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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04MAI2022
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„Wir müssen reden!“ Wenn ich das höre, weiß ich, jetzt wird‘s ernst. Es ist etwas zu klären, etwas Grundsätzliches. Es muss sich etwas ändern, etwas Wichtiges. Und das Gespräch, das dann folgt, ist meist nicht angenehm. Wenn‘s gut läuft, öffnen sich beide Gesprächspartner, sagen einander, wie sie die Sache sehen und empfinden, hören einander zu, und finden einen Weg, der den Streitpunkt klärt und vielleicht sogar die Beziehung zwischen beiden verbessert. Aber am Anfang dieses Prozesses steht die Uneinigkeit, die erst zur Sprache kommen muss, bevor man wieder zusammenfinden kann. 

„Du, Gott, wir müssen reden!“ Manchmal schießt mir das einfach so durch den Kopf, wenn ich von irgendwas Schlimmem höre. „So geht das doch nicht, Gott, so kannst du die Welt doch nicht in ihre eigene Zerstörung laufen lassen.“ Oder den jungen Mann an seiner Drogensucht zugrunde gehen lassen. Oder zusehen, wie Städte von Bomben plattgemacht und Millionen Menschen vertrieben werden ...

Ich weiß, dass ich menschliche Bosheit und menschliches Versagen nicht Gott vorwerfen kann. Und ebenso, dass Gott nicht wie eine Respektsperson ist, die im Konfliktfall ein Machtwort spricht – und basta. Das sehe ich alles, und doch bin ich manchmal so ratlos, so verzweifelt, dass mir nichts anderes mehr einfällt. Dann mach ich‘s so, wie‘s schon die Menschen in den Psalmen der Bibel vor zweieinhalbtausend Jahren gemacht haben.

„Du, Gott, wir müssen reden!“ So hört sich das bei mir an, wenn ich von allem genug habe und keinen Rat mehr weiß. Und dann erlebe ich oft, dass sich wirklich etwas verändert. Nicht, dass das Problem sich sofort löst. Aber in mir kann sich etwas lösen. Ich übergebe es in eine größere Hand, die mehr bewirken kann als ich. Und noch etwas ändert sich in mir: Ich höre auf, Gott genau zu sagen, was er tun soll. Und wenn ich für Menschen bete, dann nenne ich nur ihre Namen und leg sie quasi in seine Hand. Und langsam werde ich dann sicher: Hier ist der richtige Ort für all das Ungeklärte und Trübe, das ich nicht klären kann. Und für die schrecklichen Geschehnisse in der Welt, für die bisher niemand eine Lösung findet. 

Es ist ein innerer Weg, den ich da immer wieder von neuem gehe, gehen muss. Von „Gott, wir müssen reden!“ zu „Gott, du weißt, was wir brauchen.“ Manchmal ist es ein ganz schön langer Weg. Aber bisher bin ich noch immer weitergekommen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03MAI2022
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Frieden ist kostbar. Das begreift man erst so richtig, wenn er bedroht ist, oder verloren wie derzeit im Osten Europas. Frieden ist nie selbstverständlich, er ist immer das Ergebnis von aktiver Bemühung. Von Verhandlungen, von Verträgen, von lebendigen Beziehungen zwischen Ländern und Kulturen. Am Frieden bauen aber auch die vielen einzelnen Menschen, die sich in ihrem Alltag bemühen, gut und fair miteinander umzugehen. Sie schaffen die Basis für eine friedlichere Welt.

Der große indische Pazifist Mahatma Gandhi hat dafür Regeln entwickelt, Friedensregeln. Fünf einfache, ganz konkrete Grundsätze, die auch ich im Alltag immer wieder anwenden kann.

Erstens: Ich will bei der Wahrheit bleiben. Für mich heißt das: Wenn ich erzähle, versuche ich, nicht zu übertreiben. Ich will klar und eindeutig reden und vielsagende Andeutungen vermeiden, die zum Spekulieren einladen.

Zweitens: Ich will mich keiner Ungerechtigkeit beugen. Wenn ich daran denke, versuche ich, Ungerechtigkeiten überhaupt erstmal wahrzunehmen. Dazu gehört auch zu sehen, wo ich selbst Vorteile habe gegenüber so vielen anderen: weil ich bisher keinen Krieg erleben musste, weil ich wirtschaftlich gesichert lebe, weil ich fraglos hierher gehöre und mir niemand meine Zugehörigkeit absprechen kann.

Drittens: Ich will frei sein von Furcht. Auch von der Furcht, als Spielverderber zu gelten, wenn ich mich traue, mal nicht mitzulachen oder sogar zu widersprechen, wenn gegen einzelne oder gegen Gruppen gehetzt wird.

Viertens: Ich will keine Gewalt anwenden. Nicht nur körperlich. Ich will auch nicht manipulieren. Niemand bloßstellen oder in Grund und Boden reden.

Und schließlich die fünfte Friedensregel: Ich will in jedem zuerst das Gute sehen. Sogar dann, wenn ich mich auf jemand ‚eingeschossen‘ habe, wie man so verräterisch sagt. Dann brauche ich einen neuen Blick, neue Augen sozusagen. Zum Beispiel die Augen eines Menschen, der diese Person zum ersten Mal sieht.

Die Friedensregeln sind kein Programm, mit dem sich konkrete Politik machen lässt. Dennoch sind sie ein Beitrag zum Frieden. Denn jeder Frieden fängt in den Köpfen und Herzen von Menschen an. Auch in meinem Kopf und in meinem Herzen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02MAI2022
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Vor ein paar Wochen war es wieder soweit. Es gab dieses spektakuläre Wetterphänomen, das im Sommerhalbjahr manchmal auftritt: Der Himmel färbt sich ganz eigenartig, alles ist wie in ein warmes Licht getaucht. Sogar wenn‘s regnet, ist der Himmel nicht grau, sondern leuchtet geradezu in rötlichem Gelb. Und wenn‘s vorbei ist, ist alles, was im Freien war, von einer ganz feinen Schicht bedeckt, Autos, Gartenmöbel, Balkongeländer. Wie wenn jemand das ganze Land mit einem riesigen Pinsel abgepudert hätte. 

Früher konnte man sich dieses Phänomen nicht erklären. Der rötliche Regen machte den Menschen Angst, denn er galt als Vorzeichen für drohende Katastrophen, etwa Seuchen oder Erdbeben. Heute wissen wir mehr. Es ist staubfeiner Sand aus der afrikanischen Wüste, der da immer wieder kilometerhoch geschleudert wird und den die Luftströmung nach Europa trägt. Und nicht nur zu uns, sogar bis in den südamerikanischen Regenwald. Und weil der Saharasand so viele Mineralien enthält, sorgt er seit Jahrtausenden dafür, dass noch in weit entfernten Regionen der Erde die Böden mit wertvollem Dünger versorgt werden.

Ist das nicht unglaublich? Mir bleibt da jedes Mal fast die Spucke weg, wenn ich von solchen globalen Zusammenhängen erfahre. Und davon gibt es ja viele, denn die Schöpfung ist ein System, in dem alles mit allem zusammenhängt. Nicht nur das Klima und die Böden, auch die Vegetation, die Tiere, die Menschen. Und das verändert auch meinen Blick: Wenn ich weiß, dass die lebensfeindliche afrikanische Wüste unsere Regionen fruchtbar macht – muss ich dann nicht auch die Menschen anders ansehen, die zu uns kommen, weil sie dort nicht genug zum Leben haben? Und noch etwas fällt mir dann ein: Die Industrialisierung, die letztlich ja für die Klimaerwärmung und für die zunehmenden Dürrekatastrophen zumindest mitverantwortlich ist, die ist ja von unseren Regionen ausgegangen. Mit Folgen für die ganze übrige Welt.  

Der Saharasand ist für mich ein Zeichen. Immer noch. Freilich nicht für eine Katastrophe, die schicksalhaft über uns hereinbricht. Sondern dafür, dass in Gottes Schöpfung alles zusammenhängt. Dass es sein Gebot ist, diese Zusammenhänge zu respektieren. Dass die Erde uns allen gehört. Und dass wir allesamt Geschwister sind. Miteinander verbunden, einander anvertraut, füreinander verantwortlich.

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Anstöße sonn- und feiertags

01MAI2022
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Heute ist der erste Mai: Tag der Arbeit. Und zugleich ein Feiertag. Hört sich erst mal wie ein Widerspruch an. Aber wenn‘s schon einen Feiertag der Arbeit gibt, dann muss es an der Arbeit ja wohl auch was zu feiern geben.

Die Anfänge waren alles andere als feierlich. Es begann nämlich mit einem Generalstreik. Zu dem hatte 1886 die nordamerikanische Arbeiterbewegung aufgerufen. Es ging um die Verkürzung der Arbeitszeit und insgesamt um bessere Arbeitsbedingungen. Das war der Auftakt für  eine Entwicklung, die die Welt mehr geprägt hat, als wir uns vorstellen können.

Arbeit gestaltet die Welt. Arbeit sichert den Lebensunterhalt. In der Arbeit verwirklichen Menschen sich selbst. Christlich gesprochen: Gott hat die Welt geschaffen, und die Menschen sollen sie gestalten, bebauen und bewahren.

Arbeit hat aber auch ganz andere Gesichter. Denn nicht alle Menschen haben das Glück, gute und sichere Arbeit zu finden, von der sie auch gut leben können. Viele, die unsere Gesellschaft aufrecht erhalten, sind viel zu schlecht bezahlt und haben dazu auch noch viel zu schlechte Arbeitsbedingungen. Paketboten etwa, Friseurinnen, Menschen, die in der Pflege arbeiten… Und wenn ich dann noch auf die sogenannten Billiglohnländer schaue! Dort schuften Menschen zu Hungerlöhnen für unsere Märkte. Für unseren Konsum. Für billigen Nachschub in meinem Kleiderschrank.

Das ist leider für viele Menschen Alltag, Arbeitsalltag. Aber es gibt auch ganz andere Erfahrungen mit Arbeit. Ich denke da zum Beispiel an eine Autowerkstatt. Ich hatte mein Auto in der Inspektion, und als ich‘s abgeholt habe, musste ich zweimal hinschauen: Es sah aus wie fabrikneu. Der Chef selbst hatte es geputzt und poliert. Dann hat er erzählt, dass er einfach gern mit Autos arbeitet. Und dass er sich jedes Mal an den Gesichtern der Kunden freut, die sich ihrerseits an diesem zusätzlichen Service freuen.

Wie schön, dass Arbeit mehr sein kann als stumpfe Maloche. Mehr als irgendein Broterwerb. Dass sie – im besten Fall – ihren Sinn in sich selbst hat. Das ist doch ein Grund, der Arbeit einen Feiertag zu widmen. Und dabei auch an die vielen Menschen zu denken, die unter unsäglichen Bedingungen arbeiten müssen, oder überhaupt keine Arbeit haben. Und an die, die sich für gerechtere Strukturen einsetzen. Heute. Und das ganze Jahr über.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09OKT2021
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„Finde den Fehler!“ So heißt ein Spiel, das es in unzähligen Variationen gibt. Der Titel klingt altertümlich. Kein Wunder, das Spiel ist ein Klassiker. In einem Antiquariat hab ich mal zwei Exemplare aus dem Jahr 1900 gesehen. Kleine Mädchen sollten an den Bildern lernen, welche Gegenstände man braucht, um einen Haushalt zu führen, und welche nicht. Und Jungs sollten spielerisch lernen, deutsche Uniformen von denen anderer Armeen zu unterscheiden. Heute sieht dieses Spiel anders aus. Da steht dann eher: „Im rechten Bild sind 10 Fehler versteckt. Wo sind sie?“ Aber das Prinzip ist dasselbe geblieben.

Fehler suchen macht Spaß. Als Zeitvertreib oder als nettes Gehirnjogging. Aber auch im ‚richtigen Leben‘ werden ständig Fehler gesucht. Anscheinend sind wir darauf programmiert, dass immer alles so ist, wie wir‘s erwarten. Und was da nicht reinpasst, irritiert. Menschen brauchen Ordnung. Nicht von ungefähr sagt das Sprichwort: Ordnung ist das halbe Leben. Das ist richtig: das halbe Leben. Zum Problem kann die Ordnung dann werden, wenn sie sich nicht mit dem ‚halben Leben‘ zufriedengibt, sondern das ganze fordert. Wenn sie nach und nach mein ganzes Leben bestimmen will.

Lange Zeit wurden Kinder vor allem dazu erzogen, Ordnungen einzuhalten, keine Fehler zu machen. Was man nichtdarf, war wichtiger als das, was man darf und soll, und woran man Freude haben kann. Das habe ich selbst noch so erlebt. In der Schule, und in der Kirche auch. 

‚Finde den Fehler!‘ – das ist nicht nur ein Spiel. Es ist ein Prinzip, ohne das es keinen Fortschritt gäbe. Aber es kann nicht das einzige Prinzip sein. Sonst wird das Leben eng. Und ich selbst kann darüber eng werden und pedantisch und kleinlich, anderen gegenüber, aber auch zu mir selbst. Ich kann mich dann ständig über die ärgern die sich irgendwas rausnehmen, was verboten ist und was man eigentlich nicht macht. 

Aber ich muss ja nicht immer ‚Finde den Fehler!‘ spielen. ‚Finde, was gut ist!‘ wär doch auch mal ein schönes Spiel. Finde, was gelingt. Was ich kann, und was andere gut machen. Ich hab‘s schon ausprobiert, dieses andere Spiel. Am Anfang muss man schon ein bisschen üben, aber dann macht‘s ebenso viel Spaß. Und das Beste daran: Bei diesemSpiel kann man nur gewinnen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08OKT2021
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Wollten Sie auch schon lange mal eine neue Sprache lernen? Wie wär‘s dann zum Beispiel mit ‚dementisch‘? Dementisch, das ist die Sprache, die Menschen verstehen und sprechen, die an Demenz erkrankt sind. Das Besondere an dieser Sprache ist, dass man keine neuen Vokabeln lernen muss. Man kennt sie schon alle, man gebraucht sie nur anders. Deshalb ist es gar nicht so schwer, diese besondere ‚Sprache‘ zu lernen. Man braucht dazu vor allem das Herz, denn dementisch ist sozusagen eine Sprache des Herzens.

Je höher unsere Lebenserwartung steigt, desto mehr ist mit Alterserkrankungen zu rechnen. Und dazu gehören eben nicht nur körperliche Einschränkungen, sondern auch psychische und geistige.

Demenz – für viele ist das ein richtiges Schreckgespenst. Und auch mir ist bange davor, im Alter so vergesslich zu werden, dass mir meine Welt fremd wird und ich mich nicht mehr orientieren kann. 

Aus meiner früheren Arbeit in der Altenpflege weiß ich: Für demente Menschen ist die Scham oft noch schlimmer als die Vergesslichkeit selbst. Und dann kommt es darauf an, sie nicht noch zusätzlich zu beschämen, etwa, indem ich alles korrigiere, was ich besser weiß. Noch besser weiß, Stand heute.

Wenn ich mir das immer wieder klar mache, dann hab ich die beste Vorbereitung, um ‚dementisch‘ zu lernen. Es geht letztlich um meine innere Haltung, die sich dann auch darin zeigt, wie ich mich nach außen verhalte. Es gibt kein Patentrezept, aber ich mache es oft so: Statt zu versuchen, eine demente Person in meine Realität zurückzuholen, folge ich ihr lieber und lasse mich in ihre Wirklichkeit führen. Denn es kann ja nicht darum gehen, wer ‚Recht‘ hat. Es geht eher darum, wie wir die Wirklichkeit erleben und wie wir sie deuten. 

Das gelingt nicht immer, nicht immer gleich gut. Eine Begegnung war für mich eine kleine Sternstunde in Dementisch. Katharina, eine sehr alte und sehr demente Frau, fragte mich zum wiederholten Mal: ‚Wo ist denn die Mama? Ich seh sie gar nicht mehr.‘ Ich antwortete: ‚Die ist schon vorausgegangen und schaut erst mal nach dem Weg. Sie wartet auf uns, da vorn, auf der Bank.‘ Ihr Gesicht entspannt sich, sie zeigt aus dem Fenster und sagt: ‚Ja, gell, gleich da vorn, im Himmel…’

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07OKT2021
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Wie weit müssen Bienen fliegen, um den Nektar zu sammeln, der ein Glas Honig ergibt? Ich dachte erst, ich hab mich verhört: Es sind im Schnitt 120 000 Kilometer. Dreimal um die Welt. Für gerade mal ein Pfund Honig.

Seit ich das weiß, seh ich Bienen mit anderen Augen. Und ebenso den Honig. Bisher dachte ich allenfalls ans Imkern, das ja auch ganz schön aufwendig ist. Aber was gäbe es im Stock zu ernten, wenn die Bienen nicht die eigentliche Arbeit verrichtet hätten? Wir hätten keinen Honig. Aber noch viel schlimmer wäre, dass auch die Bäume nicht tragen könnten. Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Hagebutten, all die Früchte, die im Sommer und im Herbst reif werden. 

Bei den Bienen sehen wir ein, wie wichtig sie sind. Weil wir einen unmittelbaren Nutzen von ihnen haben. Und erst so ganz langsam spricht sich herum, dass alle Arten, die die Schöpfung hervorgebracht hat, ihre ganz eigene Aufgabe haben. Immerhin wissen wir schon, dass alles miteinander zusammenhängt. Dass alle Arten von Lebewesen ihren Platz und ihre Aufgabe haben. Wie in einem riesigen Perpetuum mobile. Wenn ich an einer Stelle was rausnehme, bewegt sich das ganze System. Und wenn es sich wieder neu austariert hat, wird es anders aussehen als vorher. 

Das ‚Rausnehmen‘ praktizieren wir ja schon. Und rotten dabei unbekümmert und ignorant viele Arten aus, immer noch. Weil wir nur unseren vordergründigen Nutzen sehen. Weil wir keine Ahnung davon haben, welche empfindlichen Wechselwirkungen es gibt. Weil wir immer noch nicht begreifen, dass wir selbst ein Teil in diesem Mobile der Natur sind, und nicht nur Spieler, die von außen zuschauen und unbeteiligt ausprobieren können, was passiert. 

Die Bibel sagt: Die Erde ist uns anvertraut, damit wie sie ‚bebauen und bewahren‘. (vgl. Genesis 2,15) Das Bebauen haben wir mit großem Fleiß und großem Erfolg getan. Jetzt ist das Bewahren dran! Mit großen Entscheidungen in der Politik. Und mit vielen kleinen Entscheidungen in meinem Alltag. Ich versuche zum Beispiel, ohne aggressive Reiniger zu putzen, und setze stattdessen auf mildere Hausmittel. Damit es auch in Zukunft noch Insekten gibt, die Pflanzen bestäuben. Und Bienen, die dreimal den Weg um die Erde zurücklegen, bis ich ein Glas Honig auf den Frühstückstisch stellen kann.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06OKT2021
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„Was kann ich für Sie tun?“ Oft werde ich mit dieser Frage begrüßt, wenn ich ein Geschäft betrete oder bei einer Firma anrufe. Das fühlt sich gut an. Hier bin ich richtig. Natürlich weiß ich, dass gute Verkäuferinnen in guten Geschäften darauf geschult sind, die Kunden freundlich zu umwerben, denn schließlich wollen – oder müssen – sie ja verkaufen, das ist ihr Beruf.

Es gibt auch andere Geschäfte. In denen kauf ich viel öfter ein, nichts Besonderes, eher das ganz Alltägliche, was man eben laufend so braucht. Da fühle ich mich nicht so hofiert. Zum Beispiel in dem Discounter, zu dem ich eigentlich nur deshalb gehe, weil er ganz in der Nähe ist. Dort arbeiten nur Frauen, meist ziemlich jung, alle sprechen sie gut Deutsch, aber fast alle mit Akzent, der auf eine Migrationsgeschichte hinweist. Ich kenne ihre Gesichter, sehe sie arbeiten, sonst weiß ich nichts von ihnen.

Wenn ich solche Geschäfte betrete, werde ich nicht gefragt: „Was kann ich für Sie tun?“. Natürlich nicht. Aber wenn ich den Stress in den Gesichtern sehe, möchte ich manchmal fast den Spieß umdrehen und fragen: „Was kann ich für Sietun?“ Was kann ich als Kundin dazu beitragen, dass die MitarbeiterInnen ihre Arbeit gut bewältigen können? Ihre Arbeit, die weder leicht ist noch gut bezahlt, und auch nicht besonders hoch angesehen. Und dabei doch so notwendig. Was kann ich als Kundin für sie tun? Natürlich frage ich sie das nicht. Aber wenn ich mich selbst frage, verhalte ich mich anders. Ich bin aufmerksam, wenn ich sie mit den schweren Staplern durch die schmalen Gänge fahren sehe, und mache Platz, bevor sie mich darum bitten müssen. Und wenn ich an der Kasse mal länger warten muss, dann wart ich eben, und ruf nicht sofort nach einer weiteren Kassiererin. 

Es hilft, wenn ich in Gedanken mal kurz die Rolle wechsle und mich in die Verkäuferin und ihre Arbeit reinversetze. Dann komm ich ganz von selbst drauf, was ich dazu beitragen kann, dass ‚der Laden läuft‘. Nicht nur im Supermarkt, das gilt auch im Zug, im Krankenhaus, auf der Autobahn… Damit die Frauen und Männer, die überall dort arbeiten, spüren: Andere sehen, was ich jeden Tag leisten muss, damit sie alles bekommen, was sie brauchen. Meine Arbeit ist was wert. Ich bin was wert. Auch wenn das auf dem Lohnzettel nicht so deutlich wird. Leider.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05OKT2021
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Der Oktober gilt vielen als besonders schöner Monat, der ‚Goldene Oktober‘ ist sozusagen der Mai der zweiten Jahreshälfte. Aber auch der betörendste Farbenrausch täuscht nicht darüber hinweg, dass der Sommer vorbei ist, die Pflanzen absterben, das Jahr dem Ende entgegen geht. Deshalb hat der Oktober eine eher gedämpfte Grundstimmung, ganz anders als der Mai. Und Menschen, die den Winter mit seinen kalten Tagen und langen Nächten nicht mögen oder gar fürchten, werden leicht melancholisch oder sogar depressiv. Aber was macht man dann, wenn die trüben Gedanken kommen?

Mir hilft da ausgerechnet eine Comic-Figur aus der Serie ‚Die Peanuts‘. Es ist Snoopy, ein kleiner Hund. Der sitzt mit seinem Freund Charly Brown am Ufer eines Sees. Alles ist wunderschön, die Natur, das Wetter, die Stille. Aber Charly ist einer, der alles schwer nimmt und sich immer viele Gedanken macht, viel zu viele. Er schaut versonnen über den See und sagt ganz ernst: „Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy.“ Und Snoopy, der pfiffige kleine Hund, antwortet: „Ja, das stimmt, Charly. Aber an allen anderen Tagen nicht.“ 

Was für eine Logik! So einfach, so richtig, so bezwingend. An so vielen Tagen darf ich  leben. Und diese Tage, die wollen erst mal gelebt werden, gefüllt mit Leben: mit alltäglichen Kleinigkeiten, mit großen Gefühlen und kleinen Freuden, mit Aufgaben, die erfüllt werden müssen und – natürlich auch mit Sorgen und vielerlei Problemen.

Was der kleine Hund Snoopy im Comic so entwaffnend einfach sagt, ist eine tiefe Weisheit. Sie ist schon unzählige Male formuliert worden. Von Lebenskünstlern und Lebenskünstlerinnen wie Snoopy, aber auch von Philosophen, Dichtern, Therapeuten. Und auch in der Bibel findet sie sich mehr als einmal. Besonders schön finde ich die Worte, die von Jesus überliefert sind: ‚Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat schon genug mit sich selbst zu tun.‘ (vgl. Matthäus 6,34)

Auch heute vertraue ich mich dem Tag an, denn Gott ist es ja, der mich diesen Tag erleben lässt. Und am Abend gebe ich ihn wieder zurück, mit allem, was ich erlebt habe oder auch nicht, hingekriegt oder auch nicht. Und denke lächelnd an Snoopy. An den kleinen Comic-Hund, der alles so nehmen kann, wie‘s eben kommt. Und damit so viel leichter lebt!          

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04OKT2021
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Fast kein Tag vergeht ohne schlimme Nachrichten. Von Klimakrise, von Bränden, von  Überschwemmungen… Umweltprobleme sind ein modernes Phänomen. Im späten Mittelalter konnte noch niemand ahnen, was wir heute unter ‚Treibhausgasen‘ oder ‚Erderhitzung‘ verstehen. Die Beziehung zwischen den Menschen und der Natur wurde nicht groß bedacht. Naturkatastrophen wie Unwetter oder Dürre nahm man eben hin, als Schicksal, als Prüfung, als Strafe Gottes vielleicht. Nicht aber als unmittelbare Folge des rücksichtslosen Umgangs mit der Erde.

Um so erstaunlicher ist es, dass es auch damals schon Menschen gab, die sich für einen liebevolleren, partnerschaftlichen Umgang mit anderen Lebewesen und mit der Schöpfung  insgesamt eingesetzt haben. Einer von ihnen war der italienische Kaufmannssohn Franz von Assisi. Nach einem Bekehrungserlebnis änderte er seinen Lebensstil radikal. Der verwöhnte und hoffnungsvolle Spross einer Tuchändlerdynastie verzichtete auf sein Erbe und wollte fortan arm und bedürfnislos leben, verbunden mit gleichgesinnten Menschen, geschwisterlich mit Tieren und Pflanzen.

In der Stadt Gubbio, so erzählt eine Legende, habe ein gefährlicher Wolf die Leute in Angst und Schrecken versetzt. Da sei Franz einfach auf den grimmigen Wolf zugegangen, ohne jede Angst. Als ‚Bruder Wolf’ habe er die Bestie angesprochen. Und der habe ihm zugehört. Am Ende kam es zu einem Vertrag: Die Leute von Gubbio haben sich verpflichtet, den Wolf zu füttern, ihm zu geben, was er zum Leben braucht. Und der bis dahin ‚böse’ Wolf habe dafür zugesagt, künftig mit Schafen und Menschen friedlich zusammenzuleben. Und so sei es dann auch gekommen.

Eine schöne Legende. Und wie alle Legenden hat sie eine Botschaft. Der ‚Wolf’ ist ein Bild für die Natur, für ihre ungezähmten Kräfte. Und die Stadtbewohner stehen für die Zivilisation, die sich die Natur nach und nach gefügig gemacht hat. Die Legende sagt: Natur und Mensch gehören zusammen. Sie sind nicht Feinde, sondern Partner. Beide haben ihr Recht, beide müssen zu einem Ausgleich finden.

Was für ein moderner Gedanke – in den Bildern einer mittelalterlichen Legende. Und was für ein moderner Heiliger, dieser Franz von Assisi. Und heute ist sein Gedenktag.

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