Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR4

  

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Sonntagsgedanken

Gut gemeint

Der Dichter Gottfried Benn hat einmal gesagt: „Das Gegenteil von gut ist nicht bös, sondern gut gemeint.“ Dieses Wort trifft mich. Manches Mal will ich für einen andern Menschen etwas Gutes tun, aber er lehnt es ab. Ich verstehe das nicht. Ich bin doch der Meinung, uneigennützig zu handeln. Ich bin um sein Wohl besorgt, und er lehnt ab. das verletzt mich.

Im Nachdenken hab ich gemerkt: Ich hab für ihn gedacht, aber nicht mit ihm. Ich ging von mir aus, von meinen Erfahrungen und wollte ihm so etwas Gutes tun. Aber das war meine Sicht. Ich wollte ihm meine Idee überstülpen und hab mich nicht gefragt: Tut es ihm auch wirklich gut? Oder will ich nur selbst ein gutes Gefühl haben?

Ein Freund hat mir aus genau dem gleichen Grund seine Not geklagt. Ihm ging es genau so wie mir. Er wollte jemand helfen, aber man warf ihm vor: „Du willst nur dir gut tun und denkst gar nicht wirklich an den andern. Du denkst  egoistisch an dich, um den andern möglichst schnell los zu werden.“ Er sagte mir ganz verzweifelt: „Ich hab es doch nur gut gemeint!“

Er hat es wirklich gut gemeint. Er wollte nichts Schlechtes. Aber er hat nicht gemerkt, wie er seine Art dem andern übergestülpt hat nach dem Motto: „Ich weiß, was für dich gut ist. Warum siehst du das denn nicht!“ War es so: Gut gemeint, aber falsch angekommen? Ja, weil mein besagter Freund den andern mit seiner Art von Hilfe beherrschen oder zumindest bevormunden wollte. Der Andere hatte gar nicht mehr die Freiheit nachzudenken, was ihm gut tut. Er konnte nur noch annehmen oder ablehnen. Das brachte ihn in Not, denn er merkte: Wenn ich annehme, tut es mir nicht gut; wenn ich ablehne, ist der Helfer beleidigt. Was mach ich nur?

Helfen wollen, wenn jemand in Not gerät, ist wichtig. Keine Frage! Aber es ist auch wichtig, dass ich mich frage: „Wie helfe ich dem andern wirklich? Dränge ich mich ihm auf oder helfe ich ihm auf die Beine, damit er selber gehen kann?“ „Hilfe zur Selbsthilfe“ – dieses Motto kirchlicher Hilfswerke gilt auch hier.

„Gut gemeint“ – das kann falsch ankommen. Als Kind hat es mich immer geärgert, wenn die Erwachsenen sagten: „Ich mein’s doch nur gut!“ Instinktiv hab ich gemerkt: Wenn ich nicht so tue wie sie wollen, sind sie sauer. Ich aber wollte selber groß sein und mich nicht bevormunden lassen. Einen guten Rat, über den ich nachdenken und dann selber entscheiden kann – ja, gut, aber keine Bevormundung!

 

Teil 2

Barmherzigkeit

Spüren, was dem andern gut tut – darüber denke ich heute in meinen Sonntagsgedanken nach. Das ist gar nicht so einfach. Aber es bewahrt davor, meine Meinung dem andern aufzudrängen. Darum plädiere ich für eine Tugend, die etwas aus der Mode gekommen ist: die Barmherzigkeit.  Ein Herz für den andern zu haben, das ist etwas anderes als „gut gemeint“. Wenn ich barmherzig bin, fühle ich mich ein in den andern. Das braucht Zeit und Geduld. Da weiß ich nicht gleich, was ich für den andern tun kann. Das muss ich erst aufspüren/entdecken.

Wenn die biblische Botschaft sagt, dass Jesus sich der Menschen erbarmt, benützt sie ein spezielles Wort. Es bedeutet übersetzt „in den Eingeweiden ergriffen werden“. Die Eingeweide waren für die Menschen damals der Ort, wo ihre Gefühle verwundbar sind. Als Jesus einem Aussätzigen begegnet, wird er in den Eingeweiden erschüttert, also im Innersten seiner selbst. Er sieht die Not dieses Menschen: behaftet mit der ansteckenden Krankheit, die ihn langsam aber sicher tötet, ausgeschlossen aus der Gesellschaft, und das Schlimmste: von Gott bestraft.

Da aber tut  Jesus das, was der Fromme damals wie die Pest gescheut hat: er berührt den Kranken, nimmt mit ihm den menschlichen Kontakt auf, den alle verweigern – und der Mann wird heil und gesund, weil Jesus barmherzig zu ihm war.

Wenn ich barmherzig bin, lasse ich den andern dort eintreten, wo ich selbst besonders empfindsam bin. Deshalb ist es so wichtig, sich in den andern Menschen hinein zu spüren. Das gelingt mir nicht, wenn ich mit mir selber unbarmherzig bin. Ich hab einen Fehler gemacht und wüte nun gegen mich selbst. Genau das tut mir nicht gut und verhindert zugleich, dass ich andern Menschen  gegenüber barmherzig bin. Ich kann nur dann andern gegenüber barmherzig sein, wenn ich es mit mir selbst bin, auch mit dem Schwachen, Unansehnlichen, Elenden in mir.

Solange ich mich selbst verurteile, bin ich uneinig mit mir selbst; dann kann ich auch andere nicht wahrnehmen wie sie sind. Ich werde sie mit meinen zerrissenen Gefühlen überfrachten, und dann passiert es schnell, dass ich „gut gemeint“ den andern abfertige, statt mich auf ihn und seine Sorgen wirklich einzulassen.

Wenn ich barmherzig mit mir selbst bin, werde ich auch dem andern viel offener und bereiter begegnen. Dann spürt er, dass er mir wichtig ist. Ich finde dann auch viel eher einen guten Rat für ihn, der nicht bloß „gut gemeint“ ist, sondern ihm wirklich weiter hilft, weil er von Herzen kommt, von einem verstehenden mitfühlenden Herzen, eben einem barmherzigen.

Ich wünsche uns so ein Herz füreinander.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18018
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Ich freue mich, wenn es Sonntag ist. Deshalb wünsche ich am Samstag gern „einen guten Sonntag“ und nicht „ein schönes Wochenende“. Der Sonntag hat für mich einen besonderen Klang, steckt in dem Namen „Sonntag“ doch die Sonne. Für mich als Christ ist der Sonntag außerdem der Tag der Auferstehung Jesu. Auch sie empfinde ich wie einen Sonnenaufgang. Und der, der morgen Geburtstag hat, ist ebenfalls wie eine Sonne, die aufgeht: Wolfgang Amadeus Mozart.

Morgen ist sein 258. Geburtstag. Kein Jubiläumsjahr, aber dennoch für mich Grund genug, an ihn zu denken. Seine Musik ist nicht nur für mich wie ein Sonnenstrahl, der sich durch dunkle Wolken bricht. Mozarts Musik öffnet den Himmel, auch wenn sie beileibe nicht nur heiter ist. Sie kennt Licht und Dunkel, Hoffnungsvolles und Verzagendes, aber immer geht ein Zauber von ihr aus, und das nicht nur in der Zauberflöte, Mozarts letzter Oper.

Der evangelische Theologe Karl Barth hatte ein besonderes Verhältnis zu dem Katholiken Mozart. Von ihm wird überliefert, dass er im Himmel zuerst Mozart treffen wollte – und zwar vor so bedeutenden Theologen wie Augustinus, Thomas von Aquin oder Martin Luther. Was hat ihn an Mozart so fasziniert?

In einem Brief zu Mozarts 200. Geburtstag dankt Karl Barth dem „lieben Kapellmeister und Hofkompositeur“, wie er sagt. Mit seiner Musik könne man „jung sein und alt werden, arbeiten und ausruhen, vergnügt und traurig sein, kurz: leben.“

Karl Barth erinnert in seinem Brief aber auch daran, dass Mozart kein leichtes Leben hatte. Etliche Werke spiegeln dies wider, sie stehen in dunklem Moll. Aber bei Mozart befreit und erleichtert auch das Dunkle. Das Schwere klingt, als sei es leicht, und das Leichte, als sei es schwer. Mozart musiziert das Leben in seiner ganzen Bandbreite. Aber er will nicht überreden oder überzeugen, er will nichts erzwingen. Er musiziert einfach und nimmt uns hinein in die Höhen und Tiefen des Lebens. Es gibt in der Zauberflöte den Tamino, der durch Prüfungen geläutert wird, und es gibt den Papageno, der unbeschwert durchs Leben geht und singt, selbst wenn er in einen Moment der Verzweiflung gerät, bis ihn sein Glockenspiel wieder ins Heitere versetzt.

Wenn ich heute Mozart höre, hab ich das Gefühl: Was mir auf der Seele lastet, bekommt Flügel, und ich spüre: Alles wird gut! Das ist das Wunderbare an Mozarts Musik. 

Selbst der Tod wird zum Freund bei Mozart

Eines der letzten Werke Mozarts ist das Klarinettenkonzert. Mit seinem 2. Satz, dem Adagio, hat es schon viele Menschen im Innersten angerührt. Der Tübinger Theologe Hans Küng erzählt, wie dieses Adagio ihn bereits als jungen Theologen gestärkt und getröstet habe, als er in der Fremde, in Paris studierte. Noch heute löst es in ihm eine stille glückselige Freude aus.

Eine ehemalige Klassenkameradin von mir hat über diese Musik gesagt: „Zum Sterben schön!“ Sie erinnert mich mit diesem Ausspruch an einen Brief, den Mozart als 31jähriger – 4 Jahre vor seinem Tod – an seinen Vater schrieb. Darin sagt er: „Da der Tod - genau zu nehmen – der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit ... zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen.“

Zu dieser Glückseligkeit verhilft Mozarts Musik, ohne dass sie es ausdrücklich will. Sie spricht uns an, ohne Absicht, ohne Zwang, einfach so. Das ist das Heitere an ihr. Sogar in Mozarts letztem  unvollendeten Werk, der Totenmesse, gibt es Teile von beglückender Schönheit. Sie erinnern mich an eine Frage, die man dem Theologen Karl Barth einst stellte: „Machen die Engel im Himmel Musik?“ Natürlich eine naive Frage! Aber Karl Barths Antwort ist erheiternd:  „Ich bin nicht sicher, ob sie, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, Bach spielen – ich bin aber sicher, dass sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und dass dann der liebe Gott ihnen besonders gerne zuhört.“

Mozarts Musik dient der Freude, aber sie bleibt demütig und will nicht beherrschen.  Sie befriedet alles Gegensätzliche und ist darum zutiefst menschlich.

Ich wünsche Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, und mir selbst auch, dass Mozarts Musik uns an diesem Sonntag und noch oft im Innersten anrührt und dass sie uns Mut macht,  der Freude unter uns Menschen viel Raum zu geben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16852
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Verbundenheit der Menschen

„Die Zeit der Monsunregen stand bevor, und ein sehr alter Mann grub in seinem Garten tiefe Löcher. „Was tut Ihr?", fragte ein Nachbar. „Ich pflanze Mango-Bäume", lautete die Antwort. „Wollt Ihr noch Früchte von diesen Bäumen essen?" „Nein, so lange werde ich nicht mehr leben. Aber andere werden da sein. Mir fiel neulich ein, dass ich mein Leben lang Mangos gegessen habe, die von anderen Leuten gepflanzt wurden. Auf diese Weise möchte ich ihnen meine Dankbarkeit zeigen."

Mir gefällt diese Geschichte von dem Schriftsteller Anthony de Mello. Der alte Mann denkt nicht nur an sich, ans Haben- und Besitzen wollen. Er ist dankbar für das, was er hat, und nimmt es nicht als selbstverständlich. Er dankt Menschen, die er nicht kennt und denen er nie begegnen wird. Aber er fühlt sich mit ihnen verbunden. Er weiß um die Mühe derer, die vor ihm dafür gesorgt haben, dass er zu essen hat.

Die Verbundenheit mit Menschen, die vor uns gelebt haben, ist ein Teil unseres eigenen Lebens. Oft haben wir für sie nur Kritik übrig: „Wie konnten sie nur! Unmöglich!" Dass sie genau so wie wir versucht haben, ihr Leben zu meistern, haben wir nur selten im Blick. Dass sie genau so wie wir Stärken und Schwächen hatten, lassen wir oft außer Acht. Darum ist die Dankbarkeit so wichtig.

Sie ermöglicht es auch, dass wir unsere Wurzeln anschauen, wo wir herkommen. Dabei entdecken wir, wie viel wir andern verdanken. Wenn die Tochter ihre Mutter nur kritisiert und alles an ihr unmöglich findet, verurteilt sie sich selbst. Natürlich ist ihr das nicht bewusst. Aber sie nimmt deshalb die Mutter als Sündenbock, weil sie ein Stück ihrer selbst ablehnt. Erst wenn sie sich mit sich selbst aussöhnt, kann sie auch ihre Mutter barmherziger sehen. Vielleicht wird sie sogar dankbar. Sie lebt dann glücklicher, denn dankbare Menschen leben glücklicher als undankbare.

Das heißt nicht, wir müssten alles kritiklos hinnehmen. Im Gegenteil: Kritik ist notwendig. Sie hilft uns, etwas zu verbessern. Ich meine jene Kritik, die mit Liebe, mit Verständnis, mit Wohlwollen gepaart ist. Gallige Kritik lähmt und zerstört. Aufmunternde Kritik fördert unsere menschliche Entwicklung. Weil wir Menschen aber verschieden sind und doch immer wieder zusammen finden müssen, braucht es Kritik: Kritik, wenn wir ängstlich festhalten, was sich weiter entwickeln will - Kritik, wenn wir uns gegen Neues und Anderes verschließen. Es ist gerade die Dankbarkeit, die uns dazu treibt, aus all dem, was uns geschenkt wurde, Neues zu entwickeln. Das Leben bleibt nicht stehen im Jetzt und Gestern, es schaut ins Morgen. 

2. Teil: Verschiedenheit ergänzt

Dankbarkeit wird gerade dann aktuell, wenn wir auf Verschiedenheit stoßen. Verschiedenheit kann manchmal lähmen, wenn wir keinen gemeinsamen Nenner finden. Auch die Verschiedenheit von Mann und Frau kann ein Hindernis sein. Man sagt gern: Männer handeln nach dem Verstand, Frauen nach dem Herzen. Herz und Verstand können sich widersprechen, in die Quere kommen, einen gemeinsamen Weg verhindern. Sehen wir aber Verschiedenheit nicht als Trennung, sondern als Bereicherung, so zeigt sich, dass ein Projekt nur dann gut wird, wenn wir es mit Hirn und Herz angehen.

Der Dichter Novalis schrieb: „Die Holzkohle und der Diamant sind ein Stoff - und doch wie verschieden! Sollte es nicht mit Mann und Frau auch so sein? Wir Männer sind  Tonerde, und die Frauen sind Weltaugen und Saphire, die ebenfalls aus Tonerde bestehen." Wenn wir dieses Wort beherzigen, sind Männer nicht mehr eiskalte Verstandesmenschen, die keinen Sinn für Gefühle haben, und Frauen sind nicht nur gefühlsduselige Herzensmenschen. Im Gegenteil: die Frauen werden auch ihren männlichen Anteil entwickeln und die Männer ihren weiblichen Anteil nicht verachten, sondern entfalten. So sind sie sich ihrer gemeinsamen Basis bewusst und können doch ihre Verschiedenheit leben und entfalten. Gibt es ein Problem, so betrachten beide es unter ihrem jeweiligen Blickwinkel. So können sie zu einer Lösung kommen, die beiden Seiten gerecht wird.

Oder das Problem „schwierige Kinder". Ein kluger Kopf sagte: „Es gibt keine schwierigen Kinder, es gibt nur unglückliche." Unglücklich, weil sie sich nicht verstanden oder genug wertgeschätzt fühlen. Vielleicht ist der Vater zu sehr auf Leistung fixiert und setzt unbewusst sein Kind vehement unter Druck - so sehr, dass es diesem Druck nicht Stand hält und versagt.  Da muss die Mutter das Herz einsetzen und so dem Kind den Druck wegnehmen. Dann kann es auch etwas leisten. Die Rollen können auch vertauscht sein - je nachdem, wie  Eltern ihr Frau- und Mannsein entwickelt haben. Alleinerziehende sind da besonders heraus gefordert, weil sie beide Rollen spielen müssen. Aber nur so können Kinder sich gut entwickeln und ihre Talente einbringen, die sie von Gott bekommen haben.

Über allen Problemen steht aber auch hier die Dankbarkeit - die Dankbarkeit der Partner füreinander, dass der Andere da ist und sein Leben mit mir teilt;  die Dankbarkeit für Kinder, die Ausdruck der Liebe Gottes in unserer Welt sind und uns Anteil schenken am Schöpfungswerk Gottes; und schließlich die Dankbarkeit für unser eigenes Leben, das uns geschenkt ist, mit seinen vielen Möglichkeiten, die uns täglich angeboten werden. Sie machen unser Leben und das unserer Mitmenschen froher und zuversichtlicher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15510
weiterlesen...

SWR4 Sonntagsgedanken

Gottesdienst in der Öffentlichkeit

Heute gehen viele Katholiken auf die Straße. Sie feiern Gottesdienst im Freien oder auf einem öffentlichen Platz. Viele schließen eine Prozession an. Sie tragen die geweihte Hostie in der Monstranz, einem versilberten oder vergoldeten Gefäß, durch die Straßen. Dabei singen und beten sie. Auf dem Prozessionsweg sind Altäre aufgestellt. An ihnen wird Halt gemacht und eine bibliche Botschaft verkündet. Die Altäre sind eingerahmt von Blumenteppichen.

Seit dem 13. Jahrhundert gibt es das Fronleichnamsfest. Eine Vision der Nonne Johanna von Lüttich regte dieses Fest an. Der bedeutende mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin verfasste Texte und Gebete. Der Abendmahlsstreit, der in der Reformationszeit ausbrach, führte dazu, dass dieses Fest sich nur in der römischen Kirche hielt. Manchmal wurde es auch als Demonstration gegen andere Konfessionen oder sogar politische Richtungen gefeiert.

Viele Länder, selbst katholische wie Argentinien, wo ich 10 Jahre als Pfarrer war, kennen den heutigen Feiertag nicht oder begehen ihn am nächsten Sonntag. Im Schwabenland hat sich der Feiertag erhalten, auch wenn früher evangelische Bauern gerade an diesem Tag Mist auf die Felder führten, so wie Katholiken den evangelischen Buß- und Bettag missachteten. Heute ist das zum Glück anders. Manche Pfarrer versuchen sogar, dem katholischen Fronleichnamsfest einen ökumenischen Akzent zu geben. Sie schauen voraus auf ein längst ersehntes ökumenisches Miteinander beim Mahl des Herrn.

Welchen Sinn hat es, in der Öffentlichkeit ein Stück Brot zu zeigen? Jesus sagt einmal: „Ich bin das Brot der Welt." Darum ist es in der Tat sinnvoll, wenigstens einmal im Jahr das sonst eher intim Gefeierte in die Welt zu tragen. Denn die Hostie erinnert daran, dass alle Menschen in einer Solidargemeinschaft verbunden sind wie die Weizenkörner in dem einen Stück Brot. Die vielen Menschen auf der weiten Welt bilden eine unzertrennliche Lebensgemeinschaft, so wie die eine Hostie aus vielen gemahlenen Weizenkörnern besteht, aber eben eine Einheit bildet. Das ist ein deutliches Signal für eine Welt, die in egoistische Teile auseinander fällt und trotz Medien- und Kommunikationsnähe seltsam zersplittert, entfernt, ja fremd erscheint. 

Zeichen des Friedens

Die Hostie, die heute an Fronleichnam durch die Straßen getragen wird, ist auch ein Zeichen des Friedens. Er, den sie symbolisiert, Jesus von Nazaret, hat den Frieden Gottes in eine Welt gebracht, die an unversöhnten Gegensätzen leidet, besonders in dem Land, in dem er lebte: Israel-Palästina. Warum gelingt es nicht, Juden und Palästinenser zu  versöhnen? Warum können sie ihr Brot nicht friedlich miteinander teilen? Stattdessen werden Waffen produziert, verkauft, und viele verdienen daran, wir auch, und am Ende steht die Zerstörung. Dann wird wieder aufgebaut bis zur nächsten Zerstörung. Ein Wahnsinn nach dem andern! Die äußeren Wunden mögen heilen, die inneren vergrößern sich. Der Hass bleibt.

Dagegen steht die Hostie. Sie lädt ein zum solidarischen Teilen - egal welche Hautfarbe, welche Überzeugung, welch politische oder religiöse Herkunft einer hat. Solidarisches Teilen: Würden wir richtig teilen, bräuchte niemand in der Welt zu hungern. Eine unglaubliche Vision - und wir sind noch so weit davon entfernt.

Fronleichnam möchte unser Gewissen wach rütteln. Warum hungern soviele Kinder in der Welt oder sind unterernährt? Warum wissen viele andere nicht wohin mit ihrem Geld? Eine Ungerechtigkeit nach der andern! Warum haben so viele Jugendliche keine beruflichen Chancen? Ich war grad mit einer Gruppe bei christlichen Palästinensern in Galiläa. Sie erzählten uns, wie schwierig es für sie ist, eine Zukunftschance zu haben.

Die Blumenteppiche von Fronleichnam sind morgen zusammen gekehrt und im Abfall gelandet, die Altäre wieder abgebaut. Aber Fronleichnam bleibt ein Ereignis, das uns herausfordert, Katholiken wie Protestanten, Glaubende wie Nichtglaubende. Wir können diese Herausforderung übersehen und zur Tagesordnung übergehen. Besser wäre es, uns ihr zu stellen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15396
weiterlesen...