichkeit, und dieses Thema, nämlich das Engagement der Eltern für ihre Kinder im Verbund mit Schule zu verbessern, das ist keine Projektidee, das ist etwas, was dauerhaft gefördert werden muss.

Ein ehrenamtliches Engagement für Familien geht nicht ohne positive Rückmeldungen. Das sei das Schöne an ihrer Arbeit, sagt mit Elke Picker.

Die Dankbarkeit, die zurückkommt. Oder auch die Erlebnisse, die die wieder haben bei ihrer Tätigkeit, denn es sind viele Hunderte ehrenamtliche tätig, die andere Eltern aufrichten, die ihnen helfen und davon berichten. Und wenn ich die zufällig irgendwo im Lande treffe, und ich höre dann, es ist ganz toll, was wir da aufgebaut haben, (…), dann merkt man, dass das Früchte getragen hat.

Ich war auf einer katholischen Schule, die mich durchaus geprägt hat, auch rebellisch gemacht hat gegen manchen. Aber andererseits sehe ich heute in der Abklärung des Alters, wieviel da gewurzelt ist. (…) auch in meinem sozialen Engagement. 

Ihr Glaube heute ist ganz pragmatisch geerdet. Elke Picker sieht ihren Bezug zu Gott im Rückblick auf ihr ganzes Leben.

Ich glaube, die Verantwortung des Menschen, der selbst weiß, mir geht es ganz gut, und das kann ich von mir sagen, ich leide keine wirtschaftliche Not, ich bin gesund. (…) Alls diese Erfahrungen sieht man in einem Zusammenhang, und den kann der Mensch nicht selber herrichten, den hat jemand anderes geschaffen, das ist vielleicht mein Glaube.

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SWR1 Begegnungen

„Man muss gut zuhören können!“

Stefan Kappner lässt sich von Menschen ihr Leben erzählen, und
dann macht er daraus ein Buch. Er ist ein Biographiker sozusagen. Und er kann gut zuhören – das merke ich schnell, als ich ihn in
Idstein im Taunus besuche.  Stefan Kappner findet es spannend,
das Leben anderer Menschen kennenzulernen.

Die Meisten kennen ja die Geschichten, sind Experten für ihr Leben. Aber sie wissen nicht, wie man ein Buch daraus macht. Ich bin der Experte für das Buch, ich gebe dem Struktur, erfinde die
Überschriften, rede über den Titel, rede drüber, wie viele Bilder rein kommen  - und solche Dinge.

Menschen möchten, dass etwas von ihrem Leben bleibt – deshalb wollen sie, dass aus ihrem Leben ein Buch wird. Selbst zu schreiben ist entweder zu anstrengend oder einfach nicht möglich. Stefan Kappner hat schon viele Autobiographien für andere geschrieben. 

Immer kommt der Einstieg ins Erwachsenenleben, also wie bin erwachsenen geworden, das gehört zu einer persönlichen Beziehung dazu. Für viele ist es die erste Liebe, die Heirat und das Gründen einer Familie das Wichtigste. Für andere ist das Wichtigste der Beruf, also wie habe ich meinen Weg gefunden, meine Aufgabe im Leben, wenn es denn so war. Diejenigen, die krank waren oder besondere Schicksalsschläge hatten, die Verarbeiten diese Schicksalsschläge im Erzählen.

Schweres zu verarbeiten im Erzählen, also im Reden mit anderen – das leuchtet mir ein. Stefan Kappner hilft auch Menschen, eigene autobiographische Texte zu ordnen. Er weiß, Menschen verarbeiten Dinge nicht nur im Erzählen, sondern auch im Schreiben.

Das Schreiben ist ja was Aktives, wenn einem was passiert, was schlimm ist, oder wenn jemand etwas angetan wurde, was man verarbeiten muss, dann ist immer gut, aktiv werden zu können. Im Schreiben wird man aktiv, man gestaltet die Geschichte selbst und man begegnet sich dann auf dem Papier als Subjekt, als jemand der was tut. Das befreit. Passiv zu sein, leidend zu sein, wenn man in der Erinnerung bleibt und die Gedanken kreisen lässt, dann vervielfältig sich das Leid. Wenn man was hinschreibt, dann kann man damit auch in gewisser Weise fertig werden.

Das Schreiben und das Erzählen haben therapeutische Wirkung. Menschen erzählen Geschichten, erzählen ihre Geschichte. Warum eigentlich?

Geschichten sind die Art, wie Menschen sich mitteilen. Also, sie teilen etwas von ihrem Leben und geben es anderen, um ne Gemeinschaft herzustellen, um zusammen zu sein, um ihre eigene Perspektive verständlich zu machen den anderen. Ich glaube, dass die uns ganz stark umtreibt, dass wir verstanden werden wollen, warum handeln wir? Warum machen wir das? Was sind unsere Lieblingsgeschichten? Und dann kommt ganz langsam das dazu, was einem im Leben passiert, und das will man teilen mit seinen Mitmenschen.

Wie seine Lieblingsgeschichte in der Bibel lautet, und warum Stefan Kappner in seinem Beruf des Biographikers mitunter zum Seelsorger wird, dazu mehr nach der Musik.

„Zuhören ist seelsorgliche Arbeit“

Der 47-jährige studierte Philosoph Stefan Kappner ist Biographiker, er lässt sich von Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen, und dann macht er daraus ein Buch. Er ist selbstständig, kann von seiner Arbeit leben. Zum Angestellten tauge er nicht, sagt er mir, als ich ihn in Idstein im Taunus besuche. Natürlich frage ich ihn nach der Bibel und den Geschichten in der Heiligen Schrift. Warum erzählt auch die Bibel Geschichten?

Weil es darum geht, Erfahrungen weiterzugeben, in dem Fall Erfahrungen mit Gott. Ganz bestimmte Erfahrungen, die verständlich sind für andere und die verständlich gemacht werden sollen.

Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben – die Bibel ist prall gefüllt mit solchen Geschichten. Stefan Kappner hat mehrere Lieblingsgeschichten in der Heiligen Schrift, eine davon handelt von einem Zöllner, einem Steuereintreiber zur Zeit Jesu.

Im Neuen Testament ist es die Zachäusgeschichte, weil ich mich da gut in der Position sehe. Man hat die Menschenmenge, die auf Jeus wartet. Man hat den Mann, der auf den Baum steigt, aus der Distanz guckt, der sich überlegt, was das mit ihm zu tun hat, und dann von Jesus angesprochen wird.

Wer einmal von Jesus angesprochen wurde, dessen Leben verändert sich. Jesus  geht auf Menschen zu, spricht mit ihnen, und er hört zu, was Menschen auf der Seele brennt. Zuhören – das ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Autobiographikers, und Stefan Kappner wechselt dabei fast zu einem neuen Beruf.

Das Zuhören ist ne wichtige Komponente. Menschen erzählen nur, wenn ihnen auch richtig zugehört wird. Wenn man die Zeit dafür hat, wenn man auch das Interesse aufbringt und nicht schnell mit Fragen dazwischen funkt. Wenn jemand da ist, der zuhört, das hat schon seelsorgliche Wirkung.

Und der Seelsorger in Stefan Kappner lässt ihn auch mal nein sagen, wenn Menschen auf ihn zukommen, um mit ihm ein Buch zu machen.

Wenn bestimmte Dinge noch nicht bewältigt sind, Dann ist nicht gut, schnell ein Buch zu machen. Dann muss der Prozess lange dauern. Dann sage ich nein. Da kümmert sich besser ein Therapeut drum (oder sie schreiben selber).

Stefan Kappner ist in der Pfalz groß geworden. Er hat 3 Töchter, schreibt die Lebensgeschichten von Menschen auf. Ca. 50 Bücher hat er schon geschrieben. Will er auch mal sein Leben in einem Buch unterbringen?

Aber da muss ich erst das richtige Alter dafür haben. Das richtige Alter zum Erzählen der Lebensgeschichte, denke ich, ist so zwischen 75 und 80, zum Selberschreiben. Wenn man’s erzählt, dann kann man auch ein bisschen länger warten.

Jedes Leben ist so wichtig, dass es erzählt werden kann. Weil es Höhen und Tiefen hat. Weil es spannend sein kann für Leser. Stefan Kappner wird so über seine Arbeit als Biographiker zum Menschenkenner. Weil er zuhören kann. Weil er an Menschen interessiert ist.  Weil er Menschen mag.

 Foto: "farbeffekte.com"

(Literaturhinweis: Sefan Kappner, Biografiearbeit mit Senioren und Demenzkranken, Praxismaterial mit Tipps, Anleitungen und Kopiervorlagen, Verlag an der Ruhr, Mühlheim an der Ruhr 2015, 24,95 €)

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SWR1 Begegnungen

„Wir sollten an Weihnachten unseren Reichtum ausschütten!!

Ich spreche mit Britta Baas, Redakteurin der Zeitschrift „Publik-Forum“. Dort ist sie für Religion und Zeitgeschichte zuständig. Ihr 50. Geburtstag liegt nur wenige Tage zurück, als ich sie in Usingen im Taunus besuche. Das  Weihnachtsfest in diesem Jahr ist für  sie ein ganz besonderes:

Es wird das erste Weihnachten sein ohne meine Mutter. Sie ist am 9. November dieses Jahres 75-jährig verstorben. Das wird schwer sein. Wir werden zum einen – wir, das heißt meine ganze Familie, mein Vater, meine Geschwister, die Enkelkinder werden oft an sie denken, weil Weihnachten immer in besonderer Weise mit ihr verbunden war. Sie war der Mittelpunkt unserer Familie.

Ich frage Britta Baas nach dem Weihnachtsfest, und sie erzählt dann vor ihrer Mutter. Lebensfroh sei sie gewesen, glücklich, wenn viele Menschen um den großen Tisch Platz genommen hatten.  Die Mutter fehlt, immer, aber besonders an Weihnachten.

Und wir werden auch bestimmte Dinge, die sie zu Weihnachten gemacht hat oder auch in der  Adventszeit zuvor, werden wir erinnern. Und gleichzeitig wird uns auch oft der Satz über die Lippen kommen – ich merk das schon, wenn ich mit meinem Vater spreche – das wir im Augenblick ganz oft sagen: Wir machen etwas genauso, wie es Mama immer gemacht hat.

Ihre Kindheit verbrachte Britta Baas in Nordhessen. Sie erinnert sich gern an die Zeit zusammen mit ihren Geschwistern.

Ich bin im Forsthaus groß geworden. Für mich war das Weihnachtsfest als Kind, als Jugendliche und auch noch als junge Erwachsene immer verbunden mit Natur-Erlebnissen. Weihnachten und Natur gehörten existenziell zusammen. Dazu gehört der Weihnachtsbaum-Verkauf am Forsthaus. Dazu gehörten Gänge in den Wald, um Tiere zu füttern.

Britta Baas hat Geschichte, katholische Theologie und Germanistik studiert.  Auch als junge Theologiestudentin, wenn sie Weihnachten nach Hause kam, stellte sie sich im Badezimmer ans Fenster, um zusammen mit ihren Geschwistern auf das Christkind zu warten. Natürlich waren alle in Sachen „Christkind“ aufgeklärt, aber das Ritual im Forsthaus blieb.

Und ganz hinten war ein Berg, da ging eine Straße runter, und ab und zu kam ein beleuchtetes Auto. Wir wussten: Wenn dieses Licht aufleuchtet, das passierte sehr selten, aber irgendwann schon, kommt das Christkind, Das ist das Christkind. Es brauchte nur noch ein paar Minuten, bis es am Forsthaus angelangt war, dann haben wir die Ohren gespitzt, weil irgendwann ertönte ein Glöcklein… 

Britta Baas ist Journalistin und schreibt für „Publik-Forum“, ein liberales und kirchenkritisches Blatt. Sie freut sich jedes Jahr auf Weihnachten. Es ist ein schönes Fest, hat aber einen ernsten Hintergrund.

Da wird ein Kind geboren, das in eine untere gesellschaftliche Schicht gehört, das kein heimeliges und warmes Zuhause hat, sondern unter prekären Bedingungen geboren wird. Gleichzeitig haben mächtigen Männer dieser Zeit, Herodes, offenbar so furchtbare Angst vor diesem kleinen und schwachen Kind, dass sie dafür sorgen, dass es nicht länger als wenige Tage lebt. Was zur Folge hat, dass eine Fluchtgeschichte entsteht. Will heißen: Im Kleinen, Schwachen entsteht durchaus etwas Großes und emotional Mächtiges, was so große Furcht machen kann, dass die wirklichen Mächtigen dieser Welt sich dagegen wehren müssen.

Jesus – das Flüchtlingskind. Britta Baas geht die Not der Menschen nahe, die in diesen Tagen zu Hunderttausenden nach Deutschland kommen. Das spüre ich in unserem Gespräch immer wieder. Sie erzählt mir von einer Frau, die sich trotz ihrer Schwangerschaft auf den Fluchtweg gemacht hat, unterwegs das Kind bekam und das Neugeborene Kind samt zweier weiterer Kinder nach Deutschland brachte. - Britta Baas feiert Weihnachten gerne festlich, durchaus auch opulent. Wie geht das angesichts von Menschen in Notunterkünften und Turnhallen? 

Das lässt sich nicht ganz wegdenken an einem frohen Fest wie Weihnachten, und es gibt uns auch die Chance, jetzt die Situation der Flüchtlinge noch einmal unter einer neuen und sehr persönlichen und nahen Perspektive anzusehen.

Nicht alle können Flüchtlinge bei sich Zuhause aufnehmen, das ist uns beiden klar. Britta Baas ist Journalistin, legt Wert auf die Art und Weise, wie wir über Flüchtlinge sprechen.

Es ist schon mal ganz entscheidend, im ganz normalen Alltag, wenn ich einkaufen gehe, beim Nachbarn zu Besuch bin, wenn das Gespräch auf Flüchtlinge kommt, und das tut es in meinem Umfeld im Augenblick sehr häufig,  dann etwas Gutes zu sagen, Ängste zu nehmen, bereit sein, auf Ängste einzugehen, aber eine Stimmung zu verbreiten, die nicht Feindschaft und Abgrenzung bedeutet, sondern Offenheit. Wenn man das in weihnachtlichem Geist tut,tut man etwas sehr Wichtiges für die Veränderung und Verbesserung unserer Gesellschaft.

Weihnachten ist  auch eine Anfrage nach dem, wie wir leben – gut situiert, mit Einkommen und warmem Wohnzimmer. Britta Baas erzählt mir von ihrer Zerrissenheit – da großer Reichtum, dort bittere Armut, da ihr Wohnhaus, dort ein Flüchtlingszelt. Wie kann diese Spannung aufgelöst werden?

Mein eigener Reichtum darf nicht dazu dienen, die Armut der anderen weiter zu zementieren, sondern es geht um das Teilen, um das Abgeben, um das Öffnen des Herzens und ganz konkret dem Öffnen von Türen für andere. Wir sollten unseren Reichtum an Weihnachten ausschütten!

(Publik-Forum. Kritisch, christlich, unabhängig. Oberursel. Erscheint 14-tägig)

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Advent, die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Wie vor Ostern liegen auch vor Weihnachten einige besondere Wochen – der Besinnung, der Ruhe, gegebenenfalls für einen Neuanfang.

Advent – eine Zeit der Ruhe? Ich suche im Advent diese ruhigen Stunden und Augenblicke, doch es wird mir da nicht leichtgemacht. Ein Weihnachtsmarkt lädt täglich ein, die Musik wird schon nach Tagen eher als Lärm empfunden. Die Arbeit im Büro wird nicht weniger – alles soll und muss vor Weihnachten „noch raus“. Die Weihnachtspost will unterschrieben sein, und bei fast allen kommen noch ein paar persönliche Zeilen hinzu. Im Fernsehen versucht eine besonders engagierte Werbung mich als Kunden zu finden. Überall werde ich angesprochen – zu kaufen und zu konsumieren. Hektik macht sich breit. Und die Weihnachtsfeiern im Verein und im Betrieb sind nur anfänglich besinnlich und enden dann doch meist mit einem lauten Halotri.

Und nochmals die Frage: Advent – eine Zeit der Ruhe? Ja, und ich will es wenigstens versuchen, mir Freiräume der Ruhe zu organisieren. Die Mittagspause verbringe ich – wenn irgend möglich – zu einem Großteil in einer Kirche. Ich brauche da keinen Gottesdienst und auch keine Musik. Ich komme zur Ruhe und zum Nachdenken, aus beidem kann ein Gebet werden.

In meiner Heimatgemeinde kommen Menschen im Advent zu einem sog. „Lebendigen Adventskalender“ zusammen. An jedem Abend organisiert eine Familie oder eine Gruppe vor ihren Häusern eine gute halbe Stunde mit Texten und Liedern, passend zum Advent. Nach der Arbeit, auf dem Weg nach Hause, passt mir diese Zeit der Ruhe besonders gut. Ich verliere da keine Zeit des Feierabends, sondern ich gewinne Ruhezeit gemeinsam mit Gleichgesinnten.

Die Mittagspause in der Kirche und der Lebendige Adventskalender am frühen Abend – ich freue mich auf diese Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten. Das Fest der Geburt Jesu will angemessen vorbereitet sein. Nicht nur mit dem Einkaufen von Geschenken.

Advent 2015 – eine Zeit der Ruhe? Ich will’s versuchen.

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