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27MAI2025
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Im Herbst fange ich eine neue Stelle an. Das heißt nicht nur neue Aufgaben und neue Kolleginnen und Kollegen. Sondern auch: ich muss eine neue Wohnung suchen, neue Wege zum Einkaufen, zum Sport finden und, und, und... Jede Menge Neues. In mir ist ein ganzer Gefühlscocktail aus Vorfreude und Neugier, Ängstlichkeit und Abschiedsschmerz. Und sobald ich daran denke, kreisen jede Menge Fragen durch meinen Kopf: wie wird es werden? Was erwartet mich?

In der Bibel habe ich eine Stelle entdeckt, bei der Menschen auch an so einem Übergang stehen. Ein Übergang zwischen dem, was gewohnt und vertraut ist, und dem Neuen.

Das Volk Israel ist nach dem Auszug aus Ägypten schon lange unterwegs. Und irgendwann stehen sie endlich am Jordan. Auf der anderen Seite liegt das „gelobte Land“, das sie so gerne erreichen wollen. Aber der Jordan hat Hochwasser und weit und breit ist keine Brücke in Sicht.
Da meldet sich Josua, ihr Anführer, zu Wort und sagt zu den Priestern: „Heiligt euch, denn morgen wird der HERR mitten unter euch Wunder tun. … Nehmt die Bundeslade und zieht dem Volk voran!“ (Jos 3,5f.) Das klingt zunächst etwas seltsam. „Heiligt euch“ könnte bedeuten, sich bewusst zu machen, dass der Mensch auch heilig ist, d.h. eine Verbindung nach oben hat. Und dass man sich daran erinnert: nicht alles liegt in meiner Hand. Auch wenn ich vieles kann, Gott ist größer. Es lohnt sich, mit ihm zu rechnen. Und die „Bundeslade“, die sie mitnehmen sollen, ist eine Truhe mit den Steintafeln, auf denen die zehn Gebote stehen. Sie ist ein Symbol für die Verbindung mit Gott und dafür, dass Gott sie schon lange auf diesem Weg begleitet hat.

Am nächsten Morgen wagen sich die Israeliten ins Wasser des Jordans. Und tatsächlich. Als sie ihre Füße ins Wasser tauchen, weicht der Jordan zurück. Der Weg ist frei. Ausgerechnet dieser Moment, in dem alles so aussieht, als ob es nicht weitergeht, wird zum Moment, in denen Gott ihnen besonders nah ist. Wie gut, dass sie riskiert haben, sich die Füße nass zu machen. Sonst wären sie da noch lange gestanden.

Ich wünsche allen, die gerade auch an so einem Übergang stehen, weil sie wie ich die Stelle wechseln oder nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium anfangen, weil sie heiraten oder sich trennen, ein Kind bekommen, umziehen, in Rente gehen oder sonst vor irgendeiner Veränderung stehen: Habt Mut die Füße ins Wasser zu stecken. Tretet Euren Ängsten entgegen und vertraut auch darauf: Gott ist mit dabei!

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26MAI2025
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Humor macht nicht alles gut, aber vieles erträglicher. Und deshalb bin ich dankbar, dass es in den Reihen der Heiligen auch so jemanden wie Philipp Neri gibt. Heute ist sein Gedenktag. Philipp Neri hat im 16. Jahrhundert in Rom gelebt und war bei den Leuten vor allem wegen seines Humors und seiner unkonventionellen Art bekannt. Mal lief er mit halb rasiertem Bart, mal mit einem Fuchsschwanz am Hinterteil umher. Wer ihn nach dem Weg fragte, wurde absichtlich in die falsche Richtung geschickt, um Neues zu entdecken. Und man erzählt sich, dass er in Predigten bewusst Wörter falsch ausgesprochen hat, um die Eliten im Vatikan zu provozieren.

Philipp Neri hat die Leute zum Lachen gebracht, aber er konnte auch den Finger in die Wunde legen. Einmal soll ihm in der Beichte eine Frau gestanden haben, dass sie oft schlecht über andere redet. Um sich zu bessern, hatte Philipp eine besondere Aufgabe für sie: „Geh auf den Markt, kauf ein Huhn und komme damit zu mir. Unterwegs musst du es so gut rupfen, dass dabei auch nicht eine Feder übrigbleibt.“ Als die Frau mit dem gerupften Huhn zu ihm kommt, verlangt Philipp Neri: „Und nun geh zurück und sammle alle Federn ein.“ Ich kann mir gut vorstellen, wie irritiert die Frau gewesen sein muss, denn sie sagt: „Das ist doch nicht möglich! Der Wind hat die Federn bereits in ganz Rom verweht.“ Doch Philipp entgegnet ganz schlicht: „Daran hättest du vorher denken sollen. Denn so ist es auch mit bösen Worte: einmal ausgesprochen, kannst du sie nie wieder zurücknehmen.“

Philipp Neri hat kein Blatt vor den Mund genommen. Vor allem aber hat er die Menschen um sich herum spüren lassen, dass sie von Gott geliebt sind und daher allen Grund haben, froh und zuversichtlich zu sein. Dazu passt auch diese kleine Geschichte, die man sich von ihm erzählt. Philipp Neri ist mit einer Schachtel unterm Arm in Rom unterwegs und tut so, als würde er etwas suchen. Als er darauf angesprochen wird, sagt er: „Ich suche eine kostbare Perle.“ Die Leute schütteln nur müde lächelnd den Kopf und antworten: „Hier, mitten in der Stadt, gibt es doch keine Perlen. Kostbare Perlen findet man am Meer.“ Doch Philipp fordert die Menschen auf: „Kommt her, schaut in meine Kiste. Ich habe schon einige gefunden.“ Er nimmt den Deckel weg und alle, die hineinschauen, fangen an zu lachen. Denn in der Schachtel ist ein Spiegel, und die kostbaren Perlen – das sind sie selbst.

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24MAI2025
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Wann habe ich eigentlich zuletzt etwas wirklich Mutiges gemacht? Also etwas, bei dem nicht die Versicherung den Schaden übernimmt, wenn es schief geht? Etwas, bei dem ich mit meiner Meinung anecke? Etwas, bei dem nicht alle gleich Beifall klatschen oder mich wohlwollend wahrnehmen und wieder vergessen?

Ich habe mir diese Frage gestellt, als ich durch eine Ausstellung gegangen bin, in der an den Bauernkrieg vor 500 Jahren und die Anfänge der Täuferbewegung erinnert wird.

Michael Sattler zum Beispiel. Er gehört zu den weniger bekannten Reformatoren. Beeinflusst von Martin Luther und Huldrych Zwingli ging er weiter als diese. Konsequente Gewaltfreiheit entdeckte er in der Lehre von Jesus und die Freiheit, den Glauben selbst zu wählen und deshalb auf die Taufe von Säuglingen zu verzichten.

Doch damit nicht genug! Er lehrte das auch! Und das war mutig. Er wurde aus mehreren Städten ausgewiesen, in denen er Gemeinden gegründet und organisiert hatte, aus Zürich und Straßburg zum Beispiel. Und schließlich wurde er vor Gericht gestellt und wegen seiner Aussagen gefoltert und verbrannt. Das war 1527 in Rottenburg am Neckar.

Solcher Mut lässt mich staunen und fragen: Wann habe ich eigentlich zuletzt etwas wirklich Mutiges gemacht? Martin Luther King fällt mir natürlich ein, der mit seinem gewaltlosen Widerstand mehr als einmal ins Gefängnis kam. Für Gleichbehandlung aller Menschen ist er eingestanden mehr als einmal wurde er verletzt und schließlich ermordet. „Niemand weiß wirklich, wofür er lebt“ hat er gesagt, „wenn er nicht weiß, wofür er sterben würde.“

Meine Frage hat sich verändert, so merke ich. Ich frage: Weiß ich, wofür ich lebe? Weiß ich zumindest, wofür ich bereit bin, mutig zu sein?

Sandra Bils fällt mir ein, die auf dem Kirchentag 2019 den Satz gepredigt hat: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Nein, sie wurde zum Glück nicht umgebracht. Aber sie und andere haben das angedroht bekommen.

Solcher Mut lässt mich staunen. Aber reicht das? Weder Sandra Bils noch Martin Luther King oder Michael Sattler wollten bestaunt werden. Sie haben gehandelt. Und im besten Falle handeln auch die, die den Mut bewundern.

Die Frage, die mich beschäftigt, will ich Ihnen heute mit ins Wochenende geben: Weiß ich, wofür ich lebe? Wofür bin ich bereit, mutig zu sein?

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23MAI2025
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In einem Dorf in Georgien wollten aufgebrachte Christen verhindern, dass sich Muslime zum Freitagsgebet treffen. Sie blockierten den Zugang zu dem Haus, in dem der Gebetsraum war.

Die Baptistengemeinde vor Ort hatte davon erfahren und die Pastoren verschiedener Gemeinden kamen zusammen und bahnten für die, die beten wollten, einen Weg durch die Menschenmasse. 

Warum? Warum haben sich Christen gegen andere Christen und für die muslimische Minderheit eingesetzt? Die Antwort lag für die Pastoren in der Aufforderung von Jesus: „Behandelt eure Mitmenschen so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt.“ (zitiert in Matthäus 7,12)

Gerade bei der Religionsfreiheit müssten Christinnen und Christen also ganz vorn dabei sein. Und tatsächlich waren es oft christliche Akteure, die sich für das eingesetzt haben, was heute in den UN-Menschenrechten in Artikel 18 ausgeführt wird.

Ein bisschen stolz bin ich schon, dass Julius Köbner aus meiner Glaubenstradition kommt, der Tradition der Baptisten. Er hat 1848, also schon 100 Jahre bevor die Menschenrechte formuliert wurden, ein Manifest geschrieben. (Das haben damals wohl ziemlich viele Intellektuelle getan.) Er forderte für die Baptisten, eine kleine religiöse, christliche Minderheit, dass sie ihren Glauben frei ausüben dürfen.

Aber er hat noch mehr gefordert! Er schreibt:

Aber wir behaupten nicht nur unsre religiöse Freiheit, sondern wir fordern sie für jeden Menschen, der den Boden des Vaterlandes bewohnt, wir fordern sie in völlig gleichem Maße für Alle, seien sie Christen, Juden, Muhamedaner oder was sonst. Wir halten es (…) für eine höchst unchristliche Sünde, die eiserne Faust der Gewalt an die Gottesverehrung irgend eines Menschen zu legen, …

(Julius Köbner, 1848, Manifest des freien Urchristenthums an das deutsche Volk)

1848 war das. Heute, 177 Jahre später, muss das leider immer noch eingefordert werden. In unserem Land dürfen, rein rechtlich gesehen, alle so leben, wie es ihrer Religion entspricht. In den Köpfen allerdings… in den Köpfen sind wir manches Mal weit davon entfernt. Nicht nur in Georgien braucht es deshalb Menschen, die sich und andere daran erinnern: „Behandelt eure Mitmenschen so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt.“ Und ja, das muss man nicht nur Christinnen und Christen sagen, sondern wirklich allen! Aber Jesus hat es eben zuerst einmal denen gesagt, die ihm nachfolgen.

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22MAI2025
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Arian hat im Iran Religionswissenschaften studiert. Aus Interesse hat er begonnen, die Bibel zu lesen und dabei mehr und mehr gespürt, dass zwischen ihm und diesem „Jesus“ etwas passiert. Irgendwann hat er sich dabei ertappt, wie er zu Jesus gesprochen hat, wie er zum christlichen Gott gebetet hat. „Das ist einfach passiert“, hat er mir erzählt, denn er lebt jetzt in Deutschland. Im Iran durfte er seinen Glauben nicht offen leben. Weit weg, der Iran.

Doch ganz nah ist Stuttgart. Dort ist Niklas 1999 geboren. Er ist zum Islam konvertiert. Er sagt: „Ganz ehrlich: Ich fühle mich in Deutschland nicht sicher. Es gibt so viel Hass – und ich fühle mich vom Staat nicht gerade geschützt, bei so viel Angst vor dem Islam…“

Die Geschichten von Arian und Niklas sind ganz ähnlich der von Thomas. Der lebte allerdings schon Anfang des 17. Jahrhunderts in England, Thomas Helwys war Leiter einer kleinen, unabhängigen Gemeinde, die von anderen „baptists“, Baptisten also, oder Täufer genannt wurde. Die Baptisten setzten auf die freie Entscheidung für den eigenen Glauben.

Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche war im Jahr 1612 der englische König James. Ihm hat Thomas Helwys ein Buch geschickt, das er geschrieben hat. Es geht darin um die Trennung von Kirche und Staat. In seiner Widmung für den König schreibt Thomas Helwys:

„Höre, o König, und verachte nicht den Rat der Armen, und lass ihre Klagen vor dich kommen. Der König ist ein sterblicher Mensch und nicht Gott; deshalb hat er keine Gewalt über die unsterblichen Seelen seiner Untertanen, um Kirchengesetze und Gottesdienstordnungen für sie zu machen.“

Aber Thomas Helwys setzt sich damit nicht nur für die eigene Glaubensgemeinschaft ein. Nein, ihm geht es um eine generelle Trennung von Kirche und Staat und damit Freiheit für alle. Im Buch selbst schreibt er:

„Sollen sie doch Ketzer, Türken, Juden oder sonst etwas sein, es steht der irdischen Macht nicht zu, sie deshalb auch nur im Geringsten zu bestrafen.“

Thomas Helwys wurde verhaftet, eingesperrt und ist 4 Jahre später im Gefängnis gestorben. Das war 1616.

Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Damals wie heute ist es wichtig, sie zu schützen. Das ist die einzige Aufgabe, die der Staat im Zusammenhang mit Religion haben kann, aber auch wahrnehmen muss. Im Iran gilt das genauso wie hier.

Thomas Helwys, 1612, A Short Declaration of the Mystery of Iniquity (Eine kurze Erklärung des Geheimnisses der Ungerechtigkeit).

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21MAI2025
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Eine Taufe ist etwas Besonderes! Das ist in jeder christlichen Kirche so. In einem Gottesdienst wird gefeiert, dass Gott „Ja“ zu einem Menschen gesagt hat – von Anfang an. In der Gemeinde, in der ich lebe, haben wir vor Kurzem erst so einen Gottesdienst gefeiert und es war tatsächlich etwas ganz Besonderes. Vier Menschen haben wir getauft! Die Jüngste war 14 Jahre alt, die Älteste gerade noch 65!

Es waren also keine Säuglinge, sondern Menschen, die eine ganz eigene, individuelle Entscheidung dafür getroffen hatten. Sie wurden nicht nur getauft, sie haben „sich taufen lassen“: Eine Herzensentscheidung.

Wir gehören als Baptisten mit hinein in die Täuferbewegung, die vor genau 500 Jahren wieder angefangen hat, die Freiwilligentaufe zu praktizieren.

In den Anfängen der christlichen Bewegung war das ganz natürlich so. Die Menschen, die Christen wurden, hatten zuvor ja eine andere Religion, einen anderen Glauben. Sie machten mit der Taufe deutlich: Ich vertraue dem Gott, der Ja zu mir gesagt hat! Die Taufe ist mein kleines Ja zu seinem großen Ja.

Die Taufe der ersten Christen hat genau das gezeigt. Die Menschen wurden, wenn genug Wasser da war, ganz in Wasser untergetaucht – das ist wie eine Verbindung mit dem Tod von Jesus. Christen sagen ja, dass der Tod von Jesus alles abgewaschen hat, was sie Gott und Menschen schuldig geblieben sind. Das war Gottes Ja zu uns Menschen. Deshalb das Untertauchen: Ich sage Ja zu dieser Komplettwäsche. Mit Haut und Haar und allem, was ich bin.

Und wie das Eintauchen ist auch das Auftauchen aus dem Wasser ein Symbol, ein Zeichen. Es geht heraus an die Luft, ins Leben zurück. Menschen verbinden sich mit dem Leben von Jesus. Mit ihm wollen sie - leben!

Was für ein intensives Zeichen! Was für eine starke Symbolik. Und was für eine Freude, wenn Menschen freiwillig, aus eigener Entscheidung ihr persönliches Ja zum Ja Gottes sagen!

Was für ein Zeichen auch dafür, dass Menschen selbst entscheiden sollen, zu welcher Religion sie gehören. Wir sagen manchmal: „Gott hat nur Kinder, keine Enkel.“ Eltern können nicht über den Glauben der Kinder bestimmen.

Glaubensfreiheit heißt: Ich kann selbst Ja sagen zu Gott. Dann, wenn ich das Ja Gottes gehört und ins Herz aufgenommen habe. Eine Herzensentscheidung.

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20MAI2025
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Ich sitze an einer fürstlich gedeckten Tafel. Die Gastgeber haben sich wirklich ins Zeug gelegt. Der Tisch ist schön dekoriert. Es gibt allerlei süße und herzhafte Leckereien. Ein feiner Wein wartet darauf, verkostet zu werden. Alles ganz zauberhaft.

Das einzige Problem ist: ich will gar nichts essen. Aus gesundheitlichen Gründen tue ich das seit einiger Zeit grundsätzlich nach 18 Uhr nicht mehr. Nun ist es 20 Uhr. Ich hatte angenommen, so spät wird mir kein ausgewachsenes Abendessen mehr serviert. Die Gastgeber haben das offensichtlich anders gesehen. Hätten wir mal miteinander gesprochen.

Ich kenne das auch selber. Da mache ich mir Gedanken darüber, wie ich einer Person etwas Gutes tun kann. Meiner Frau, meinem Freund, der Nachbarin. Und nicht nur einmal ist es schon vorgekommen, dass ich mit meiner Annahme zumindest knapp daneben gelegen habe.

Jesus hat das anders gemacht. Er mutmaßt nicht, was er für Menschen tun kann. Er fragt nach. Zum Beispiel einen blinden Mann, der am Straßenrand sitzt. Dieser Mann bekommt mit, dass Jesus in der Nähe ist. Und er ruft nach Jesus. Nach kurzer Zeit wird Jesus aufmerksam. Der blinde Mann wird zu Jesus gebracht.

Tja, was könnte dieser Mann nur von Jesus wollen? Sehen will er natürlich. Jesus hat schon viele Menschen gesund gemacht. Also, dann mal los, Jesus. Aber Jesus entscheidet nicht für diesen Mann, was der zu wollen hat. Er fragt nach: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Was kann ich für dich tun?

Diese Haltung fasziniert mich. Jesus tut nie etwas gegen den Willen eines Menschen. Selbst das offensichtlich Gute nicht. Jesus zwingt sich niemandem auf. Bei ihm geht es nicht nach dem Motto: Ich weiß schon, was gut für dich ist.

Jesus lebt echte Augenhöhe mit seinem Gegenüber, indem er nachfragt. Mich macht das nachdenklich. Vielleicht sollte auch ich meinen Gedanken über andere Menschen ein gesundes Maß an Misstrauen entgegenbringen. Im Guten wie im Schlechten.

Der Ausschnitt, den ich von meinem Gegenüber kenne, ist eben genau das: nur ein Ausschnitt - gefärbt durch meine Brille. Um mein Gegenüber besser zu verstehen, macht es Sinn, Fragen zu stellen. Nicht einfach Dinge anzunehmen. Neugierig und offen für den anderen zu bleiben. „Was willst du eigentlich? Was brauchst du? Ich hätte da eine Idee, wäre das hilfreich für dich?“

Mehr fragen und weniger übereinander annehmen. Ich glaube, das hätte das Potenzial, uns näher zueinander zu bringen. Und vielleicht sind es ja sogar schon die Fragen, mit denen ich meinem Gegenüber etwas Gutes tue.

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19MAI2025
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Es regnet in Strömen. Ich will am liebsten auswandern. Zumindest für einen Tag. Irgendwohin, wo die Sonne scheint. Stattdessen bin ich auf dem Weg ins Büro. Mit dem Regenschirm versuche ich mich möglichst gut vor dem Regen zu schützen. Klappt so semi-gut. Was für eine Wasserschlacht.

Meine Kollegin hat gestern schon angekündigt, dass es den ganzen Tag regnen soll. Am liebsten will ich Beschwerde einreichen. Ich schreibe ihr eine entsprechende Nachricht. Sie schickt mir ein Sonnen-Emoji zurück.

Vor mir läuft ein Mädchen durch den Regen. Es hat keinen Regenschirm dabei. Das scheint ihr allerdings gar nichts auszumachen. Sie folgt mit ihrem Blick einem kleinen Bächlein, das sich im Rinnstein gebildet hat. Plötzlich hält das Mädchen inne. Ich bin neugierig. Was hat sie da entdeckt?

Jetzt sehe ich es auch. Im Wasser treibt ein Regenwurm. Das Mädchen nimmt sich ein Stöckchen. Ganz vorsichtig hebt sie den Regenwurm aus dem Wasser und bringt ihn zur Wiese ein paar Schritte weiter. Ich werde Zeuge einer ausgewachsenen Rettungsaktion.

Mich fasziniert, was ich sehe. Kurzzeitig betrachte auch ich die Welt durch Kinderaugen. Da laden Pfützen zum Springen ein. Regenbäche verheißen Abenteuer. Überall gibt es etwas zu entdecken. Und selbst klitzekleine Dinge wie ein Regenwurm verdienen Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Es ist wie kurz die Pausetaste drücken. Sonst haste ich oft durch den Tag. Will bloß nicht unterbrochen werde. Augen zu und durch. Manchmal werde ich kurz aufmerksam, aber keine Zeit. Oder: Bringt doch nichts. Dem ist eh nicht zu helfen. Und für alles und jeden kann ich ja nun wirklich nicht da sein.

Natürlich ist da auch was dran. Ich kann nicht jedem helfen. Aber deshalb die Augen verschließen und gleichgültig an allem und jedem vorbeigehen?

Bevor ich weitergehe, spreche ich das Mädchen noch kurz an: „Hej Du, ich habe gesehen, wie du den Regenwurm gerettet hast.“ Das Mädchen schmunzelt. „Find ich richtig gut, dass du diesem kleinen Lebewesen geholfen hast. Danke.“

Ich glaube, dass auch Gott die Welt liebevoll im Blick hat. Und sie zum Guten bewegt. Mit uns zusammen. Es müssen nicht die großen Dinge sein. Manchmal ist es ein Regenwurm, der aus dem Wasser gerettet wird. Oder ein Kompliment, das ich jemandem mache.

Nach dieser Begegnung mit dem Mädchen gehe ich ein bisschen anders durch den Tag. Und ja, auch durch den Regen. Mit offenen Augen für die Menschen, denen ich begegne. Vielleicht sogar etwas mehr bereit, mich berühren und bewegen zu lassen.

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17MAI2025
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Von Dietrich Bonhoeffer stammt ein Text über den Optimismus, der mich nachdenklich macht und zugleich bestärkt. Er schreibt: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. Er ist die Gesundheit des Lebens.“

 

Optimismus als Lebenskraft – das gefällt mir. Und das leuchtet mir auch ein, dass es den braucht, um mutig weiterzumachen und gesund zu bleiben. Gerade in Zeiten, die keine einfachen sind.

Was hilft mir, nicht alles schwarz zu sehen und den Kopf nicht in den Sand zu stecken? Woraus schöpfe ich Kraft, wo tanke ich auf? Wann geht es mir so richtig gut?

In einer Zeitung gibt es die Rubrik: „Was mein Leben reicher macht“. Woche für Woche schreiben darin Leserinnen und Leser einen Satz, ein kurzes Erlebnis.

Vielfältig und bunt ist, was da zusammenkommt. Vom blühenden Baum im Vorgarten, über die freundliche Begegnung mit dem Briefträger bis zur Genesung nach schwerer Krankheit.

Ich finde das eine prima Sache. Menschen teilen, was sie dankbar sein lässt und froh macht. Sie helfen, den Blick einmal von den bad news auf die good news zu lenken und dem Positiven einen Raum zu geben.

Eine Idee, die mich dazu inspiriert hat, mich hinzusetzen und einmal ohne Punkt und Komma eine ganze Seite vollzuschreiben mit dem, was mein Leben reicher macht und wofür ich dankbar bin. Und das ist eine ganze Menge:

Vogelgezwitscher, am See sitzen, mit meinem Sohn Nachtgespräche führen, Gedichte lesen, barfuß laufen, alte Freundschaften pflegen, glauben können, dass es einen Gott gibt, der mit mir unterwegs ist… und so vieles mehr.

Dass ich manches von dem, was ich glaube und versuche zu leben in den letzten 30 Jahren mit Ihnen, den Hörerinnen und Hörern teilen durfte, dafür bin ich dankbar. Heute verabschiede ich mich mit meiner letzten Sendung von Ihnen und wünsche Ihnen von Herzen: Leben sie wohl und behüt´ Sie Gott.

 

(Dietrich Bonnhoeffer, Eschbacher Textkarte 4759 „Lebenskraft“)

 

„Was mein Leben reicher macht“ – in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“

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16MAI2025
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„Die Grenze ist der eigentliche Ort der Erfahrung“. Über diesen Satz bin ich gestolpert und ganz unterschiedliche Bilder sind in mir aufgestiegen. Erinnerungen an ganz reale Grenzübergänge mit Ausweis vorzeigen und Kontrollen, die immer auch etwas Mulmiges an sich hatten. Orte, wo auf der anderen Seite eine andere, fremde Sprache gesprochen wird und mir bewusst ist, dass ich vertrautes Terrain verlasse.

Nicht nur zwischen zwei Ländern gibt es eine Grenze und Grenzübergänge. Auch im Leben mache ich immer wieder die Erfahrung von Grenzen und Übergängen.

An solchen Grenzen muss ich mich entscheiden, ob ich nach vorne oder zurückgehen will, denn die Grenze ist kein Ort, an dem man ständig leben kann. Deshalb stellt sich die Frage: Wage ich den Schritt, bin ich bereit, Neuland zu begehen und Altvertrautes zu verlassen? Den Beruf zu wechseln oder noch einmal an einem anderen Ort neu anzufangen? Glaub ich, dass auch dort der Boden mich trägt und es Wege gibt, die es wert sind, von mir gegangen zu werden? Glaub ich, dass da Einer ist, der mit mir geht, egal wohin?

Für mich ist diese Vorstellung von einem Gott, der mit seinem Volk und auch mit mir heute unterwegs sein will, hilfreich und tröstlich zugleich. Ein Gott, der nicht an einen Ort gebunden ist, der Grenzen sprengt, auch die, meiner eigenen Vorstellungskraft von ihm. Der immer größer und anders ist, als ich zu denken vermag. Dieser Gott macht mir Mut, mich hinauszuwagen.

Nicht nur in die weite Welt, sondern auch über die Grenzen meiner selbst. Das heißt, dass ich wage, nicht an meinem Bild von mir festzuhalten, dass ich mir zugestehe, mich auch im fortgeschrittenen Alter weiterzuentwickeln.

Ich habe mich zum Beispiel für eine Fortbildung in meditativen Leibübungen angemeldet, die zum Teil auf einer digitalen Lernplattform stattfindet. Anfangs war ich skeptisch, ob ich das hinbekomme, da ich es nicht so mit der Technik habe. Inzwischen freu ich mich, dass ich mich da eingefuchst habe und genieße es, mit diesen einfachen Übungen mehr zur Ruhe, mir selbst und Gott zu kommen. Und ich habe mir vorgenommen, das, was ich dabei erlernt habe, für andere erlebbar zu machen – ohne ständig zu fragen, bin ich schon gut genug dafür?

Dabei vertraue ich diesem Gott, der mit mir über Grenzen geht und bei Grenzerfahrungen an meiner Seite ist. Auch, wenn es immer ein Wagnis bleibt.

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