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SWR2 Wort zum Tag

„Es ist fast unmöglich, dass zwei Menschen vor der Hochzeit auch nur ahnen, wer sie sind und wen sie heiraten.“ (Milena Jesenska) Das gilt schon für das erste Ehepaar, von der die Bibel erzählt: Adam und Eva. Hätte Adam wirklich so freudig ausgerufen:

„Wir sind ja doch eines! Das ist ja Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ – wenn er Eva wirklich gekannt hätte? Wenn er geahnt hätte, wie verführbar sie ist, wie neugierig? Und dass blindes Gehorchen überhaupt nicht ihr Ding war? Und so nahm sie den Apfel, der so klug machen sollte, biss ein Stückchen ab und gab ihn Adam. Adam ahnte ja nicht, wer sie ist. Und er ahnte auch nicht, wer er selber war: feige, immer bereit, die eigene Schuld von sich zu schieben, wenn etwas daneben ging. Denn er hätte genauso wenig vom Baum der Erkenntnis naschen dürfen wie seine Frau. Wer ein paar Jahre verheiratet ist, kennt sich selbst und den anderen besser. So, wie Milena Jesenska, Freundin des berühmten Dichters Franz Kafka, als sie nach fünf Jahren Ehe schrieb:

„„Es ist fast unmöglich, dass zwei Menschen vor der Hochzeit auch nur ahnen, wer sie sind und wen sie heiraten....Wenn sie alle ihre Taten, ihre Ideen, Leidenschaften, Überzeugungen, Anschauungen und Glaubensgrundsätze kennen, so kennen sie noch nicht ihre Strümpfe, ihre verschlafenen Augen, ihre Art, beim morgendlichen Zähneputzen zu gurgeln, und ihr Gebaren, wenn sie einem Kellner Trinkgeld geben.“ Man könnte hinzufügen: Ihr Verhalten beim Autofahren, ihre Neigung, Schuhe beim Nachhause kommen einfach am Eingang stehen zu lassen, oder nach einem Streit tagelang kein Wort mehr reden. „In der Tiefe“, schreibt Milena, „kann ein Mensch den anderen täuschen, aber an der Oberfläche erkennt man ihn.“ Und irgendwann fragen sich beide: Wen habe ich da geheiratet? Und warum? Wollten wir nicht gemeinsam glücklich sein? Wo ist es hin, das Paradies? Das Glück? „Wenn zwei Menschen heiraten und meinen, das deshalb zu tun, um gemeinsam glücklich zu sein, haben sie sich von vornherein die Möglichkeit zum Glück genommen und verschlossen.“ schreibt Milena weiter.

„Zwei Menschen sollten, schreibt sie, „nur einen einzigen vernünftigen Grund zum Heiraten haben, und zwar den, dass sie nicht anders können als zu heiraten. Dass sie einfach ohne einander nicht leben können.“ Auch wenn der andere zu laut gurgelt und nicht merkt, dass seine Socken schon wieder Löcher haben. Liebe nennt man das auch, und dass die nicht aufhört, wünsche ich allen, die in diesen Monaten heiraten.

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SWR2 Wort zum Tag

Wenn Petrus und Jakobus, zwei von den Jüngern Jesu, schon Smartphones gehabt hätten: diesen Anblick hätten sie festgehalten. Sie sahen, was niemand zuvor und danach gesehen hat. Jesu „Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider strahlten weiß wie ein Licht“, heißt es in der Bibel. Das war so beeindruckend, dass Petrus diesen Moment, dieses umwerfende Bild, unbedingt festhalten wollte. Er will da gar nicht mehr weg. „Lass uns hierbleiben“, schlägt er vor, „und eine Hütte bauen.“ Überirdisch das Ganze! Endlich ein Beweis dafür, dass Jesus mehr ist als ein normaler Mensch. Dieses Bild fixieren – und zwar für immer und als Beweis.

Aber tatsächlich ging es ja so weiter: Das wunderbare Licht über Jesus verlischt und es wird düster in ihm und um ihn. Das Angesicht Jesu wird bespuckt und geschlagen. Petrus will nichts mehr mit ihm zu tun haben und verleugnet ihn, als es brenzlig wird. Kein Wort mehr von: Lass uns auf immer zusammenbleiben. Aus der Traum. Und vergessen das überirdisch schöne Bild von damals. 

"Ob sich nicht das Gefallen an der Bilderwelt aus einem düsteren Trotz gegen das Wissen nährt?“ überlegt der Philosoph Walter Benjamin. Ein Trotz gegen das Wissen, dass das Bild noch eine Kehrseite hat: die Wirklichkeit. Die schönen Bilder, die uns umgeben, wollen ja, dass man ihnen glaubt: Bilder von heilen Familien, von idyllischem Landleben, von Frieden stiftenden Religionen. Sie sind wohl Bilder einer Wirklichkeit, wenn auch nicht der ganzen.  Doch an diese Bilder glaubt der Träumer. Was danach kommt und was dahinter steht –„das alles muss er vergessen, um den Bildern sich zu überlassen. An ihnen hat er Ruhe und Ewigkeit“, schreibt Walter Benjamin.

Petrus und Jakobus sehen Jesus so, wie sie ihn geglaubt haben: als Gottes Sohn, als Entrückten, als einen, der mit Mose und Elia auf einer Stufe steht. Am Ende, als sie wie aus einem Traum erwachen, erinnert Jesus sie an das, was sie so gerne vergessen möchten: dass er, Jesus, sterben muss und dass zum Menschsein beides gehört:  Das Wissen um die harte Wirklichkeit – und der Trotz dagegen, der die schönen, wahren Bilder für immer festhalten möchte. Wenn schon nicht mit dem Smartphone, dann wenigstens mit Worten.

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SWR2 Wort zum Tag

“Gott lässt sich nicht hineinpfuschen“, schrieb Theodor Fontane an seine Frau. Er war überzeugt davon, dass „wir nichts in unserer Hand haben und dass wir von Minute zu Minute von einer Rätselmacht abhängig sind, die uns streichelt oder schlägt.“ Man könnte auch von Zufall sprechen, von unverfügbaren Widerfahrnissen, auf die der Mensch keinen Einfluss hat. Gott lässt sich nicht von Menschen hineinpfuschen. Weder im Guten noch im Bösen.

Den Apotheker, Journalisten und Schriftsteller Fontane hat die „Rätselmacht“ in vieler Hinsicht „gestreichelt“: Er gehört zu den wirklich großen deutschen Schriftstellern, in diesem Jahr wird sein 200. Geburtstag gefeiert. Kein Schulbuch ohne seine Gedichte. Zum Beispiel das vom gütigen Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Viele seiner Romane wurden später verfilmt. Und doch wusste Fontane, dass diese „Rätselmacht“ nicht nur streicheln, sondern auch zuschlagen kann. Ihn schlug sie für eine Weile mit einer tiefen Traurigkeit, mit Arbeitsunfähigkeit, mit Mutlosigkeit.

Theodor Fontane musste sich zu allem zwingen: zum täglichen Spaziergang, zur Arbeit, die nur noch mit „Vierteldampf“ vorwärtsging, zum Schreiben. Er fühlte sich benommen, zutiefst müde, aber keine Nacht schlief er durch und wollte von Anstrengung nichts mehr wissen. Fontane hatte mit seinen 72 Jahren das Gefühl: alles ist sinnlos. Eine Ortsveränderung brachte nichts. "Könnte ich noch eine Freude in meinem Herzen aufbringen, so wäre mir geholfen; aber leider alles grau in grau, der Trübsinn hat die Oberhand", schrieb Theodor Fontane. Seine Ärzte verordneten ihm allerlei. Die Flasche Rotwein pro Tag, die ein Arzt ihm als Medikament gegen seine Traurigkeit verschrieb, trank er wohl, aber sie half ihm nicht. Auch nicht die Hühnerbrühe, die ein anderer Arzt ihm stattdessen verordnete. Bis er endlich – reiner Zufall – an den richtigen geriet. Ihm half der Rat eines dritten Arztes: „Wenn Sie wieder gesund werden wollen, dann schreiben Sie ....“ Und so habe er sich, meinte Fontane, wieder „gesund geschrieben“.

Kein Arzt würde seinem Patienten heute raten, sich täglich eine Flasche Wein gegen Traurigkeit und Antriebslosigkeit zu genehmigen. Und doch bleibt die Einsicht Fontanes gültig, dass es eine Grenze des Machbaren gibt, die wir anerkennen müssen. Da haben wir „nichts in der Hand gegen die Rätselmacht, die uns streichelt oder schlägt“. Gott lässt sich nicht hineinpfuschen.

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SWR2 Wort zum Tag

Freude: Das war das Hauptthema unserer Religionslehrerin. Eine, wie uns damals schien, ältere Dame von sicherlich 40 Jahren. Immer wieder erklärte sie uns: das Evangelium ist eine Freudenbotschaft, Freude ist ein Gottesgeschenk.

Allerdings sprach sie das Wort Freude aus, als wenn es mit oi geschrieben würde. „Siehe, ich verkündige euch große Froide!“ Und diese Froide hörte sich in unseren jugendlichen Ohren einfach nur verstaubt und komisch an. Wir machten uns als 15jährige Schülerinnen darüber lustig: „Na, hast du in den Ferien auch viel Froide gehabt?“ Mit dieser Froide unserer Religionslehrerin verbanden wir nur das Gegenteil dessen, was uns Spaß machte: bis in die Nacht aufbleiben, die letzte Schulstunde schwänzen, hinter dem Rücken der Eltern sich in den Teilen der Großstadt herumtreiben, die sie uns ausdrücklich verboten hatten, und bei Sonnenuntergang auf den Dächern der Parkhäuser Bier trinken. Wenn ich mich heute, ein halbes Jahrhundert später, mit meiner Freundin an diese Zeit erinnere, dann machen wir das immer noch mit großem Vergnügen. Wir hatten eine wunderbare Jugend und viel Spaß.

Spaß: in der Bibel kommt das Wort kein einziges Mal vor. Allerdings hatte König Salomon, von dem die Bibel berichtet, mit seinen 700 Frauen - außer einigem Ärger - doch wohl auch Spaß. Vermutlich wird Noah, als er nach der Sintflut endlich wieder an Land gehen konnte, den Wein nicht ohne jeden Spaß in sich hineingekippt haben. Auch der legendäre Tanz um das Goldene Kalb war ein großer Spaß für alle, die mitmachten. Ich bin überzeugt davon: die Bibel erwähnt den Spaß nicht, weil er so natürlich ist, so zum Menschsein gehört, so mit der Neigung verbunden ist, zu tun, was verboten und gefährlich ist, über die Stränge zu schlagen, sich zu betäuben.

Von Freude ist in der Bibel dagegen sehr oft die Rede: von Gottes Reich, in dem es neben Gerechtigkeit und Frieden vor allem auch Freude gibt. Und vor allem: von der Traurigkeit, die Gott in Freude verwandelt. In Freude, nicht in Spaß. Wenn ich wirklich traurig bin, kann ich Spaß und Späße nur sehr bedingt ertragen; Freude aber durchaus,

Ja, es gibt in der Bibel die schöne Idee eines „Freudenöls“. Ich hätte gerne einen großen Kanister Freudenöl für die Traurigen, die ich kenne. Aufzutragen auf Leib und Seele, auf Wunden aller Art. Das genaue Rezept ist nicht überliefert, wahrscheinlich ein gutes Öl, duftende Gewürze – und ich vermute: in der Hauptsache wohl eine geheimnisvolle Zutat namens „Liebe“.

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SWR2 Wort zum Tag

Wer einen Menschen verliert, den er geliebt hat, der trauert. Und manche Menschen trauern nicht nur einige Monate oder ein Jahr. Manche halten fest an ihrem Traurigsein wie an etwas, das sie nicht auch noch verlieren möchte. Sie wollen sich von nichts trennen, das sie an den Verlust und den Verlorenen erinnert. Und mit jedem Erinnern tut es wieder in der Seele weh.

Wie kann man solchen Menschen beistehen? Wie sie trösten? Manchmal gibt es keinen besseren Trost als den: nicht weglaufen, wenn der andere zu verstehen gibt: „Meine Seele will sich nicht trösten lassen.“ Heute nicht, morgen nicht, niemals. Und vor allem nicht mit Sätzen wie: „Es wird schon wieder, Kopf hoch! Die Zeit heilt alle Wunden. Das Leben geht weiter.“ Denn er hat entschieden: Das Leben ist keine Vorabendserie, in der alle Probleme nach 45 Minuten irgendwie gelöst sind. Das Leben geht nicht weiter. Die Zeit heilt gar nichts. Und erklärt: „Der Psychiater hat mir nicht geholfen, Tabletten will ich nicht schlucken - und auch der Glaube hilft mir nicht weiter.“

„Meine Seele will sich nicht trösten lassen“, heißt es in einem Psalm der Bibel. „Ich denke an Gott – und bin betrübt; ich sinne nach – und mein Geist verzagt. Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin voll Unruhe, dass ich nicht reden kann.“

Heute  wie damals gab es Menschen, die sich nicht trösten lassen wollen, die in ihrer Seele an ihrem Schmerz festhalten, die über den Verlust eines Menschen, den sie geliebt haben, nicht hinwegkommen. Und nicht hinwegkommen wollen. Diese Menschen haben für mich eine ganz eigene Würde. Denn sie halten ja fest daran, dass jedes verlorene Menschenleben Anspruch darauf hat, für immer als ein Verlust empfunden zu werden. 

Liebe, hat mal ein Psychotherapeut gesagt, Liebe ist mehr als nur offen zu sein für die Qual der anderen. Liebe ist die Bereitschaft, mit dem Wissen zu leben, dass wir nichts tun können um den anderen von seinem Schmerz zu befreien.“ (S.B. Kopp) Dem körperlichen und dem seelischen. Den anderen in seinem Schmerz wahrnehmen, bei ihm bleiben und ihn nicht verlassen – aber sich einzugestehen, dass wir ihn von seinem Schmerz nicht befreien können, auch das erfordert Mut, Geduld und Liebe.

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SWR2 Wort zum Tag

Es hat ja immer was Besinnliches: noch einmal die Kerzen am Weihnachtsbaum anzünden – das müssen aber echte Kerzen sein - und dann dabei zusehen, wie eine nach der anderen erlischt. Dann, im Erlöschen, steigt ein kleines Kringelchen Rauch auf und ehe man sich versieht, ist das auch weg, hat sich irgendwo im Raum verteilt.

Ganz ausgeschlossen, dass Jakobus, der Verfasser des biblischen Jakobusbriefes,  beim Weihnachtsbaumbetrachten auf den Gedanken kam: Genau so ein kleines Rauchkringelchen ist der Mensch. Es muss irgendwas anderes Rauchiges gewesen sein, das ihn zu den Zeilen inspirierte, die in der Bibel so lauten: „Was ist euer Leben?“ liest man bei Jakobus im 4 Kapitel. “Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.“

Ein Kompliment an die Menschen sieht anders aus. Ein Kompliment hebt hervor, wie einzigartig die Menschen sind, „Krone der Schöpfung“, und was sie im Laufe der Geschichte Großartiges geleistet haben, wozu sie im besten Sinne fähig sind. Und das ist ja auch wirklich beeindruckend. Ein Kompliment hebt das Selbstbewusstsein und lobt, selbst dann, wenn es nicht viel zu loben gibt. Das aber, was Jakobus da schreibt, ist das Gegenteil eines Kompliments. „Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.“ Das mag zwar stimmen – aber will man´s hören? Ist das taktvoll?  Jakobus fand: es ist einfach wahr, und darum sag ich es.  Doch so flüchtig das Menschenleben auch ist, glauben zu dürfen, dass es in Gottes Hand liegt, dass er uns kennt, dass er bei uns ist und bleibt von Ewigkeit zu Ewigkeit, ist der tröstliche Gedanke, den Jakobus voraussetzt. Dass wir, deren Leben nur ein Rauch ist, für ihn mit unserem Namen als einmalige Wesen existieren, davon ist Jakobus überzeugt. Und das schenkt jedem Lebenden eine Würde über seine Vergänglichkeit hinaus.

 „Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.“, schreibt Jakobus. Die kleine Größe des Menschen besteht darin, dass er diese seine Begrenztheit erkennen kann. Ich kann mir klar machen, dass mein Leben endlich ist. Ich kann mich bewusst dazu verhalten. Im Nachdenken darüber kann ich mein Leben ordnen und ein Stück weit bewusst führen. Darum fügt Jakobus an diesen Satz auch noch einen Ratschlag an: Darum, weil wir und unser Leben so flüchtig sind, weil wir seinen Anfang und sein Ende nicht in der Hand haben, sollen wir bei allem , was wir für die Zukunft, für heute, morgen und in einem Jahr planen, sagen: „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.“

Bei diesem Ratschlag hatte Jakobus damals speziell die Großhändler im Auge, die ihre Geschäfte weit im voraus planen mussten. „ Ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen – und wisst nicht, was morgen sein wird. Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun. “

Auch die gabs`s damals schon, Händler, die Jahre unterwegs waren und ihre Unternehmungen organisieren mussten. Ihnen riet Jakobus: Macht euren Plan – aber bedenkt, dass alles nur unter der Voraussetzung sich realisieren lässt, dass ihr überhaupt noch da seid.

Doch nicht bloß den Händlern, auch Informatikern, Lastwagenfahrern, Rentnerinnen und  Ingenieurinnen und mir hält dieser Vers mit aller Klarheit vor Augen, wie ich über mich und mein Leben denken sollen. Das Leben – flüchtig und unfassbar , und trotzdem mit jeder Stunde und jedem Tag im Licht Gottes.

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SWR2 Wort zum Tag

Silvester, der letzte Tag im Jahr. Der Sekt steht schon im Kühlschrank und natürlich gibt es was Anständiges zu essen. Schön gedeckte Tische, festlich Kleidung, üppiges Menue – damit haben schon die alten Römer den letzten Tag des Jahres gefeiert. Und die ersten Christen fanden das auch nicht übel. Dem Kirchenlehrer Augustinus aber war das nicht fromm genug. Er riet den Christen seiner Zeit: „Jene mögen ins Theater eilen – ihr in die Kirche. Jene mögen sich berauschen – ihr sollt fasten.“ Denn im Hinblick auf die Ewigkeit ist so ein Jahreswechsel ja auch nichts Besonderes.

Aber die wenigsten werden sich die Mahnungen des Kirchenvaters zu Herzen genommen haben. Denn Silvester, der letzte Tag im Jahr, scheint ja etwas ganz besonderes, man befindet sich quasi auf der Schwelle: das Alte ist vorbei, und das Neue bricht an. Aber genau betrachtet vergeht die Zeit auch an diesem Tag wie an allen anderen. Mit dem neuen Jahr bricht nicht automatisch etwas Neues an. Also alles halb so spannend?

Als Kind hätte ich mich bitter beklagt, wenn meine Eltern mich um 10 Uhr abends ins Bett geschickt hätten.  Das durfte man mir nicht vorenthalten: Bleigießen, Knallerbsen, Feuerwerk! Zeit verging im Flug. Aber heute macht es mir überhaupt nichts mehr aus: Am Silvesterabend einfach ins Bett, die Decke über den Kopf, und einschlafen. Das Geknalle überhören, nicht auf irgendeiner Party  bei lauwarmen Sekt die Stunden zählen müssen, bis es endlich 12 Uhr ist. Dann lieber am nächsten Morgen ausgeschlafen aufwachen und feststellen: das neue Jahr sieht nicht anders aus als das alte.. Die Zeit vergeht, sie weiß es nicht besser.

Aber: Was ist die Zeit? „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es. Wenn ich es einem Fragenden erklären will, weiß ich es nicht.“  schrieb der Kirchenvater Augustin im 4. Jahrhundert. Hört sich ein bisschen an wie ein Schüler, der nach einer Ausrede sucht. Weiß er es nun oder weiß er es nicht?

Augustin hat erkannt: Zeit ist eben nicht nur das, was die Uhr anzeigt, vielmehr etwas tief in unserem Inneren. „In dir, meine Seele, messe ich die Zeit“, erkannte der Kirchenvater  Augustinus. Keine Sonnenuhr, keine Wasseruhr, keine Anzeige auf dem Handy misst die Zeit, die wir leben. Einzig wir Menschen in uns selbst. Der Eindruck, den das, was wir erleben auf uns macht, lässt uns die Zeit lang oder kurz erscheinen.

Die letzten 10 Minuten vor dem Jahreswechsel können darum quälend  lang erscheinen, wenn man sich nur noch nach Hause und ins Bett sehnt. Sie können aber auch rasend schnell vergehen. Im Himmel ticken keine Uhren. Für uns aber, hier unten auf der Erde wird heute Nacht ein neues Jahr anbrechen, egal, ob wir das verschlafen oder feiern. Dass es ein gutes wird, das wünsche ich Ihnen und mir. 

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SWR2 Wort zum Tag

Ein Freund ist einer, der zu mir hält. Das weiß jedes Kind. Ein Freund ist einer, mit dem ich mich verstehe, mit dem ich reden mag, dem ich vertraue. Mit dem ich durch dick und dünn gehen kann. Ein Freund ist einer, der unter allen Umständen zu mir hält.

Wie wichtig Freundschaft ist, das haben die Menschen immer schon begriffen. Immer haben sie schon gefühlt, dass keine Einöde so traurig ist, wie ein Menschenleben ohne Freundschaft. Dabei kommt es nicht auf die Menge der Freunde an. Überhaupt nicht. In der Bibel heißt es: „Viele sogenannte Freunde schaden dir. Aber ein echter Freund steht mehr zu dir als ein Bruder.“

Diese Wendung allerdings ist erstaunlich, denn normalerweise glaubt man ja gern: Blut ist dicker als Wasser, nichts geht über Familie, Geschwisterliebe. Die sind sich so nah, die kennen sich ewig. Das muss doch mehr wert sein als Freundschaft. Die kann man beginnen – und auch wieder aufkündigen. Verwandtschaft dagegen hält ewig. Schön wär`s. Denn im Zweifelsfall steht „ein echter Freund wirklich mehr zu dir als ein Bruder.“

Es ist dieses „Zu jemandem stehen“ – gerade dann, wenn er es nötig hat. Denn wahre Freundschaft „kritisiert nicht in der Stunde des Leidens, sagt nicht nüchtern verständig „wenn du es so oder so gemacht hättest“, sondern öffnet einfach die Arme und spricht: „Ich frag nicht, ich urteile nicht, hier ist mein Herz, daran ruh aus“. Das schrieb eine Dame mit dem etwas altmodischen Namen Malwida von Meysenbug, eine Idealistin und Pazifistin des 19. Jahrhunderts, und eine begnadete Freundin von komplizierten Männern. Und weiter schrieb sie: „Wenn man immer im voraus wüsste, wie man handeln müsste, dann gäbe es ja kein Irrtum. Die Freundschaft rät und warnt vorher, nachher liebt sie. Das nur ist die echte, die falsche macht es umgekehrt.“ Es gibt Situationen, da braucht man genau so einen Freund, so eine Freundin:  und nicht einen, der einem immer versichert, wie wichtig man ihm sei – um im entscheidenden Moment die kühle und sachliche Schulter zu zeigen. Ein echter Freund, eine echte Freundin, besser als ein Bruder und besser als eine Schwester, sagt dann einfach: „Hier ist mein Herz, daran ruhe aus.“

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SWR2 Wort zum Tag

„Glaubt ihr denn, dass der liebe Gott katholisch ist?“ Einer meiner Lieblingsgedanken von Georg Christoph Lichtenberg. Mein Lieblingsgedanke, denn man ergänzt ja im Stillen sofort: „Glaubt ihr denn, dass der liebe Gott evangelisch ist? Glaub ihr denn, dass der liebe Gott muslimisch oder jüdisch ist? Oder glaubt ihr etwa, dass er Atheist ist oder tot?“ Doch nicht wirklich. Denn all diese Zuschreibungen machen aus ihm etwas anderes als Gott.

Lichtenberg, von dem dieser Satz ist, wurde geboren als das 17. Kind eines protestantischen Pfarrers im Jahre 1742 in Darmstadt. Seine Zeitgenossen beschrieben ihn als einen „unansehnlichen Mann, klein, (nur 144 groß), höckericht, krumm an Füßen, mit einem sehr dicken Kopf.“ Er war auf Grund einer Krankheit von Kindheit an behindert. Doch Lichtenberg wurde der lebendige Beweis dafür, dass in einem kranken Körper ein Geist wohnen kann, der sehr viel gesünder und klarer ist als der von nichtbehinderten Zeitgenossen.

Er studierte Mathematik und Naturwissenschaften, war Professor für Experimentalphysik und Philosophie, ein Mann der Wissenschaft – und  immer wieder fasziniert von dem, was in Menschenseelen vor sich geht. Auch und gerade in Hinblick auf die Religion. “Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so gerne für die Religion fechten, und so ungern nach ihren Vorschriften leben?“ Klar, die Feinde lieben, ist schwer, sie totzuschlagen scheint dagegen oft nähliegender und einfacher. Lichtenberg ahnte, dass einmal eine Zeit kommt, in der viele von sich sagen, sie glauben eigentlich an nichts mehr. Und so schrieb er, der Mann der Wissenschaft: „Bei den meisten Menschen gründet sich der Unglaube in einer Sache auf blinden Glauben in einer andern.“ Darum wohl hat sich Lichtenberg Zeit seines Lebens einen Glauben bewahrt, den nämlich, „dass die Lehre Christi, gesäubert von dem verfluchten Pfaffengeschmier, und gehörig nach unserer Art sich auszudrücken verstanden, das vollkommenste System ist, Ruhe und Glückseligkeit in der Welt am schnellsten, kräftigsten, sichersten und allgemeinsten zu befördern.“  Ruhe, Friede und Glückseligkeit in der Welt – wenn Glaube darauf zielt, ist es wirklich egal, ob er evangelisch, katholisch oder irgendetwas anderes ist.

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SWR2 Wort zum Tag

Christel singt. Und Musik ist für sie eine Eintrittskarte in eine andere Welt, jenseits von Altenheim und Greisenalter, jenseits von Raum und Zeit. Singen geht, auch wenn sonst nichts mehr geht. Denn mit ihren 92 Jahren kann sie nicht mehr laufen. Sie weiß nicht genau, ob es Sommer ist oder Winter. Beim Essen braucht sie Hilfe. Alleine anziehen geht schon gar nicht. Und wenn ihr etwas aus der Hand fällt, kann sie es nicht mehr aufheben. Aber: Sie kann singen. Sehr schön singen mit ihrer tiefen, wohlklingenden Stimme. Vor zwei Wochen als wir sie in ihrem Rollstuhl durch den Park geschoben haben, schmetterte sie den Schlager ihrer Jugend: „Kann denn Liebe Sünde sein? Darf es niemand wissen, wenn man sich küsst, wenn man einmal alles vergisst, vor Glück?“

Musik war schon immer ihr Ding. Natürlich kann sie, Jahrgang 1925, auch Kirchenlieder. „Geh aus mein Herz“, „Großer Gott, wir loben dich“, „Nun danket alle Gott.“ Aber an diesem Nachmittag war ihr eben doch mehr nach Zarah Leander. Und beim Singen vergaß sie, dass ihr der Rücken wehtat, dass sie eigentlich auf die Toilette wollte und dass sie nicht mehr 25 Jahre alt war.

Musik – eine Eintrittsklarte in eine andere Welt. Kein Wunder, dass sich viele Musiker als Medium für transzendente Klänge verstanden haben. Gustav Mahler nannte sich "ein Instrument, auf dem das Universum spielt“. Musik macht nicht satt, und doch lässt sie überleben. Sie schenkt das Gefühl: da ist etwas Wunderbares außer und über unserem Erdenleben, da ist ein Sinn, den wir nicht anders fassen können als mit Tönen, als mit Musik.

Mich haben schon Mozart und alte Neil Young, Beethoven und die Beatles, die Scorpions und Schostakowitsch geradezu überirdisch ergriffen. Augenblicke geschenkt, in denen ich fühlte: genau so ist es, genau das ist es, was ich jetzt höre. Ich fühlte meinen eigenen Seelenton getroffen.

Auch für mich ist die Musik die wunderbarste Art, abwesend anwesend zu sein. Und umgekehrt. Ich sitze da auf meinem Klavierstuhl und bin ganz woanders.  So wie die Schwiegermutter: wenn sie singt. Sie sitzt sie nicht mehr in ihrem Rollstuhl. Sie ist in einer anderen Zeit, in einem anderen Raum – und für die Dauer eines Liedes entspannt und glücklich. Wie im Frühling ihres Lebens. Und das ist: eine Gottesgabe.

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