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SWR4 Abendgedanken

13JAN2023
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Morgen werden bei uns in Wertheim die Weihnachtsbäume eingesammelt. Das ist eine bequeme Sache – Jugendliche holen die Bäume direkt vor der Haustür ab. Dafür erhalten sie eine Spende für ein soziales Projekt. Ich finde das klasse. Vor allem auch für die älteren Menschen. Einen Christbaum aufzustellen und zu schmücken ist das eine, ihn wieder aus dem Haus zu bekommen, das andere. Mein Großvater hatte damit immer ganz schön zu kämpfen, zumal es in meiner Heimatstadt diese Sammelaktionen nicht gegeben hat. Hier in unserer Region machen sich auf den Dörfern überall Jugendliche auf. Ich erinnere mich an Jahre, in denen es unheimlich schwer gewesen ist, genügend Leute zusammen zu bringen. In diesem Jahr steht das Team schon, viele möchten helfen, wurde mir gesagt. Überhaupt staune ich gerade über das Engagement der jungen Menschen in meiner Umgebung. Von wegen, da wächst eine Generation ran, die sich für nichts mehr interessiert. Ich erlebe es anders: In der Schule hat es mehrere Aktionen gegeben, bei denen Kuchen gebacken und verkauft wurde. Der Erlös war für ein Flüchtlingscafé bestimmt und nicht wie früher für die eigene Klassenfahrt.  In die Vorbereitung des Weihnachtskonzertes haben die Schüler und Lehrinnen viel, viel Zeit gesteckt. Es sollte ein schöner Abend für die ganze Schulgemeinschaft werden – der erste seit 2019. Und diese liebevolle Vorbereitung war zu alle zu spüren.  

Auch unsere Konfirmanden sind prima dabei. Sie richten jetzt, nachdem wir das beim Erntedankfest einmal miteinanderausprobiert haben, häufiger alles für einen Kaffee nach dem Gottesdienst. Ganz allein bauen sie die Tische auf, wissen, wie Kaffee- und Spülmaschine funktionieren, und, wo die Tassen stehen. Schon vor dem Gottesdienst verteilen sie wie selbstverständlich Decken an die Besucher in der Kirche, weil ja jetzt beim Heizen gespart wird. Dabei kommt es immer wieder zu Gesprächen zwischen Jung und Alt. Neulich habe ich sogar gesehen, wie eine ältere Dame und ein Konfirmand sich fröhlich von einer Straßenseite zu anderen gewunken haben.  Das hat mich unheimlich gefreut. Und ich wünsche mir für das neue Jahr, dass dieses Miteinander weiterwächst. 

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SWR4 Abendgedanken

12JAN2023
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Sie werden es kaum glauben: Ich habe ein Lieblingshaushaltsgerät. Das ist unser Staubsauger. Wir haben so ein Modell, bei dem alles, was eingesaugt wird, auch von außen zu sehen ist. Manchmal staune ich nur, was da so alles zusammenkommt, wenn ich unter den Sofas und den Teppichen sauge. Neben Bergen von Staub auch jede Menge Keks- und Chips-Krümel, gerade nach den Feiertagen, vorher war das alles gar nicht so sichtbar. Manchmal würde ich gerne mit dem Staubsauger nicht nur das Wohnzimmer saugen, sondern auch das Leben. Aller Schmutz und Dreck, alle Probleme wären Rucki Zucki weg.  

Naja, letzten Endes bleibt ein Staubsauger ein Staubsauger. Das Leben, vor allem mein Leben, muss ich schon selbst auf Vordermann bringen. Es nützt nichts, wenn ich glaube, dass andere für mich die Dinge angehen, die sich in meiner Seele aufstauen. Die Probleme auf der Arbeit, der Streit in der Familie, der Ärger mit der Freundin – sie lösen sich nicht von allein auf.  Vielleicht weiß der ein der andere gar nicht, das ich da ein Problem habe.  Hier und da unter den eigenen Seelenteppich zu schauen, lohnt sich. Das alle miteinander nur ein Herz und eine Seele sind, ist meiner Erfahrung nach unrealistisch.  Dazu sind wir Menschen zu unterschiedlich. Es ist normal und im Grunde auch gut, dass man sich auch einmal streitet. Wir sind eben verschieden, ticken ganz und gar unterschiedlich. Die Zwillinge Jakob und Esau haben nach der biblischen Überlieferung schon vor der Geburt kräftig miteinander gerangelt und noch als erwachsene Männer. Es hat lange gebraucht, bis sie ihr Miteinander geklärt haben. Ich finde es gut, wenn man es wagt, solche Situationen anzusprechen.  Im besten Fall gelingt es, das, was gewesen ist, gemeinsam anzuschauen, und kann es klären. Hier und da stellt sich dann raus, wurde etwas vielleicht einfach falsch verstanden, anderes war leider genauso gemeint. Dieses offene Ringen miteinander kann hilfreich sein. Ich lerne mich selbst in einem Streit immer auch ein wenig besser kennen. Und wenn es zu keiner Klärung kommt? Dann habe ich es probiert, mehr geht nicht. Denn wenn man Konflikten ausweicht, sie einfach nur unter dem eignen Teppich lässt, fällt man selber darüber.

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SWR4 Abendgedanken

11JAN2023
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Anfang Januar ist es und das neue Jahr liegt ganz frisch vor mir. Zeit, um die Termine für die kommenden Monate in meinen kleinen Taschenkalender einzutragen. Das ist ein kleines Ritual und mir lieber als die Termine nur im Handy zu haben. Ich sitze an unserem Esstisch, sortiere Jahresplanungen und Einladungskarten und merke beim Schreiben, dass sich die Tage und Wochen in meinem Kalender viel schneller mit Termin füllen als mir lieb ist. Im Grunde genommen ist mein Jahr schon durchgeplant, bevor es richtig begonnen hat.

Das kann doch nicht wahr sein! Es ist doch mein Kalender und mein Lebensjahr. Vor allem, schon jetzt zum Jahresbeginn ist klar, dass zu manchen Zeiten – vor und nach den Sommerferien und im Advent - alles zu viel sein wird.  Da knubbeln sich die Termine aneinander, teilweise auch übereinander. Sommerfest. Jahreshauptversammlung. Weihnachtsfeier. 

„Save the date“ heißt es da auf einer Einladungskarte „Halte dir diesen Tag schon jetzt für uns frei, damit dieser Tag schön wird“  Ja, denke ich, ich halte mir gerne Tage frei. Aber nicht mehr für alles und jedes.

„Alles hat seine Zeit“ steht in der Bibel. Ja, genau! Und darum halte ich mir in diesem noch jungen Jahr 2023 vor allen Dingen Tage für das Leben frei. Ganz bewusst. Tage für meine Familie. Für meinen Mann, für unsere beiden Kinder. Wenn sie ein besonders Konzert haben, möchte ich dieses Jahr dabei sein. Wenn meine Mutter Geburtstag hat, hat sie Geburtstag und ich werde bei ihr an der Nordsee sein und nicht auf einer Sitzung. Und dieses Jahr wird es bei uns vor dem Haus ein Hoffest geben. Darauf freue ich mich schon jetzt besonders!

Zu oft habe ich in meinem Leben die falschen Prioritäten gesetzt und mich hinterher so darüber geärgert. „Alles hat seine Zeit!“  - und alles braucht auch seine Zeit.

Zu planen ist gut und wichtig und ich mag es auch. Aber, und das ist für mich dieses Jahr neu: ich plane neben dem Planbaren einfach das Unplanbare in meinen Jahresplan mit ein, in dem ich Freiräume mit einem großen orangen Kreuz in meinem Kalender markiere. Das kann kein Computerkalender – und schließlich bin ich ja auch kein Computer, der einfach durchläuft. Ich bin gespannt, wie das Leben dann diese Freiräume mit mir füllen wird.

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SWR4 Abendgedanken

10JAN2023
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Die Christbaumkugeln sind verpackt und schon wieder im Keller. Der Weihnachtsbaum steht auf dem Hof. Unser Wohnzimmer, finde ich, sieht nach den Festtagen immer karg aus. Aber die Krippe, die steht noch. Sie darf bei uns jedes Jahr am längsten bleiben. Zumal die Heiligen Könige ja auch erst vor ein paar Tagen dort angekommen sind. Ich liebe Weihnachtskrippen und ich habe Freude daran, sie mir anzuschauen. Sie sind so verschiedenen wie ihre Hersteller oder Besitzer. Da gibt es winzig kleine in Nussschalen, kunterbunte aus Südamerika und natürlich geschnitzte Figuren aus Holz. Manche Darstellungen vom Stall von Bethlehem sind betont schlicht, bei anderen glänzt und funkelt es aus allen Ritzen. Meine Lieblingskrippe ist aus Zinn. Sie besteht aus flachen, filigranen Figuren. Sie verbiegen leider ganz leicht und brauchen darum etwas mehr Aufmerksamkeit. Das Jesuskind zum Beispiel ist von einem Strahlenkranz umgeben und liegt auf sehr feinem Stroh, um dessen Spitzen ich mich immer ein wenig sorge. Auch die Ohren des Esels sind so eine Sache. Sie lassen sich beide nicht so einfach verpacken. Ganz behutsam muss ich mit ihnen umgehen, im Grunde verabschieden wir uns dann dabei voneinander. „Geh achtsam ins neue Jahr“ „Hör gut zu, höre auch auf dein eigenes Herz.“ rufen sie mir dann zu.

Der Engel ist auf sehr eigene Weise störrisch, vor allem, was seine Flügel betrifft. In mir tönt, wenn ich ihn sehe, laut sein „Fürchte dich nicht.“ „Ja“, denke ich, „mutig will ich das Neue Jahr angehen“. Die Schafe sind sehr unkompliziert und auch die Weisen aus dem Morgenland sind das Reisen anscheinend gewohnt. Das Kamel dagegen ist stur. Immer wieder neu. Es lässt sich nicht so gern in die Schachtel stecken. Und darum wird das Kamel auch dieses Jahr wieder am Ende einen Platz auf meinem Schreibtisch bekommen. Im Laufe der Zeit haben wir beide uns angefreundet. Von seinem Platz unter der Lampe lächelt es mir dann das ganze Jahr über zu und erinnert mich an das Weihnachtsfest. Auf seinem Rücken trägt es viel Gepäck. Wohl Weihrauch, Gold und Myrre für das Kind – und, das glaube ich inzwischen, einen Jahresvorrat an Weihnachtslicht für mich. Darum, damit es für das ganze Jahr reicht, soll es auch noch ein paar Tage an der Krippe stehen dürfen.

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SWR4 Abendgedanken

09JAN2023
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Kurz vor Weihnachten hat es mich richtig erwischt. Fieber, Schüttelfrost, Husten – das volle Programm. Zuerst habe ich es nicht wahrhaben wollen. Das Kranksein hat mir nicht in den Kram gepasst und in meinen Terminkalender erst recht nicht.  „Ja, Kranksein liegt dir nicht“ hat eine Freundin von mir gefrotzelt und mir den eindringlichen Rat gegeben: „Lass es zu, lass von deinen Aufgaben los, umso schneller bist du wieder auf den Beinen.“

Ich habe natürlich nicht loslassen können. Habe stattdessen telefoniert und manches hin- und her organisiert. Irgendwann ging nichts mehr, mein Husten wurde immer schlimmer. „Lass los“, hat es in meinen Ohren getönt. Zum Glück hatten die Menschen um mich herum längst verstanden, was los war. Die Kollegen hatten meine Aufgaben schon unter sich aufgeteilt, meine Familie hat mich im Bett mit Obst versorgt, damit ich bloß nicht auf die Idee kommen würde, aufzustehen. Ja, ich war krank. Ich habe es irgendwann verstanden und die Zeichen der Unterstützung, die Pflege meiner Familie und Freunde haben mir gutgetan.

Mein Vater hat immer behauptet, dass Kranksein ein Zeichen von Schwäche sei. Das hat mich unglaublich geärgert. Vor allem, wenn meine Mutter sich durch eine Krankheit geschleppt hat, um die Familie noch zu versorgen. Die Einstellung meines Vaters hat mich doch mehr geprägt als ich gedacht habe.

Aber, ein Mensch ist aber kein Computer, bei dem man mal eben schnell auf den Reset-Knopf drücken kann und alles wieder läuft. Kranksein gehört zum Leben dazu, im Großen wie im Kleinen. Es ist sozusagen gesund, krank zu sein. Und es ist ein Zeichen von Menschlichkeit, wenn eine Krankheit nicht als Schwäche interpretiert wird. In der Bibel findet sich ein schöner Genesungswunsch. Johannes schreibt an einen Freund: „Mein Lieber, ich wünsche, dass es dir in allen Stücken gut gehe und du gesund seist, so wie es deiner Seele gut geht.“ (3. Joh 1,2)   Wie gut, wenn das kein frommer Wunsch bleibt, sondern auch Sie erleben dürfen, dass Sie krank sein und sich auskurieren dürfen und, dass andere Menschen dann für Sie da sind.  

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SWR4 Abendgedanken

04NOV2022
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Ich schreibe gerne Briefe. So richtig altmodisch mit einem Füller auf einem schönen Blatt Papier. Briefe kann ich nicht aus dem Stand schreiben, ich brauche dazu immer etwas Vorlauf. Dabei stelle ich mich schon auf den Menschen ein, dem ich schreibe. Ich überlege, wo der beste Ort zum Schreiben ist - Küche, Wohnzimmer oder Schreibtisch? Hole mir eine Kerze, vielleicht eine Tasse Tee oder auch Blumen. Und so bin ich schon, bevor das erste Wort geschrieben ist, meinem Gegenüber nahegekommen. Dann geht es immer noch nicht los, denn erst müssen sich die rechten Worte in mir finden.  Manchmal finden sie sich ganz schnell, ein anderes Mal dauert es unendlich lange. Bei einem handschriftlichen Brief kann man die Sätze ja nicht einfach löschen oder wie in einer E-Mail verschieben. Ich überlege deutlich länger: Was will ich eigentlich sagen?  

In der Bibel heißt es „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden“ (Röm 12,15) – und so geht es mir beim intensiven Schreiben. Ich fühle mich dem Adressaten auf eigene Weise nah, nehme Anteil an seinem Leben, stelle vielleicht auch ein paar Fragen, die mir in den Kopf kommen, berichte von mir und meiner Familie. Ich denke, mein Gegenüber spürt das. Da bleibt ein Brief dann vielleicht auch einmal über Nacht auf dem Tisch liegen, weil ich ein paar Dinge noch durchdenken will. Gerade ermutigende Worte bei einer schweren Krankheit brauchen ein wenig, damit sie mehr sind als ein „Das wird schon.“ Und mancher Brief, zum Beispiel nach einem Streit, will Zeile für Zeile bedacht werden. Was ist da eigentlich passiert? Wie können wir wieder zueinander finden? Mal ganz abgesehen von der ganz besonderen Kunst eines Liebesbriefes. Briefeschreiben ist etwas sehr Schönes. Für den, dem ich einen Brief schreibe, hoffe ich, aber auch für mich, die ich schreibe. Ich hoffe, an diesem Wochenende wieder ein wenig Zeit dazu zu finden. Vielleicht haben Sie schon jemanden im Sinn, dem Sie ein paar Zeilen schreiben könnten? Das wird sich gewiss jemand freuen.

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SWR4 Abendgedanken

03NOV2022
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Am 3. November 1918 haben Matrosen in Kiel die Beendigung des 1. Weltkrieges gefordert. Junge Männer haben gegen den Krieg und die bestehenden Machtverhältnisse gemeutert. Ihnen war klar, dass ihre Niederlage nur noch eine Frage von Tagen oder Stunden gewesen ist. Weiterzukämpfen- weiter zu sterben, dazu waren sie nicht bereit. Das hat mich als Schülerin im Geschichtsunterricht beeindruckt, denn ihr Protest ist nicht ohne Risiko gewesen. Der „Kieler Matrosenaufstand“ hat so auch sieben Tote gefordert, zahlreiche Verletzte dazu. Aber der Aufstand der Kieler hat damals Wellen geschlagen und andere ermutigt zu protestieren. Er ist ein Baustein auf dem Weg zum Kriegsende am 11. November gewesen.

Ich würde mir wünschen, dass an den Kriegsschauplätzen unserer Zeit Männer wie Frauen auf beiden Seiten ihre Waffen ablegen oder auf die Straße gehen und sagen: „Es reicht! Wir haben erkannt, dass das, was wir gerade miteinander tun, sinnlos ist. Da machen wir nicht länger mit!“. Um sich aus einer Sache, die am Laufen ist, herauszuziehen, muss man meiner Erfahrung nach ganz schön mutig sein und auch einmal etwas riskieren. Das ist nicht ohne, da mache ich mir nichts vor, manchmal resigniert man auch. Das gilt im großen Weltgeschehen wie im Alltag vor meiner eigenen Tür. „Das isch halt so!“ sagt man im Südbadischen, wenn ein Zustand nicht veränderbar scheint. Ich merke, dass ich mich mit diesem „isch halt so“, je älter ich werde, immer schwerer tue. Manches möchte ich anders haben, anders leben, auch wenn es auf den ersten Blick schwer zu ändern scheint. Ich habe mir vorgenommen, etwas mutiger durch mein Leben zu gehen. Ich möchte mehr auf meinen inneren Kompass hören als es anderen rechtzumachen. „Sei getrost und unverzagt. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht“, heißt es einmal in der Bibel. Dieses Wort gefällt mir; ich will es mir zu Herzen nehmen und beginnen, es im Kleinen umsetzen. Denn Veränderungen beginnen bei mir, ich kann sie nicht von anderen einfordern. Mit den Fingern auf andere zu zeigen, ist leicht, selbst etwas wie die Kieler Matrosen zu wagen, ist etwas ganz anderes.

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SWR4 Abendgedanken

02NOV2022
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Der November gilt als Trauermonat. Düst und trist ist er oft. In der katholischen Tradition werden heute, am 2. November, die Gräber der Angehörigen und Freunde mit Kerzen geschmückt. Die vielen Kerzen leuchten jetzt am Abend auf den Friedhöfen und flackern vielleicht ein wenig im Wind. Das schaue ich mir gerne an. Das warme Licht hat etwas Tröstliches, Lebendiges, es verbindet Lebende und Tote auf eigen Art. Denn die Kerzen werden ja in der Regel von einem Angehörigen, Freund oder auch Nachbarn auf das Grab gestellt, kurzum von jemand, für den der Verstorbene eine Bedeutung im eigenen Leben gehabt hat.

Das flackernde Licht holt sie einen Moment ins Leben. Ich erinnere mich an die, die mich auf meinem Lebensweg begleitet haben, sehe sie vor mir. Manche waren mir Begleiter auf einer weiten Strecke meines Lebens, andere nur an wenigen Punkten - und doch haben sie eine tiefe Bedeutung für mich. Ich erinnere mich an ein fröhliches Miteinander oder auch daran, wie jemand mit mir zusammen durch ein dunkles Lebenstal gegangen ist. Eine andere Verstorbene sitzt wie früher neben mir auf dem Sofa, und ich frage mich, was sie mir wohl heute für einen Ratschlag in einer schwierigen Situation geben würde. Ich spüre ihre Liebe zu mir und bin dankbar für das, was sie mir geschenkt hat. Auch die anderen Bilder lasse ich zu: Nicht immer ist alles gut und schön gewesen. Hier und da gab es auch Streit oder Ärger. Da flossen Tränen oder ein Problem wurde einfach totgeschwiegen – etwas, was ich noch heute nicht leiden kann. Wenn ich an die Menschen denke, mit denen es für mich schwierig war, hoffe ich, dass sie nun bei Gott in Frieden ruhen. Ich trage ihnen nichts mehr nach oder bin ihnen noch für irgendetwas böse. Auch sie waren und sind Teil meines Lebens, haben mich reifen lassen, zu der gemacht, die ich heute bin.

Ja, die lebendigen flackernden Kerzen auf dem Friedhof hier vor Ort gefallen mir, auch wenn meine eigenen Lieben weit weg in Norddeutschland begraben sind. Da kann ich leider nicht hingehen. Aber eine Kerze kann ich für sie auch heute Abend zu Hause anzünden.  Und vielleicht stellt ja sogar eines Tages jemand ein Licht auf mein eigenes Grab.

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SWR4 Abendgedanken

Heute ist Allerheiligen, ein Feiertag in der katholischen Tradition, der vor allem hier bei uns in Süddeutschland gefeiert wird. Evangelischen Christen ist dieser Feiertag am Tag nach „ihrem“ Reformationstag oft fremd geblieben. Das liegt an Martins Luthers Kritik an den Heiligen. Im Religions- und Konfirmandenunterricht wurden „den Evangelischen“ seither beigebracht, dass man mit diesen Heiligen nichts zu tun hat. Denn Luther hatte ja  gelehrt, dass es Heilige, die heiliger als andere sind, nicht gibt. Und im Gebet könne man sich direkt an den dreieinigen Gott wenden, da braucht es keinen Umweg über einen Heiligen.

Aus den evangelisch gewordenen Kirchen verschwanden in der Folge Heiligenbilder- und Statuen. Sie galten eben als typisch katholisch. Vor Kurzem habe ich aber nicht schlecht gestaunt. Da habe ich doch in einer Kirche in einem urevangelischen Dorf in Tauberfranken einen wunderschönen Marienaltar entdeckt. Neben Maria, die das Jesuskind auf dem Arm trägt sind zahlreiche lokale Heilige und was ungewöhnlich ist mehrere weibliche Heilige: Barbara, Katharina, Elisabeth. Der Heiligenaltar hat dem Evangelischsein dort gewiss nicht geschadet und es wird erzählt, dass katholische Christinnen und Christen aus der Region durch die Jahrhunderte bewusst zum Gebet in diese Kirche gegangen sind. Das hat mich, als ich es gehört habe, gefreut. Denn ich glaube, wir können als evangelische und katholische Christen bei allen Unterschieden  voneinander lernen oder das jeweils „andere“ einfach wertschätzen, statt uns einfach davon abzugrenzen.

Ich erinnere mich jedenfalls, wie mein katholischer Pfarrers-Kollege  bei mir einmal liebevoll um Verständnis für die Heiligen und ihre Verehrung in seiner Kirche geworben hat. „Weißt du“, meinte er, „die Heiligen sind für uns Vorbilder im Glauben. Wenn wir in schweren Zeiten unseres Lebens auf der Suche nach Hilfe und Unterstützung sind, tut es gut zu wissen, dass Menschen vor uns auch schwere Zeiten durchlebt haben oder sich für andere in Not eingesetzt haben. Das schenkt uns Halt, mir jedenfalls.“ Seine Erklärung habe ich verstanden. Und es hat mir gut getan und auch berührt, wenn er später einmal gesagt hat „Ich habe für dich gebetet“ und mir dann den Namen eines Heiligen und seine Funktion genannt hat. Denn gerade für einen anderen Menschen zu beten, zeigt die innere Verbundenheit. 

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SWR4 Abendgedanken

31OKT2022
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„Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Das ist ein Satz, den man Martin Luther zuschreibt. Mir haben die Worte des Reformators immer gut gefallen. Eben für eine Sache einzustehen, wenn man von ihr überzeugt ist. Ich habe mich vor langer Zeit entschieden, Pfarrerin zu werden. Das war für mich keine leichte Entscheidung, eher ein Prozess. Nach der Schule hatte ich mich erst einmal für ein anderes Studium entschieden. Biochemie. Sozusagen „was Richtiges“. Nach langem Ringen habe ich dann das Studienfach gewechselt. Ich habe Theologie studiert, um mit anderen Menschen zusammen den Glauben zu gestalten und zu leben. Das bereitet mir noch heute große Freude. Miteinander durch das Kirchenjahr zu gehen, füreinander da zu sein.

Im Moment ist die Kirche in einer Krise. Die Gottesdienste, altbewährte Angebote und gewiss auch manche Strukturen scheinen nicht mehr so recht zum Leben zu passen. Da braucht es Veränderung. Aber ist darum das Ganze auch inhaltlich hinfällig? Ich glaube weiter daran, dass Gott jeden Menschen mit eigenen Gaben geschaffen hat. Ich glaube daran, dass Gott mir in meinem Leben zur Seite steht. Gut, manchmal hadere ich auch mit ihm, weil ich manche Dinge auch gerne anders hätte.

Aber Gott hat einen festen Patz in meinem Leben. Er gibt mir die Kraft, für andere Menschen da zu sein, auch wenn es schwer ist. Mit dem jungen Mädchen gemeinsam am Grab ihrer Mutter zum Himmel zu schreien oder mit einer geflüchteten Ukrainerin gegen die Mühlen der Bürokratie zu kämpfen. Da mag ich auch rufen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“

Kirche, das ist aber mehr als das Handeln einzelner. Kirche steht für mich für Gemeinschaft, für ein solidarisches Miteinander auch in schwierigen Zeiten, für einen Ort, an dem jeder und jede willkommen ist. Wenn Gott jeden einmalig und besonders geschaffen hat, dann sollte und muss doch gerade in der Kirche Platz für jeden sein. Und darum gibt es aus meiner Sicht nicht den einen richtigen Lebensstil und auch nicht die eine richtige Art, wie Kirche sein sollte, den einen richtigen Gottesdienst oder den einen richtigen Musik- oder Betstil. Da braucht es mehr Freiheit und mehr Weite. Martin Luther, glaube ich, hätte darum seinen viel zitierten Satz am Reformationstag 2022 anders formuliert. Vielleicht so: „Hier stehe ich, wir können auch anders. Lasst es uns um Gottes Willen probieren!“  

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