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SWR2 Wort zum Tag

Die Chagallfenster in der St. Stephanskirche in Mainz ziehen mich immer wieder an. Es ist in diesen Adventstagen der träumende Jakob, der mich zum Verweilen eingeladen hat. Chagall hat die biblische Geschichte variiert. Kein Stein, keine Himmelsleiter ist zu sehen. Alle Attribute des Traums, von denen im Alten Testament, der Hebräischen Bibel, erzählt wird, fehlen, auch wenn sie in Jakobs Traumwelt existieren. Einsamkeit, die dunkle Nacht sind dagegen überdeutlich.
Wie kam es zu diesem Traum? Jakob ist auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um den Segen des Erstgeborenen gebracht hat. Jakob ist in der Fremde. Heimatlos. Sein altes Leben ist zerbrochen, und er weiß nicht, wie es weiter geht. Erschöpft legt er sich am Abend nieder und träumt. Im Traum sieht er ein großes Bild.
Chagall geht es um Hintergründiges, Nachdenkliches, so dass der Raum zum Interpretieren offen bleibt. Ein Mensch träumt und begegnet damit seinen unbewussten Tiefen. Er erlebt dabei Dinge, deren Zusammenhang er oft nicht versteht. So auch Jakob.
Chagall zeigt in dunklen Tönen, dass sich Jakob schuldig fühlt, dass er Angst vor einem Lebensübergang hat. Auch wenn es Chagall nicht darstellt, so ist doch das große Bild der alttestamentlichen Erzählung gegenwärtig: die Himmelsleiter, die von der  Erde bis in den Himmel hineinragt, die Boten Gottes, die auf ihr auf und ab steigen. Die Himmelsleiter – ein Symbol für die Sehnsucht des Menschen, Gott nahe zu sein. Chagall zeigt die Verlassenheit Jakobs, macht in der Farbe Blau deutlich, dass er nicht allein ist, dass ihm Gott nahe ist, ihn behütet, wohin er auch geht.
Ich stelle mir vor: Jakob erfährt im Traum Gottes Wort Ich bin bei dir wie eine Brücke zwischen Himmel und Erde, so dass er erkennt: An diesem Ort ist Gott gegenwärtig. Gott ist für ihn nicht fern, er begleitet auch in Ausweglosigkeit und Dunkelheit.
Auch ich erfahre: Gott ist nicht fern. Auch ich erfahre: Ich bin bei dir. Wie ein Schutz will Gott begleiten, behüten und bewahren. Damals Jakob, heute auch uns.
Von Gott im Himmel reden heißt dann: Kein menschlicher Vergleich reicht aus, um Gott zu begreifen, zu verstehen. Aber ich kann erfahren, dass von dieser Beziehung eine Hoffnung ausgeht, mit der und aus der ich leben kann.

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SWR2 Wort zum Tag

Das Glaubensbekenntnis von Dorothee Sölle begleitet mich seit vielen Jahren. Ich möchte in dieser Adventswoche den ersten Artikel bedenken. Da heißt es:

ich glaube an gott
der die welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein ding das immer so bleiben muss
der nicht nach ewigen gesetzen regiert
die unabänderlich gelten
nicht nach natürlichen ordnungen
von armen und reichen
sachverständigen und uninformierten
herrschenden und ausgelieferten
ich glaube an gott
der den widerspruch des lebendigen will
und die veränderung aller zustände
durch unsere arbeit
durch unsere politik

Für mich ist das ein starker Text, in seiner Sprache und in seiner theologischen Aussage. Dreimal wird das „nicht“ betont: die Welt, die Gott geschaffen hat, ist nicht fertig wie ein ding. Gott regiert die Welt nicht nach ewigen gesetzen. Die gesellschaftlichen Unterschiede sind nicht unabänderlich.
Gegen dieses „Nicht“ steht: Ich glaube an gott / der den widerspruch des lebendigen will und die veränderung aller zustände. Gott will meine Mitarbeit, will mich als Werkzeug dieser Veränderung. Gott, der die Welt nicht fertig geschaffen hat, nimmt mich in Verantwortung, an Veränderungen in der Welt mitzuarbeiten.  
Aufhorchen lässt mich der Satz: ich glaube an gott / der den widerspruch des lebendigen will… Der Theologe Peter Cornehl hat diesen Satz noch zugespitzt. Vielleicht meine er nicht nur ich glaube an gott / der den widerspruch des lebendigen will, sondern auch Ich glaube an Gott, der der Widerspruch des Lebendigen ist. Denn der biblische Gott kann sich nicht mit dem abfinden, was ist, sondern er setzt auf Widerspruch, um zu verändern, was gegen seinen Willen steht.
Wenn ich also sage: ich glaube an Gott. Dann heißt das für mich: er hat mit meinem Leben und mit meinem Verhalten in der Welt zu tun. Gott nimmt mich in Anspruch für ein geschwisterliches Miteinander. Ich muss leben, dass ich in Beziehung zu Gott bleibe. Denn von dieser Beziehung geht eine Hoffnung aus, mit der und aus der ich leben kann. Gott als widerspruch des lebendigen zu verstehen, heißt, die Welt mit den Augen Gottes sehen. Das heißt: Es sind die Augen jener Liebe, die nichts und niemand aufgibt und die das, was sie an Negativem sieht, verändert.

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SWR2 Wort zum Tag

Vergesst das Beste nicht.
So hat Dorothee Sölle einen Brief an ihre Kinder überschrieben. Sie sagt darin, was ihr im Leben wichtig war und was sie ihren Kindern weitergeben möchte. Vergesst das Beste nicht. Ich meine damit, dass Ihr Gott manchmal lobt, wenn Ihr sehr glücklich seid, so dass das Glück ganz von selbst in die Dankbarkeit fließt.    
Was würde ich in einem solchen Brief schreiben?
Was ist mir im Leben so wichtig geworden, dass ich es weitersagen möchte?
Vielleicht würde ich von der Hoffnung sprechen, ohne die niemand leben kann, von der Hoffnung, dass ich behütet und bewahrt mit anderen leben kann, mit ihnen Freud und Leid wie das Brot teile. Diese Hoffnung gibt mir Kraft, mit offenen Augen das Leben zu leben.
Vielleicht hat auch Jesus gesagt: Vergesst das Beste nicht und hat dann vom Reich Gottes gesprochen. Was er wollte, was er gelebt hat, das ist das Reich Gottes.
Im Vaterunser ist es die Mitte, um die alle anderen Bitten kreisen. Wenn ich bete Dein Reich komme, dann bitte ich darum, dass die Welt nicht bleiben muss, wie sie ist. Sie kann anders werden. Von dieser Hoffnung lebe ich.  
Die Vision vom friedlichen Miteinander hat eine lange Tradition. Beim Propheten Jesaja ist sie eindrücklich beschrieben:
Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern... Kühe und Bären werden zusammen weiden... und ein Kleinkind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. (Jes. 11, 6ff.)
Das hier beschriebene Bild ist keine Idylle, sondern ein Protestschrei. Es ist der Schrei nach einer Welt, in der es  nicht mehr Tod und Gewalt gibt, sondern eine versöhnte Welt, eine Welt des Friedens.
Wer betet Dein Reich komme, der will, dass dieser Wunsch Wirklichkeit wird.
Denn das Reich Gottes ist offen für einen neuen Himmel und eine neue Erde. Diese Hoffnung festzuhalten, heißt, das Beste nicht zu vergessen.
Das Reich Gottes ist da nahe, wo zum Beispiel Menschen Trost und Hilfe erfahren, wo Alte nicht allein sind, wo Kinder eine Zukunft haben. Es ist nahe, wo Menschen mit anderer Hautfarbe und Herkunft, mit anderer Weltanschauung und Religion nicht diskriminiert werden. Es ist nahe,  wo Menschen das leben können, was ihrem Leben Sinn und Halt gibt. Deshalb: Vergesst das Beste nicht.

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SWR2 Wort zum Tag

Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name.
Wenn ich diese alten Worte des Vaterunsers spreche, dann nehme ich eine Beziehung auf, dann rede ich zu einem Du. Das Gebet, das Jesus zu beten gelehrt hat, richtet den Blick auf Gott: Vater unser. Das klingt vertrauensvoll. Und es bringt mir Gott näher. Das sagt die Anrede Vater. Wenn ich Gott als Vater anrede, hole ich ihn aus weiter Ferne und sehe ihn mir gegenüber.
Und das erste, was ich zu ihm sage, ist: Geheiligt werde dein Name.
Wie kann ich den Namen Gottes heiligen? Heilig ist etwas, was mir ganz wichtig ist, das ich bewahren will, was unantastbar ist. So ist es auch mit Gottes Namen. Wenn ich Gott heilige, dann ist für mich jedes Leben etwas Besonderes, das ich nicht antasten oder verletzen darf, wo ich Schönes bewahre und mit dem, was einem Menschen wichtig und wesentlich ist, sorgfältig umgehe. In einer solchen Welt ist Gottes Name heilig.
Die Jüdin Etty Hillesum hat ein ergreifendes Zeugnis ihres Gottvertrauens angesichts des bevorstehenden Todes hinterlassen, das zeigt, wie Gottes Name geheiligt wird. Sie wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr Tagebuch ist 1983 in Deutschland unter dem Titel „Das denkende Herz der Baracke" veröffentlicht worden.
Darin schreibt sie: Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Ich verspreche dir etwas, Gott: ich will meine Sorgen um die Zukunft nicht als beschwerende Gewichte an den jeweiligen  Tag hängen. Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt. Es wird mir immer deutlicher, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen.
Über die Zeiten und in veränderten Lebenssituationen lese ich in diesen Worten: Gottes Name wird nicht mit Worten geheiligt, sondern durch die Lebenspraxis jedes einzelnen Menschen. Wie ich lebe, leugne oder heilige ich den Namen Gottes. Deshalb möchte ich so leben können, wie es Kurt Marti in seinem Vaterunser umschreibt:  
dein name werde geheiligt
dein name möge kein hauptwort bleiben
dein name werde in jeder zeit konjugierbar
dein name werde tätigkeitswort

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SWR2 Wort zum Tag

unser vater
der du bist die mutter  
die du bist der sohn
der kommt
um anzuzetteln
den himmel auf erden
Ganz schön verwirrend, diese erste Strophe aus dem Vaterunser. Sie stammt von dem  Schweizer Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti. Warum ist das so verwirrend, was Kurt Marti mit dem schönen alten Vaterunser macht?
Er überträgt die alten Worte in unsere Zeit und in unsere Denkweise. Die vertraute Fassung des Vaterunsers Vater unser im Himmel und Kurt Martis Worte wollen keine Gegensätze sein. Sie schließen sich nicht aus. Sie bewahren das Alte und durchbrechen es zugleich, indem sie es in unser Leben  übersetzen.
unser vater / der du bist die mutter 
Marti will, dass ich neu darüber nachdenke, was ich meine, wenn ich „Gott" sage, denn unser Denken hat sich verändert, so dass Gott mindestens ebenso Mutter wie Vater ist. Unsere Beziehung zu Gott neu denken heißt, ihn vom Himmel auf die Erde holen, meint, kritisch mit überlieferten Vorstellungen umgehen, die durch Zeit und Geschichte bedingt sind. Wer Gott in unendlicher Ferne und Höhe über der Welt thronen sieht, will keine Veränderungen. Aber ein Gott, der kommt / um anzuzetteln / den himmel auf erden wird Ausgangspunkt weltlichen Handelns.  
Ich möchte kein Paradies ausmalen, aber: dass reich und arm einander nicht so ferne bleiben wie heute; dass zum Beispiel die Satten nicht die in Syrien und im Gazastreifen vergessen, wo Brot und Wasser knapp werden; dass Kriegsgeschrei den Frieden nicht übertöne, dies nicht nur zu wollen, sondern dafür zu handeln: das heißt  in unserer Welt an Gott glauben.
Wenn ich frage: wo ist Gott? Dann lautet die Antwort für mich: Gott begegnet mir in meinem Leben in ganz alltäglichen Beziehungen, dort, wo mir und anderen etwas vom himmel auf erden gewährt wird.
Jesus hat so von Gott erzählt, von seiner Liebe, seiner Zuwendung. Durch ihn habe ich Gott anders sehen gelernt. Als den, der sich mit Menschen solidarisiert, als den, der mit Hungernden, Kranken und Geknechteten leidet. Er hat gezeigt, dass Gottes Reich bei den Menschen auf der Erde ist und dass Gott menschlich begegnet, niemals anders.

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SWR2 Wort zum Tag

Josef spricht nicht. Nicht ein einziges gesprochenes Wort ist von ihm überliefert. Auf allen künstlerischen Darstellungen der Geburtsgeschichte Jesu steht er im Hintergrund, ist eher ein Statist. Aber wie seine Geschichte erzählt wird, ist beeindruckend. Da handelt einer ohne viele Worte.
Im Matthäusevangelium wird erzählt, wie Josef die Schwangerschaft Marias und die Geburt Jesu erlebt. Seine Verlobte ist schwanger, und er ist nicht der Vater. Was für eine Nachricht! Er ist sprachlos. Er hatte doch gar nicht mit Maria geschlafen! Wie kann der Mensch, den er liebt, Vertrauen so missbrauchen, Vertrautes zerstören! Josef ist tief getroffen, enttäuscht, ja verstört. Was soll er tun? Gehen oder bleiben?
Er liebt Maria. Aber er kann doch nicht so tun, als sei nichts geschehen. Er möchte Maria nicht in Verruf bringen, denn er ist rechtschaffen, will sie nicht öffentlich bloßstellen, sich aber heimlich von ihr trennen. Es ist nicht seine Geschichte. Nein, damit hat er nichts zu tun.
Aber die Geschichte geht anders weiter, als Josef sich das ausgedacht hat.
Ein Engel stellt sich ihm in den Weg. Im Traum sagt der Engel:
Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben.
Ich verstehe das so: Gottes Geist will durch Jesus in die Welt kommen. In ihm zeigt sich die Liebe Gottes. Und Josef spürt, dass er dafür verantwortlich ist.
Er hört auf die Stimme des Engels. Er läuft nicht weg, sondern er bleibt, übernimmt im Vertrauen auf Gott Verantwortung.
Wie gut, wenn in einer hoffnungslos scheinenden Situation auch zu uns jemand kommt und sagt: Geh nicht weg. Gib nicht auf. Nimm deine Geschichte an. Übernimm Verantwortung. Ich denke, dass jeder einen „Engel" in seinem Leben braucht, der hilft weiterzugehen, wenn der Mut dazu fehlt.
Josef nimmt Maria zur Frau, weil er sie liebt und begriffen hat, worauf es ankommt. Ihm wird ein Kind anvertraut, das er behüten und bewahren soll. Auch wenn er nicht der leibliche Vater ist, sieht er in diesem Kind ein Geschenk Gottes, das seine Liebe braucht. Josef gibt ihm den Namen Jesus und wird damit zu seinem Vater. Er hütet mit Liebe, was Gott geschenkt hat, wie es Papst Franziskus ausgedrückt hat. Josef ist für mich ein Verlässlicher, der ohne Worte zu dem steht, was ihm anvertraut ist.

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SWR2 Wort zum Tag

Begegnungen können ein ganzes Leben verändern. Oft sind sie der Beginn für einen neuen Anfang. Davon erzählt eine Geschichte im Lukasevangelium. Es ist die Geschichte von Zachäus, der als Oberzöllner im Auftrag der Römer, also der heidnischen Besatzer, Steuern und Zölle eintreibt. Er verlangt aber immer mehr, damit für ihn ja genügend übrigbleibt. Ein Betrüger also, der auf Kosten seiner Landsleute reich geworden ist. Verachtet und verhasst wird er zum Außenseiter. Wer will schon mit ihm zu tun haben, einem, der auf der falschen Seite steht!
Spürt Zachäus, dass ihm etwas fehlt? Vielleicht fragt er sich manchmal: Wie bin ich so geworden, wie ich bin? Geldgierig, verhasst und so verachtet. Er sehnt sich danach, ein anderer zu werden. Als Jesus nach Jericho kommt, will Zachäus ihn unbedingt sehen. Aber die vielen Menschen versperren ihm den Weg. So läuft er voraus und klettert auf einen Baum.
Für mich ist dieser Sitz hoch oben ein Bild für seine Situation: entfernt von dem, was wirklich im Leben zählt: Nähe und Geborgenheit. Vertrauen. Braucht er diesen Abstand, um klar zu sehen?
Braucht nicht jeder ab und zu den Abstand, um zu erkennen, was nottut, was wichtig ist? Einen Ort der inneren Einkehr, um verarbeiten zu können, was mich quält, was mich verletzt hat oder wo ich falsch gehandelt habe.
Da sitzt nun Zachäus in seinem Baum, verlassen und schuldbeladen. Ob ihm Jesus helfen kann? Hat er etwas, was ihm sein bisheriges Leben nicht geben kann? Und er kann es nicht fassen. Er wird gesehen, beachtet. Jesus spricht ihn an: Zachäus, komm schnell herunter! Ich muss heute in deinem Haus einkehren. Jesus sieht ihn, seine Verlorenheit und bietet ihm Gemeinschaft an. Nähe. Ihn, den Zachäus, ruft Jesus mit Namen, nimmt ihn, den Verachteten und Ausgegrenzten an, teilt mit ihm das Brot, die Tischgemeinschaft.
Diese Begegnung mit Jesus verändert Zachäus, so dass etwas Neues für ihn anfangen kann. Er wird frei, umzukehren und ein anderer zu werden.
So wie es der Theologe Ernst Lange einmal formuliert hat:
Niemand kann sich aus eigener Kraft von der Last der Vergangenheit befreien. Niemand entlastet sich selbst, weder einzelne noch Völker. Um frei zu werden bedarf es eines anderen, der uns die Chance eröffnet.
Das heißt für mich: Jeder Mensch lebt von Begegnungen, die ihm Freiräume und Chancen eröffnen, sich zu verändern und sich von dem zu befreien, was Zukunft verstellt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15283
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SWR2 Wort zum Tag

Seit 2000 Jahren gilt Judas als Verräter. Ist es so gewesen, wie die Bibel erzählt? Einer der Zwölf, der Jesus nachfolgt, Tischgemeinschaft und Nähe teilt, der liefert Jesus an seine Feinde und damit dem Tod aus. Judas wurde zum Inbegriff der Hinterhältigkeit, der sich sogar für seinen Verrat 30 Silberlinge bezahlen lässt und Jesus mit einem Kuss ausliefert, mit einer so persönlichen wie intimen Berührung. Judas wurde der Böse, der Andere. So scheint es auf den ersten Blick. Ist damit schon alles über Judas gesagt?
Ich möchte eine andere Seite von Judas bedenken. Nachdenklich hat mich eine Predigt von Dietrich Bonhoeffer gemacht, in der er sagt: Judas, der Zwölf einer - was war hier mehr zu sagen? Judas, der Zwölf einer, das heißt doch: es war ganz unmöglich, dass dies geschah, und es geschah doch.
Judas ist keiner von den Anderen. Er kommt aus dem Freundeskreis um Jesus. Das macht seine Tat so unbegreiflich. Sein Verhalten hat durch die Jahrhunderte große Diskussionen ausgelöst. Warum liefert ein Freund den Freund aus? Das Motiv ist unbekannt. Alle Evangelien sprechen davon, dass das Heilsgeschehen erfüllt werden soll. Ob sie in Judas ein Werkzeug in diesem Heilsgeschehen sahen?
Was sagt mir also der zweite Blick auf Judas? Es ist diese andere Seite des Judas, die es wohl auch gibt. Da hofft einer auf das, was Jesus verkündigt: das Reich Gottes. Vielleicht wollte er, dass Jesus seine Macht zeigt, wollte ihn zum Handeln für die Verwirklichung dieses Ziels herausfordern. Vielleicht war sein Hass gegen die römische Besatzungsmacht so groß, dass er sich von Jesus Befreiung von dieser Macht versprach, Veränderung jetzt wollte. Diese Hoffnung treibt ihn so sehr an, dass er sich verrennt. Er scheitert und wird somit schuldig am Tod Jesu. Was habe ich getan? Es ist die verzweifelte Frage nach der eigenen Schuld, mit der Judas nicht leben kann und sich erhängt.
So wie Judas kann jeder immer wieder schuldig werden am Nächsten - so wie es Kurt Marti in einem Gedicht sagt: „ach was war / dein EINER Verrat / gegen die VIELEN / der Christen der Kirchen / die dich verfluchen? / ich denke dir nach / und deiner / tödlichen Trauer/ die uns beschämt"
Eine in Stein gemeißelte Judasfigur in einer Kathedrale auf dem spanischen Jakobsweg zeigt Judas, den Strick um den Hals, zusammen mit den anderen Aposteln. Für mich heißt das: er ist der Zwölf einer, der trotz seiner Schuld nicht ausgeschlossen wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15282
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SWR2 Wort zum Tag

Beten heißt nicht, die Verantwortung für das notwendige Handeln auf Gott abschieben.
Das zeigt Bertolt Brecht in einer Szene aus „Mutter Courage".
Im Jahr 1636 bedrohen feindliche Truppen die noch schlafende Stadt Halle. Mutter Courage, eine Marketenderin, steht mit ihrer stummen Tochter Kattrin und mit ihrem Planwagen auf einem Bauernhof vor dieser Stadt.
Die Bauersleute sorgen sich um die bedrohte Stadt, glauben aber, nichts unternehmen zu können. Sie ziehen daraus die Erkenntnis: Wer nichts machen kann, kann wenigstens beten.
Das Gebet ersetzt für sie das notwendige Handeln. Aber die stumme Kattrin klettert auf das Dach des Stalls und trommelt; trommelt wie eine Besessene die Stadt wach, um sie vor den feindlichen Truppen zu warnen. Die Soldaten erschießen Kattrin, aber die Stadt ist gerettet, nicht durch Gebete, sondern durch die mutige Tat der stummen Kattrin. Ihr Handeln zeigt dabei eine Macht, die die ohnmächtigen Beter als Macht Gottes vergebens herabgefleht hatten.
Die Szene zeigt, dass Beten notwendiges Handeln nicht ersetzen kann.
Aber Beten im Sinne einer Hoffnung kann Handeln übersteigen, muss auch oft die Grenzen des Handelns bewusst machen, um über sie hinauszuweisen. Denn im Gebet erhoffe und ersehne ich mehr als jetzt möglich ist. Gerade um dieses Mehr geht es immer auch im Gebet, damit nicht alles bleibt, wie es ist.
Wenn ich zum Beispiel für bessere Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt bete und Gott um Gerechtigkeit bitte, dann kann es mir nicht gleichgültig sein, was ich selbst dazu beitragen kann. Ich werde dann keine Billigprodukte kaufen, weil ich weiß, dass sie auf Kosten von Ausbeutung zustande gekommen sind. Mein Beten ersetzt nicht, was ich tun kann, es begleitet und motiviert mein Handeln.
Jesus wollte, dass Menschen so beten. So wie er es in den Bitten des Vaterunsers als große Hoffnung ausdrückt; allumfassend in der Bitte Dein Reich komme. Wer so betet, findet sich nicht ab mit der Welt, wie sie ist.
Gott handelt nicht von oben, sondern er braucht unsere Hände, unsere Augen, unsere Ohren. Beten ist Nachdenken vor Gott und heißt Verantwortung dort zu übernehmen, wo es gilt, Gottes Reich hier auf Erden Wirklichkeit werden zu lassen.

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SWR2 Wort zum Tag

Was vermag das Gebet?
Es hat nicht vor dem Menschenofen bewahrt; es hat nicht die Freiheit gebracht; Völker nicht erlöst. Aber es hat Gefangene Jahr um Jahr erquickt, ist der Sinn ihres weltverlorenen Lebens gewesen, ihr Dasein in unzerreißbarem Zusammenhang mit Gott, den Lebenden und den Toten. Es hat Märtyrer umschwebt auf ihrem letzten Gang. Aber Mütter, Bräute, Väter, Freunde haben es in die Nacht geschickt und keine Antwort vernommen.
Diese Frage, was das Gebet vermag, stellt der Dichter Reinhold Schneider im Nachwort zu seiner Auslegung des Vaterunsers, noch ganz unter dem Eindruck von Nazizeit und Terror, von Krieg und Gewalt.
Was also vermag das Gebet?

Es kann nicht vor Unglück und Tod bewahren, nicht vor Krankheit, nicht vor Krieg und Gewalt, aber es kann in Kummer und Leid nicht allein lassen, mich wie einen Mantel in schweren Stunden umhüllen.
Wenn ich bete, breite ich mein Leben aus: ich lobe oder klage, träume von Hoffnung oder weine beim Beten vor Kummer, suche und taste nach eigenen Worten. Im Gebet nenne ich die Dinge beim Namen. Ich finde Sprache für das, was ich beklage, was ich wünsche, was ich erhoffe, und ich vertraue auf ein Gegenüber, das mich hört. Es mag laut oder leise geschehen, schreiend oder in ausformulierten Worten, immer ist es Ausdruck eines tiefen Gefühls.
Es ist schön, das Leben nicht stumm zu lassen. Es ist schön, die Stimme im Gebet zum Dank zu erheben, zum Protest, zur Empörung, sagt Fulbert Steffensky.
Im Gebet ersehne ich eine Welt, in der es nicht mehr Kampf und Feindschaft, nicht mehr Krieg und Gewalt gibt. Darum heißt beten: große Wünsche haben. Denn wer betet, findet sich nicht ab mit der Welt, wie sie ist.
Woher nehme ich aber die Sprache, wenn ich selbst keine Worte finde? Ich muss nicht sprachlos werden. Es gibt Orientierungspunkte in meinem Leben, die mir helfen, mich auszusprechen. Es sind die Ur-Kunden des Glaubens: zum Beispiel das Vaterunser oder einzelne Psalmen. Worte wie zum Beispiel aus Psalm 13, die der Klage Ausdruck geben, auch wenn ich keine Antwort erhalte.
Wie lange, o Herr, willst du meiner so ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Wie lange soll ich Schmerzen hegen in meiner Seele,
Kummer im Herzen Tag und Nacht?

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