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SWR4 Sonntagsgedanken

Am zweiten Weihnachtstag beschleicht mich immer die Wehmut: jetzt ist es fast schon wieder vorbei, Weihnachten 2015. Sie kennen das möglicherweise auch. Und dann denke ich: Vielleicht war das damals in Bethlehem auch so: Die Engel sind wieder im Himmel, die Hirten bei ihren Herden. Der Stern ist verblasst und in der Heiligen Familie werden Windeln gewechselt und Maria und Josef sichten die Lage, denn es muss ja weiter gehen. Im Stall können sie nicht bleiben.
Es muss ja weiter gehen. Das Leben geht weiter. Und damit verändern sich auch die Weihnachtsfeste. Über dem Heiligabend liegt irgendwie ein Zauber, immer wieder, immer noch: die alte Geschichte von der Geburt des Jesuskindes, die Lieder und die Lichter und die Kerzen. Eigentlich immer dasselbe, alle Jahre wieder. Und doch, glaube ich, ist das in jedem Jahr auch wieder anders, weil ich mich verändere und weil die Umstände, in denen ich lebe, andere werden. Vielleicht gerade in diesem Jahr.
„Unsere Weihnachtsfeste sind wie Jahresringe unseres Lebens“, habe ich irgendwo gelesen. „Wie Jahresringe unseres Lebens.“ Es gibt stärkere und schmalere, wie ein Baum in guten Jahren stärkere Ringe ausbildet als in trockenen. Aber immer kommt ein neuer Ring dazu, Jahr für Jahr.
So ist das auch mit den Weihnachtsfesten, finde ich. Gewiss, das Staunen aus Kindertagen geht einem im Laufe der Jahre verloren. Spätestens dann, wenn man einmal durchschaut hat, beim Spicken durchs Schlüsselloch vielleicht, dass es die Mutter ist, die die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legt, und nicht das Christkind.
Aber an nicht wenige Weihnachtsfeste im eigenen Leben erinnert man sich besonders gut. Ich weiß es noch gut: Das erste Mal in der eigenen Familie, mit dem eigenen Kind. Oder das erste Mal, wenn die Kinder alle aus dem Haus sind. Oder Weihnachten das erste Mal allein. Schmerzliches und Schönes, stärkere und schmalere Ringe, Weihnachtsfeste sind wie Jahresringe unseres Lebens.
Alle Jahre wieder wird Weihnachten gefeiert. Vielleicht muss man das auch tun, denke ich mir, alle Jahre wieder. So wie man ja auch den Geburtstag alle Jahre wieder feiert. Vielleicht ist gerade die Wiederholung das Wichtige. Dass ich die Geschichte von der Geburt im Stall wieder in meine Gegenwart hole, die jedes Mal eine andere ist. Dass sich jedes Mal neu zeigt: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Und ich begreifen kann: das ist auch für mich geschehen.

Es gibt stärkere und schwächere, wie es im Leben Schönes und Schlimmes gibt. Gibt es dann auch so etwas wie einen Kern von Weihnachten? Etwas, das durchgehend da ist und bleibt? In der Bibel wird nicht nur die Geburt Jesu erzählt. Was da geschehen ist wird auch gedeutet. Das, wovon die Geschichte erzählt: Maria, Josef, der Stall, die Engel, der Stern, die Könige: Das wird gedeutet. „Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, machte er uns selig.“ Das ist so ein Satz, der das Geheimnis von Weihnachten deutet: Mit dem Kind in der Krippe erscheint Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe in der Welt. Und das macht was mit uns. Selig macht es uns.
Früher habe ich immer gedacht, selig, das sei ein Gefühl, das einen überkommt, wenn man etwas besonders Schönes erlebt hat. Weihnachtsseligkeit, vielleicht auch. Nichts Habhaftes auf alle Fälle. Eine neue Bibelübersetzung hat mich auf die Spur gebracht: Es geht nicht nur um ein schönes Gefühl. Gott rettet uns, so muss das eigentlich übersetzt werden. Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe retten uns. So haben Menschen Gott schon immer erfahren: Er greift ein und rettet. Die Psalmen erzählen davon. Und viele Menschen haben auch heute die Erfahrung im Rücken, immer wieder gemacht im Leben, dass auf böse Nacht ein guter Morgen kam, dass ihnen hindurchgeholfen wurde in Zeiten, in denen sie nicht weiter wussten und nicht weiter konnten. Jahresringe am Baum unseres Lebens. „Die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes ist erschienen und hat uns gerettet.“
Das könnte der Kern von Weihnachten sein: Gott greift ein und rettet. Im Kind in der Krippe zeigt er seine Freundlichkeit und Menschenliebe. Alle Jahre wieder: Freundlichkeit und Menschenliebe. Damit sie nicht vergessen werden. Damit Menschen davon angesteckt werden. Angesteckt von Liebe und Menschenfreundlichkeit. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit. Immer gibt es doch jemand, der heute einen Besuch, einen Anruf, eine Nachricht von mir brauchen könnte. Ein kleines bisschen Rettung, vielleicht für einen Tag nur. So wie ich froh bin, wenn einer nach mir schaut, wenn ich nicht weiter kann.
So könnte es sein, so wünschte ich es mir, dass mich Gottes Menschenliebe und Freundlichkeit anrühren. Damit wäre ich schon gerettet. Wieder einmal. Und könnte freundlicher sein und liebevoller. Die Welt bekäme ein anderes Gesicht. Alle Jahre wieder.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Feiertag.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Ein Bauer, der reich geerntet hat. Daran wird heute am Erntedankfest in den Evangelischen Kirchen erinnert. Die Geschichte steht in der Bibel. Jesus sie erzählt. Um mit ihr zu zeigen, wie das Leben reich wird. Die Ernte des Bauern war so groß, dass seine Scheunen zu klein waren. „Was mache ich nur?“, hat er sich gefragt. „Wenn ich das Getreide unter freiem Himmel liegen lasse, dann verdirbt es mir.“ Dann hat er eine Idee und fasst einen Plan: „Ich weiß, was ich mache, ich reiße die alten Scheunen ab und baue neue, größere. Und wenn ich die Ernte darin untergebracht habe, dann kann ich zu mir selber sagen: Jetzt hast Du Ruhe für lange Zeit. Genieß das Leben, iss, trink und sei froh.“ Aber in der Nacht, so erzählt es Jesus, hört der Bauer eine Stimme, Gottes Stimme: „Du bist ein Narr! In dieser Nacht wirst du sterben. Und wem wird dann das gehören, was du angehäuft hast?“
Das ist eine Frage, die einen ganz schön erschrecken lässt. Finden Sie nicht? Denn wenn ich es mir genau überlege, so fremd ist mir der Bauer gar nicht. Wenn man mich fragen würde, was brauchst Du eigentlich, damit Dein Leben gut wird? Dann würde ich wahrscheinlich aufzählen: Gesundheit zum Beispiel, ein gutes Einkommen, Familie, Freunde, ein soziales Umfeld, Anerkennung und dass das für Wert geschätzt wird, wie ich so bin und was ich so mache. Ja, ich bin auch einer, der sich sorgt, wie denn das Leben gut wird.
Und ich denke, diese Sorge ist aus dem menschlichen Leben nicht wegzudenken. Der vorsorgende Bauer, von dem Jesus erzählt, der ist doch gerade kein habgieriger Dummkopf, der den Hals nicht vollkriegen kann. Nein, er hat einfach Glück gehabt. Seine Felder haben gut getragen. Und jeder, der etwas von Landwirtschaft oder Gartenarbeit versteht, weiß doch: Das Wachsen und Gedeihen machen wir Menschen nicht. Nein, der Bauer handelt klug und er handelt verantwortungsvoll. Er sorgt dafür, dass nichts verdirbt. Und er ist kein Nimmersatt, der nie genug kriegen kann. Nein, er begnügt sich mit dem, was er nun hat. „So, jetzt lassen wir es gut sein. Einmal hat das Geracker ein Ende. Liebe Seele, ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens.“
Ja, ich kann mich in dem Bauern in vielem wiederfinden. Ich verstehe das gut, dass man für schlechte Zeiten vorsorgt, etwas auf die hohe Kante legt, für die Kinder einen Bausparvertrag, ein Häuschen fürs Alter. Das kann einem doch keiner verdenken. Ich finde, das ist eigentlich etwas zutiefst Menschliches. Sich absichern gegen die Unabwägbarkeiten des Lebens. Was hat er denn nur übersehen, der Bauer aus dieser Geschichte?

Jesus erzählt ja diese Geschichte. Und er sagt: Niemand lebt davon, wie viel er hat, wie viel er sammelt und anhäuft. Wovon aber dann? Jesus sagt: Davon lebt ein Mensch, dass er reich ist bei Gott. Vielleicht könnte man das so übersetzen: so leben, dass man von Gott etwas erwartet. Mein Leben habe ich doch nicht aus mir selbst, das bekomme ich geschenkt. Als Christ sage ich, von Gott geschenkt. Er hat mir mein Leben gegeben. Er hat mich damit auf den Weg geschickt. Auf dem er mir begegnen will.
Kann ich mir dann viele Jahre Ruhe wünschen wie der Bauer in der Geschichte? Dann will ich doch offen bleiben für das Kommende, für das, was sich nicht absehen lässt. Vielleicht begegnet mir ja Gott darin. Offen bleiben für all das, was ich nicht planen, nicht machen, nicht absichern kann. Die Liebe zwischen zwei Menschen ist für mich so ein Beispiel, die kann ich nicht machen oder planen, die geschieht, ich muss nur offen sein dafür. Oder ein Anruf, eine Begegnung und plötzlich fällt mir eine Aufgabe vor die Füße und ich bin herausgefordert. Oder ein gutes Wort, das ein Anderer für mich hat, das mir gut tut und mir weiterhilft.
Ich glaube, der Bauer mit seiner reichen Ernte stellt die falsche Frage. Die bessere hätte vielleicht so gelautet: Gott hat so gut für mich gesorgt. Ich bin gespannt, was er morgen für mich bereithält. Wer weiß, was mir morgen begegnet?
Mir fällt in dieser Geschichte auf, dass dem reichen Bauern kein anderer Mensch in den Blick kommt. In der Geschichte spricht nur er selbst: Was soll ich tun? Was könnte ich machen? Kein anderes Gesicht taucht auf, keine andere menschliche Stimme. Dieser Mensch meint wohl, dass er niemanden braucht. Erst die Stimme Gottes durchbricht dieses einsame Reden.
Vielleicht wäre es ja anders gelaufen, wenn andere bei ihm gewesen wären. Oder wenn er nach anderen geschaut hätte. Vielleicht hätte da einer gesagt: „So eine schöne fette Ernte, komm, lass uns feiern und wir laden auch die ein, denen es nicht so gut geht. Komm, wir teilen mit denen, die womöglich ihre ganze Ernte verloren haben.“ Oder ein anderer hätte gesagt: „Wie gut, dass zur rechten Zeit der Regen gefallen ist. Wie gut, dass die Sonne geschienen hat. Wie gut, dass wir die Ernte rechtzeitig vor dem Gewitter einbringen konnten. Wie gut, dass das so ist, dafür lasst uns Gott danken.“ Und es wäre ein richtig schönes Erntedankfest geworden. Ja, ein Fest aus Dankbarkeit, mit viel Singen, mit Essen und Trinken. Ein rauschendes Fest.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Erntedankfest und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Neulich habe ich mich selbst ertappt. Meine Kinder haben mich gefragt, was ich mir denn zum Geburtstag wünsche und was sie mir schenken könnten. Und dann ist mir tatsächlich herausgerutscht: „Ihr müsst mir nichts schenken. Ich hab doch alles, was ich brauche.“ Ertappt. „Ich hab doch alles, was ich brauche.“ Eigentlich hatte ich gemeint: Ich bin ganz zufrieden bin mit meinem Leben gerade. Aber die andern haben wahrscheinlich gehört: Ich habe genug. Ich brauche nichts mehr. Das klingt schon ziemlich überheblich. Und abweisend: Ihr braucht mir keine Freude machen.
„Ich hab doch alles!“ Inzwischen denke ich: Das ist eine falsche Bescheidenheit, die einen so reden lässt. Denn das stimmt doch überhaupt nicht, dass man irgendwann nichts mehr braucht. Wenn man es geschafft hat, wenn die Schäfchen im Trockenen sind, wie man so sagt. Und was ist das eigentlich für ein Lebensgefühl? Alles haben, was man braucht. Auf nichts angewiesen sein. Sein eigener Herr, sich selbst genug – und so satt, dass man scheinbar von anderen nichts braucht, nicht mal, dass sie einem eine Freude machen.
Im Lukasevangelium erzählt Jesus von einem Mann, der das erlebt. Dieser Mann plant ein großes Festmahl und lädt dazu viele Leute ein. Und als es soweit ist, schickt er seinen Diener herum, um den Gästen Bescheid zu geben: „Kommt, alles ist bereit!“ Doch nichts als Absagen handelt der sich ein. Keiner der Eingeladenen braucht ein Fest. Alle haben Wichtigeres vor. Haben scheinbar alles, was sie brauchen. Und ich kann das auch durchaus verstehen. Der Alltag mit seinen Sorgen und Freuden hat die Menschen so im Griff, dass sie gar nicht anders können, als abzusagen. Nein, beim Fest kann ich leider, leider nicht dabei sein. Ich habe mit mir selbst zu tun. Dass mich einer einlädt und mir eine Freude machen will, das brauche ich nicht.
Kann es sein, dass man vom alltäglichen Sorgen, Machen und Tun oft so sehr bestimmt ist, dass man gar nicht mehr weiter sehen kann? Dass man glaubt, diese Alltagswirklichkeit, in der man tagein tagaus lebt, das sei das Wichtigste auf der Erde? Dass man sich bewegt wie eine Biene im Honigglas? Die ist so beschäftigt mit den Köstlichkeiten und Widrigkeiten der Honigmasse, dass sie gar nicht merkt, wie eng es im Glas ist. Sie glaubt, dass sie alles hat, was sie braucht. Und merkt gar nicht, wie sie längst im klebrigen Honig festhängt. Und der Deckel über ihr trennt sie von dem, was da noch da ist an Leben, an Möglichkeiten und Lebensfülle.

Und der Gastgeber? Er sucht sich andere Gäste, erzählt Jesus. Schickt seinen Diener an die Hecken und Zäune, auf die Straßen und Plätze. Lädt ein, die dort sind: die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen. Und alle kommen. Die Bedürftigen kommen. Die, denen etwas zum Leben fehlt. Die sich sehnen nach einem Festmahl, bei dem sie wirklich satt werden. Es kommen die, die nicht genug zum Leben haben, Menschen, die bedürftig sind und angewiesen auf Hilfe. Angewiesen auf ein Brot des Lebens, das sie sich nicht selber backen können. Sie steigen in klapprige Boote und riskieren die lebensgefährliche Fahrt übers Meer. Und wir? Sind wir bereit, sie aufzunehmen? Oder schotten wir uns ab? Ich bin froh, dass in ganz vielen Orten in unserem Land sich Menschen finden, die helfen. Menschlichkeit zeigen, auch wenn nicht klar ist, ob alle Flüchtlinge bei uns bleiben können.
Jesu Geschichte zeigt mir: Ich muss mir immer wieder auch überlegen, ob ich das wirklich alles brauche, was ich habe. Und ob es manchmal nicht besser ist, auf etwas zu verzichten, damit andere mehr zum Leben haben.
Diese Geschichte will einen aber auch davor bewahren, sich selber falsch zu sehen, glaube ich. Ich bin doch als Mensch immer auf andere Menschen angewiesen. Angewiesen darauf, dass andere da sind, bei mir sind, dass ich nicht alleine bin. Angewiesen auf die Ideen und Anregungen, die ich von anderen bekommen, wenn ich mich auf sie einlasse, im Gespräch mit ihnen bin. Angewiesen darauf, dass andere mir helfen, wo ich selber nicht weiter weiß und nicht weiter komme. Die mir einen Weg zeigen, wie es gehen könnte, und mir Mut machen, dass ich mich traue loszugehen.
Ich brauche es auch, dass andere mir Freude machen. Gerade wenn ich so verstrickt bin in meinen Alltag und in meine Sorgen, dass wenig Freude aufkommt. Gerade dann brauche ich doch andere, die mir Freude machen. Vielleicht mit einem Geschenk zum Geburtstag. Vielleicht, indem sie mich zu einem Fest einladen.
Und schließlich: Als Christ glaube ich, dass ich von Gott bekomme, was ich brauche: Das Leben. Und auch die Liebe, die ich erlebe. Wie gut, dass andere mich daran erinnern, wenn sie mit mir feiern wollen. Und wenn sie mir ihre Liebe zeigen, mit Geschenken oder mit freundlichen Worten zum Geburtstag. Da spüre ich doch, was letztlich zählt. Und dass Gott es gut mit mir meint.
Jesus will mich genau daran erinnern: Ich bin eingeladen, das Leben zu feiern. Und erst recht die, die viel zu wenig haben, um ein Fest zu feiern.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Zum Leben gehören Veränderungen. Immer wieder verändert sich etwas, anders kann es gar nicht sein. Denn Leben ist Bewegung. Neues kommt auf mich zu und ich muss mich darauf einstellen, muss damit zurechtkommen. Stillstand macht starr – und wahrscheinlich auch stur. Wenn sich etwas verändert, dann kann ich nicht stehen bleiben. Dann muss sich aufbrechen. Losgehen. Mitgehen. Sonst geht das Leben ohne mich weiter.
Das ist natürlich ein Bild. Aber in diesem Bild steckt für mich eine tiefe Erfahrung. Wenn sich in meinem Leben etwas verändert, dann muss ich`s als Aufbrechen verstehen. Nicht als Abbrechen.
Alles im Leben hat ja zwei Seiten. Und es kommt immer darauf an, von welcher Seite aus ich etwas anschaue. Veränderungen machen mir einerseits schon auch Angst. Ich sorge mich, was wird wohl werden? Werde ich das hinbekommen? Kann ich mich so einfach von Altem und Vertrautem trennen? Und auf der anderen Seite reizt mich das Neue. Das Unbekannte macht mich neugierig. Ich bin gespannt, was kommen wird. Was ich entdecken und erleben darf.
Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen. Ein alter Bekannter geht demnächst in den Ruhestand. Er kann das etwas früher, weil ihm seine Firma Altersteilzeit ermöglicht hat. Jetzt hört er auf, in genau 24 Tagen. Da ist sein erster Tag im Ruhestand. Und dann geht es los. Schon seit seiner Kindheit träumt er davon, die Panamericana zu fahren, die Straße, die von Alaska ganz im Norden durch den ganzen amerikanischen Kontinent bis runter nach Feuerland führt. Das Auto, das man für eine solche Fahrt braucht, hat er längst gekauft und umgebaut und über den Atlantik verschifft. Man muss damit auch durch schwieriges Gelände fahren können und man muss darin natürlich auch übernachten können. Er bricht auf. Er versteht das Ende seines Arbeitslebens, diesen so langen so prägenden Teil des Lebens nicht als Abbruch. Sondern als Chance zum Aufbrechen.
Das fasziniert mich, wenn einer eine so wichtige Veränderung im Leben so anschauen kann. Von dieser Seite aus. Aber wenn noch ganz andere Veränderungen auf einen warten, Veränderungen, die man sich nicht ausgesucht hat, die man nicht so gestalten und genießen kann? Vielleicht hat das dann auch zwei Seiten: Will ich bleiben im Alten, selbst wenn`s nicht mehr geht, oder lasse ich mich ein auf Neues? Gerade auch dann, wenn ich nicht weiß, was kommen wird?
Die Bibel ist voll von solchen Aufbruchsgeschichten. Davon dass Menschen Veränderungen nicht als Abbrechen von Altem verstehen, sondern als Aufbrechen ins Neue. Und dass sie damit gute Erfahrungen machen. Davon möchte ich Ihnen nach der Musik erzählen.

II.
Veränderungen sind eine Chance zum Aufbrechen. Es ist gut, wenn man das so sehen kann. Die Bibel hat eine Vorliebe fürs Aufbrechen. Von Anfang an und durchs ganze Buch hindurch. Und der Glaube, das Vertrauen auf Gott, ist ja eigentlich selber ein Aufbrechen, ein ständiges Unterwegssein. Nehmen Sie die Geschichte des Auszugs der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Eine ganz wichtige Erfahrung für Juden und Christen. Ein ganzes Volk bricht auf in die Freiheit. In ein neues Land. Daran erinnern sich Menschen bis heute. Und feiern diesen Aufbruch als ihre eigene Befreiung, wie wenn sie selbst dabei gewesen wären.
Oder Abraham. Der ist so etwas wie ein Musterexemplar fürs Aufbrechen. Sie kennen vielleicht die Geschichte. Auf einmal hält ihn nichts mehr in der alten Heimat und er bricht auf. Macht sich mit Sack und Pack auf einen langen, beschwerlichen Weg durch die Wüste in ein neues Land. Ob er vielleicht nicht viel lieber am Alten festgehalten hätte? Ob die Sorgen und Bedenken nicht viel größer waren als der Mut, etwas Neues zu wagen?
Die Geschichte in der Bibel erzählt, dass Abraham nicht einfach so aufbricht. Er sucht nicht das Abenteuer. Er hört Gottes Stimme in sich. Und kann dann gar nicht mehr anders. Aufs Aufbrechen legt Gott den Segen, nicht aufs Verharren im Alten. Daheim bleiben, wäre die Verheißung vielleicht verspielt. Und entscheidend dabei: Gott selbst ermutigt zum Aufbrechen und er geht mit. Diese Erfahrung macht Abraham. Gott schickt nicht bloß los, er geht mit. Er ist nicht nur im Alten und Vertrauten, er ist auch dabei, wenn man aufbricht und unterwegs ist. Und er wird auch dort sein, wo man dann im Unbekannten ankommt. Dieses Vertrauen macht Mut, sich vom Alten zu lösen und sich auf Neues einzulassen.
Und vielleicht wird einmal auch der letzte Abschied in diesem Leben ein Aufbrechen sein. Wie Hermann Hesse das beschrieben hat: „Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde / uns neuen Räumen jung entgegen senden.“ Ich glaube, in Gott habe ich eine Zukunft. Und die reicht über das irdische Leben hinaus. So will ich das ansehen. Gott schickt mich nicht bloß los, jetzt mach mal, sondern er geht mit in die Zukunft, solange ich lebe. Und er wird auch da sein, wenn das Leben hier zu Ende geht und das völlig Neue kommt, das niemand noch kennt. Ich glaube und hoffe, dass ich auch dann zu Gott hin aufbreche und bei ihm geborgen bin.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Einen schönen guten Morgen wünsche ich Ihnen an diesem besonderen Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr. Zwischen den Jahren, da geht das Leben für mich im richtigen Tempo. Vielleicht geht Ihnen das auch so. Die Hektik ist raus. Und das tut gut. Dann habe ich auch Zeit, um noch einmal zurückzuschauen auf das Jahr, das jetzt zu Ende geht. Und um vorauszublicken auf das, was womöglich kommen wird. Die Zeit zwischen den Jahren, irgendwie ist das für mich wie Anhalten, mir noch einmal vor Augen stellen, was so war. Und mich zu fragen, was nehme ich mit ins neue Jahr.
Als Christenmensch frage ich mich auch: Wie passt das, was alles so war in diesem Jahr, wie gehört das zu meinem Leben insgesamt? Wofür kann ich dankbar sein? Andere Menschen fallen mir ein, von denen ich so viel geschenkt bekommen habe: Liebe, Anerkennung, Verständnis, Zeit. Und auch Gott bin ich dankbar, weil ich doch gespürt und erfahren habe, wie er für mich sorgt und sich kümmert, gerade auch durch andere Menschen. Wie er mir mein Leben erhalten hat, ja auch mich bewahrt hat in manchen gefährlichen Situationen.
Ich hoffe, wenn Sie auf Ihr Jahr zurückschauen, spüren Sie auch etwas von dieser Erfahrung. Mensch, ich bin nicht allein durch dieses Jahr gekommen. Andere waren bei mir, sind an meiner Seite gegangen, haben zu mir gestanden, haben mich nicht allein gelassen. Freunde, Kollegen, Nachbarn, liebe Menschen haben es gut mit mir gemeint. Und auch Gott hat mich nicht allein gelassen, war doch immer wieder da, vielleicht gerade besonders in Zeiten, in denen ich viel auszuhalten hatte. Als mir das Leben schwer geworden ist und ich gedacht habe, Gott habe mich verlassen – da war er besonders nahe.
Wenn ich so zurückschaue auf mein Jahr sind mir besonders zwei Erfahrungen wichtig, die auch zusammenhängen, glaube ich. Die eine, es kommt jetzt häufiger vor, dass ich zu Beerdigungen gehen muss. Von Menschen Abschied nehmen muss, die mich mein ganzes Leben begleitet haben. Dass das Leben endlich ist, das weiß man ja, aber es fühlt sich doch ganz anders an, wenn es so kommt, dass der Tod einem liebe Menschen nimmt. Man spürt die Trauer und vielleicht die Einsamkeit. Und macht hoffentlich immer wieder trotzdem die Erfahrung, dass es Menschen gibt, die einen trösten, gerade in dieser Situation. Und man erschrickt. Man erschrickt, weil man spürt, es könnte doch jeden Tag anders werden. Das Leben fließt nicht mehr gleichmäßig dahin. Es geht nicht immer alles so weiter, wie es war. Und die andere Erfahrung, die mir eindrücklich geworden ist in diesem Jahr: Ein schwerer Unfall auf der Autobahn. Es war gerade erst passiert, als ich an der Stelle vorbeigekommen bin. Da bin ich ziemlich erschrocken und habe es ganz besonders gespürt: Jeder Tag, den ich erleben darf, ist ein unwiederbringliches Geschenk

Mir tut die Zeit zwischen den Jahren gut. Weil es da ruhiger zugeht und ich Zeit habe, noch einmal zurückzuschauen auf das Jahr, das jetzt zu Ende geht. Mir ist dabei besonders nahe gegangen, wie schnell sich das Leben ändern kann. Und dass jeder Tag, den ich erleben darf, ein unwiederbringliches Geschenk ist.
Das will ich mitnehmen ins neue Jahr. Die guten Erfahrungen. Auf die will ich mehr achten. Weil ich glaube, dass diese kleinen Dinge es sind, die – ich will’s mal so sagen – die das Herz fester machen können. Der Schreiber eines Briefes in der Bibel redet davon. Vom festen Herzen. Das sei etwas köstliches, ein festes Herz. Und es sei ein Geschenk, heißt es da. Dagegen ist mein Herz oft erschrocken und unruhig. Ich suche Trost in den bösen Überraschungen, die das Leben einem oft einfach so hinknallt.
Ich glaube, da helfen die kleinen guten Überraschungen, die einem so passieren. Die tragen dazu bei, dass das das Herz fest wird. Deshalb will ich mehr auf sie achten. Vielleicht schon am Morgen, wenn mein erster Gedanke nach dem Aufwachen ein Danke ist. Für den neuen Tag. Wenn ich dann gut aufstehen kann. Wenn das Lachen eines anderen mich ansteckt. Dass einer an mich denkt und mich anruft und wir, wie schon lange nicht mehr gut miteinander reden können. Ein gutes Wort, das ich irgendwo lese, vielleicht in der Bibel, das mir gut tut. Die Kraft, die ich spüren kann, und die mich heute das tragen lässt, was mir schwer ist. Eigentlich lauter kleine, gute Überraschungen. Und wenn ich am Abend noch einmal über den Tag nachdenke, fallen sie mir wieder ein. Und machen mein oft so erschrockenes, oft so unruhiges und ängstliches Herz ein wenig fester.
Vielleicht sind diese kleinen guten Überraschungen ja alle ein Zeichen dafür, dass Gott mir nahe ist. Dass ich ihm vertrauen kann. Auch mit zitterndem und zagendem Herzen. Und mich an ihn wenden. Ihm sagen, was mir Angst und Sorgen macht, was mich erschreckt in dieser irgendwie immer verrückter und unsicherer werdenden Welt. Als Christenmensch vertraue ich darauf, dass das gilt, was Gott verspricht: Dass nichts von Gott trennen kann, keine böse Überraschung, nichts. Das will ich mitnehmen ins neue Jahr.
Ich finde, für solche Gedanken kommen die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr gerade richtig. So kann ich getrost vom Alten ins Neue gehen. Und Ihnen möchte ich dazu gerne einen Vers von Dietrich Bonhoeffer vorlesen, der mich begleitet vom Alten ins Neue. Vielleicht kennen Sie ihn: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Ich wünsche Ihnen ein festes Herz und ein gesegnetes neues Jahr.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Ich mag das Erntedankfest. Da riecht es in den Kirchen nämlich anders. Und es sieht auch anders aus. Deshalb gehe ich an diesem Tag so gerne in den Gottesdienst. Am Altar ist von allem etwas aufgebaut, was in diesem Jahr auf Feldern und in Gärten gewachsen ist. Besonders viele Äpfel und Birnen sind dieses Jahr wahrscheinlich dabei. Dazu kommen Kartoffeln, Salat, Karotten und Kraut, Blumen, Brot und Wein und vieles mehr. Und in vielen Gemeinden ist es eine schöne Sitte, dass die Kinder im Gottesdienst Körbchen zum Altar bringen. Darin liegen auch Obst und Gemüse und andere kleine Dinge. Wenn die Kinder dann ihre Körbchen nach vorne tragen, lege ich für mich in meiner Vorstellung auch noch unsichtbare Dinge mit an den Altar. Dinge, die ich oft für selbstverständlich halte, ohne viel nachzudenken. Von denen ich aber eigentlich genau weiß, dass sie überhaupt nicht selbstverständlich sind. Zum Beispiel den Dank dafür, dass ich Arbeit habe und ein Dach über dem Kopf, dass es mir und meinen Lieben gut geht, dass wir Frieden haben in Europa schon fast ein Menschenleben lang, auch wenn der grade bedroht erscheint. Dankbarkeit, das steht im Mittelpunkt des Erntedankfestes. Die Kinder sollen’s von den Erwachsenen lernen, wie wichtig sie für einen Menschen ist.
Natürlich, Danke sagen gehört sich einfach. Wenn sich einer bei mir bedankt, weil ich ihm geholfen habe, freue ich mich darüber. Und umgekehrt möchte ich höflich sein und einem meine Freude zeigen, wenn ich mich bei ihm bedanke. Aber ich glaube, dass Dankbarkeit noch mehr ist. Heilsam irgendwie. Mein Nachbar sagt das immer. „Du, wenn ich dankbar bin, in mir drin, in meinem Herzen, dann bin ich auch zufriedener und glücklicher. Weil, ich schaue dann viel mehr auf das, was ich habe, als auf das, was mir fehlt. Und abends, wenn ich im Bett liege“, sagt mein Nachbar, „dann gehe ich noch mal den Tag so in Gedanken durch und sage Danke. Für all die kleinen Dinge, die gut gegangen sind. Wieder gut heimgekommen ohne Unfall. Bei der Arbeit lief’s ganz ordentlich. Auch mit den Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Was halt ebenso war den Tag über. Da fällt mir dann eine ganze Menge ein. Dafür sage ich Danke.“
Ich finde, das stimmt, was mein Nachbar sagt. Sicher kann immer etwas passieren oder schief gehen. Ich mache Fehler. Ich ärgere auch den ein oder anderen, bestimmt ist das so, ohne dass ich es will. Aber meistens geht’s doch gut. Ich habe eigentlich allen Grund, Danke zu sagen. Und es macht mich tatsächlich zufriedener und glücklicher, wenn ich’s mache. Und es hilft mir dann auch, so Durststrecken zu durchstehen. Wenn’s nicht so läuft, ich Mühe habe, etwas zu finden, wofür ich dankbar sein kann. Dann vertraue ich darauf, dass Gott auch jetzt helfen wird, weil er doch schon so oft geholfen hat.

Danke sagen ist heilsam und macht zufrieden und glücklich.
Wenn heute in vielen Kirchen am Altar Obst und Gemüse liegen, von allem etwas, das in diesem Jahr gewachsen ist, dann heißt das für mich auch: Wir Menschen wissen doch, dass wir vieles im Leben geschenkt bekommen, einfach so. Wer in der Natur arbeitet, weiß, das Wachsen machen wir Menschen nicht. „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land“, heißt es in einem alten Erntedanklied. Das wohl. Ich finde das ein gutes Bild dafür, dass wir Menschen vieles tun können. Aber was wir können, kommt doch eigentlich im Grunde immer aus einer Begabung. Nehmen Sie Begabung mal wörtlich! Begabung heißt doch eigentlich: Geschenk! Das Lied sagt es so: „Doch Wachstum und Gedeihen, steht in des Himmels Hand.“ Alles, was wir haben, bekommen wir im Grunde geschenkt. „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn.“
Ich finde, mit dem, was man geschenkt bekommt, sollte man dann auch achtsam umgehen. Ein Beispiel: Wir im reichen Europa werfen so viele Lebensmittel weg, dass davon die Hungernden in der Welt ernährt werden könnten. Das ist doch eigentlich unfassbar. Achtsam sein mit dem, was ich geschenkt bekomme, gerade auch dann, wenn es im Überfluss vorhanden ist. Das macht die Dankbarkeit.

Und ich glaube, Dankbarkeit macht noch etwas. Sie macht großzügig und freigiebig. Großzügig ich gebe etwas zurück oder ich gebe es weiter. Auch hier ein Beispiel: Auch in dem Ort, in dem ich wohne, sind seit einigen Wochen Flüchtlinge untergebracht. Junge Männer aus Afrika, die jüngsten wahrscheinlich keine 18 Jahre alt, die es irgendwie übers Mittelmeer und durch Italien hierher geschafft haben. Und ich erlebe, wie viele Menschen bei uns sagen, da muss man was tun. Man muss ihnen helfen, dass sie schnell die Sprache lernen und sich in unserem Land zurechtfinden. Auch wenn es noch nicht entschieden ist, ob sie bleiben können. Eine Gruppe von Freizeitkickern hat sie eingeladen, bei ihnen mitzuspielen. Man hat Fußballschuhe besorgt und Trikots. Jetzt kommen sie jeden Dienstag und spielen mit. Und man redet miteinander so gut es geht, erfährt von ihrer Lebensgeschichte und hilft ihnen beim Eingewöhnen.
„Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn.“ Ich glaube, das sollte man nicht nur am Erntedankfest singen. Denn Dankbarkeit tut gut. Mir selber und andern, wenn ich achtsam, großzügig und freigiebig nicht für mich behalte, was mir geschenkt ist. Die Welt könnte, gerade in diesen Zeiten, ein bisschen anders aussehen.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Erntedankfest und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Gefährlicher als ein Sturm ist es, wenn kein Wind geht. Das habe ich vor kurzem von einem Kollegen gelernt. Der ist Segler. „Ist das nicht manchmal ganz schön gefährlich bei Sturm auf hoher See?,“ habe ich ihn gefragt „Ja, sicher“, hat er dann gemeint, „Sturm kann schon gefährlich sein, gefährlicher aber ist, wenn der Wind plötzlich ausbleibt, wenn Flaute ist. Wenn Du dann weit draußen auf dem Meer bist und weißt, der Sprit für Deinen kleinen Motor wird niemals reichen, um wieder an die Küste zu kommen. Und wenn die Flaute dann über Tage geht und Du der prallen Sonne ausgesetzt bist, das wird dann richtig gefährlich.“
Nach dem Gespräch denke ich mir jetzt: vielleicht ist das ja auch sonst so im Leben. Dass es weniger die stürmischen Zeiten sind, die einem zu schaffen machen, sondern viel mehr die Zeiten, in denen nichts oder nichts mehr geht.
Es gibt doch Zeiten, wo ganz viel nebeneinander läuft. Mindestens drei Projekte im Beruf gleichzeitig und familiär ist auch noch einiges los und mit alten Freunden ist ein Wochenende geplant. Viele Dinge laufen gleichzeitig, stürmische Zeiten, aber irgendwie ist es auch spannend und herausfordernd und – ja – schön. Weil es so viel gibt, was einem Anstöße gibt, was einen inspiriert. Ideen von Arbeitskollegen, Anregendes, was die Kinder mit nach Hause bringen, gute Worte, die die alten Freunde einem sagen.
So ist es doch im Leben und das macht das Leben bei aller Anstrengung doch auch reizvoll und schön.. Aber wenn nichts geht oder nichts mehr geht: Das macht einem zu schaffen. Wenn es nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle, ich kann mich anstrengen oder zwingen wie ich will. Wenn ich das Gefühl habe, ich komme nicht weiter, wie ich’s auch versuche. Wenn mir etwas den Wind aus den Segeln nimmt, mich kraftlos macht und mutlos auch. Wenn ich nicht mehr schaffe, was früher noch so leicht ging. „Das gibt’s doch gar nicht, dass ich das nicht mehr hinkriege, das muss doch gehen.“ Oder wenn etwas Endgültiges, ein Abschied, der Tod eines Menschen, dazwischen kommt, was den Lauf des Lebens zum Stillstand bringt.
In diesen Zeiten der Flaute spüre ich, wie sehr ich auf eine Bewegung von außen angewiesen bin: auf eine zündende Idee, auf ein aufmunterndes Wort, eine hilfreiche Hand, auf frischen Wind, der mich wieder auf die Beine bringt. Und der mir begreifen hilft, dass es womöglich jetzt anders weiter gehen muss. Weil womöglich kann es auch gar nicht so weitergehen, wie es bisher gegangen ist. Und ich muss einen neuen Weg finden, den ich gehen kann.
Dass ich das überhaupt erst mal aushalten kann. Und dann auch annehmen, dazu brauche ich Anstöße von außen. Wie der Segler den Wind braucht.

Von den Flauten im Leben, die schwer auszuhalten sind, habe ich Ihnen gerade im SWR4 Feiertagsgedanken erzählt. So etwas haben auch die Frauen und Männer erlebt, die mit Jesus gelebt hatten. Sie haben nicht so recht gewusst, wie es weiter gehen soll nach dem Tod Jesu. Weil sie gedacht haben, jetzt geht nichts mehr. Eine richtige Flaute war das nach den stürmischen Zeiten, die sie mit Jesus erlebt hatten.
Sie waren beieinander, erzählt die Bibel, und haben gewartet und gehofft, dass der Geist Gottes, den Jesus ihnen versprochen hat, dass der kommt. Und sie herausbringt aus der Flaute. Und sie erleben: Auf Versprochenes muss man manchmal warten. Und muss es aushalten, dass es womöglich eine ganze Weile ausbleibt.
Wenn man hektisch und rastlos alles Mögliche ausprobiert, dann kann man Gottes Geist nicht gut spüren. Aber wer sehnsüchtig wartet, dass er kommt: der achtet auf die leisen Töne.
Bei den Jüngern damals geschah es plötzlich, ohne dass sie selbst etwas dazu tun konnten. Sie haben die Kraft und den Mut bekommen, sich an die Öffentlichkeit zu wagen und davon zu erzählen, dass Jesus lebt. Die Pfingstgeschichte erzählt davon, dass der Geist Gottes kommt. Den spüren die Nachfolger Jesu. Der belebt sie und treibt sie an.
Geist, das Wort, das dafür in der Bibel steht, kann man auch übersetzen mit Wind, ja Sturm. Das ist ein Bild dafür, dass der Geist Gottes etwas bewegen will. Deswegen glauben wir Christen, dass sie auf diese Kraft von außen angewiesen sind. Auf den Geist Gottes. Gerade in Zeiten, in denen nichts oder nichts mehr geht.
Wie das aussehen kann? Der Geist, den Jesus verspricht, der tröstet. Richtig getröstet werde ich aber doch nur, wenn ich nicht bloß beschwichtigt werde: „Komm, das wird schon wieder.“ Getröstet werde ich, wenn ich wieder neue Kraft, neuen Lebensmut in mir spüre. Das weiß man aus der Kindheit, wenn einen Vater oder Mutter in die Arme genommen und getröstet haben, dann konnte es danach wieder weiter gehen. Wenn mir einer sagt, ich glaube Gott ist bei Dir, gerade jetzt in den schlimmen Zeiten, das kann mich trösten und aufbauen und kann mir Kraft geben, weiter zu gehen.
Freilich, manchmal muss man auch selber etwas verändern. Versuchen, die eingefahrenen Gleise zu verlassen. Etwas Neues probieren. Und darauf vertauen, dass Gottes Geist bei einem ist. Zum Beispiel darauf schauen, was noch geht, und nicht darauf, was man früher einmal geschafft hat. Das ist vorbei, und wenn ich dem immer nachhänge, verpasse ich die Möglichkeiten, die ich jetzt habe.
Ich hoffe darauf, dass Gottes Geist mir so neue Kraft und neuen Mut gibt, wenn ich nicht sehe, wie es weiter gehen soll.
Ich wünsche Ihnen einen guten Pfingstmontag und eine gute Woche

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SWR4 Sonntagsgedanken

Eigentlich ist das ja von Anfang an so. Kinder gehen ihre eigenen Wege. Sie lernen laufen und kommen jetzt plötzlich selber dahin, wo sie wollen. Später im Kindergarten und in der Schule sehen wir als Eltern schon nicht mehr, was sie alles so machen den lieben langen Tag. Und irgendwann packen sie ihre Sachen und ziehen zum Studium oder zu einer Ausbildung in eine andere Stadt und gehen jetzt ganz ihre eigenen Wege.
Natürlich macht man sich als Mutter und Vater Sorgen um die lieben Kleinen, die jetzt auf einmal so groß geworden sind. Ob sie wohl zurecht kommen werden? Ob sie auf eigenen Füßen stehen und gehen können? Ob sie genug Haltung und Rückgrat haben, damit sie sich nicht verbiegen lassen? Und natürlich will man als Mutter und Vater, dass es ihnen gut geht, dass sie wissen, sie können auch weiter auf Vater und Mutter zählen, wenn sie einen brauchen. Aber irgendwann gehen sie ihre eigenen Wege.
Als es bei uns soweit war, haben wir als Eltern uns schon auch gefragt, was hilft uns, wenn wir Abschied nehmen müssen? Denn es ist ja ein Abschied von einer Lebensphase, einer relativ langen Zeit des Lebens, in der die Kinder mehr oder weniger im Mittelpunkt gestanden haben. Gut, man bekommt wieder mehr Freiheiten, na klar. Einen Babysitter haben wir schon lange nicht mehr gebraucht. Wieder mehr Zeit füreinander haben als Partner, das ist schön. Aber zu diesem Abschied gehören auch die Fragen, ob sie es schaffen werden? Finden sie einen Ort, an dem sie gerne sind? Menschen, mit denen sie leben können? Und was kann uns Eltern hoffnungsvoll und zuversichtlich machen, dass wir sie auch wirklich ihre Wege gehen lassen? Ohne ihnen reinzureden, weil wir es doch besser wissen und mehr Erfahrungen haben?
In der Bibel gibt es eine Geschichte, die mir da sehr geholfen hat. Es ist übrigens die einzige Geschichte in der Bibel, die aus der Jugendzeit von Jesus erzählt wird. Damals war es üblich, dass man einmal im Jahr zu einem Fest nach Jerusalem ging. Man ging damals nicht so als Kleinfamilie, nein, da war wohl die ganze Verwandtschaft, ja der ganze Ort unterwegs, eine ziemlich umfangreiche Reisegesellschaft. Und diese Reisegesellschaft macht sich nach dem Fest auch wieder zusammen auf den Heimweg. Jeder hat nach jedem geschaut. Da musste man sich eigentlich keine Sorgen machen. Damals hat es, scheint mir, noch keine Hubschraubereltern gegeben, die den ganzen Tag besorgt um die lieben Kleinen herumgeschwirrt sind, damit ihnen ja nichts passiert. So kommt es, dass Maria und Josef erst einen Tag nach der Abreise bemerken, dass ihr Sohn gar nicht dabei ist auf dem Heimweg. Meine Güte, das muss ein Schreck gewesen sein.

Auf dem Heimweg von Jerusalem nach Hause merken Maria und Josef, dass ihr Sohn gar nicht dabei ist. Da bleibt ihnen nichts anderes, als zurückzugehen und ihn zu suchen. Drei lange Tage brauchen sie, bis sie ihn finden. Im Tempel sitzt der Bursche. Mitten unter den Schriftgelehrten, also den wichtigsten Theologen der damaligen Zeit. Er hört ihnen zu und fragt sie und diskutiert. Wie wenn er einer von ihnen wäre. Und die Leute, die das sehen, staunen und erschrecken über die Klugheit des zwölfjährigen Jesus.
Und Maria und Josef? Die werden zuerst einmal erleichtert und froh gewesen sein, dass sie ihn wiedergefunden haben. Sicher gibt es ein Runde Vorwürfe, wie konntest Du uns das antun? Aber so reagieren Eltern ja gerade auch dann, wenn sie besonders erleichtert sind. Vielleicht sind sie auch ein wenig stolz auf ihn gewesen, als sie sich dann zusammen auf den Heimweg gemacht haben. Weil sie gesehen haben, er kommt alleine zurecht. Weil sie mitgekriegt haben, er hat eine Haltung und kann die vertreten. Weil sie gemerkt haben, er ist interessiert und will etwas wissen und verstehen, er hört zu und er stellt Fragen.
Vielleicht muss man als Eltern seine Kinder auch mal so sehen können, wie mit anderen Augen. Dass sie es gut hinbekommen mit der Selbständigkeit. Gerade auch dann, wenn sie es anders machen, als man es erwartet oder sich gewünscht hat. Maria jedenfalls hat das nachdenklich gemacht, was sie da mit ihrem Sohn erlebt hat. Sie hat es behalten, erzählt die Geschichte. Später ist es ihr anscheinend immer wieder eingefallen, wenn sie ihren Sohn nicht recht verstehen konnte. So konnte sie ein Leben lang zu ihm halten.
Mir hat diese Geschichte geholfen, als unsere Kinder irgendwann ihre eigenen Wege gegangen sind. Darauf zu vertrauen nämlich, dass sie es hinbekommen. Darauf zu vertrauen, dass wir als Eltern ihnen so viel mitgegeben haben, dass sie auf eigenen Füßen stehen und gehen können. Und darauf zu vertrauen, dass Gott mit ihnen geht. Und ihnen auch beisteht in schweren Zeiten, die ja auch zum Leben dazu gehören.
Vielleicht sagen Sie jetzt, das klingt ja alles schön und gut. Aber was ist, wenn die Kinder Wege gehen, die ich nicht gut heißen kann und die mir nicht gefallen? Sie haben recht, einfache Rezept gibt es da wohl nicht. Aber ich glaube, dran bleiben hilft. Gesprächsbereit bleiben. Den Abstand aushalten und vielleicht auch: für sie beten, ganz altmodisch Gott bitten, dass er ein Auge auf sie hat. Sie segnet.
Irgendwann, früher oder später gehen sie ihre eigenen Wege, die lieben groß gewordenen Kleinen. Ich finde, es ist gut, dass es so ist. Es ist schön zu sehen, was aus ihnen wird. Und schön zu hören, was sie beschäftigt, was sie umtreibt. Mich freut es unglaublich, wenn meine Kinder mir davon erzählen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Am Sonntagmorgen, wenn das Radio läuft: Da geht es einem gut. Oder jedenfalls schon wieder besser. Aber manchmal mitten in der Nacht denkt man, die Dunkelheit hört gar nicht mehr auf. Nachts sind die Ängste und Sorgen, die einen schon am Tag umtreiben, oft noch größer und schwerer. Wohl dem, der einen gesegneten Schlaf hat, der Ruhe findet und Erholung in der Nacht.

In der Bibel gibt es eine Nachtgeschichte, die eine solche wunderbare Wendung beschreibt. Jesus schickt seine Jünger in die Nacht. Mit dem Boot sollen sie hinüberfahren über den See Genezareth. Und als sie weit draußen auf dem See sind und es schon mitten in der Nacht ist, kommt ein Sturm auf und sie geraten in Seenot. Und - man kann es sich vorstellen - sie bekommen Angst. Warum ist Jesus jetzt nicht da? Wo ist er? Wo ist Gott? Es sind doch die gleichen Fragen, die Menschen auch heute bedrängen, wenn sie sich an Leib und Seele bedroht erfahren. Wenn einem die Diagnose des Arztes keinen Ausweg mehr lässt. Wenn ein geliebter Mensch nicht mehr da ist. Wenn eine Auseinandersetzung zu einem zerstörerischen Streit geworden ist. Und da kommt es einem vor, als ob Gott selbst einen in diese Situation hineingebracht hat, so wie Jesus die Jünger auf den See hinaus.

Da, wo die Nacht am tiefsten ist, bevor der Morgen wieder dämmert, da sehen die Jünger auf einmal, dass ihnen jemand entgegenkommt. Dunkel, schemenhaft zunächst, sehen sie immer deutlicher eine Gestalt auf sich zukommen. Die geht übers Wasser. Das scheint sie zu tragen wie normale Menschen der feste Boden unter den Füßen. Kein Wunder, dass die Jünger zutiefst erschrecken. Das muss ein Gespenst sein.

So richtig vorstellen kann ich mir das, ehrlich gesagt, auch nicht. Doch die Erfahrung, die darin steckt, die kenne ich schon. Denn mitten in ihrer Angst hören die Jünger die Stimme Jesu: „Habt keine Angst, fürchtet euch nicht." Manchmal fällt einem doch mitten in der Dunkelheit, mitten in der Angst ein Satz ein, der einem hilft und einen tröstet. Vielleicht in der Schule gelernt, vielleicht von der Mutter gehört: „Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen." Und wenn mir so ein Satz dann einfällt, dann wird's auch auf einmal besser mit der Angst. Ein bisschen wenigstens. So, stelle ich mir vor, kann es auch bei den Jüngern im Boot damals gewesen sein. Dass sie auf einmal wieder hoffen konnten, Gott wird uns nicht im Stich lassen.

Doch warum kommt er erst jetzt? Warum lässt er uns so lange warten in unserer Angst? Darauf gibt die Geschichte keine Antwort. Sie sagt nur, dass er kommt. Er kommt. Und er gibt sich zu erkennen. Und vielleicht ist das das entscheidende Wunder: dass ich spüre, dass er mich nicht allein lässt in meiner Angst und Not. Dass er kommt in meine Dunkelheit. Dass er da ist in der tiefsten Nacht.

 

Doch mindestens einer von den Jüngern kann das nicht glauben, dass Jesus zu ihnen über das Wasser kommt. Er will es genau wissen. Darum sagt Petrus: „Wenn Du es tatsächlich bist, dann sag mir, dass ich Dir auf dem Wasser entgegenkommen soll. Wenn Du das kannst, auf dem Wasser zu laufen wie auf festem Boden, dann kann ich es auch." Und Jesus ruft: „Komm her!" Da wagt Petrus, was doch eigentlich unmöglich ist. Er klettert über den Rand des Bootes wie wenn er über alles darüber steigen wollte, was ihm Angst macht. Und versucht einen vorsichtigen Schritt. Und dann noch einen. Und noch einen. Aber dann kommen wieder die Zweifel. Das kann doch gar nicht gehen. Und er sieht auf einmal nicht mehr Jesus, zu dem er gehen will. Er sieht nur noch die Wellen, spürt den Sturm - und sinkt ein. „Hilf mir, Herr", ruft er noch. Da hat Jesus ihn schon bei der Hand genommen und sagt zu ihm: „Du hast zu wenig Vertrauen, warum hast du gezweifelt?"

Fehlt dem Petrus wirklich das Vertrauen auf Jesus? Oder ist er gar irgendwie hochmütig oder übermütig, ein großsprecherischer Haudegen, der mit dem Mut der Verzweiflung beweisen will, dass er es schafft? Vielleicht will er es sich selbst beweisen und den anderen erst recht, dass er mit der bedrohlichen Situation fertig wird.

Ich glaube, dass beides dem Petrus nicht gerecht wird. Weil man gerne übersieht, wie viel Mut und Vertrauen schon zu den ersten drei Schritten gehört. Petrus verlässt sich darauf, dass er nicht untergehen wird. Und er wagt es daraufhin, über Bord zu steigen mitten hinein in Wind und Wellen und Angst und Bedrohung. Dann merkt er, dass er sich selber nicht halten kann und beginnt zu versinken in seiner Angst.

Und Jesus? Jesus wirft ihm nicht vor, er sei ein Versager. Nein, zuallererst reicht er ihm die Hand. Er sagt nicht zu ihm: „Wer an mir zweifelt, wird untergehen. Nur wer mir bedingungslos vertraut, hat eine Chance. Glauben muss man ganz - oder gar nicht." Nein, das alles sagt Jesus nicht. Er reicht dem zweifelnden Petrus die Hand.

Für mich ist das ein wunderbares Bild. Selbst im Zweifel geht Petrus nicht unter. Nicht aus eigener Kraft, sondern weil er gehalten wird. Solange er auf seine eigene Kraft schaut, verliert er den Boden unter den Füßen. Aber Jesus hält ihn, Gott hält ihn. Ich glaube: Ich muss nicht in allem von selber Kraft haben, meine Ängste zu besiegen. Gott hält mich auch mit meinem kleinen Vertrauen, das mir womöglich ausgeht, wenn es darauf ankommt. Das Vertrauen auf Gott ist ein Weg, den ich gehen kann. Und wenn ich es nicht weiter schaffe, dann kommt er mir entgegen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Es zählt zu den bitteren Erfahrungen des Lebens, wenn einer merkt, er gehört nicht mehr dazu. Hat sich vielleicht sogar selbst ins Abseits gestellt, so wie er sich verhalten hat. Was er anderen angetan hat. Nicht mehr dazu gehören. Da kommt man nur schwer wieder raus. Man braucht jemanden, der einen da rausholt. Wie in einer Geschichte aus der Bibel.
Ich meine die Geschichte von Zachäus, Zachäus dem Oberzöllner. Der sitzt oben in einem Baum und hofft, dass ihn keiner sieht. So ein Oberzöllner hat damals nicht mehr dazu gehört, der hat sich selbst ins Abseits geschossen. Zöllner damals haben die andern übers Ohr gehauen. Die haben mit den Besatzern gemeinsame Sache gemacht, der übliche Beschiss halt. Leben von den Scheinen und Münzen anderer. Beuten die eigenen Leute aus, um für sich die Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und Zachäus war der Chef vom ganzen Betrieb. An dem sind sie vorbei gegangen mit wütendem Blick und mit der geballten Faust in der Hosentasche. Das ist sein Preis für ein kleines bisschen Wohlstand, bei den Leuten ist Zachäus unten durch. Er gehört nicht mehr dazu. Freunde hat er vielleicht noch unter seinesgleichen. Aber mehr nicht.
Was sollte er machen? Hätte er sich die Chance entgehen lassen sollen, die Zusammenarbeit mit den Besatzern versprach gesichertes Einkommen in unsicheren Zeiten. Geld stinkt nicht, sagt man. Ein Einzelner ändert kaum das System. Dass man sich durchsetzen muss und Ellenbogen braucht, meine Güte, wo gibt es das nicht in der heutigen Zeit? So wird Zachäus gedacht haben.
Und jetzt sitzt Zachäus oben in einem Baum und hofft, dass ihn keiner sieht. Aber er will was sehen. Jesus will er sehen, so erzählt die Geschichte. Jesus kommt durch seinen Heimatort, das will er sehen. Ob es Neugier war? Vielleicht auch. Aber mehr wohl noch das Gefühl, da kommt einer, der könnte mir vielleicht helfen, der könnte mich verstehen. Auch meinen tiefen Wunsch danach, mit mir und den anderen im Reinen zu sein. Und auch mit Gott. Nichts mehr verbergen müssen. Und wieder dazu gehören können.
Weil er zu klein ist, von hinten nichts sehen kann vor lauter Menschen und sich natürlich auch nicht nach vorne zu drängeln traut, deshalb steigt Zachäus auf einen Baum und sitzt dort oben und hofft, dass ihn keiner sieht. Er will Jesus sehen. Und wird von Jesus entdeckt. Und was sagt der zu ihm? „Steig runter vom Baum, ich muss heute dein Gast sein."

Zachäus der Oberzöllner wird von Jesus gesehen und Jesus lädt sich bei ihm ein: „Zachäus, komm runter vom Baum, ich muss heute dein Gast sein.." Und Zachäus merkt, jetzt passiert was. Und jetzt pressiert es. Nichts wie runter vom Baum. Und: „Natürlich, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich freu mich unheimlich."
Irgendwie kommt mir das vor, als ob da einer gefunden worden wäre. Einer, der gesucht hat, vielleicht gar nicht hätte sagen können, was ihm fehlt. Der aber spürt, eigentlich fehlt mir, dass mich einer versteht, mich zuerst einmal so nimmt, wie ich bin. Der wird gefunden. Von Jesus. Ist es mit dem Gottvertrauen so, dass ich es gar nicht selber finden kann, sondern dass ich gefunden werde? Heißt das, wer spürt, dass ihm was fehlt, den findet Gott? Damit aus diesem Mangel Fülle wird, weil er darauf vertrauen kann: „Mir wird nichts mangeln"? Ganz gleich wie mangelhaft und brüchig mein Leben ist?
Jetzt hat er es eilig, der Zachäus. Und freut sich unheimlich, dass mit Jesus Gott zu ihm kommt. Da räumt er auf, wie wenn das jetzt das Selbstverständlichste von der Welt wäre. Er will nicht mehr abhängig sein, will nicht mehr lügen und betrügen. Die Hälfte seines Besitzes will er den Armen geben, und die, die er übers Ohr gehauen hat, die erhalten das zurück, vierfach.
Kein Wort verliert die Geschichte darüber, ob Zachäus seine Schuld bekannt hat. Keine Beichte wird berichtet. Zachäus ist nicht zerknirscht, als Jesus zu ihm kommt, er freut sich. Ich finde: Entscheidend ist, wie Jesus ihm begegnet. Dass er den Zachäus nicht meidet. Dass er ihn erfahren lässt, du gehörst dazu, ganz gleich, was aus dir geworden ist. Dass er ihm eine neue Chance gibt. Und Zachäus selber weiß ganz genau, wie er wieder gutmachen kann, was er falsch gemacht hat.
Ich glaube, wie dem Zachäus geht es vielen auch heute: Was auch immer war und geschah: eine Beziehung, die in die Brüche ging, ein Unrecht im Berufsleben, ein verkorkstes Verhältnis zwischen Vater und Sohn oder irgendein anderes Scheitern, das einen ausschließt von den anderen. Ein Mensch, der nicht zu einer neuen Chance findet, der wird sich in sich verkriechen und womöglich sich, andere und die Welt schlechter machen, als sie sind.
Da brauche ich dann einen, der es gut mit mir meint, obwohl ich vieles falsch gemacht habe. Wenn mir einer eine neue Chance gibt, im Namen Gottes gewissermaßen, so wie Jesus damals dem Zachäus, dann entdecke ich: Ich kann ja doch etwas gut machen. Ich kann lieben, mich öffnen, Gutes tun, vergeben, um Vergebung bitten, mich versöhnen. Und dann auch: wieder dazu gehören
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und eine gute Woche.

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