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SWR2 Wort zum Tag

07NOV2019
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Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie die Züge durchpflügten, die DDR-Grenzpolizisten mit ihren Stempel-Tornistern. Anfang der 1980er Jahre war das. Damals habe ich in Berlin studiert. Und jedes Mal, wenn ich von zuhause in Stuttgart mit der Bahn nach Berlin fuhr oder zurück, musste ich zweimal die innerdeutsche Grenze passieren, bei Probstzella in Nordbayern, und dann wieder kurz vor Berlin in Griebnitzsee.

Eine halbe Weltreise. Viele Stunden unterwegs. Lange Wartezeiten an den Grenzbahnhöfen – auch deshalb, weil sie mit Spiegeln unter die Waggons schauten und mit Hunden am Bahnsteig entlang patrouillierten. Die Grenzpolizisten kamen dann irgendwann in die Abteile, auch mitten in der Nacht, und kontrollierten die Papiere.

Zwei Grenzüberquerungen auf einer Fahrt von Stuttgart nach Berlin! Heute kaum noch vorstellbar, zumal in einem Europa ohne Grenzen. Zweimal über eine innerdeutsche Grenze! Für mich als westdeutscher Student in Berlin lief das problemlos. Für andere waren diese Grenzen absolut unpassierbar – wie Gefängnismauern. Die gesamte DDR – ein einziges Staatsgefängnis!

Als junger Student fand ich das kurios, aber auch normal. Ich kannte nichts anderes als ein geteiltes Deutschland. Später bin ich aufgewacht, konnte mehr und mehr nachempfinden, was es bedeutet, wenn man sich frei bewegen kann und wenn das eben nicht der Fall ist.

Reisefreiheit, Freizügigkeit in der Suche von Lebensorten und Arbeitsmöglichkeiten, ungehinderte Besuchs- und Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Menschen – das sind hohe Güter und politische Errungenschaften in einem geeinten Deutschland und vereinten Europa. Wer das leichtfertig aufs Spiel setzt, kennt die Geschichte nicht und hat vom Wesen des Menschen wenig verstanden.

Auch das christliche Menschenbild kennt diese Art von Freiheit. Die Gemeinden Jesu Christi sind von Anfang an internationale und multikulturelle Begegnungsorte. Da ist niemand mehr darauf festgelegt, woher er stammt. Der Apostel Paulus, selbst Weltreisender in Sachen Evangelium, hat es vor 2000 Jahren so formuliert: „In Christus gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und Freien“, sondern nur noch diejenigen, die die universale Sprache des Evangeliums Jesu hören.

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SWR2 Wort zum Tag

28SEP2019
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Es sieht aus wie in einem archäologischen Museum: Auf einem Podest finden sich Vasen und Schüsseln, Scherben von Tassen und Tellern, Geschirr, teilweise wieder zusammengefügt und gekittet, ein zerbrochenes Waschbecken, ein eingeschweißtes Hemd. Alles sorgsam angeordnet und mit kleinen Beschriftungen versehen.

 

Die Gegenstände sind Teil einer Installation der niederländisch-japanischen Künstlerin Nishiko, die sie für die Kunsttriennale für Kleinplastik in Fellbach bei Stuttgart eingerichtet hat. Seit 2011 beschäftigt sich die Künstlerin mit der Dokumentation der Katastrophe von Fukushima. Viermal ist sie seither in die Region gereist. Sie hat Menschen, die vor dem Tsunami und der Atomkraftwerkshavarie dort gelebt haben, interviewt. Sie hat fotografiert und Überreste des zerstörten Besiedlungsgebiets gesammelt.

 

„Repairing Earthquake“ nennt sie ihr Projekt – und das ist auch die Besonderheit ihrer Arbeit, ihre künstlerische Aussage. Die Scherben und Fragmente sind nach Möglichkeit wieder zusammengekittet, die Fundstücke gesäubert und instandgesetzt – repariert. Das eingeschweißte Hemd hat die Künstlerin mehrfach gewaschen und gebügelt.

 

Dabei wendet Nishiko eine typisch fernöstliche Technik der Wiederherstellung an, bei der zum Beispiel Bruchstellen nicht unsichtbar gemacht werden, sondern sichtbar bleiben. Ersatzteile werden als sichtbare Elemente hinzugefügt – und das gewaschene Hemd behält seinen Grauschleier. Man sieht den Fundstücken die Spuren der Katastrophe an, die über sie hinweg gegangen ist.

 

So berührt „Repairing Earthquake“ mich als Betrachter auf zweierlei Weise. Die wiederhergestellten, aber eben nur notdürftig reparierten Gegenstände bleiben Mahnmale einer Katastrophe, die nicht vergessen oder verdrängt werden darf. Nishiko legt mit ihrer Arbeit den Finger in die Wunde, macht Narben sichtbar und spürbar.

 

Zum anderen haben ihre Bemühungen etwas ebenso rührend-liebevolles wie hilfloses. Denn es gibt Katastrophen – menschengemachte Katastrophen – deren Folgen nicht mehr getilgt werden können, und wo die Maßnahmen zur Wiederherstellung hinter den zerstörerischen Auswüchsen weit zurückbleiben. „Lasst die Finger von Risiken, deren Folgen ihr nicht mehr beherrschen könnt“, höre ich Nishiko mit ihrer Arbeit sagen. Eine prophetische Botschaft in einer Zeit technischen Leichtsinns!

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SWR2 Wort zum Tag

27SEP2019
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In früheren Zeiten glaubten die Menschen, Naturkatastrophen seien eine Strafe Gottes für ihr sündiges Verhalten. Zum Beispiel die biblische Geschichte von Noah, der Sintflut und der Arche: Da wird ein Unwetter, das ganze Erdteile überschwemmt, als Strafgericht Gottes über die gottlosen Zeitgenossen Noahs gedeutet.

 

Das lässt Fragen aufkommen: Kann Gott wirklich wollen, dass seine gesamte Schöpfung zerstört wird – um eines Strafgerichts willen? Waren wirklich alle Menschen – Noahs Familie einmal ausgenommen – so gottlos, dass dieses Totalurteil gerechtfertigt erscheint? Und warum müssen unschuldige Tiere sterben?

 

Solche Fragen machen es mir schwer, die Sintfluterzählung einfach als Geschichte über ein göttliches Strafgericht zu verstehen. Und etwas Zweites kommt hinzu: Ist es nicht vielmehr der Mensch, der sich selbst richtet, wenn er an den Folgen seines Handelns zugrunde geht?

 

Heute erleben wir hierzulande zunehmend Starkregen und Hitzeperioden im Extrem. Auch Trockenheit und Dürre sind Naturkatastrophen. Und aus der biblischen Sintflutgeschichte könnte schnell eine moderne „Sintglutgeschichte“ werden. Doch zugleich wissen wir: Manche, wenn nicht viele der heute zu erlebenden Wetterextreme sind menschengemacht.

 

Und genau da bekommt die alte Sintfluterzählung für mich einen neuen, ganz aktuellen Sinn – wenn ich sie von ihrem Ende her lese: Nach der alles vernichtenden Flut lässt Noah eine Taube aus der Arche fliegen. Sie soll nach begehbarem Land Ausschau halten, nach einem neuen Ort des Lebens. Und sie kehrt mit einem Ölblatt im Schnabel zurück.

 

Die biblische Sintfluterzählung malt ihren Lesern und Hörern nicht das Ende der Welt in apokalyptischen Farben aus. Sie spricht von einer neuen Perspektive auf das Leben. Am Ende der Erzählung eröffnet sich den Überlebenden in der Arche ein veränderter Blick auf die Welt. Mit der Katastrophe im Rücken empfangen sie das Leben neu – als Geschenk, als Gabe Gottes.

 

Die Welt nach der Flut wird als eine zweite Schöpfung beschrieben – nicht, weil Gott die Welt ein zweites Mal schaffen müsste. Sondern deshalb, weil der Mensch ein zweites Mal hinschauen muss, um zu erkennen, was Gott in seine Schöpfung hineingelegt hat, damit Mensch und Tier darin leben können.

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SWR2 Wort zum Tag

26SEP2019
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„Was haben wir mit dieser Welt angestellt?“, fragt Michael Jackson in seinem „Earth Song“. 1995 ist das Lied entstanden und veröffentlicht worden – also schon etwas älter, und trotzdem immer noch brandaktuell.

Ein Lied von der Erde. Der dazugehörige Videoclip ist – möglicherweise – bekannt. Er zeigt Bilder des Schreckens und des Elends. Aufnahmen, wie wir sie Abend für Abend aus den Nachrichten kennen.

Es geht um ökologische Probleme, um Krieg und Vertreibung, um Flucht und Hungerkatastrophen. Gebündelt ist dies alles in der zerstörerischen Macht des Menschen, dem es offenbar nicht gelingt, im Frieden mit sich und der Erde zu leben. Deshalb die Leitfrage: „Was haben wir dieser Erde angetan?“

Dann aber geschieht etwas Überraschendes in diesem Videoclip. Etwas, das nicht selbstverständlich ist, weil man es auf diese Weise nur in einem Film zu sehen bekommt: Am Ende laufen die Bilder rückwärts. Sie zeigen, wie die zuvor abgeholzten Bäume des Regenwalds einfach wieder aufstehen und sich hinstellen. Wie einem getöteten Elefanten die abgesägten Stoßzähne wieder nachwachsen.

Auf den ersten Blick wirkt das völlig naiv und weltfremd. Es geschieht ja vieles in dieser Welt, was der Videoclip zeigt, aber genau das eben nicht! Und doch steckt mehr in diesem zwar simplen, aber aussagestarken Trick. Für mich drückt sich darin eine tiefe Sehnsucht aus. Eine Sehnsucht nach Veränderung. Es müsste ja wirklich ‘mal jemand kommen, den schlimmen Film anhalten, in dem wir leben, und die Bilder einfach rückwärts laufen lassen.

Michael Jacksons „Earth Song“ ist für mich ein moderner Psalm. Eine bittere Klage und eine zornige Anklage. Aber eben auch ein Lied der Hoffnung. Es erinnert daran, dass wir nicht in einer kaputten Welt leben wollen – wahrlich nicht! Wer will das?

Die Bilder packen den Betrachter bei der Frage, welche Zukunft er für lebenswert hält. Für sich, für die nächste Generation. Und wenn der Wunsch nach einer Welt, in der Wunden heilen, nicht selbst naiv und weltfremd sein soll, dann muss es anders werden, wie wir Menschen miteinander und mit diesem Planeten umgehen. Der Teufelskreis sinnloser Naturzerstörung muss durchbrochen werden. Andernfalls gibt es keine Zukunft für den noch blauen Planeten Erde.

 

 

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SWR2 Wort zum Tag

Das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler vor 75 Jahren ist gegenwärtig in aller Munde. Es gab wenig Widerstand gegen den Nationalsozialismus damals, aber es gab ihn – auch in der Kirche. Zum Beispiel in einem Mann wie Pfarrer Paul Schneider. Er hat gegen die unselige Vermischung von christlichem Glauben und nationalsozialistischer Ideologie den Mund aufgemacht. Für seine Kritik und dafür, dass er für die Opfer der Nazis Partei ergriff, kam er selbst ins Konzentrationslager.

Seinen Mut bewundere ich. Jedes Mal, wenn einer der Häftlinge aus der Zelle zur Hinrichtung abtransportiert wurde, rief Paul Schneider laut: „Im Namen Jesu Christi bezeuge ich den Mord an meinem Mithäftling.“

Unermüdlich hat er seine Mithäftlinge ermutigt, dem täglichen Terror standzuhalten. Er hat ihnen Bibelworte zugesprochen. Er hat aus seiner Zelle heraus Andachten gehalten und gemeinsam mit den anderen Häftlingen gebetet und sie gesegnet. Man nannte ihn deshalb den „Prediger von Buchenwald“.

Paul Schneiders kurzes Leben ist von einer eindrücklichen Konsequenz und Aufrichtigkeit. Für seine Familie mag das nicht immer einfach gewesen sein. Gewiss war Paul Schneider unbequem. Der junge Pfarrer – zu Beginn der Naziherrschaft gerade mal 36 Jahre alt – verfolgte mit wachem und kritischem Blick, wie Deutschland unter der Herrschaft der Nationalsozialisten immer unmenschlicher wurde. Er empörte sich darüber, dass Juden unterdrückt wurden. Und er war nicht bereit hinzunehmen, dass sich die Nazis in die kirchliche Verkündigung einmischten.

Bei der Beerdigung eines Hitlerjungen im Jahr 1934 fiel Schneider einem NS-Funktionär ins Wort, als dieser den Gottesdienst für eine politische Kundgebung missbrauchen wollte. Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass Paul Schneider gegen den Nationalsozialismus die Stimme erhob. Er war sogar bereit, für sein kompromissloses Glaubensbekenntnis Folter und Tod auf sich zu nehmen.

Nach einer längeren Untersuchungshaft nahm die Gestapo Schneider im Oktober 1937 fest, um ihn ins KZ zu bringen. Vor 80 Jahren, am 18. Juli 1939, wurde Paul Schneider im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Er starb an den Folgen der Folter und ging als kirchlicher Widerständler und Märtyrer in die Geschichte ein – fünf Jahre vor dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944.

 

 

 

 

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SWR2 Wort zum Tag

Wie müsste eine Welt beschaffen sein, in der Menschen gerne leben? Vielleicht wie ein Garten oder ein Park, mit üppig blühenden Pflanzen – eine wahre Pracht für Augen und Nase. Mit zahlreichen Früchten, die sich das Jahr über ernten lassen. Mit Quellen, Wasserläufen und Brunnen. Mit Wandelgängen und schattigen Lauben.

 

Der Garten ist ein uraltes Symbol für eine ideale menschliche Lebenswelt. Die religiösen und kulturellen Traditionen in aller Welt wissen davon Geschichten zu erzählen – auch die Bibel. An ihrem Beginn wird geschildert, wie Gott einen Garten anlegte, in dem der Mensch in Frieden mit sich und der Natur leben sollte: den Garten Eden oder das „Paradies“, wie dieser Ort mit einem Lehnwort aus dem Persischen bezeichnet wurde.

 

In der altorientalischen Welt war den Menschen wahrscheinlich wenig bewusst, in einer Welt zu leben, in der Rohstoffquellen begrenzt sind. Und vielleicht waren ihnen auch die Zusammenhänge in der Natur noch wenig klar, die wir heute als „ökologisches System“ bezeichnen. Umso erstaunlicher, dass bereits hier von der Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur gesprochen wird!

 

In der alten Paradiesgeschichte ist dem Menschen die Natur als Garten gegeben, als ein Stück Kulturland. Zugleich ist mit dem Wohnrecht des Menschen in diesem Garten eine Verpflichtung verbunden: Der Mensch soll den Garten hegen und pflegen, er soll ihn – wie es wörtlich heißt – bebauen und bewahren! Das zu erinnern ist es an jedem Friday for Future wert und an den übrigen Wochentagen davor und danach.Das Paradies, der Garten Eden, ist verloren gegangen – gewiss. Die Bibel erzählt, dass der Mensch von dort vertrieben wurde. Dass er deswegen aber das Recht habe, die Natur auszubeuten und zu zerstören, ist ein Trugschluss. Die Arbeit an und in diesem Garten ist vielleicht härter geworden, aber von einer Aufhebung des Gebots, die Natur nicht nur zu gebrauchen, sondern auch zu schützen, steht in der Bibel nichts.

 

Auch und gerade in Zeiten des Klimawandels erweist sich der alte Schöpfungsauftrag aus der Bibel als hochaktuell. Ganz gleich, wie man zu den Ursachen der aktuellen Klimaveränderungen stehen mag: Es gibt keinen Freifahrschein für umweltschädliches Verhalten. Und Plastikmüll, CO2-Ausstoß, die Überfischung der Meere tragen nicht gerade zur Bewahrung der Schöpfung bei.

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SWR2 Wort zum Tag

Immer höher hinaus – das ist ein uraltes Prinzip: sich selbst mit spektakulären Bauten eine unvergängliche Erinnerung stiften. Das lässt sich nicht nur kritisch gegen moderne Stadtplaner von Stuttgart über Berlin bis Dubai und Shanghai einwenden.

Eine biblische Geschichte erzählt vom Bau eines Hochhauses in antiker Zeit: In der orientalischen Stadt Babel wollten sich die Menschen ein einzigartiges Denkmal setzen. Einen Turm, dessen Spitze den Himmel berührt. Einen Wolkenkratzer im wahrsten Sinne des Wortes. Er sollte die einmalige Größe der Stadtväter demonstrieren. Er sollte von Macht und Genialität, von Erfindungsgeist und technischer Brillanz zeugen – und von religiöser Erhabenheit.

Es entstand ein Bauwerk, über dessen Fertigstellung die Menschen jedoch ihre Gemeinschaft einbüßten. Sie verstanden sich einfach nicht mehr. Offenbar ist die Arbeit an derart ehrgeizigen Projekten in hohem Maße konfliktanfällig.

Das ist kein Wunder: Es hängt einfach zu viel an persönlichem Engagement und Einsatz daran. Da ist man sehr empfindlich gegenüber jeder Kritik. Oder die Bauherren haben am Anfang zwar noch eine gemeinsame Idee, doch im Verlauf will schließlich jeder etwas anderes. Oder: Die Finanzierung läuft aus dem Ruder. Oder aber: Die Gesellschaft zerbricht an der Kluft zwischen den Planern und Bauherren einerseits und denen, die unter Einsatz ihres Lebens die Bauarbeiten ausführen. Beispiele dafür gibt es auch heute, etwa in den entstehenden Fußballarenen in Katar.

Die Bibel erzählt kurz und bündig, Gott habe die Sprache der Menschen verwirrt. Die sprichwörtliche babylonische Sprachenverwirrung ist für mich ein symbolischer Ausdruck für genau dies: Über einem so ehrgeizigen Projekt wie dem Turm von Babel verlieren die Menschen den Sinn für Gemeinschaft. Falscher Stolz endet im eigensüchtigen Chaos.

Der geplante Mega-Tower im Zweistromland ist das Produkt einer zutiefst eigennützigen Selbstdarstellung. Er ist das Sinnbild einer überstiegenen Allmachtsphantasie. Um dieses Statussymbol in Szene setzen zu können, werden Opfer gebracht. Sie heißen Völkerverständigung, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, öffentliche Sicherheit ... Das ist die Warnung, die von der alten und hochaktuellen biblischen Turmbaugeschichte ausgeht.

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SWR2 Wort zum Tag

Wir leben diesseits von Eden. Nicht „jenseits“ – wie es im Titel eines berühmten Romans anklingt, sondern „diesseits“. Wir leben hier und jetzt, und das bedeutet: Das Leben ist nicht ideal. Die Menschen sind nicht harmlos und unbescholten. Das alles ist vorbei. Eden – das ist eine ferne Erinnerung.

Diese Erinnerung richtet sich allerdings nicht auf eine historische Vergangenheit – so als wäre Eden ein Ort aus grauer Vorzeit der Menschheitsgeschichte. Sie richtet sich vielmehr auf ein Lebensgefühl, das zwar ersehnt wird, aber unzugänglich ist. Wir haben es in der biblischen Paradiesgeschichte mit einem Mythos zu tun. Er verkleidet eine allgemein-menschliche Wahrheit in eine konkrete Geschichte.

Welche Wahrheit ist das? Es ist die Einsicht, dass wir unser Leben nicht in der kindlichen Unschuld zubringen können, die wir im Blick auf die Anfangstage unseres irdischen Daseins empfinden und denen wir entwachsen sind. Ein paradiesisches Leben ist ein schöner Traum von einer besseren Welt. Eine Welt, die zu schön ist, um wahr zu sein. Eine Welt, die so unschuldig ist, dass sie ganz schnell aus dem Gleichgewicht kippt. So wie es die biblische Paradieserzählung nahelegt.

Und doch hat diese Erinnerung, besser: diese Sehnsucht, eine wichtige Funktion. Sie ist mehr als bloße kindliche Regression. Sie hält den Gedanken wach, dass wir noch zu einem ganz anderen Leben bestimmt sind als demjenigen, das sich in Schuld und Scham aufreibt. Sie ruft uns ins Bewusstsein, dass Vergebung und Liebe das Leben erhalten und fördern. Sie malt uns die Utopie eines Lebens im Frieden mit der Schöpfung und untereinander vor Augen.

Der Mythos zeigt, bei aller Zerrissenheit und Brüchigkeit paradiesischen Lebens, auch das – dieses Ideal. Und damit nährt er – so wie die Kunst, wie Musik und Dichtung auch – unsere Sehnsucht und unseren Willen nach dieser Utopie. Er stellt eine Art Lebenselixier dar für ein Leben, das sich nicht von der Kraft des Faktischen erschöpfen lassen will.

Am Vorabend des christlichen Pfingstfestes ist diese Erinnerung besonders wertvoll. In den Gottesdiensten morgen bitten Christen Gott: „Komm, göttlicher schöpferischer Geist! Verwandle uns und das Antlitz dieser Erde!“ Eden liegt eben nicht nur hinter uns; es liegt auch vor uns – wie der Morgen einer neuen Welt.

 

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SWR2 Wort zum Tag

Die Bibel beginnt mit einer Katastrophe – mitten im Paradies! Bisweilen hat man diese sogenannte „Sündenfall“-Geschichte stark moralisiert. Man hat sie ausgedeutet im Sinne der jeweils geltenden Moral und als moralinsaures Erziehungsinstrument missbraucht.

Dieses Verständnis der Geschichte passt wenig in eine Zeit, in der über ethische Orientierungen gestritten wird und in der das Handeln des Einzelnen aus Verantwortungsbewusstsein höher bewertet wird als blinder Gehorsam. Es passt aber – genau genommen – auch nicht zur biblischen Paradieserzählung.

Die Paradiesgeschichte ist ein Mythos, das heißt: ihre Wahrheit ist auf symbolischem Wege zu erschließen. Meines Erachtens verweist der so genannte „Sündenfall“ auf eine tiefer reichende menschliche Erfahrung – nämlich die, dass wir nicht ein Leben lang in kindlicher Naivität und Unbescholtenheit leben können. Insofern erzählt der Mythos das „Herauswachsen“ aus einem Umfeld kindlicher Unschuld hinein in eine höchst komplizierte Welt, in der alles gut oder böse ist, und in der Gut und Böse oft ineinander verschlungen sind.

In der Bibel heißt es: „ihnen gingen die Augen auf – und sie schämten sich“. Es gibt nichts Neutrales, nichts Unschuldiges mehr. Ständig muss man Verantwortung übernehmen, muss sich rechtfertigen, vor sich selbst, vor anderen, vor Gott. Verlorene Kindheit!

Was ich spannend finde, ist die Frage, welche Konsequenz Gott aus dem Schlamassel zieht. Die Paradiesgeschichte sagt, er habe den Menschen Kleider gemacht, damit sie ihre Nacktheit bedecken können. Für mich ein tröstlicher, ja geradezu ein Leben fördernder Aspekt:

Als Adam und Eva – vorher noch so unbefangen – nach dem bitteren Bissen plötzlich merken, dass sie nackt sind, fangen sie an sich zu schämen und verstecken sich. Gott aber zerrt sie nicht aus ihrem Versteck hervor, sondern macht ihnen Kleider, damit sie sich schützen können. Er gibt ihnen ein Gewand für ihre Scham und ihr Schuldgefühl. Er bietet ihnen einen Schutzraum an, um nicht in einem Zustand von Dauerschuld und Dauerscham zu versinken.

Anders gesagt: Gott gibt dem Menschen die Möglichkeit, mit seinem angekratzten Gewissen fertig zu werden, und damit schenkt er ihm die Kraft zum Weiterleben.

 

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SWR2 Wort zum Tag

Gut und Böse – Schöpfung und Schuld. Auf ihren ersten Seiten erzählt die Bibel die Geschichte von Welt und Mensch und gibt eine Antwort auf die Frage, warum im Leben alles so kompliziert sein muss. Gleich zu Beginn verwickeln sich die beiden Protagonisten der Paradiesgeschichte, Adam und Eva, in einen verhängnisvollen Zwischenfall.

Ein Mythos ist das, eine Art „Urgeschichte“. Viel diskutiert, bisweilen belächelt. Ihren tieferen Sinn versteht man – so meine ich – besser, wenn man sich von einem wortwörtlichen Verständnis löst. Es geht um allgemein-menschliche Erfahrungen und Wahrheiten.

Im Paradies hatte der „Ur-Mensch“ Adam alles, was er zum Leben braucht. Er war Gärtner und hatte seinen Garten zu bestellen. Ziemlich mühelos übrigens, wie es scheint. Adam ging es also recht gut, und Eva auch. Wäre da nicht dieser Baum in der Mitte des Gartens gewesen mit seinen verlockenden Früchten. Es hieß, wenn man davon kostet, würde man erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Das macht neugierig. Adam und Eva hatten die Wahl, in ihrer wohlbehüteten Naivität zu bleiben oder aber sich die Bürde eines Lebens in Freiheit und Verantwortung aufzuladen. Was für eine Alternative! Und prompt: Nach dem ersten Bissen sah die Welt schon anders aus. Leider nicht so schön und klar wie zuvor. Das erste, was Adam und Eva auffiel, war, dass sie nackt waren – und sie schämten sich.

Nun war nichts mehr so wie zuvor. Die kindliche Naivität war wie weggeblasen. Mit einem Mal gab es „gut“ und „schlecht“, und alles musste beurteilt werden. Es gab ein Gefälle von Schuld und eine Sehnsucht nach Schuldlosigkeit. Man schämte sich und keiner konnte sich der Verantwortung für das, was er tat, entziehen.

Leben ist kompliziert. Der bittere, immer neu aktuelle Ernst dieser Geschichte dreht sich um die Frage: Wie schafft man etwas, das offenbar nicht gut war, wieder aus der Welt? Und die erste Lektion lautet: Jedenfalls nicht dadurch, dass man sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe schiebt. Sich eigene Fehler eingestehen, die Fehler anderer verzeihen – nur so geht es. Auch wenn es bisweilen weh tut und man vor Scham am liebsten im Boden versinken möchte. Aber es die einzige Möglichkeit, einem Leben in Freiheit und Verantwortung gerecht zu werden.

 

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