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SWR4 Sonntagsgedanken

Feiern heißt, sich seiner Wurzeln zu vergewissern

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Karlsruhe. Meine Heimatstadt ist am 17. Juni 300 Jahre alt geworden! Sie feiert das mit über 500 Veranstaltungen; kulturellen, unterhaltsamen und auch einigen zur Geschichte der Stadt. Das ist eine richtig große Sache.

„Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein.“ (Neh 8,10) Das ist nicht etwa das Motto zum Stadtgeburtstag. Dieser Satz steht in der Bibel, im Buch Nehemia! Oft ruft die Bibel ja dazu auf, enthaltsam zu leben und zu fasten. Es gibt aber auch die andere Seite: Sie lädt dazu ein, Feste zu feiern und das Leben zu genießen. „Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein.“ Dieser Satz ist an das Volk Israel gerichtet. Israel war lange in Babylon gefangen und darf nun endlich nach Hause. Das Volk ist froh darüber, aber in Jerusalem ist viel zu tun; der Tempel muss neu aufgebaut werden. Zwei Männer tun sich dabei hervor: Esra und Nehemia. Sie motivieren das Volk und helfen dabei, die Ordnung herzustellen. Nach und nach gelingt das auch: Jerusalem blüht wieder auf.
Eines Tages bitten die Menschen Esra, aus der Schrift vorzulesen. Der tut das auch und predigt. Und danach, so überliefert Nehemia weiter, schickt Esra das Volk heim: es soll die Feier weltlich fortsetzen – mit einem Festmahl und süßem Wein.

Feiern hat in der Bibel also zwei Seiten: feiern mit anderen Menschen und mit Gott. Neben Wein und einem guten Essen gehört zu einem Fest auch ein Gottesdienst. In ihm machen sich die Menschen klar, dass sie das, was sie haben, was sie freut und glücklich sein lässt, nicht allein sich selbst verdanken. Sie lesen in den Schriften, erinnern sich an die Väter Abraham, Isaak und Jakob, an wichtige Vorbilder wie Mose und an das, was sie für das Volk getan haben. Dadurch wird ihnen bewusst, wer sie sind, woher sie stammen und wo ihre Wurzeln liegen. Und für Israel hat all das ganz klar etwas mit Gott zu tun. Er steckt hinter allem. Von ihm kommt alles, was heute ist. Sie sind mit ihm verbunden – wie ihre Vorfahren. Daraus lebt Israel, das zeichnet das Volk aus und das feiert es im Gottesdienst.

Wer heute ein Fest feiert, denkt eher selten an Gott oder liest Texte aus der Bibel. Eines aber deckt sich mit dem, was Nehemia überliefert: Feste knüpfen oft an dem an, was Menschen prägt; sie selbst, ihre Familie oder das ganze Volk. Geburtstag, Hochzeitstag oder der Tag der deutschen Einheit zum Beispiel – solche Feste lassen Ereignisse aus der Vergangenheit lebendig werden und zeigen damit auf, woraus einer lebt, was ihn auszeichnet und zu dem macht, was er ist. Sie erinnern daran, was Menschen miteinander verbindet. Und so etwas stärkt und gibt Kraft für das, was kommt.

Das gilt auch für ganze Städte wie Karlsruhe, finde ich. Es freut mich daher, dass die Stadt zum Fest nicht einfach nur, wie Nehemia sagt, ein festliches Mahl hält und süßen Wein trinkt. Sie schaut auch auf ihre Wurzeln und vergewissert sich dessen, was sie ausmacht.

 

Richtig feiern heißt, alle einzubeziehen – auch die Armen

Karlsruhe ist 300 Jahre alt geworden. Die Stadt feiert das mit rund 500 Veranstaltungen. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben überlegt, was ein Fest aus biblischer Sicht ausmacht. Für Nehemia zum Beispiel hat es etwas damit zu tun, sich an seine Wurzeln zu erinnern, daran, was einen prägt und mit anderen verbindet: Personen aus der Vergangenheit zum Beispiel oder auch Gott. Und es hat etwas damit zu tun, ganz weltlich zu feiern. Bei Nehemia heißt es wörtlich: „Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein.“
Er bleibt da aber nicht stehen. Gleich im nächsten Vers schreibt er: „Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben.“ (Neh 8,10) Richtig feiern heißt für ihn, miteinander zu feiern und zwar so, dass alle einbezogen sind und sich mitfreuen können.

Auch andere Bibeltexte betonen das. Jesus Sirach zum Beispiel stellt Benimmregeln auf, wie man sich bei Tisch verhalten soll. Er ist in der Hinsicht so eine Art Knigge des Alten Testaments. Ihm ist es wichtig, dass sich bei Tisch alle gut benehmen und dass keiner zu kurz kommt. Ich muss manchmal schmunzeln, wenn ich seinen Text lese, denn er beschreibt manches so herrlich nüchtern. Da heißt es: „Sorge für deinen Nächsten wie für dich selbst … Sei nicht gierig. … Schlürfe nicht … streck die Hand nicht vor dem Nachbarn aus!“ Jesus Sirach ist das rechte Maß wichtig. Er schreibt: „Schmerz, Schlaflosigkeit ... und Magendrücken hat der törichte Mensch. Gesunden Schlaf hat einer, der den Magen nicht überlädt.“ Und zum Thema Wein meint er: „Spiel nicht den starken Mann! Schon viele hat der Rebensaft zu Fall gebracht … Frohsinn, Wonne und Lust bringt Wein … genügsam getrunken. Kopfweh, Hohn und Schimpf … getrunken in Erregung und Zorn.“ (vgl. Sir 31,12-32,13)

Auch Jesus isst und trinkt gerne mit anderen und lädt Menschen an seinen Tisch ein. Aber nicht etwa die Reichen und Berühmten! Er holt die zusammen, die sonst durchs Raster der Gesellschaft fallen: Zöllner und Sünder zum Beispiel. Er tut damit, was schon Nehemia und Jesus Sirach wichtig war. Auch wenn das damals nicht allen gepasst hat und ihn manche sogar als Säufer und Fresser beschimpft haben. (vgl. Mt 11,19)

Die Verfasser der Bibeltexte wissen also, dass Menschen gerne feiern. Und sie unterstützen das. Allerdings müssen Feste so gestaltet sein, dass sie nicht ausufern oder irgendwen ausgrenzen. Das ist ihnen wichtig. Richtig zu feiern, heißt so zu feiern, dass alle etwas davon haben. Feste gelingen, wenn viele verschiedene Menschen, arme und reiche, einbezogen sind und sich freuen können.

Ich wünsche mir, dass das am Geburtstag meiner Heimatstadt gelingt und dass Karlsruhe mit den vielen Veranstaltungen auch die im Blick hat, die sonst durchs Raster fallen.
In diesem Sinne also: Alles Gute, Karlsruhe.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. (Mt 12,34)

Heute gehen die Katholiken im ganzen Land auf die Straße. Mit Fahnen und Lautsprechern ziehen sie um die Häuser. Offiziell heißt das Fronleichnam. Doch viele sprechen auch von „Katholendemos“ – zumindest habe ich das schon oft gehört.

„Katholendemo“ – das klingt so, als wollten die Katholiken protestieren, rebellieren oder sich von etwas abgrenzen; von anderen Konfessionen vielleicht. Das meint das Wort für mich aber nicht. Demonstranten sind zunächst einmal Leute, denen etwas besonders wichtig ist, so wichtig, dass sie dafür auf die Straße gehen. Sie demonstrieren öffentlich für das, was sie bewegt. Eben ganz ähnlich wie es die Katholiken an Fronleichnam tun.

Im Matthäus-Evangelium steht: „Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund.“ Und nicht nur der Mund, finde ich! Gerade Fronleichnam ist ein Fest, das alle Sinne anspricht. Das habe ich von klein auf so erlebt: Ich war Ministrant, und Fronleichnam war das einzige Fest, an dem wir Minis Fahrradhandschuhe tragen durften. Auf der Prozession haben wir nämlich bei jedem zweiten Schritt die Schellen geläutet und so den Zug der Gemeinde angekündigt. Wir haben das Weihrauchfass geschwungen und Fahnen getragen. Da waren die Handschuhe wichtig, um an den Händen keine Blasen zu kriegen. Viele Anwohner haben die Straßen mit Bildteppichen geschmückt und biblische Szenen aus Blüten, Kaffeesatz und Sägemehl gelegt. Die Gemeinde hat Lieder gesungen, und manchmal sind am Wegrand Leute neugierig stehen geblieben. Einige von ihnen haben sogar mitgesungen. So kenne ich Fronleichnam: offen und einladend, bunt, melodisch und mit dieser besonderen Weihrauchnote. Ein Fest für alle Sinne eben, an dem die Katholiken raus aus den Kirchen auf die Straßen gehen und zeigen, was sie bewegt, miteinander verbindet und woran sie glauben: Jesus Christus.

Und diesen Christus haben wir mitgetragen: in Form eines kleinen geweihten Brotes in einer sogenannten Monstranz. „Monstranz“ kommt vom lateinischen Wort „monstrare“ und heißt zeigen. Die Monstranz ist eine Art Behältnis, mit dem das geweihte Brot gezeigt wird, Christus, der mit den Menschen auf den Straßen des Lebens unterwegs ist.

Für mich ist Fronleichnam also tatsächlich so eine Art „Katholendemo“. Nicht in dem Sinn, dass ich mich von anderen Konfessionen oder Religionen abgrenze. Für mich geht es darum, zu zeigen, dass mir Christus etwas bedeutet. Natürlich weiß ich auch, dass Christus nicht für jeden so wichtig ist. Manch einer mag von ihm sogar enttäuscht sein und deshalb auch nichts mit Fronleichnam anfangen können. Ich aber habe einen Draht zu ihm, eine Beziehung, die ich nicht nur hinter Kirchenmauern pflege, sondern die mein Leben überall trägt und beeinflusst. Deshalb bin auch ich einer von denen, die nachher raus auf die Straße gehen und demonstrieren.

Fronleichnam fragt nach dem tiefsten Kern meines Glaubens

Ich habe eben in meinen Feiertagsgedanken von den sogenannten „Katholendemos“ erzählt, die heute stattfinden. Die Katholiken zeigen an Fronleichnam, was sie bewegt: Jesus Christus. Sie tragen ihn in der Monstranz als geweihtes Brot mit sich und zeigen damit, dass er Menschen begleitet.

Auch ich werde heute auf die Straße gehen. Und ich sehe jetzt schon die fragenden Gesichter am Wegrand und hinter den Fenstern: In diesem Brot soll Jesus sein? Und er soll Menschen begleiten? Das kann man doch heute nicht mehr ernsthaft glauben! Solche Fragen fordern mich heraus! Ich muss da selber immer wieder neu nach Antworten suchen.
Zwei Spuren habe ich für mich entdeckt:

Die eine führt zurück ins 13. Jahrhundert. Damals lebte Juliana von Lüttich, eine Nonne. Sie soll oft stundenlang zum geweihten Brot, zur Hostie gebetet haben. Brot und Wein werden nach katholischem Glauben im Gottesdienst in Leib und Blut Christi verwandelt. Indem der Priester mit den Worten betet, die Jesus beim letzten Abendmahl gesprochen hat, werden sie neu gedeutet und so von ihrem Wesen her verwandelt. Auch wenn sie äußerlich noch wie Brot und Wein aussehen und schmecken, ist in ihnen Jesus da. Für Juliana war das der Weg, mit Jesus in Kontakt zu treten. Sie hat immer wieder seine Nähe gesucht; das war für sie lebenswichtig. Eines Tages hat sie dann Visionen von einem Mond bekommen, der am Rand einen dunklen Flecken hatte. Sie deutete den Mond auf das Kirchenjahr hin, dem etwas fehlt: ein Fest vom Leib und Blut Christi. So ist letztlich Fronleichnam entstanden.

Aber nicht jeder hat diesen Zugang zu Gott im gewandelten Brot. Vielen Menschen ist Gott näher durch das Gebet. Wer betet, bringt vor Gott, was ihn freut, bedrückt oder belastet. Und wer vor Gott ausspricht, was ihn umtreibt, der kann manchmal klarer sehen, was ihm wichtig ist und was nicht. So kann Gott zu einem Gegenüber werden, zu einem Wegbegleiter, der hilft, das Leben zu ordnen und auf die Reihe zu kriegen.

Gott begleitet die Menschen auf ihrem Weg. Dieser Fronleichnamsgedanke ist für mich genial und ein Grund, nachher selber an der „Katholendemo“ teilzunehmen: Wovon mein Herz voll ist, davon darf ich nicht schweigen – so hat das der Evangelist Matthäus formuliert. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass mich Fronleichnam unglaublich herausfordert – mehr als andere Kirchenfeste. Ich muss mich nämlich nicht zuletzt durch die kritischen Blicke der Leute fragen lassen, ob ich auch wirklich hinter dem stehe, für das ich da demonstriere; ob ich wirklich spüre, dass Gott mich begleitet, und wenn ja, woran ich das festmache.
Und ich muss mich fragen, ob ich wirklich eine Beziehung zu ihm habe, über das Gebet vielleicht, das gewandelte Brot oder über andere Wege? Solche Fragen führen mich dann ganz schnell in den tiefsten Kern meines Glaubens.

Insofern mag das Fronleichnamsfest zwar gut 700 Jahre alt sein – für mich aber ist es aktueller denn je.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Taufe – oder mit allen Wassern gewaschen?

In den letzten Tagen habe ich einige Duschgels verpackt. Sie werden an Familien verschenkt, die ihr Kind taufen lassen. Auf der Verpackung ist unsere Wallfahrtskapelle vom Letzenberg Malsch bei Wiesloch abgebildet; darunter steht ein Segenswunsch: „Alles Gute zur Taufe.“ Die Duschgels sollen die Familien an die Taufe erinnern – und sie nachdenklich machen: Was bedeutet „Taufe“ eigentlich? Etwa, mit allen Wassern gewaschen zu sein?

Die Redensart „mit allen Wassern gewaschen“ kommt aus der Seefahrt. Seeleute waren Menschen, die weit herumgekommen sind. Sie haben in allen Meeren dieser Welt gebadet. Insofern sind sie welt- und lebenserfahren; zugleich aber auch etwas exotisch. Wer einmal das Meer bezwungen hat oder Seeräubern entkommen ist, der hat vor nichts mehr Angst. Er trotzt allen Gefahren, ist trickreich und gerissen. Daran knüpft die Redensart an: mit allen Wassern gewaschen zu sein, heißt clever, hinterlistig und durchtrieben zu sein, ein richtiges Schlitzohr also.

Der Priester Wilhelm Willms hat ein Gedicht geschrieben mit dem Titel: „Taufe – oder mit allen Wassern gewaschen“. Darin wehrt er sich dagegen, dass Christen eben solche Schlitzohren sind. Er sagt, in der Taufe gehe es vielmehr darum, Menschen mit dem „Wasser der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, der Liebe und des Friedens“ zu waschen. Er nennt das auch das „Wasser des christlichen Geistes“. Willms sagt weiter: wer getauft ist, soll sich auch so verhalten. Eltern, Paten und die Gemeinde zum Beispiel. Die sollen „lebendiges Wasser“ sein und dem Täufling zeigen, wie man barmherzig und gerecht ist, liebevoll und friedlich lebt. Für mich steckt da sogar noch mehr drin: wer getauft ist, folgt Jesus nach. Das heißt: Er kümmert sich nicht nur um andere Menschen, sondern denkt auch an die Umwelt und schaut nach vorne.

Ich bin gespannt, wie unsere Duschgels ankommen: heute werden sie das erste Mal verteilt. Ich hoffe, die Tauffamilien werden neugierig, lesen unseren Begleitbrief und machen sich Gedanken darüber, was Taufe für sie bedeutet.
Für mich jedenfalls kommen in der Taufe zwei Dinge zusammen, auf die unser Geschenk hinweisen soll:
Zum einen wäscht man sich mit einem Duschgel. Mich erinnert es insofern an jene Seeleute, die in sämtlichen Weltmeeren gebadet haben. Ich finde, die Taufe soll Menschen tatsächlich stärken, wie diese Seeleute mutig und klug zu sein.
Zum anderen geht es für mich in der Taufe aber noch um mehr. Darauf weist das Bild von der Letzenberg-Kapelle hin, das wir auf das Duschgel gedruckt haben. Getauft zu sein heißt für mich, mit dem „Wasser des christlichen Geistes“ gewaschen zu sein. Und darin liegt für mich ein großer Unterschied zu jenen Seeleuten. Wer getauft ist, sollte eben gerade nicht schlitzohrig und durchtrieben sein, sondern aufrichtig und ehrlich durchs Leben gehen, gerecht und barmherzig, umsichtig und bedacht.

„Neu denken! Veränderung wagen.“

Wer getauft wird, wird gewaschen – aber nicht mit allen Wassern, sondern mit dem „Wasser des christlichen Geistes“. Das hat der Schriftsteller Wilhelm Willms einmal gesagt. Ich habe eben in meinen Sonntagsgedanken davon erzählt. Wer getauft ist, der schmuggelt sich nicht irgendwie durchs Leben. Er packt an, um die Welt gerechter und besser zu machen.

Heute ist der erste Sonntag in der Fastenzeit. Viele Christen bereiten sich auf Ostern vor und überlegen sich, wie sie als getaufte Menschen leben, was sie an sich und der Welt verbessern könnten. An manchen Orten bringen sie dazu Ruderblätter in den Gottesdienst mit. Die Idee dazu stammt vom Hilfswerk Misereor und gehört zur Fastenaktion, die heute startet. Weltweit wird das Klima extremer. Das trifft vor allem die armen Menschen; Fischer zum Beispiel auf den Philippinen. Sie leben am Wasser, oft in einfachen Hütten, und sind auf das Meer angewiesen. Doch Starkregen, Stürme und Fluten bedrohen sie. Außerdem schwimmen im Wasser immer mehr Abfälle statt Fische. Höchste Zeit, das Ruder herumzureißen und einen neuen Kurs einzuschlagen. Genau daran erinnern jene Ruderblätter in den Gemeinden.

Das Leitwort der Fastenaktion heißt: „Neu denken! Veränderung wagen.“ Misereor hat in den letzten Jahren tatsächlich viel verändert. Da sind zum Beispiel die Mangroven-Wälder. Mangroven-Bäume werden direkt ins Wasser gepflanzt. In ihren Wurzeln können sich Fische vermehren. Gleichzeitig bremsen sie Sturmfluten ab, bevor sie auf die Küste treffen und Schaden anrichten. Viele Hütten der Fischer sind auf Stelzen gebaut. Geht das Wasser bei Ebbe zurück, kommt Müll zutage. Die Kinder wissen mittlerweile durch Misereor und andere Organisationen, dass dieser Müll krank macht. Sie haben angefangen, ihn aufzusammeln und zu entsorgen. Die Fischer selbst haben gelernt, sich besser zu organisieren und das Meer und seine Gefahren besser einzuschätzen. Und viele Frauen üben mittlerweile ein Handwerk aus, um Geld dazuzuverdienen und das Einkommen der Familien zu verbessern.

Jene Ruderblätter in den Gemeinden sollen beschriftet werden, so die Idee der Fastenaktion. Die Leitfrage heißt: Was kann ich tun, um etwas zu verändern? Vermutlich gibt es viele Ideen: „Nimm Stofftaschen statt Plastiktüten!“ „Vermeide Müll!“ „Fahr Fahrrad statt Auto!“ „Kauf fair gehandelte Waren!“ „Hilf mit einer Geldspende!“ Ich tu mich manchmal schwer mit solchen Appellen. Bringt das wirklich was – mein winziger Beitrag? Und ich frage mich außerdem: muss es wirklich gerade ich sein, der die Welt rettet?

Ja, ich denke, das muss es! Veränderung fängt bei mir an. Weil ich getauft bin, schmuggle ich mich gerade nicht durchs Leben. Ich packe an, um die Welt gerechter und besser zu machen. Das heißt es für mich, mit dem „Wasser des christlichen Geistes“ getauft zu sein.
Und bringt es was? Ich glaube schon. Misereor und andere Organisationen haben es bewiesen. Das spornt mich an. Ich kann das Ruder selbst in die Hand nehmen! Ich muss nur umdenken und Veränderung wagen.

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SWR4 Sonntagsgedanken

- die Fähigkeit zu geben, was man nicht hat

Segen heißt: anderen Gutes zusagen

In rundeiner Stunde findetin meiner Gemeindeeine Pferdesegnung statt. Um 10 Uhr geht es los. Dann treffen sich in Malsch bei Wieslochüber 100 Reiter mit ihren Pferden. Auch Hunde, Katzen und einige Eselwerden dabei sein. Und ich mittendrin. Ich werde die Tiere mit Weihwasser besprengen und das Kreuzzeichen über sie machen. Seit über 50 Jahren gibt es diese Segnung bei uns und nach wie vor zieht sie viele Tierfreunde an. Die Leute kommen zum Teil von weit her und nehmen manche Strapaze auf sich, um sich und ihre Tiere segnen zu lassen.Das wundert mich manchmal ein bisschen, denn viele von ihnen gehen sonst nicht zur Kirche.Warum kommen sie dann aber zu einer solchen Segensfeier?

Ich denke da gerne an eine Geschichte aus den Dolomiten. Sie erzählt davon, wie die Menschen in einem kleinen Bergdorf sonntags von weit her zur Messewandern. Weil sie so lange unterwegs sind, kommen sie regelmäßig zu spät. Manche sogar erst zum Ende der Feier, so dass sie nur noch den Segen auf der Türschwelle mitkriegen. Das aber reicht ihnenscheinbar aus.

Zwei Dinge sind mir an dieser Geschichte wichtig:

Einen Segen bekommeich oft „auf der Türschwelle“, das heißt in „Schwellenmomenten“, in denen Neues beginnt, wenn ich aufbreche, zurückkomme oder an einer Lebenswende stehe.

Und: Einen Segen kann ich „mitkriegen“ – ganz wörtlich gemeint. Ich bekomme ihn mit wie eine Stärkung. Ich kann ihn heimtragen, diesen handfesten guten Wunsch für die nächste Zeit.

Segen meint also, anderenGutes zuzusagen an der Schwelle zu dem, was kommt. So wünsche ich Freunden „Viel Glück und viel Segen“ zum Geburtstag, wenn ein neues Lebensjahr beginnt. MeinerTochter wuschle ich morgens auf der Türschwelledurch die Haare und wünsche ich ihrdamiteinen guten Tag im Kindergarten.Möge sie gesund zurückkommen. Eine Art Wuschelsegen sozusagen; manche kennen denauchals Kreuzzeichen auf die Stirn. Bekannt sind auch die Wünsche aus Irland:irische Segenswünsche gibt esja für fast alle Lebenslagen.

Segne ich jemanden, wünsche ich ihm Gutes für Momente, die ich selbernicht in der Hand habe.Insofern kann ich gut verstehen, wenn die Leute nachher ihre Tiere von weit her in unsere Gemeinde bringen, um sie segnen zu lassen.Sie tun alles dafür, dass es ihnen gut geht – jetzt und in Zukunft. Und sie lassen ihren Tieren darüber hinaus etwas zusagen, das ihre eigenen Kräfte übersteigt:mögen ihre Schützlingegesund bleiben und ihren Besitzern Freude machen.

Für mich ist diese Tiersegnung jedes Jahr etwas Besonderes. Die vielen Menschen mit ihren Tieren zeigen mir nämlich,was auch ich mir ganz tief drin wünsche: Gutes für mich und meine Lieben; dass meinLeben gelingt.Danach sehne ich mich. Zugleich wird mir aber auch klar, dass ich das nicht allein in der Hand habe. Das macht mich manchmal unsicher, aber auch demütig und dankbar für alles, was mir in meinem Leben geschenkt ist.

Segen heißt das Pluszeichen Gottes vor sein Leben stellen

Heute Morgen findet in meiner Gemeinde eine Tiersegnung statt.Menschen kommen mit ihren Tieren zu uns nach Malsch, um ihnen Gutes zusagen zu lassen für eine Zukunft, die sie selber nicht in der Hand haben.

Ich selber spende zwar diesen Segen. Aber ich kann keineswegs garantieren, dass er auch wirkt, also dass dieses Gute auch eintritt und das Leben derergelingt, die ich segne. Was soll das Ganze dann aber?

Der Theologe Fulbert Steffensky hat sich einmal damit beschäftigt. Segen heißt für ihn:geben, was man nicht hat. Ein Segen verzichtet darauf nachzufragen oder zu zweifeln. Wer segnet oder gesegnet wird, denkt nicht darüber nach, was möglich ist oder nicht. Er fragt nicht, was er tun oder bewirken kann. Der Mensch lässt im Segen einfach los und gibt sich in andere Hände. Er überlässt sich Gott. Er ist es, von dem der Segen kommt. Steffensky schreibt dazu sehr anschaulich: Wer segnet oder gesegnet wird,„stürzt in den Abgrund des Schoßes Gottes.“

Sich in den Schoß Gottes stürzen, ihm sein Leben anvertrauen. Das ist ein starkes Bild, finde ich. Segen meint, sich ganz auf das zu verlassen, was Gott durch den, der segnet, durch dessen Segenswort und Segenszeichen zusagt: Gutes nämlich.

Zum Segen gehört normalerweise auch ein Segenszeichen – Weihwasser zum Beispiel oder ein Kreuz. „Segnen“ heißt „signieren“, also etwas„mit einem Zeichen versehen“.

Die Bibel kennt viele solche Zeichen, die über den Menschen hinausweisen und ihm Gutes versprechen: Kain, der Sohn von Adam und Eva zum Beispiel bekommt von Gott ein Zeichen mit, das ihn schützt – das sogenannte Kainsmal. Für Noah wird der Regenbogen zum Segenszeichen. Jakob sieht die Himmelsleiter und Moseden brennenden Dornbusch. Zeichen über Zeichen – bis das Zeichen kommt, das alle anderen einschließt und übertrifft: das Kreuz. Zunächst ist es das Zeichen des Todes, denn Jesus stirbt am Kreuz. Gott holt ihn aber aus dem Tod und machtdamit das Kreuz zum Zeichen für das Leben. Gesegnet sein heißt insofern, mit dem Kreuz bezeichnet oder eben: von Gott „signiert“ sein.

Es gibt dazu eine nette kleine Geschichte: Ein Jungegeht mit seiner Mutter durch die Stadt. Aus der Schule kennt erdie Pluszeichen. Als ihm die Kreuze auf den Kirchtürmenauffallen, fragt er nach: Mama, was sind das für Pluszeichen da oben?

Und genau darum geht es: Segen meint, sein Leben unter das Pluszeichen Gottes zu stellen. Segne ich jemanden, dann wünsche ich ihm dieses Plus, dieses Mehr an Gutem, das nur von Gott kommen kann.

Und so möchte ich auch Ihnen dieses Plus für den heutigen Sonntag zusagen und Sie segnen – mit einem Wort, das Sie sicher kennen und vermutlich selbst schon gebraucht haben. Ich empfehle Sie „zu Gott hin“, „ad deum“ auf Latein.Besser bekannt auf Spanisch und Französisch: Adiós, Adieu.

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SWR4 Sonntagsgedanken

1 Maria ist eine ganz besondere Frau

In meiner Gemeinde wird heute Abend gefeiert. Keine Party, sondern eine Mai-Andacht. Das ist aber nicht nur in meiner Gemeinde so. Gerade im Marienmonat Mai beten viele Menschen weltweit zu Maria, der Mutter Jesu: „Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit Dir.“Was macht Maria so besonders?

Die Bibel berichtet davon, dass Maria den Sohn Gottesgeboren hat.Von Anfang an war sie deshalbhoch angesehen. Und weil man davon ausgeht, dass die Mutter Jesu besonders eng mit Gott verbunden ist, sehen viele in ihr bis heute auch eine Fürsprecherin,derman persönliche Bitten anvertrauen kann. Sie hat sozusagen einen besonderen Draht zu Gott.

Vielen Menschensteht Maria aber noch aus einem anderen Grund nahe. Sie finden sich in ihr wieder, denn sie ist auch Frau und Mutter. Sie durchlebt vieles, was andere Menschen auch erleben oder zumindest nachempfinden können. Das macht sie menschlich und sympathisch.

Als zum Beispiel der Engel Gabriel Maria davon erzählt, dasssie Jesus gebären soll, reagiert sie erschrocken undverunsichert. Und das nicht nur, weil Jesus der Sohn Gottes war!Maria ist jung, nicht verheiratetundbekommt ein Kind. Das macht ihr zu schaffen.

Und Maria macht noch viel mehr durch: Gleich nach der Geburt muss die ganze Familie nach Ägypten fliehen. Vieles muss sie zurücklassen: Freunde, Besitz und ihre Heimat.

Maria kennt aber auch die ganz alltäglichen Sorgen von Eltern. Mit zwölf Jahrensetzt sich Jesus einmal von seiner Familie ab.Maria ist besorgt und sucht ihn. Natürlich ist sie froh, als sie ihn endlich findet; gleichzeitig aber auch ziemlich sauer. Sie schimpft mit Jesus: „Kind, wie konntest du uns das antun?“

Und schließlich weint Maria unter dem Kreuz. Sie verliert ihren Sohn. Das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann.

Maria steht also vielen Menschendeshalb nahe, weil sie sich in ihr wiederentdecken.
Was michdabei besonders an ihr fasziniert, ist die Art und Weise, wie Maria ihr Leben meistert. Sie kommt offenbar ganz gut zurecht. Dass sie wirklich verzweifelt wäre, berichtet die Bibel nirgends. Und genau das gibt vielen Menschen Kraft, die selbst nicht mehr weiterwissen.

Was macht Maria so stark? Ich denke, es ist das, was ihr der Engel auf den Kopf zusagt und was wir heute noch beten: „Maria, Du bist voll der Gnade. Der Herr ist mit dir.“ Er sichertihr also zu, dass Gott zu ihr halten undihr beistehen wird.Darauf vertraut sie und das trägt sie in allem, was sie durchlebt.

Ich finde das wirklich beeindruckend – und manchmal wünschte ich mir, Gott würde auch mir so etwas zusagen.

2 Maria zeigt mir, dass auch ich Gott wichtig bin

Maria wird von vielen Menschenverehrt; sie ist die Mutter Gottes. Viele beeindruckt aber vor allem, dass sieauch ein ganz normaler Mensch ist, eine Frau, die im Alltag ihren „Mann steht“. Davon habe ich ebenin den Sonntagsgedanken erzählt.Vielleicht ist Mariadeshalb so stark, weil ihr der Engel Gabriel direkt zusagt, dass Gott sie nicht alleine lässt – auch wenn es die Bibel etwas edlerausdrückt: „Maria, du bist voll der Gnade. Der Herr ist mit dir.“

Ich habe Maria schon oft um dieseZusage beneidet – bis ich eines Tages ein echtes Aha-Erlebnis hatte. Mir ist bewusst geworden: Was der Engel Mariasagt, gilt auch für mich!Ich kann mich noch ganz gut an diesen Aha-Moment erinnern. Ich warin Freiburg unterwegs undhabe mir die Figuren über dem Eingangzum Münster angeschaut. Dort ist Gabriel zu sehen, wie er sich Maria zuwendet. Auf seinem Spruchband steht: Du bist voll der Gnade. Und Maria?Sie zeigt mit ihrem Finger auf diejenigen, diesie anschauen. Ich habe damals Gänsehaut bekommen. Es war für mich, alsob Maria mir dieseBotschaft weitergibt. Noch nie zuvor ist mir das so klar geworden: Thomas, auch du bist voll der Gnade. Gott ist auch mit dir – mit dir und all den anderen Menschen.

Damals habe ich verstanden, dass der Engel zu Maria eigentlich nur das sagt, wasdie ganze Bibel immer wieder von Gott berichtet: die Menschen sind ihmwichtig. Er traut ihnen etwas zu – auch mir. Ich stehe in seiner Gunst, unabhängig davon, was ich kann oder wer ich bin. Und wenn ich mich so angenommen und geliebt weiß, dann ist mir vieles möglich.Das ist fast wie im Sport: Wer angefeuert wird, ist motivierter und kommt leichter ans Ziel.

In Freiburg habe ich damals übrigens noch etwas kapiert. Mir ist aufgefallen, dass die Bibel nichts davon sagt, ob der Engel Maria bei der Flucht nach Ägypten unterstützt hat. Er hilft ihr auch nicht, nach Jesus zu suchen, als der sich von seiner Familie absetzt. Und er ist auch nicht dabei, als Maria um ihren Sohn trauert. Es ist vielmehr Josef, der Mariabegleitet. Es sind die Frauen, die mit ihr weinen; die Jünger, die sich um sie kümmern.
Ich glaube, dass ich von Gott getragen bin, spüre ich vor allem dadurch, dass sich andere Menschenfür mich einsetzen und zu mir stehen.

Das ist, was ich persönlich an Maria so schätze: Sie zeigt mir, dassich für Gott wichtig und wertvoll bin – einfach nur weil es mich gibt.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie genau das in der kommenden Woche spüren können – vielleicht durch Menschen, die für Sie da sind. Und sollte es nicht rund laufen, weil die anderen Sie mal wieder nerven –auch so etwas soll ja vorkommen –, dannbleiben Sie gelassen und nachsichtig. Machen Sie sich bewusst: auch die sind voll der Gnade.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Den Bogen entspannen

Es ist August - für viele der Urlaubsmonat schlechthin. Raus aus dem Alltag und faulenzen, am besten gleich mehrere Wochen lang. Auch bei mir ist das so. Schon lange freue ich mich auf meinen Urlaub, weil ich einfach merke, dass die Luft raus ist. Ich muss endlich mal wieder auftanken, gründlich ausschlafen und was anderes sehen.

Umso mehr bin ich neulich erschrocken, als ich in der Zeitung gelesen habe, dass ein langer Urlaub gar nicht viel bringt. Gut, man hat Zeit für die Familie, kann seinen Hobbies nachgehen oder andere schöne Dinge tun. Für die Erholung aber braucht es keine wochenlange Auszeit - das sagen zumindest die Forscher. Acht Tage sollen es sein, bis man wieder fit ist. Jeder Tag mehr ist zwar schön, aber eigentlich nicht nötig. Und die Forscher sagen noch mehr: Die Energie aus dem Jahresurlaub hält nicht lange. Spätestens im Herbst kommt die Müdigkeit zurück und die Akkus sind wieder leer.

Was aber kann man dagegen tun? Vom Apostel Johannes wird eine bemerkenswerte Geschichte überliefert. Sie erzählt, dass er zwischendurch immer wieder mal mit einem zahmen Rebhuhn gespielt hat. Eines Tages sieht das ein Jäger und ist völlig empört: Wie kann ein Mann wie Johannes seine wertvolle Zeit nur mit Spielen verplempern? So viel Sinnvolles hätte er doch in diesem Moment leisten können. Johannes aber bleibt gelassen und stellt dem Jäger nur eine Frage: „Warum hältst Du den Bogen in Deiner Hand nicht ständig gespannt?" Für den Jäger ist die Antwort klar: „Wenn ich das tue, verliert mein Bogen an Spannkraft! Und wenn es drauf ankommt, hat der Pfeil nicht mehr genügend Antrieb."

Genau so ist das auch bei mir! Um für den Alltag dauerhaft fit zu sein, brauche ich regelmäßige Auszeiten. Zeiten, in denen ich wie Johannes nichts leiste, nichts produziere und einfach das tue, was mir gefällt. Ob ich mehrere Tage ins Grüne fahre oder nach der Arbeit noch eine kurze Runde mit dem Fahrrad drehe; ob ich mit Freunden ein Bierchen trinke oder einfach ein gutes Buch lese - das ist völlig egal. Hauptsache ich gönne mir Momente, in denen ich die Spannung rausnehme.

Wenn ich demnächst in Urlaub fahre, werde ich daran denken: Der Jahresurlaub ist wichtig - keine Frage. Wie der Jäger aber seinen Bogen immer wieder entspannt, muss auch ich regelmäßig ausspannen. Nur dann habe ich genügend Kraft, um dauerhaft meine Aufgaben zu meistern und meine Ziele zu verfolgen. Und nur dann bin ich gerüstet, wenn es in meinem Leben darauf ankommt.

verreisen in die Welt und ins eigene Ich 

Es ist wichtig, sich regelmäßig zu entspannen. Nur wer erholt ist, kann den Alltag meistern. Erholung - das verbinden viele mit „reisen": raus von Zuhause und alle Sorgen weit hinter sich lassen. Am Frankfurter Flughafen wird das besonders deutlich: bis zu 200.000 Menschen sind dort im Sommer täglich unterwegs. Viele davon Touristen, die in Urlaub fliegen.

Was in diesen Trubel scheinbar so gar nicht reinpasst, ist die Kapelle am Flughafen. Sie ist zentral von der Abflughalle aus erreichbar und liegt doch etwas abgeschieden auf der Empore. Und sie wird gut besucht: von Menschen, die am Flughafen arbeiten, von Geschäftsleuten und auch von Touristen.

Ich habe mir sagen lassen, dass manche Flughafenmitarbeiter gezielt zum Gebet und zum Gottesdienst in die Kapelle kommen. Sie unterbrechen ihre Arbeit und gönnen sich eine ruhige Minute, in der sie mit Gott sprechen und ihm anvertrauen, was sie umtreibt.

Auch Geschäftsleute, die von einem Flughafen zum anderen reisen, nutzen diesen Raum. In der Stille tauchen sie in ihre Gedanken ab und besuchen ihre Lieben zuhause. Das gibt ihnen Kraft - auch weit weg von zuhause.

Touristen überbrücken in der Kapelle manchmal die Zeit bis zum Abflug. Einige bitten Gott um seinen Segen für die Reise. Andere setzen sich einfach in die Stille und lassen die Hoch- und Tiefpunkte der letzten Tage noch einmal vorbeiziehen. Sie wollen mit dem, was in der letzten Zeit so alles war, innerlich abschließen bevor der Urlaub beginnt. Wieder andere fürchten sich vor dem Flug und vor dem, was unterwegs passieren könnte. Sie denken ganz bewusst über ihr Leben nach, gehen in sich und beschäftigen sich mit dem, was sie bewegt.

All diesen Menschen ist eines gemeinsam, ob sie die Kapelle regelmäßig besuchen oder nur einmal kurz vor dem Abflug: Sie tauchen ab in ihr Inneres. Sie nutzen die Kapelle, um einen Augenblick ganz für sich allein zu haben. Sie ordnen innerlich, was sie beschäftigt. Sie suchen nach dem, was ihnen Halt und Kraft gibt, und fragen danach, was sie antreibt.

Ein unscheinbarer Raum der Stille an diesem Flughafen, an dem gerade in der Urlaubszeit noch mehr los ist als sonst. Ich glaube, es könnte keinen besseren Ort für diese Kapelle geben. Für mich nämlich weist sie auf etwas ganz Entscheidendes hin: Wenn die Urlauber nach Frankfurt kommen, wollen sie den Alltag weit hinter sich lassen und Abstand gewinnen. Sie fliegen in die Ferne und suchen dort nach Erholung. Wirklich auszuspannen, die Spannung aus dem Alltag rauszunehmen, ist aber mehr! Es geht darum, gerade auch in die andere Richtung zu reisen, ganz tief ins eigene Ich hinein. Nur dort nämlich finde ich das, woraus ich täglich schöpfe: meine persönlichen Kraftquellen, die mich halten und tragen.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Glaube, der nach Einsicht sucht

Was tut mehr weh: eine Ohrfeige, die ich mir nur vorstelle, oder eine Ohrfeige, die ich tatsächlich bekomme? Die Antwort liegt auf der Hand. Gleiches gilt für viele andere Bereiche: wenn ich jemanden küsse oder umarme, ist das intensiver, als wenn ich nur über Zärtlichkeit philosophiere. Auch werde ich von einem Schnitzel nur dann satt, wenn es real auf meinem Teller liegt - ein Fantasie-Schnitzel hilft da nicht weiter.
Anders gesagt: was es wirklich gibt, ist gehaltvoller als das, was nur theoretisch existiert.

Anselm von Canterbury hat das auch schon gewusst. Vor rund 950 Jahren hat er mit diesem Argument versucht zu beweisen, dass es Gott wirklich gibt. Viele halten ihn deshalb für den bedeutendsten Theologen des 11. Jahrhunderts. Heute ist sein Gedenktag und ich finde, seine Ideen sind nach wie vor spannend. Er wollte damals Gott und das, was die Christen glauben, ganz logisch und plausibel erklären - selbst für die Menschen, die nicht an Gott glauben. Doch wie hat er das gemacht?

Für Anselm ist klar, dass Gott absolut vollkommen ist. Es gibt nichts, das größer ist als er. Wer an Gott glaubt, beschreibt ihn als allmächtig, allwissend, allgegenwärtig - ja, als Allergrößten eben. Aber auch diejenigen, die nicht an Gott glauben, können sich zumindest ein Wesen vorstellen, das absolut vollkommen ist - etwas, worüber hinaus es nichts Größeres gibt.

Und genau hier kommt für Anselm der Gedanke ins Spiel, den jeder verstehen wird, der schon mal eine Ohrfeige bekommen hat, umarmt worden ist oder ein Schnitzel gegessen hat: was wirklich existiert, ist gehaltvoller als das, was nur in Gedanken vorkommt.
Kann man sich also etwas absolut Vollkommenes vorstellen, dann muss es das auch real geben. Würde dieses Vollkommenste nämlich nur in der Fantasie existieren, dann wäre etwas denkbar, das noch größer und noch vollkommener ist: nämlich etwas, das es auch real und wirklich gibt. Folglich muss es Gott geben - theoretisch UND praktisch.

Anselm von Canterbury geht also von der Gedankenwelt aus und schließt von ihr auf die Wirklichkeit. Dass man so etwas tun kann, lässt sich aus alltäglichen Erfahrungen belegen: echter Schmerz, wirkliche Zärtlichkeit oder eine reelle Mahlzeit sind gehaltvoller als nur die Vorstellung davon. Damit beweist Anselm Gott.
In der Geschichte hat man immer wieder versucht, Anselms Argumente zu widerlegen. Doch bis heute faszinieren sie Menschen - auch mich. Wer nämlich Anselms gedanklichen Klimmzügen folgt - ob gläubig oder nicht - stößt auf das, was die Christen Gott nennen.

Wovon das Herz voll ist, davon kann der Mund nicht schweigen

Immer wieder versuchen Menschen zu beweisen, dass es Gott gibt. Manche wollen sogar belegen, dass Jesus der Sohn Gottes war und auferstanden ist. Mich fasziniert so etwas - gerade in der Osterzeit. Denn ich frage mich da oft, ob dieser Gott wirklich existiert, ob er Jesus tatsächlich aus dem Grab geholt hat und ob das auch bei mir einmal so sein wird. Es wäre schön, wenn es dafür Beweise gäbe.

Doch braucht es die wirklich? Es gibt doch Menschen, die damals dabei waren - Augen- und Ohrenzeugen wie Maria, Petrus, Paulus oder Barnabas. Diese Menschen haben Gott erlebt, sind Jesus begegnet oder am leeren Grab gestanden. Das hat sie so bewegt, dass sie öffentlich davon erzählt haben. Dafür hat man sie verfolgt und teilweise sogar umgebracht. Und dennoch waren sie nicht kleinzukriegen. Mit ihrem Leben sind sie für Gott eingestanden. Das ist historisch belegt und sollte eigentlich auch mich überzeugen. Und doch suche ich dauernd nach stichhaltigeren Beweisen. Woran liegt das?

Vielleicht ist es bequemer, Gott abstrakt zu beweisen. Ich kann nämlich jedes Argument auch widerlegen. Und solange ich keinen absolut überzeugenden Beweis finde, dass es Gott wirklich gibt, brauche ich nicht mit aller Konsequenz an ihn zu glauben. Anders bei jenen Zeugen. Es wäre so einfach, ihnen zu vertrauen. Doch wenn sie Gott erlebt haben, dann müsste auch ich mir darüber klar werden, wie ich zu ihm stehe. Vielleicht müsste ich sogar mein Leben umkrempeln. Und das ist anstrengend! Ich brauche ja nur auf Jesus zu schauen, wie er gelebt und gehandelt hat, und sofort fallen mir Dinge auf, die ich in meinem Leben verändern sollte. Womöglich müsste ich mich sogar öffentlich zu Gott bekennen - wie die Christen damals: wovon ihr Herz erfüllt war, davon konnte ihr Mund nicht schweigen! Aber genau deshalb wurden sie ja von so vielen abgelehnt. Was, wenn das auch mir passiert?

Ich brauche nur mal ehrlich zu mir selbst sein: Bei Trauergesprächen war genau das schon mein Problem. Ich habe mich mehrfach davor gedrückt, Gott ins Spiel zu bringen - immer dann, wenn die Angehörigen mit Gott offenbar wenig anfangen konnten. Ich habe vieles über den Verstorbenen erfragt, wie er so war, was er gemacht und im Leben erreicht hat. Gebetet aber habe ich nicht. Ich habe auch nicht viel von dem gesprochen, wovon ich selbst überzeugt bin: nämlich dass es nach dem Tod weitergeht. Davon habe ich erst in der Friedhofskapelle gepredigt - dort, wo es erwartet wurde, wo niemand darauf reagieren oder gar kritisch nachfragen konnte. Ich habe es also vermieden, konkret für meinen Glauben einzustehen.

Gerne wäre ich mir absolut sicher, dass es Gott gibt und dass Jesus sein Sohn war. Aber was dann? Für die Botschaft Jesu einzustehen, kann ziemlich schwer sein. Es beeindruckt mich, wie konsequent die ersten Zeugen der Auferstehung das geschafft haben. Von ihrer Kraft und Überzeugung - davon wünschte ich mir manchmal auch etwas.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Gott begegnet mir - was erwarte ich von ihm?

Vor Kurzem habe ich mit jugendlichen Firmanden über Gott gesprochen; darüber wie sie sich ihn vorstellen. Für einige ist Gott ein alter Mann von gestern. Er sitzt mit Rauschebart auf einer Wolke und guckt runter - viel erwarten kann man von ihm nicht. Andere haben Gott mit einem Buchhalter verglichen: Er taucht selten auf, notiert aber alles. Und am Ende kommt die große Abrechnung. Die Jugendlichen haben viele Bilder gefunden. Aber egal welches: für sie ist Gott weit weg. Sie rechnen nicht wirklich mit ihm.

Ich habe mich gefragt, wie das bei mir ist. Dabei ist mir ein Liedtext eingefallen, den ich einmal gehört habe: Was wäre, wenn Gott einer von uns wäre - heißt es da. Irgend so ein unscheinbarer Typ im Bus neben mir. Würde ich ihn erkennen? Wenn Jesus auf der Straße daherkäme, wäre ich mutig genug, ihn anzusprechen? Was würde ich ihm sagen? Vielleicht könnte er ja was für mich tun. Aber würde ich es ihm wirklich zutrauen?

Dieser Gedanke lässt mich nicht mehr los. Vor allem, weil Gott ja tatsächlich Mensch war - das jedenfalls glaube ich. Die Bibel erzählt von Menschen, die ihm begegnet sind. Bartimäus zum Beispiel. Er ist blind und bettelt am Straßenrand. Als er hört, dass Jesus vorbeikommt, spricht er ihn an: „Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir."

Jetzt könnte man meinen, Jesus sieht den Blinden und heilt ihn. Macht er aber nicht - jedenfalls nicht sofort. Er stellt ihm eine entscheidende Frage: „Was soll ich dir tun?"
Jesus bohrt also nach. Er fragt nach dem Glauben von Bartimäus. Was traust du mir denn zu, das ich dir tun kann? Und der Blinde geht aufs Ganze: „Ich möchte wieder sehen können", sagt er. Ich möchte wieder gesund sein und am Leben teilnehmen.
„Geh, dein Glaube hat dir geholfen", heißt es dann weiter in der Bibel. Und das Wunder ist geschehen.

Wie wäre es, wenn ich wie Bartimäus Jesus begegnen würde? Würde ich ihn erkennen? Und wenn ja, würde auch ich aufs Ganze gehen und ihn ansprechen? Vermutlich nicht. Ich wäre bestimmt verunsichert: Kann mir Gott wirklich so nahe sein?
Vielleicht würde das Gespräch dann so verlaufen: „Was soll ich dir tun?" „Ach, Herr, nicht der Rede wert. Tut mir leid, wenn ich dich belästigt habe..."
Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich wie meine Firmanden gar nicht wirklich mit Gott rechne. Damit, dass er mir tatsächlich begegnet. Ich gebe mich damit zufrieden, dass er weit weg ist.

„Was soll ich dir tun?" Meine Antwort hängt davon ab, wie viel ich Gott zutraue. Ich kann mich mit wenig zufrieden geben und Gott Gott sein lassen. Ich kann aber auch wie der blinde Bartimäus ein Wunder erhoffen - was auch immer das für mich sein mag: geheilt werden an Leib oder Seele, gerettet werden aus Einsamkeit oder vielleicht einer finanziellen Not...

 

Ich begegne Gott - was erwartet er von mir?

Die Bibel erzählt vom blinden Bartimäus. Er hat damit gerechnet, dass Gott nicht irgendwo auf einer Wolke thront und den Menschen Mensch sein lässt. Er hat darauf vertraut, dass Gott ihm nahe ist und hilft. Und tatsächlich geschieht ein Wunder: er begegnet Jesus, spricht ihn an und kann plötzlich sehen. Sein Glaube hat ihm geholfen - heißt es in der Bibel.

Nun hat Jesus selbst gesagt, dass er erst am Ende der Zeit wiederkommen wird. Dass ich ihm also wie Bartimäus direkt auf der Straße begegne, ist unwahrscheinlich. Ganz abgesehen davon, ob ich mich trauen würde, ihn anzusprechen. Jesus hat aber noch etwas gesagt: Er wird immer unter den Menschen wohnen - nämlich in den Menschen selbst. „Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern tut, das tut ihr mir", hat er seinen Jüngern prophezeit.

Für mich wirft das ein neues Licht auf die Bartimäus-Geschichte. Ich kann sie anders deuten: Angenommen, ich rechne wie er damit, dass Gott vorbeikommt - nicht als die Person Jesus von vor 2000 Jahren, sondern als normaler Passant auf der Straße. Dann müsste ich mich doch entsprechend verhalten. Das fängt schon damit an, dass ich den anderen freundlich grüße. Vielleicht habe ich sogar ein nettes Wort für den Mann übrig, der mich nach dem Weg fragt. Wie Bartimäus würde ich die Welt auf einmal mit neuen Augen sehen und Wunderbares würde geschehen: die Welt würde menschlicher - nur weil ich mit Gott rechne.

Wenn ich Jesus in meinem Gegenüber sehe, dann passiert aber noch weit mehr! Ich erkenne nämlich, dass die Hungernden das Brot brauchen könnten, das ich wegwerfe, die Frierenden dankbar wären um das Hemd, das bei mir überflüssig im Schrank hängt, und dem barfüßigen Bettler auf der Straße die Schuhe passen könnten, die bei mir vor sich hingammeln. Und auf einmal besteht echter Handlungsbedarf!

Genau auf diesen Handlungsbedarf weist der heutige Sonntag der Weltmission hin. In vielen Kirchen hängen Missio-Plakate. Auf ihnen ist Schwester Cecilia zu sehen. Sie ist oft tagelang im dichten Dschungel von Papua-Neuguinea unterwegs, um Menschen zu besuchen und ihnen zu helfen. Schon an ihrem Ordensgewand kann man sehen, dass sie zu Jesus gehört. Sie ist davon überzeugt, dass sie Jesus in anderen Menschen, vor allem in den ärmsten treffen kann. Deshalb ist sie für sie da. „Was soll ich dir tun" - hat Jesus Bartimäus gefragt. Und das fragt auch sie als Missionsschwester die Menschen. Manche von ihnen sind arm und obdachlos, andere krank. Schwester Cecilia hilft ihnen so gut sie kann, denn sie weiß: Was sie diesen Menschen Gutes tut, das tut sie Jesus.

Gott ist mir näher, als ich es vielleicht vermute, denn Jesus wollte unter den Menschen wohnen. Wenn ich daran glaube, sehe ich die Welt mit anderen Augen und das wirkt sich auf mein Handeln aus. Ob ich netter mit anderen umgehe, Menschen oder Missionare weltweit unterstütze - es bricht etwas auf. Die Welt wird menschlicher. Und das ist etwas Wunderbares, ja, vielleicht sogar ein Wunder.

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SWR4 Sonntagsgedanken

"Balleluja"

Seit diesem Wochenende macht sich in Europa ein merkwürdiges Phänomen breit. Pilgern ist angesagt. Menschen von überall her wallfahren nach Polen und in die Ukraine. Sie hoffen, dort das verheißene Glück zu finden. „Balleluja" - dem Fußballgott sei Dank. Die Fußball-Europameisterschaft bewegt Tausende von Menschen. Aber nicht nur in Sachen Wallfahrt gleichen sich Fußball und Religion. Da erfahren zum Beispiel die Fans aus dem Gemeindeblatt, besser gesagt dem Spielplan, wann und wo der nächste Gottesdienst stattfindet. Um dem Fußballgott zu huldigen, treffen sie sich in den großen Kathedralen, den Stadien. Die Spiele unterbrechen den Alltag und lassen die Fans abschalten.Haben sich alle versammelt, beginnt die Zeremonie. Die Augen der Fans richten sich auf den Altar, den Rasen. Mit einem Lobgesang eröffnet die Gemeinde das heilige Spiel: olé, olé, olé, olé. Der Stadionsprecher übernimmt quasi die Rolle des Pfarrers. Er spricht zur Gemeinde; und die antwortet prompt - mal im Sprechchor mal mit Hymnen und Liedern. Die Fans glauben an ihre Mannschaft und verehren die Spieler wie Heilige; ihre Autogramme sind begehrte Reliquien. Und auch der Devotionalienhandel blüht: Schals, Mützen und Trikots.
Im Spiel selbst mischen auch das Gute und das Böse mit - in der Gestalt des Schiedsrichters. Von den einen wird er verflucht, von den anderen wird hoch gelobt, der da kommt, den entscheidenden Elfmeter zu pfeifen. Fällt dann das Tor, liegen sich Menschen in den Armen, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Gemeinschaft entsteht; alle sind gleich - Jung und Alt, Banker und Arbeitslose, Männer und Frauen, Juden und Heiden, Muslime und Christen. Das Wunder - ob von Bern oder in diesem Jahr von Kiew - geschieht, wenn unterschiedliche Menschen vereint nach dem großen Glück streben: dem Euro-Pokal. Bei großen Fußballspielen wird offenbar ein religiöses Gefühl lebendig. Aber echte Religion ist mehr! Einen wesentlichen Unterschied hat der Fußballprofi Christoph Metzelder einmal benannt: „Fußball gibt Hoffnung, möglicherweise Lebensfreude", so sagt er. Fußball „gibt aber, im Gegensatz zur Religion, keine Antworten." Auch mag Fußball Sinn stiften und das Leben ausrichten - für einige Augenblicke wenigstens. Was aber bleibt am Ende? Nur einer kann den Pokal gewinnen. Wer nicht genug trainiert hat, schafft es nicht. Das Glück der Mannschaft liegt allein in ihrer eigenen Hand. Echte Religion dagegen hat ein Gegenüber. Und dieses Gegenüber kann weder beeinflusst noch vereinnahmt werden. Es ist Gott.
Und Gott verspricht einen Siegespokal, der alles Menschliche übersteigt: auf ewig mit ihm zusammen sein.


Den unvergänglichen Siegeskranz gewinnen

Sport und Religion sind sich in vielem ähnlich: Menschen richten sich an etwas aus, trainieren und leben dafür. Aber trotzdem unterscheiden sie sich grundlegend. Der Apostel Paulus zeigt das am Beispiel der Leichtathletik. Im ersten Korintherbrief vergleicht er das Leben mit einem Wettlauf im Stadion (vgl. 1 Kor 9,24f). Dem Sportler kommt es auf den Sieg an. Er will den Pokal gewinnen, seine Gegner abhängen und als erster das Ziel erreichen. Nur nicht stolpern oder zurückschauen. Das kostet wertvolle Zeit. Wer gewonnen hat, tritt wieder an. Der nächste Pokal wartet schon.
Und die Verlierer? Hätten sie mehr trainiert, hätten sie vielleicht gewonnen. Also selbst schuld!

Paulus stellt diesen Menschen diejenigen gegenüber, die ihren Lebenslauf auf Gott hin ausrichten. Ist Gott das Ziel, geht es nicht mehr nur um einen vergänglichen Siegeskranz, sondern um einen unvergänglichen Pokal, so sagt er (1 Kor 9,25). Für Paulus ist der verheißene Preis, bei Gott zu sein (vgl. Phil 3,14). In der heutigen Lesung aus dem zweiten Korintherbrief  schreibt er: „Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel." (2 Kor 5,1) An der Ziellinie des Lebens also wartet Gott auf uns. Aus seiner Hand empfangen wir den Pokal. Der Mensch darf heimkehren, nach Hause gehen, dorthin, wo er sich wohlfühlt: zum Vater.

Richtet sich der Mensch auf Gott hin aus, dann unterscheidet sich das deutlich von einem Wettkampf: Der Siegespreis ist nicht von Menschen gemacht. Und er ist auch nicht nur für einen Sieger gedacht. Die Mitläufer sind daher keine Rivalen und Konkurrenten, sondern Weggefährten. Ich muss sie nicht ausstechen, muss nicht immer der Erste und Beste sein. Ich darf auch einmal Schwäche zeigen, zurück- oder nach den anderen schauen.

Und noch etwas ist für Paulus entscheidend: Jesus Christus ist einer dieser Weggefährten. Er läuft mit und garantiert mir, am Ende im Ziel anzukommen. Notfalls zieht er mich sogar über die Ziellinie. Von Christus ergriffen, so schreibt Paulus, strecke ich mich nach dem aus, was vor mir liegt: dem Siegespreis der himmlischen Berufung (vgl. Phil 3,12ff).

Religion und Sport sind sich in vielem ähnlich und doch unterscheiden sie sich in wesentlichen Punkten. Als Christ kann ich selbstverständlich auch weiterhin Fußball spielen oder Leichtathlet sein - das steht völlig außer Frage. Eine Sache muss mir dabei aber klar sein: alle Erfolge im Sport, Beruf oder Privaten sind lediglich Teilziele; ausgerichtet auf das letzte Ziel, das das ganze Leben bestimmt. Verstehe ich sie so, dann hänge ich sie nicht zu hoch oder erhebe sie gar zur Religion und verstehe sie als das, woran ich mich festmache und über das ich mich definiere.

An der Ziellinie wartet Gott auf uns. Verstehe ich mein Leben so, bekommt es eine ganz eigene Dynamik. Gehe ich mit Jesus ins Rennen, kann ich sicher sein: Ich werde den Pokal gewinnen.

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SWR4 Abendgedanken BW

Kaum etwas ist ergreifender als das Ja-Wort in der Kirche. Der Moment, in dem sich die Brautleute gegenseitig den Ring anstecken: „Vor Gottes Angesicht ... verspreche ich dir die Treue in guten und in bösen Tagen ... Trag diesen Ring als Zeichen meiner Liebe und Treue." Was aber, wenn dieser Ring verloren geht? Freunden von mir ist genau das passiert. Sie haben erst vor wenigen Wochen geheiratet. Dann, im Urlaub, ist das Unglück geschehen. Der Bräutigam hat seinen Ring verloren. Das Symbol der Liebe - einfach dahin. Das Zeichen der Treue in guten und in bösen Tagen - einfach weg. Ein schlechtes Omen für die Ehe? Eigentlich absurd. Der Ring ist doch im Grunde NUR ein Zeichen. Ein Symbol, das auf etwas hinweist. Das Wesentliche ist doch die Liebe zwischen den Partnern! Für gläubige Menschen spiegelt sich darin die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. Und von der Liebe Gottes kann uns NICHTS trennen, das jedenfalls steht in der Bibel. Die Theorie ist das eine. Die Gefühle sind das andere. Die meisten Menschen brauchen nun mal Zeichen und Symbole wie den Ring. Sie können mir Sicherheit geben. Wenn ich meinen Ring anschaue, dann weiß ich: Da ist eine, die mich liebt, die zu mir steht, egal, was kommt; eine, die mich so annimmt wie ich bin und wie Gott mich geschaffen hat. Der verlorene Ehering. Für meine Freunde die erste Gelegenheit, gleich mal ernst zu machen mit ihrem Eheversprechen, gerade in den schlechteren Zeiten zueinanderzustehen. Sie war nämlich ganz schön sauer auf ihn und er hat sich große Vorwürfe gemacht. In dieser Situation kann es helfen, sich noch einmal bewusst vor Augen zu führen, worauf der Ring eigentlich hinweist: die Liebe, die die beiden verbindet. Vielleicht erinnern sich die zwei auch an ihren Trauspruch. Der heißt: „Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat" - und ich will ergänzen: einschließlich der Schusseligkeit mal des einen, mal des anderen. Der verlorene Ehering hat aber auch mir etwas klar gemacht: Äußere Zeichen und Symbole sind wichtig. In der Partnerschaft und auch sonst. Ich lebe eben nicht nur vom Kopf her. Ich fühle und erlebe die Welt mit allen Sinnen.
Wenn ich dabei meinen eigenen Ehering so anschaue: Vielleicht wäre es mal wieder an der Zeit, meiner Frau eine kleine Freude zu machen.

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