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SWR2 Wort zum Tag

21AUG2020
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Lieber Gott, was für ein Sinn soll das bitte haben? Die Welt steht Kopf, die Zahl der Toten steigt auf fast 800.000 und kein Ende der Corona-Krise in Sicht. Überall bricht die Wirtschaft ein und die Folgen für die Armen dieser Welt sind herzzerreißend. Und dann auch noch diese Unsicherheit! Ständig gibt es neue Meldungen über das Virus, die durch eine andere Studie ein paar Tage später scheinbar widerlegt werden. Ich finde das schwer zu ertragen und kann gut verstehen, dass diese Lage vielen Menschen gehörig auf’s Gemüt schlägt. Nicht zu wissen, wer schuld ist und was der Sinn von alledem eigentlich sein soll ist wirklich schwierig.

Gerade gläubige Menschen – und zu denen zähle ich mich – suchen nach Sinn. Aber leider glaube ich, dass es überhaupt keinen Sinn hat, dass dieses Virus aufgetaucht ist und so viel Unheil anrichtet. Es ist eine harte Realität, mit der wir leben müssen und sinnlos ist sie obendrauf auch noch.

Was ich gleich gar nicht glaube, ist, dass die Pandemie eine Strafe Gottes ist, die er uns für was auch immer geschickt hat. Das widerspricht fundamental dem Bild, das ich von Gott habe. Was bleibt also? Ein biologischer Zufall? Ein Virus, was von Tieren auf Menschen übergegangen ist und dieses hätte genauso gut auch lassen können? Leider ja.

Wenn wir diese schwierige Realität akzeptieren, können wir im Übrigen auch der Versuchung widerstehen, geheime Mächte und Interessen dahinter zu vermuten. Wie schwer ist es, damit umzugehen, dass so ein kleines, mit dem bloßen Auge nicht erkennbares biologisches Ding so einen großen Schaden anrichten kann? Wenn man einen Menschen oder eine geheime Gruppe dahinter erkennt, ist die Situation zwar immer noch beunruhigend, aber wenigstens nicht mehr unerklärbar.

Vielleicht kann mir mein Glaube helfen, mich nicht in dieses destruktive Denken zurückzuziehen, das so viel Un-Sinn produziert. Vielleicht kann er mir dabei helfen, zu akzeptieren, dass die Wirklichkeit eben so kompliziert wie unerklärlich ist.

Dann nämlich, wenn ich all das schwere und schwierige in Gottes Hand legen kann; wenn ich ihm das Leid klagen kann, das die ganze scheinbare Sinnlosigkeit mir bringt und wenn ich mich damit trösten kann, dass der Sinn, den ich nicht verstehe, bei ihm aufgehoben ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31510
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SWR2 Wort zum Tag

16MAI2020
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„Es ist eine Lüge, dass die Güter unseres Planeten unbegrenzt zur Verfügung stehen.“ So schreibt Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato Si“, in der es um die Bewahrung von Gottes Schöpfung geht. Er beschreibt die sehr reale Gefahr, dass die Menschheit sich ökologisch selbst vernichtet weil wir nur den Markt bestimmen lassen, wie wir wirtschaften wollen. Es scheint so, als hätte der Papst hier vorweggenommen, was wir nun in der Corona-Krise ernsthaft diskutieren!

Das Virus hat uns auf eine brutale Weise eingebremst und jetzt wagen wir auf einmal, grundsätzliche moralische Überlegungen für die Zeit nach der Krise anzustellen. Wir sind trotz aller Warnungen wirtschaftlich doch immer der Logik des Wachstums gefolgt. Und jetzt sagt uns sogar ein Regierungsmitglied: "Die Grenzen der Ressourcen sind endlich, und wir nehmen uns ein Vielfaches dessen, was uns zusteht. Wir leben nicht nur über unsere Verhältnisse, sondern über die Verhältnisse der anderen und unserer Kinder und Enkel." Es ist Entwicklungsminister Müller der darauf hinweist, dass vor allem die armen Länder unter dem Ressourcenverbrauch leiden, von dem wir in Deutschland profitieren. Natürlich haben wir nicht erst durch Papst Franziskus vom Klimawandel gehört und natürlich waren die Fridays For Future – Demonstrationen vor der Corona-Krise schon in aller Munde.

Die Soziallehre der Kirche hat schon vor Jahrzenten erklärt, wie wichtig die Orientierung am Gemeinwohl dafür ist, dass wir solidarisch zusammenleben können. Zu den wichtigsten Prinzipien dieser Lehre ist nun die Nachhaltigkeit hinzugekommen.

Solche sozialen und moralischen Grundsätze schienen sich bisher nicht richtig vereinbaren zu lassen mit wirtschaftlichem Erfolg. Aber das Kartenhaus ist jetzt durch ein Virus einfach umgestoßen worden und die Unterbrechung zeigt mir: Es ist möglich, nicht einfach blindlings weiterzurennen in die Klimakatastrophe. Es muss nicht hingenommen werden, dass weiter massenhaft Tierarten aussterben. Der drastische Rückgang von Plastikmüll, den eine geschickt agierende Gruppe von Lobbyisten bisher verhindert hat, ist machbar!

Die Krise ist die Chance neu anzufangen und einen wirklichen moralischen Fortschritt für die Menschheit zu beginnen. Es gibt dafür viele richtige Ansätze. Sie zeigen sich jetzt und sie brauchen unsere Unterstützung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30902
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SWR2 Wort zum Tag

15MAI2020
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„Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen“. So schreibt Papst Franziskus in seiner 2013 erschienen Enzyklika Evangelii Gaudium. Sehr deutlich, direkt und scharf verurteilt er ein Wirtschafts- und Finanzsystem, das nur auf darauf angelegt ist, Geld und Profit zu vermehren. An einer Stelle sagt er es besonders drastisch: „Diese Wirtschaft tötet.“

Diese Worte des Papstes klangen mir im Ohr als ich nun Entwicklungsminister Gerd Müller in der augenblicklichen Corona-Krise hörte: Er spricht davon, dass wir uns von den schädlichen Spielregeln trennen müssen, die unser weltweites Wirtschaften bestimmen. "Der Immer-Weiter-Schneller-Mehr-Kapitalismus der letzten 30 Jahre muss aufhören". Er bezeichnete die Krise als einen Weckruf an die Menschheit, mit Natur und Umwelt anders umzugehen und auf keinen Fall einfach nachher wieder „zur Normalität der Globalisierung zurückkehren."

Wenn wir erst diese Krise brauchten, um uns der unhaltbaren Zustände in deutschen Schlachthöfen bewusst zu werden, dann möchte ich es halten wie der Bonner Philosoph Markus Gabriel, der das moralisch Verwerfliche beim Namen nennt: Es ist „das Böse“ – eine Kategorie, die mir als Theologen vertraut ist, die ich aber in der wirtschaftlichen Diskussion selten gehört habe. Ein für das bloße Auge unsichtbares Virus hat die moralischen Schwächen in einer Weltordnung sichtbar gemacht, die viele Auswüchse erlaubt hat und die verwerflich sind. Aus der Krise kann nur dann eine Chance werden, wenn wir nicht danach wieder in die gleichen Gleise geraten, an die wir uns gewöhnt hatten, obwohl wir wussten oder zumindest ahnten, dass sie zum Abgrund führen. Dass wir nachhaltiger zusammenleben und wirtschaften müssen, wissen wir ja schon lange, aber das Argument war eben bisher immer: Wir können uns zu hohe moralische Ansprüche nicht leisten, sonst ist die Wirtschaft gefährdet und das Wachstum gerät ins Stocken. Das Coronavirus hat diese Logik einfach umgeworfen und gezeigt, dass wir uns wirtschaftlich noch viel mehr beschränken können, um das Gute zu tun, um Menschenleben zu retten. Diese Logik muss die Zeit nach Corona bestimmen und „wieder hochfahren“ muss etwas ganz anderes bedeuten als zurück zum Gewohnten. Um es noch einmal mit dem erwähnten Philosophen zu sagen: „Wir können nicht zur Selbstausrottung der Menschheit zurückkehren!“

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SWR2 Wort zum Tag

04APR2020
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„…uns wird klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind, aber zugleich wichtig und notwendig, denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig beistehen.“ Das waren die Worte von Papst Franziskus bei seinem ungewöhnlichen Gebet „Urbi et Orbi“ letzte Woche auf dem leeren Petersplatz. „Auf diesem Boot ...“ so sagte er „befinden wir uns alle.“

In diesen Tagen hört man viel von der Angst, dass das Coronavirus in den armen Ländern der Erde so verheerende Wirkung haben könnte. Da ich beruflich und privat viel mit afrikanischen Ländern zu tun habe, kenne ich die Umstände, in denen vor allem die Armen in den Städten dort leben. Abstand halten, um die Übertragung zu verhindern ist schlichtweg unmöglich. In diesen Tagen vor Ostern sammelt das Hilfswerk Misereor traditionell Spenden für humanitäre Projekte und Entwicklungsprojekte und dieses Jahr ist es ganz besonders wichtig, hier mitzumachen, damit im Süden unserer Erde so viel Leid wie möglich gelindert werden kann, das durch die Ansteckung mit dem Coronavirus entsteht. Viele Menschen dort sind ihm tatsächlich schutzlos ausgeliefert.

Ja, es ist ermutigend, zu sehen, dass jetzt mehr Solidarität entsteht über Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg. Wir erkennen in diesem Moment tatsächlich, dass wir im gleichen Boot sitzen und der Sturm und die Wellen uns gemeinsam bedrohen. Es wäre aber so wichtig, dass dieser Geist der globalen Solidarität auch dann unter uns bleibt, wenn die Krise wieder vorbeigeht. Es muss endlich zu einer zentralen Frage unserer Politik werden, wie wir solche Armut langfristig und effektiv bekämpfen können, wie sie in den überfüllten Slums afrikanischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Städte herrscht.

Diese Frage darf nicht wieder in derjenigen Kammer der gesellschaftlichen Diskussion verschwinden, bei der „sekundär“ auf der Tür steht! Warum gibt es darüber keinen politischen Wettbewerb, der einen Wahlkampf ernsthaft prägen würde? Nur eine Bekämpfung der massenhaften Armut kann verhindern, dass Menschen auf so engem Raum leben müssen und Pandemien so schutzlos ausgeliefert sind! Es sind so elementare Überlebensfragen der Menschheit, dass sie endlich auch im Mainstream unserer Diskussion ankommen müssen. Dann wäre an einem wichtigen Punkt aus der Krise eine Chance geworden.

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SWR2 Wort zum Tag

03APR2020
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„Hück steiht de Welt still, för ne kleine Moment. Wenn mr öm sich röm alles verjiss“

Ich liebe den kölschen Karneval und ich kann mich darin verlieren. Erst kürzlich war das doch noch, da war ich da mit meinen Freunden in einer Halle mit tausenden von anderen Jecken – so dicht beieinander, dass man sich kaum bewegen konnte. Dieses ausgelassene Feiern zusammen mit so vielen Menschen entwickelt ein großes Gefühl von Verbundenheit. Und dann kam dieses Lied der Band Cat Ballou und so wie es im Text heißt, fühlte ich: „Hück steiht de Welt still; Un us nem kleine Augebleck weed Iwigkeit, Wenn mer he zesamme sin“.

Fünf Wochen später saß ich in meinem Wohnzimmer und sah auf dem Bildschirm eine einsame weiße Gestalt auf dem komplett leeren Petersplatz in Rom. Wo sonst tausende Menschen sich drängen, war nun niemand. Dieses Bild hat mich ergriffen, wie Papst Franziskus alleine die Stufen hinaufging um zu beten, zu predigen und den Segen „Urbi et Orbi“ zu spenden, der noch nie zuvor außerhalb der Regel angesetzt wurde. Und wieder hatte ich das Gefühl, dass die Welt stillsteht –und aus einem kleinen Augenblick wird Ewigkeit, weil wir hier zusammen sind.

Unvorstellbar, dass zusammen sein nun bedeutet, von einander Abstand zu halten. Beim Karneval in Köln waren wir uns der Gefahr noch nicht so richtig bewusst, die das enge Zusammenstehen mit sich brachte und jetzt ist die ganze Welt auf Abstand gegangen.

Was tröstlich an der Situation ist: wir sind weltweit verbunden in dieser Krise, die so viel Unvorstellbares mit sich bringt.
Im Gebet des Papstesging es um die Geschichte aus dem Markusevangelium, in der die Jünger Jesu mitten auf dem See von einem unerwarteten heftigen Sturm überrascht werden. Franziskus deutet die Situation der weltweiten Corona-Krise so, dass „wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind“ Er sagt, dass „wir alle dazu aufgerufen sind, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig beistehen. Auf diesem Boot ... befinden wir uns alle.“

Wie sehr wünschte ich, dass dieser Geist auch nach der Krise weitergehen kann – und wir merken, dass wir auf diesem Globus im gleichen Boot sitzen, unabhängig davon, ob wir direkt nebeneinander oder auf verschiedenen Kontinenten leben.

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SWR2 Wort zum Tag

30NOV2019
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Der Monat November gilt als eine Zeit, in der wir der Toten gedenken. Die helle Jahreszeit geht zu Ende und da liegt es nahe, darüber nachzudenken, was am Ende des Lebens passiert und darüber hinaus.

Meine liebe Mutter starb vor fünf Jahren und für sie war es nie eine Frage, dass sie wie ihre Vorfahren in einem Sarg auf unserem Dorffriedhof beerdigt wird. Ihr Grab ist für mich ein Ort, um an Sie zu denken und all das, was sie in ihrer Lebenszeit für mich und uns bedeutet hat. Gleichzeitig ist mir dieser Ort irgendwie auch rätselhaft: Da liegt ihr Körper in der Erde, aber ist sie auch da? Oder ist sie nicht vielmehr irgendwo anders, obwohl ihr toter Körper hier unten liegt? Dort am Grab zu stehen konfrontiert mich mit sehr existentiellen Fragen. Wenn ich mich auf meinem Dorffriedhof umschaue, sehe ich allerdings auch, dass die Bestattungskultur sich deutlich und rasch wandelt: Immer mehr Urnengräber, immer mehr Grabstätten, die nicht mehr die klassische viereckige Gestalt haben. Und in den Städten ist dieser Wandel noch deutlicher und schneller zu beobachten. Riten der Kirche spielen bei Bestattung und Erinnerung eine immer geringere Rolle und es ist vor allem der Trend zur Einäscherung, der es möglich macht, hier völlig neue Formen zu wählen. Manche sprechen dabei von einer "Technisierung des Todes", weil Krematorien immer schneller, effektiver und dezentraler arbeiten müssen, damit sie dem Bedarf nachkommen können. Dieser Trend entspricht dem immer stärkeren Drang, individuell zu entscheiden, wie wir leben und sterben wollen.

Dass Rituale und Sichtweisen sich verändern gehört zum Leben. Aber wenn Bestattung und Trauer immer individueller werden, kommen mir Fragen: Soll das Gedenken an die Toten nur der direkten Familie möglich sein, die z.B. einen aus der Totenasche gepressten Diamanten zuhause aufbewahrt? Wo trauern und Gedenken dann Freunde, Bekannte, verflossene Liebhaber oder Menschen, die vielleicht einmal vom Verstorbenen unterrichtet wurden? Welchen Ort haben Trauernde, wenn die Asche eines Menschen im Meer oder auf einer Almwiese verstreut wurde? Welche Verortung hat Trauer und Tod in unserer Gesellschaft, wenn es dafür keinen konkreten Ort mehr gibt?

Ich möchte die persönlichen Entscheidungen Angehöriger respektieren, die versuchen mit Abschied und Abwesenheit umzugehen. Aber mir würde etwas Wichtiges fehlen, wenn es irgendwann keine Friedhöfe mehr gibt. Denn sie sind Orte, die an das erinnern, was über unseren Alltag hinausgeht. Sie konfrontieren uns mit Fragen nach der Ewigkeit und mit dem was jenseits dessen liegt, was wir machen und kontrollieren können.

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SWR2 Wort zum Tag

29NOV2019
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Vor ein paar Jahren wurde in der Nähe meines Heimatortes eine Pfarrkirche renoviert. Zufällig hatte ich kurz bevor die Arbeiten fertig waren Gelegenheit, mir die Kirche von innen anzusehen und ich war total überrascht und fasziniert: die Kirchenbänke waren noch nicht wieder aufgestellt und dadurch ergab sich ein völlig anderes Raumgefühl. Ich hatte den Eindruck, hier noch nie gewesen zu sein und spürte, dass etwas von Erhabenheit und Ewigkeit mich berührte.

Das gegenteilige Gefühl hatte ich beim Besuch einer Dorfkirche in Bayern, bei der an den Kirchenbänken kleine Emailschilder angebracht waren. Auf denen stand, wer an diesen oder jenen Plätzen normalerweise sitzen darf. Bestimmt waren diese Schildchen nicht mehr aktuell, aber ich spürte bei diesem Anblick eine Enge, etwas besitzergreifendes was fremde, andere Menschen ausschließt. Hier wurde Gottesdienst zu einer familiären Privatsache und somit irgendwie auch der göttliche Segen und das, was unser Glaube uns zuspricht und hoffen lässt. Kirche und Glaube können nicht in Besitz genommen werden sondern gehören in den Dienst des Menschen, jedes Menschen – das ist mir bei diesen Erlebnissen wieder klar geworden. Kirche ist kein Selbstzweck sondern hat die Aufgabe, uns Menschen eine Ahnung davon zu geben, was jenseits unseres kleinteiligen, stressreichen Alltags liegt: Weite und Erhabenheit.

Im Zentrum der katholischen Welt, in der ewigen Stadt Rom haben die großen Kirchen selten feste Sitzbänke. Warum sind sie uns hierzulande so vertraut und warum denken wir, es geht gar nicht anders, obwohl die Praxis sich vielerorts erst im 19. Jahrhundert durchsetzte? In orthodoxen Kirchen sind Bänke bis heute kaum zu finden. Wie früher in den katholischen Kirchen stehen oder knien die Gläubigen. Und warum soll man nicht einfach je nach Bedarf Stühle verwenden, die nach dem Gottesdienst wieder weggestellt werden?

Es gibt heute viele Anfragen an die Institution Kirche und einen großen Umbruch in ihrer Gestalt. Mancherorts werden Kirchengebäude geschlossen oder umgewidmet. Doch auch in dieser für die Kirche turbulenten Zeit haben unsere sakralen Räume immer noch einen besonderen Wert. Sie können und sollen Oasen der Ruhe sein in der Routine von Menschen, die es notwendig haben durchzuatmen. Menschen wie ich, die aus den Mühlen der Arbeit und aus den engen Takten des durchorganisierten Jahres einmal heraustreten wollen in einen Raum, der größer und erhabener ist als das, was wir Alltag nennen.

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SWR2 Wort zum Tag

Meine Religion, das Christentum, ist eine Religion der Hoffnung. Glaube, Liebe und Hoffnung sind zentrale Tugenden für uns Christen.

Zu hoffen und positiv durchs Leben gehen zu können, weil Gott mich trägt und in unserer Geschichte aktiv ist – das ist eine der schönsten Seiten meines Glaubens.

Und dann sagt eine junge Frau zu uns: „Erwachsene sagen immer wieder: Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu geben. Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“ Greta Thunberg war das beim Weltwirtschaftsforums in Davos.

Wie verträgt es sich nun, als Christ verantwortlich mit der gefährdeten Schöpfung umzugehen, dringend und energisch zu sein, gleichzeitig aber auf einen guten Ausgang zu hoffen und zuversichtlich zu sein – ganz so, wie es ja wesentlich zum Christsein dazugehört? Ich habe für diese Frage keine Lösung, aber sie beschäftigt mich. Denn wenn wir immer hoffen und nichts tun, verpassen wir, dass es mehr als dringend ist zu handeln. Dann können wir vergessen, dass die Erde als Treibhaus bald überhitzt und nicht warten kann, bis wir in 20 Jahren keine Kohle mehr verbrennen wollen. Und wir verschieben es dann vielleicht einfach, in Panik zu geraten und machen weiter so, bis es zu spät ist und die Klimakatastrophe nicht mehr abgewendet werden kann. Ich weiß, dass wir ganz dringlich handeln müssen, möchte aber trotzdem mit Zuversicht und Hoffnung durchs Leben gehen und auf Gottes gute Begleitung hoffen – ein schwieriger Spagat. Vielleicht kann ich diese beiden Haltungen besser miteinander versöhnen, wenn ich mir klar mache, dass auch in der Bibel nicht nur von beruhigender Hoffnung und Zuversicht die Rede ist. Da ist auch von apokalyptischen Bildern zu lesen und von menschlichem Verhalten, dass sich katastrophal auswirkt. In der Offenbarung des Johannes z.B. steht, dass Gott als Strafe Feuer über die Erde ausgießen wird, um die Menschen damit zu verbrennen (Offenbarung 16,8). Und im Lukasevangelium spricht Jesus „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.“ (Lukas 12,49). Wenn dieses Bild vom Feuer dazu führen kann, dass Gott uns Menschen motivieren will, mit Eifer für den Erhalt der Schöpfung kämpfen, dann wäre das vielleicht so eine Versöhnung zwischen hoffnungsvoll und leidenschaftlich. Dann würde das Feuer die Herzen entzünden und dazu antreiben, das dringend Notwendige zu tun.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29094
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SWR2 Wort zum Tag

Happy Birthday to me! Ich benutze mal einen in sozialen Netzwerken oft gehörten Spruch und gratuliere mir selbst zum Geburtstag. 48 Jahre alt werde ich heute und finde das ganz schön alt. Einige, die mich jetzt hören, werden das wiederum relativ jung finden und ich will gar nicht näher erörtern, ob 48 jetzt jung oder alt oder mittelalt ist. Was ich aber gerne erörtern möchte ist das Problem der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Ich gehöre nämlich noch zu denen, die an den negativen Folgen der heutigen Lebensweise nicht mehr lange zu leiden hat. Sie ahnen es vielleicht schon: Es geht um den Klimawandel. Ein Dauerbrenner, sicherlich – aber dieses Problem lässt sich einfach nicht mehr aussparen. Wenn nicht eine dramatische Wende geschieht, wandelt der Einfluss des Geschöpfes Mensch die Schöpfung Gottes so stark um, dass unser Planet Erde kaum noch bewohnbar sein wird. Ich mit meinen 48 kann das Problem noch aussitzen, denn in meiner Lebenszeit werden die dramatischen Folgen sich zwar schon andeuten bzw. zeigen, aber so richtig schlimm wird’s dann wohl erst, wenn ich nicht mehr bin – meine Kinder und Enkelkinder aber sehr wohl. Dieser Tage war zu lesen, dass der Ort Fairbourne an der Küste in Wales, bis 2045, also in 26 Jahren geräumt werden muss, weil danach der Meeresspiegel so hoch sein wird, dass man dort nicht mehr leben kann. Ich bin da öfter in der Gegend, weil Freunde da wohnen. Wunderschön ist es da. Aber wie geht das weiter, wenn ganze Dörfer verschwinden? Ich werde dann fast ein dreiviertel Jahrhundert alt sein – die Kinder, die heute in Fairbourne geboren werden, aber erst 26 und die müssen es dann ausbaden. Und wenn wir gerade beim Vereinigten Königreich sind: Oft wurde auch kritisiert, dass die ältere Generation dort mehrheitlich für den Brexit gestimmt hat, die Jungen aber hauptsächlich mit den Folgen dieser Entscheidung werden leben müssen. Ist das gerecht?

Wir Älteren und Mittelalten sollen natürlich unsere Stimme abgeben und demokratisch mitentscheiden. Aber um den nächsten Generationen gerecht zu werden, müssen wir uns das sagen lassen, was Greta Thunberg den Staatslenkern beim Weltwirtschaftsgipfel aufgetischt hat: „Die Erwachsenen sagen immer, wir müssen den jungen Menschen Hoffnung machen, aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich möchte, dass ihr in Panik geratet. Ihr sollt die Angst spüren, die ich jeden Tag spüre. Und ich möchte, dass ihr handelt. Ich möchte, dass ihr so handelt, als wenn unser Haus brennen würde. Denn es brennt bereits.“

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SWR2 Wort zum Tag

„La Cathédrale Notre Dame de Paris brûle! Quelle catastrophe!“ so sagte mir meine französische Freundin in ihrem blanken Entsetzen. Das Symbol der Grande Nation brennt lichterloh und wir alle sind geschockt. Was macht so ein Bauwerk für uns Menschen heute noch so wertvoll habe ich mich gefragt? Ist es „nur“ die Historie, die darin symbolisiert ist? Oder spielt Notre Dame noch eine wichtige Rolle als Gottes-Haus? Meine Französische Freundin ist nicht besonders religiös und auch keine praktizierende Katholikin. Aber in der Nähe ihres Wohnorts steht ihre Lieblingskirche. Und da zieht es sie immer wieder hin, um zur Ruhe zu kommen. Beim Brand von Notre Dame musste sie weinen.

Mich beschäftigt dabei die Frage, ob es nicht eher dieses ganz Andere ist, was auch säkular geprägte Menschen in Kirchen bringt. Das, was mit unserem Alltag scheinbar so gar nichts zu tun hat, weil es völlig verschieden ist von unserem heutigen Denken und Fühlen.

Müssen Glaube und Kirche also immer „anschlussfähig“ sein an unsere Lebenswelt von heute und an unser Lebensgefühl? Oder muss Religion nicht vielmehr sperrig sein, gegen den Strich bürsten und einen Gegenpol bilden, damit sie heute noch relevant sein kann? Mit jahrhundertealten Ritualen oder altertümlich wirkenden Gewändern? Vor allem aber mit moralischen Ge- und Verboten, die vieles untersagen, was heute üblich ist: Zusammenleben ohne Eheschließung z.B. oder Liebe unter gleichgeschlechtlichen Partnern.

Ich bin überzeugt, dass ein Anteil von ‚sperrig sein’ und ‚ganz anders ticken’ schon wertvoll sein kann. Gleichzeitig ist es so, dass auch das Religiöse aufhört relevant zu sein, wenn es nichts mehr mit dem Leben der heute lebenden Menschen zu tun hat.

Wenn ich versuche zusammen zu bringen, was am Glauben sperrig ist und trotzdem mein Leben heute berührt, dann komme ich zu dem Ereignis, das wir morgen feiern, nämlich zu Ostern. Glaube ist dann gut und gottgewollt, wenn er zur Auferstehung verhilft, vom Tod zum Leben, uns frei macht von Angst und Sorge. Glaube der nicht befreit und dem Menschen dient, kann mir gestohlen bleiben, weil er dann nur der Tradition, der Institution oder dem Machterhalt hilft.

Ostern heißt: Wir dürfen aufstehen, ja auferstehen zum Leben. Hoffentlich wird auch die Cathédrale Notre-Dame de Paris bald wieder aus den Ruinen auferstehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28532
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