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26AUG2024
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Ich habe einmal einen Freund gefragt, ob er sich zum Geburtstag über eine Flasche Wein freuen würde. „Ja, klar!“ meinte er „aber schenk‘ mir keinen zu teuren. Du kennst Dich aus. Aber ich trinke so selten Wein, da würde ich den Unterschied zwischen einem billigen und einem teuren gar nicht schmecken.“

Na ja, habe ich gedacht. Ich kenne mich ja eigentlich auch nicht aus mit Wein. Ich kenne einfach bloß meine Lieblingsweine. Und habe schlagartig daran gedacht, wie alles angefangen hat bei meinem allerersten Besuch in meiner Lieblingskellerei, vor vielen Jahren im schönen Südtirol. Ich wollte Weißwein probieren: den, der nicht so teuer ist – ich kannte mich schließlich nicht so gut aus. Und der Herr im Verkaufsraum hat mir jeweils ein klein bisschen eingeschenkt: Sauvignon, dann Grauburgunder… Dann noch Gewürztraminer. Und der war nicht so mein Ding mit seiner Gewürznote. Laut ist mir rausgerutscht: „Schmeckt für mich fast wie Kräuterseife.“ Der Mann hinter dem Tresen hat keine Miene verzogen, hat eine andere Flasche aus der Kühlung geholt, eingeschenkt und mich dann nicht mehr aus den Augen gelassen. Ich probiere, vorsichtig und bin total überrascht: Es ist eindeutig wieder Gewürztraminer: der Geschmack ungeheuer intensiv und würzig, aber dieses Mal rund und einfach großartig. Mein Gegenüber hat sich derweil ganz köstlich amüsiert über meinen Gesichtsausdruck und hat dann gemeint: „Das ist der teure.“

Seither bin ich fast jedes Jahr dort gewesen – viele Grüße nach Kurtasch, bei der Gelegenheit. Der Herr im Verkaufsraum erkennt mich jedes Mal wieder, wir plaudern, und ich wachse jedes Mal ein Stückchen weiter rein in die Welt des Weinbaus dieser Gegend und der Menschen, die hier zu Hause sind.

Und so, denke ich, ist das auch mit der Verbundenheit mit meiner Kirche. In die bin ich auch hineingewachsen, von klein auf. In die Abläufe im Gottesdienst. In den Geschichten der Bibel bin ich zu Hause. Weihnachten, Ostern, Erntedank – die Feste geben meinem Leben einen Rhythmus.  Und selbst, wenn ich unter der Woche einmal irgendeine Kirche betrete, habe ich das Gefühl, dass mich da einer wiedererkennt.

Und – das macht es noch besser – dieser jemand – Gott selbst – der gibt sich Mühe mit mir. Gott will mir etwas Gutes und Wohltuendes anbieten. Das Beste aus dem Weinkeller sozusagen. Und selbst, wenn ich als Anfängerin noch nicht sofort herausschmecke, was ich da gutes im Glas habe – da wachse ich schon noch hinein. Und lasse mich gern einladen, ich in der Kirche höre: „Kommt, seht und schmeckt, wie freundlich der Herr ist.

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24AUG2024
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„Wir alle sind aus Sternenstaub“ – das ist die Textzeile eines Songs*. Astrophysiker behaupten, wir Menschen bestehen mindestens zur Hälfte aus Sternenstaub. Einem Staub, der bei Sternexplosionen entstanden ist und dann durch das Weltall geschleudert wurde, mit unvorstellbarer Wucht und mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Dieser Sternenstaub setzt sich, laut der Wissenschaftler, zusammen aus kleinsten Elementen, die so stabil sind, dass sie die Sternexplosionen unbeschädigt überstehen und Millionen oder gar Milliarden Jahre als Staub durch das Universum wabern. Bis sie dann zum Beispiel in unserer Galaxie und damit in unserem Körper gelandet sind.

Das finde ich faszinierend und erschreckend. Erschreckend ist für mich die Größe und Unfassbarkeit dieser wissenschaftlichen Erkenntnis. Faszinierend finde ich, dass wir damit also Teile des leuchtenden Universums in uns tragen. Denn nichts Anderes ist ein Stern, ein leuchtender Himmelskörper, der Wärme abstrahlt. Vielleicht sind wir ja auch deshalb so fasziniert vom Sternenhimmel, weil wir ihn quasi in uns tragen.

Die Dichterin Rose Ausländer beschreibt dieses Phänomen für mich wunderbar in folgenden Zeilen:

 

„Über dir

Sonne Mond und Sterne

 

Hinter ihnen

unendliche Welten

 

Hinter dem Himmel

unendliche Himmel

 

Über dir

was deine Augen sehen

 

In dir

alles Sichtbare

und

das unendlich Unsichtbare“

 

Das unendlich Unsichtbare fasziniert mich. Es weist mich auf das Göttliche in der Welt hin – und das Geheimnis, das in jedem Menschen wohnt. Vielleicht ist es dieses göttliche Fünklein, das, was nicht offensichtlich ist. Der innerste Kern.

Etwas, das uns auf das Göttliche in der Welt und in uns selbst hinweist, hin-leuchtet sozusagen. Dieses Göttliche, das in der Geschichte der Menschheit eine besondere Sternstunde erfahren hat. Nämlich damals als Jesus von Nazareth geboren wurde und in dieser Welt gelebt hat. Er lässt uns Menschen bis heute erahnen wie dieser Unsichtbare, wie Gott, ist. Und er weist uns gleichzeitig darauf hin, wie kostbar, ja gottvoll jeder Mensch ist. Dass wir eben nicht nur Sternenstaub in uns haben, sondern auch Gottesfunken. Gottesfunken, die uns über uns hinauswachsen lassen.

 

Songtext von Ich+Ich, (Adel Tawil), „Vom selben Stern“

Gedicht aus: Rose Ausländer, Mutterland Einverständnis

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23AUG2024
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Eine Stelle im Markusevangelium ist mir in diesen Tagen besonders wichtig. Dort wird berichtet, wie Jesus seine Jünger nach getaner Arbeit auffordert: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir alleine sind und ruht ein wenig aus.“ (Mk 6,31) Sie hatten zuvor weite Wege hinter sich gebracht, geheilt, gepredigt und oft vor lauter Andrang nicht mal Zeit gehabt, etwas zu essen.

Jesus will, dass sie zur Ruhe kommen…und auch er braucht offensichtlich eine Pause. Auch wenn der eine oder die andere den Kopf geschüttelt haben mag, weil da doch noch so viel zu tun war, weil so viele Menschen darauf gewartet haben, von Jesus geheilt zu werden.

Mir gibt diese klare Ansage Jesu, eine Pause zu machen, zu denken. Ich glaube, diese bewussten Unterbrechungen sind notwendig, um danach wieder besser die Not anderer zu sehen und ihnen helfen zu können. Ich kenne solche Situationen: Wenn ich zum Beispiel völlig ausgelaugt bin, kann ich in einem seelsorgerlichen Gespräch nicht mehr gut zuhören. Das verletzt mein Gegenüber und ich hadere dann mit mir selbst.

Deshalb braucht es eine Unterbrechung. In der Geschichte aus der Bibel fahren Jesus und seine Jünger an einen einsamen Ort, sie fahren über den See an das andere Ufer. Sie wechseln die Perspektive. Sie schauen mit dem nötigen Abstand auf das, was war und wie es war…und sie schärfen so den Blick neu dafür, was dran ist, und was nicht oder nicht mehr.

Der Alltag holt sie vermutlich schneller ein, als ihnen lieb ist. Aber durch diese bewusste Unterbrechung gehen sie vermutlich anders, gestärkt weiter.

Mir gefällt es, dass Jesus seine Jünger ermutigt, diese Pause einzulegen und dass er sich selbst eine Verschnaufpause gönnt.

Wenn ich vor lauter To-do Listen kein Land sehe, dann mag ich mich an diese Bibelstelle erinnern und in Gedanken mit an dieses andere Ufer fahren. Und im Gepäck habe ich dann folgende Zeilen von Dorothee Sölle:

 

„Du sollst dich selbst

unterbrechen

zwischen arbeiten und konsumieren

soll Stille sein

und Freude

dem Gruß des Engels

zu lauschen:

Fürchte dich nicht.“

 

zitiert aus: Dorothee Sölle/Luise Schottroff: Den Himmel erden.

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22AUG2024
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Ich bin immer schon gerne an Flüssen gesessen und habe dem Wasser zugeschaut. Dabei habe ich mir vorgestellt, wie es seinen Weg nimmt, vom kleinen Fluss in den größeren – unaufhaltsam dem Meer zu. Flüsse haben eine beruhigende und zugleich belebende Wirkung auf mich, solange sie nicht über ihre Ufer treten und ihr anderes Gesicht zeigen. Sie sagen mir: Es geht immer irgendwie weiter und leben hat etwas mit In-Bewegung-Bleiben zu tun.

Vor einiger Zeit habe ich in Ulm an der Donau eine ganz eigene Flusserfahrung gemacht. Dort gibt es eine kleine handbetriebene Solarfähre, die Menschen behutsam und ruhig vom einen Ufer an das andere bringt. Ich bin mehrmals hin- und hergefahren. Fasziniert davon, wie der Fährmann, ohne groß einzugreifen, sein Boot sicher durch die Strömung steuert. Er bleibt auch dann ruhig und gelassen, wenn er einmal das Ruder gut festhalten oder dagegen steuern muss, um seinen Kurs zu halten. Vielleicht, weil er weiß, dass sein Boot von einem Seil gehalten wird, damit es nicht abtreiben kann

Als ich die Donau mit der Fähre überquert habe, hatte ich das Gefühl: so ist mein Leben. Am einen Ufer beginnt es, am anderen kommt es zum Ziel. Und mitten auf dem Fluss bin ich ausgesetzt. Der Natur und dem Lauf der Welt. Da versuche ich, mein Lebensboot gut von der einen auf die andere Seite zu bringen. Manche Passagen verlaufen ganz ruhig, so dass ich mich fast treiben lassen kann, bei anderen muss ich schauen, wie ich mit der Strömung zu Rande komme und das Ruder gut festhalte. Wie lange diese Reise dauert, ist ungewiss. Manchmal bin ich unsicher, ob es mir gelingen wird, heil anzukommen. Spätestens dann wird es Zeit, dass ich auf dieses Seil schaue. Das Seil, das die ganze Zeit über mitläuft und dafür sorgt, dass mein Lebensboot nicht ziellos umhertreibt. Und ich spüre, wenn ich diese Verbindung nicht kappe, kann ich mich getrost auf die Fahrt einlassen. Für mich ist diese Verbindung mein Vertrauen in Gott. Von ihm fühle ich mich gehalten und geführt. Und dieses Vertrauen darauf gibt mir immer wieder Kraft, die Stromschnellen in meinem Leben zu meistern und die Stürme auszuhalten. Und ich setze darauf, dass er mich irgendwann an diesem anderen Ufer ankommen lässt und dann in seine Arme nimmt.

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21AUG2024
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„Das längste Sommerfest im Allgäu“ – mit diesem Slogan wirbt die Stadt Wangen für die Landesgartenschau in diesem Jahr.

Im Frühling – vor dem Start der Gartenschau, hab ich noch geschmunzelt und gedacht: schau mer mal. Inzwischen denke ich: Ja, das ist es - ein echt sonniges Fest, das schon fast vier Monate dauert, heiter ist, selbst wenn es manchmal stürmt und regnet.

Dass das so ist, liegt für mich an vielen ganz unterschiedlichen Dingen. Klar, dass dabei das wunderschön gestaltete Gelände eine wesentliche Rolle spielt, mit der Argen, unserem Fluss, als Hauptdarstellerin. Sie fließt munter dahin und lädt an vielen Stellen ein, wenigstens die Füße zu baden. Wasser als Lebenselixier … das mag ein Grund für die heitere Stimmung sein.

Ein weiterer sind für mich die vielen schönen Blumenarrangements, Beete und Gebinde, die zum Staunen einladen. Dabei wird spürbar und sichtbar, wie schön und vielfältig bunt diese Welt ist. Seelenbalsam für das äußere und innere Auge.

Dann sind da Spielplätze, originell und liebevoll gestaltet. Sie laden Kinder ein kreativ zu werden, die Zeit zu vergessen und einfach zu buddeln, zu planschen und zu spielen.

Mit das Schönste auf diesem kunter bunter munteren Fest sind für mich die vielen kleinen Ruheinseln und Plätze, wo Menschen beisammensitzen, sich freuen, zwanglos plaudern, miteinander essen…

Eine dieser Inseln ist unser Garten der Kirchen. „Sei unser Gast“ lautet die Einladung an die Besucher. Sie können sich an den Tischen unter dem Beduinenzelt ausruhen, einen Kaffee oder ein Wasser trinken, oder einfach en passant den Durst löschen.

Ehrenamtliche Helfer und Helferinnen – insgesamt sind es 200 – sind dort Tag für Tag im Einsatz, noch bis Anfang Oktober. Sie gestalten ein Mittagsgebet und stehen für ein Gespräch zur Verfügung oder füllen die Wasserflaschen der Durstigen auf.

Diese kleinen Gesten und Begegnungen und die Freude daran, etwas für- und miteinander schön zu gestalten sind es, die diese Gartenschau fürwahr zum längsten Sommerfest in Allgäu machen …bei dem nicht nur die Blumen, sondern auch die Menschen aufblühen.

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20AUG2024
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„Gönne dich dir selbst“, dieser Satz könnte einem Lebenshilfebuch unserer Tage entstammen. Er steht in einem Brief, den Bernhard von Clairvaux vor über 800 Jahren an den damaligen Papst Eugen schrieb.

Bernhard war Mönch und schon damals ein berühmter Theologe. Er mahnt den Papst in diesem Schreiben, in seiner Arbeit das rechte Maß zu suchen und warnt ihn davor, sein ganzes Leben und Erleben nur davon abhängig zu machen wieviel er arbeitet. „Gönne dich dir selbst!“, fordert er ihn auf, denn, „wie kannst du voll und echt Mensch sein, wenn du dich selbst verloren hast?“

„Gönne dich dir selbst“, dieser Satz treibt mich um. Vielleicht, weil ich mich frage, ob das im Moment so ein Genuss sein würde. Nach einer arbeitsintensiven Zeit müsste ich da wohl erst mal viel Müdigkeit und Leere aushalten und ein Sammelsurium an Eindrücken ordnen. Bernhard meinte sicher nicht, sich sich selbst nur ein- oder zweimal im Jahr zu gönnen – dann, wenn man fast nicht mehr kann. Es geht ihm eher darum, sich täglich eine kurze Auszeit zu nehmen. Zu schauen: Wo bin ich gerade, was beschäftigt mich?

Nicht zuletzt, um durch dieses Innehalten ein gutes Gespür für sich selbst und die anderen und das, was im Moment dran ist, zu bewahren. Gerade dann, wenn man müde und erschöpft ist.

Als ich über diesen Satz nachgedacht habe, kam mir eine junge Frau in den Sinn, die an Leukämie erkrankt war. Ein Kamerateam hat sie über mehrere Jahre hinweg begleitet und dokumentiert, wie sie mit ihrer Erkrankung umgeht. Das war beeindruckend. Mit einer unglaublichen Offenheit hat sie sich den Fragen des Kamerateams gestellt. Eine der Fragen lautete: „Gibt es etwas in ihrem Leben, das Sie anders machen würden?“ Darauf hat sie schlicht geantwortet: „Ja, ich würde mehr Zeit mit mir verbringen.“

Ich würde mehr Zeit mit mir verbringen … mich mir selber gönnen. Einfach da sein, nichts tun als schauen, hören, riechen, fühlen.

Ich würde mehr Zeit mit mir verbringen ... Gönne dich dir selbst … das Vermächtnis dieser Frau und der Appell des Hl. Bernhard fordern mich heraus und ermutigen mich, heute bewusst innezuhalten und wenigstens eine kleine Weile mit mir selbst zu verbringen.

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19AUG2024
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Ein Gedicht von Rose Ausländer begleitet mich, seit ich 20 bin. Vielleicht, weil da in wenigen Worten steht, was für mich Leben bedeutet. Es heißt „Nicht fertig werden“ und endet mit eben diesem Satz „Nicht fertig werden“. Das Gedicht geht so:

 

„Die Herzschläge nicht zählen

Delfine tanzen lassen

Länder aufstöbern

Aus Worten Welten rufen

horchen was Bach

zu sagen hat

Tolstoi bewundern

sich freuen,

trauern

höher leben

tiefer leben

noch und noch

Nicht fertig werden“

 

Ein wunderbarer Text. Es sind Bilder und Worte, die beschreiben, was für mich Leben ausmacht: Neugierig bleiben, wach sein, nicht aufgeben. Darum will ich dem noch ein wenig nachspüren. Die Herzschläge nicht zählen – das bedeutet für mich: nicht dauernd sammeln, messen, wägen und zählen, sondern das Herz ungezählt schlagen lassen, lieben, Herzenswärme einbringen ohne zu fragen, was bringt‘s. Delfine tanzen lassen – das klingt nach Lebensfreude pur, diese Vorstellung, wie sie elegant im Wasser springen. Länder aufstöbern – ein feines Bild für reisen und dabei in der Welt zu kramen wie in einer alten Kiste und sich dabei überraschen lassen. AusWorten Welten rufen – darunter verstehe ich: in einem guten Buch zu schmökern oder durch ein befreiendes Wort, das ich zu jemand sage, eine Tür aufmachen... Horchen, was Bach zu sagen hat. Diese Worte legen mir nahe, mir immer wieder Zeit zu nehmen, einfach Musik zu hören; mich von ihr berühren zu lassen und nichts Anderes nebenher zu tun, weil diese Melodie dann direkt in die Seele sprechen kann. Tolstoi bewundern – Nachspüren welch tiefe Einblicke der Schriftsteller in die Psyche des Menschen hatte und wie toll er das in Worte fassen konnte. Höher leben, tiefer leben noch und noch…das heißt für mich: träumen können und mich zum Himmel strecken. Ich vertraue darauf, dass es etwas gibt, das mein Denken übersteigt. Gleichzeitig spüre ich, dass ich fest verwurzelt in der Erde bin, dass ich trauern kann, ohne zu verzweifeln und immer wieder aufstehen und weitermachen - halt nicht fertig werden.

Gedicht aus: Rose Ausländer, Hinter allen Worten, Frankfurt 2002, S.135

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17AUG2024
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Man kann schon durcheinanderkommen bei den vielen verschiedenen Kirchen. Auf der Straße hat mich mal eine Frau angesprochen: „Sie sind doch Pfarrerin. Evangelisch oder katholisch?“ Ich war verblüfft und habe sie darauf hingewiesen, dass sie ihrer Zeit weit voraus ist. In der katholischen Kirche gibt es keine Pfarrerinnen. Noch nicht, zumindest. Dann hat sich herausgestellt: Sie gehört zu einer neuapostolischen Gemeinde.

Man kann schon durcheinanderkommen. Es gibt Evangelische und Katholische, Russisch-Orthodoxe und Armenisch-Katholische, Baptisten und Neuapostolische – und in Ägypten habe ich die uralte koptische Kirche kennengelernt. Gefühlt gibt es Tausende christliche Kirchen. Und jede hat ihre Besonderheiten und ihre eigene Tradition.

Das ökumenische Miteinander hat in der Geschichte oft genug nicht funktioniert. Auch zwischenmenschlich. Ich erinnere mich an eine alte Dame, die mir erzählt hat, dass sie als junge Frau die Liebe ihres Lebens nicht heiraten konnte. Die Eltern des katholischen Freundes waren so entsetzt gewesen, dass der mit einer evangelischen Frau ankommt, dass sie gedroht hatten, ihn zu enterben. Es wurde nichts mit der Hochzeit.

Wir arbeiten schon lange daran, dass unser Miteinander besser wird, Schritt für Schritt. Ökumenische Schulgottesdienste gehören längst zum Standard und ich habe schon oft zusammen mit einem katholischen Kollegen ökumenische Trauungen gehabt. An meiner Grundschule haben die christlichen Kinder in Klasse 1 und 2 gemeinsam Reli, egal zu welcher Kirche sie gehören. Und neulich haben wir im Schlosspark einen großen ökumenischen Gottesdienst gefeiert, den 4 christliche Kirchen und Gemeinden gemeinsam vorbereitet haben.

Wir lernen uns immer besser kennen und lernen einander schätzen. Manches ist mir an anderen Kirchen fremd und wird es wohl auch bleiben. Aber was den christlichen Glauben angeht, leben wir alle unter einem Dach. Alle christlichen Kirchen sind nach Jesus Christus benannt. Wir müssen nicht im Gleichschritt gehen und liebgewordene Traditionen über Bord kippen. Aber es ist gut, wenn wir es hinbekommen, in der Öffentlichkeit immer mehr mit einer Stimme zu sprechen. Und uns gemeinsam in der Gesellschaft engagieren. Da haben die Menschen mehr davon.

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16AUG2024
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„Teilen macht ganz“. Ich bin überrascht stehen geblieben, als ich das gelesen habe. Ein Schriftzug an einer Hausecke in der Heidelberger Altstadt. „Teilen macht ganz“? Merkwürdig. Teilen heißt doch Aufteilen. Dann bekommen alle ein Stück. Aber eben nur ein Stück - und nicht alles. Nicht das Ganze.

Beim genaueren Hinsehen habe ich an der Hausecke noch 2 große dunkle Rechtecke bei dem Schriftzug gesehen. Zwei Hälften einer Sache vielleicht. Nicht sehr sauber getrennt, die sahen eher aus wie eingerissen.

Ich hab das Haus nicht gekannt und wusste nicht, was es beherbergt. Ein Museum? Ein Café? Als ich um die Ecke rum zum Eingang gegangen bin, habe ich gemerkt: das ist ein katholisches Begegnungszentrum. Hier können sich Leute treffen, mit anderen ins Gespräch kommen, einen Kaffee zusammen trinken, neue Impulse bekommen. Auch ihre Gedanken mit anderen teilen. Sich mitteilen und einander zuhören.

„Teilen macht ganz.“

Daheim habe ich nachgelesen, was es mit diesem Spruch und den beiden Rechtecken auf sich hat. Ein Künstler hat das entworfen. Er wollte etwas zu St. Martin machen. Zu dem berühmten Heiligen Martin, der mit seinem Schwert aus seinem Mantel zwei Teile gemacht hat. Den einen Teil hat er in einer Winternacht einem Bettler gegeben. Der arme Mann hat so die eiskalte Nacht überleben können. Er hat etwas gewonnen. Sein Leben, und neuen Mut vielleicht auch. Und Martin hat nichts verloren. Er, der geteilt hat, hat sich dadurch nicht als Verlierer gefühlt. Er hat auch etwas gewonnen. Eine neue Perspektive auf das Leben. Und die Idee, wie das ist, anderen Menschen Anteil am Leben zu geben. Damit sie auf eigenen Füßen stehen können. Heute würde man von „Teilhabe“ reden: Wenn ein Kind aus einer armen Familie Fußballschuhe finanziert bekommt, damit es in den Fußballverein kann, oder wenn Konzertveranstalter bewusst einige kostenlose Karten bereit halten für die, die sich den Eintritt nicht leisten können.

So wird nicht alles gut und heil. Aber wenn wir teilen, machen wir schon ganz viel richtig, finde ich.

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15AUG2024
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„Alles hat seine Zeit.“ Ich staune über die Vielfalt in unsrem Leben. Arbeiten und feiern, streiten und sich wieder einkriegen, Ruhe suchen und unter Leute gehen.

„Alles hat seine Zeit.“ Steht schon in der Bibel. Der Prediger (so wird er dort genannt) sinniert über das Leben und schreibt: „Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit.

Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit.“ Bei manchem, was ich erlebe, würde ich vor Glück am liebsten die Zeit anhalten. Bei anderem bin ich ausgesprochen dankbar dafür, dass es nicht ewig dauert. Ich will nicht ewig angestrengt sein oder ewig Schmerzen haben. Und auch nicht anderen ewig auf den Geist gehen. Gut, dass auch anderes wieder seine Zeit hat.

Der Prediger scheint das ähnlich zu sehen. Und er sagt ganz nüchtern: „Geboren werden hat seine Zeit und sterben hat seine Zeit.“ Beides gehört zum Leben dazu. Das war für ihn übrigens kein Grund, verdrießlich zu werden oder zu resignieren. Sein Fazit war: Lebe heute. Schau, was die Zeit Dir gerade bringt und versuch, daraus etwas zu machen. Verlier dich nicht in dem, was gestern war oder morgen sein könnte. Wenn du heute tanzen kannst, dann tanze und jammer nicht rum. „Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit.“

Und wenn du heute todtraurig bist, dann musst du das nicht den ganzen Tag überspielen und so tun, als sei alles in bester Ordnung. Die Trauer wird nicht auf Knopfdruck weg sein. Das muss sie auch nicht. „Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit.“ Beides braucht Raum und Zeit in unsrem Leben.

Ein weiser Mensch, der Prediger.

Nachdem er viel über unsre Zeit nachgedacht hat, hält er nebendran noch einen anderen Gedanken: „Gott hat den Menschen die Ewigkeit in ihr Herz gelegt!“ Was er damit wohl gemeint hat? Ich finde es jedenfalls schön, dass er nicht nur sagt: Es geht alles vorbei. Er sagt auch: Da ist ein ewiger Gott, dem etwas an dir liegt. Das hört nicht auf, dass ihm etwas an dir liegt. Du und deine Zeit, ihr seid bei ihm gut aufgehoben.

Der Prediger hat übrigens auch gesagt: „Schweigen hat seine Zeit und reden hat seine Zeit“. Und darum schweig ich jetzt.

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