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SWR4 Sonntagsgedanken

Papa, ich guck mal in meinem Kopf

Meine Tochter hat was Tolles gesagt. Sie hat dieses Jahr lesen gelernt und ich hab sie gefragt, was da steht. Sie hat es buchstabiert, aber den Sinn nicht erfasst. Und dann kam‘s: Warte, Papa, ich guck mal in meinem Kopf. Klasse, oder? Ich steig mal kurz in meinen Kopf rein und guck nach, was die Buchstaben bedeuten. Sie hat das Prinzip erfasst: Buchstaben müssen durch mich durchwandern, damit ich ihren Sinn verstehe. Das ist wie mit Weintrauben: Sie nur zu lesen, reicht nicht. Sie müssen gekeltert werden, bevor sie zu Wein werden, den man genießen kann. Und dieses Prinzip gilt auch sonst im Leben: Wenn ich was erlebe, ist das schön. Aber erst, wenn ich es noch mal gedanklich herhole, mir die Bilder vorstelle und darüber nachdenke, kann ich eine Essenz herauskeltern, von der vielleicht etwas bleibt. So werden Erlebnisse zu Erfahrungen, von denen ich später zehren kann. Das aber braucht Zeit. Und die muss ich mir nehmen!

In der klösterlichen Tradition weiß man das schon lange. In St. Peter im Schwarzwald zum Beispiel spiegelt sich das in der Architektur. Wer in dem früheren Benediktinerkloster zwischen Kirche und Küche, zwischen Zelle und Bibliothek unterwegs ist, muss durch lange Gänge gehen. Und das braucht Zeit; es geht nicht anders. Diese Übergänge helfen dabei, die Seele nachkommen zu lassen: Ich kann mich von einer Sache auf die nächste einstellen. Ich kann mich sortieren und aus dem, was ich gerade getan und erlebt habe, herausfiltern, was ich behalten möchte. Oder es einfach nur gut abschließen.

Aber die Gänge und Räume in St. Peter können noch mehr. In einem der Flure hängen zum Beispiel Porträts von den Äbten, die früher das Haus geleitet und das Klosterleben gestaltet haben. Zwei von ihnen fehlen aber: die beiden Äbte, die das Kloster fast ruiniert hätten. Die Benediktiner hatten schon immer ein gutes Gespür für das rechte Maß. Wer das nicht gefunden hat, wurde nicht in die Galerie aufgenommen. Schaue ich mir heute die Bilder an, dann machen sie mich nachdenklich: Woran nehme ich eigentlich Maß? Und wie gehe ich mit dem um, was mir anvertraut ist?

Als ich in St. Peter vor den Porträts gestanden bin, ist mir einiges durch den Kopf gegangen. Ich habe mich gefragt, welche Schätze mir anvertraut sind, nicht nur finanziell. Es gibt Menschen, die ich liebe und für die ich da sein will. Schnell ist mir klar geworden, dass das rechte Maß auch mit ihnen zu tun hat: Ich habe wieder mal gemerkt, dass ich mir oft zu wenig Zeit für sie nehme, weil ich mehr arbeite, als ich eigentlich sollte. Und das gilt auch für mich selber: ich gestehe mir oft nur wenig Zeit zu, um das zu tun, was mir Spaß macht und gut tut. Daran sollte ich etwas ändern. Ich war erstaunt, was die Bilder der alten Äbte auslösen können – gerade die, die gar nicht da sind!

Die Buchstaben des Lebens keltern

Meine Tochter hat mich neulich etwas ausgebremst. Ich habe sie gefragt, was da geschrieben steht. Sie hat erst lesen gelernt und geantwortet: Warte, Papa, ich guck mal in meinem Kopf. Sie hat kurz nachdenken wollen und dabei eingefordert, was generell im Leben wichtig ist: sich immer wieder mal Zeit zu nehmen, um sich zu sortieren. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben davon erzählt, wie die Benediktiner vom Kloster St. Peter bei Freiburg früher damit umgegangen sind. Sie haben das Kloster so angelegt und gestaltet, dass es Besucher wie mich bis heute einlädt, einfach mal langsam zu machen, die Seele nachkommen zu lassen und ein wenig nachzudenken.

Darüber zum Beispiel, wie ich es mit Jesus halte. Zum Kloster gehört ein Fürstensaal, in dem früher Politiker empfangen wurden. Das Deckengemälde zeigt Jesus und ein paar Leute. Die meisten sind blass gemalt, Jesus hingegen kräftig – und nicht nur Jesus, sondern auch ein Sünder. Die Farbe verbindet die beiden miteinander. Das Gemälde will zeigen, dass Jesus der Einzige ist, der sich mit dem Sünder abgibt, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gibt. In dem Raum gibt es auch Spiegel. Sie stehen auf dem Boden und zeigen das Deckengemälde. Wenn ich da reinschaue, schlupfe ich quasi ins Gemälde hinein. Ich sehe mein Spiegelbild bei Jesus stehen und frage mich, wie das mit mir ist: ob ich einer von denen bin, die in der Menge verblassen, oder ob ich mich wie Jesus für andere einsetze und etwas für die Gesellschaft tue, in der ich lebe.

Kann ich als Einzelner die Welt verändern? Die Mönche von St. Peter haben – wenn man das so verstehen will – auch in diese Richtung gedacht: Im Altarraum der Kirche sind Engelfiguren angebracht, die singen und musizieren. Wenn die Mönche morgens in aller Frühe gebetet und halb verschlafen gesungen haben, konnten sie diese Engel sehen. Und ihnen sollte klar werden: auch wenn mein eigener Gesang nicht perfekt ist, so wird er doch mitgetragen von dem der Engel. Ich denke, das gilt für vieles im Leben: Wenn ich das mache, was ich kann, und dabei mein Bestes gebe, ist das genug. Es ergänzt sich mit dem, was andere tun. Und dadurch kann sich die Welt durchaus verändern.

Es lohnt sich, ab und an zu entschleunigen und nachzudenken über mich und mein Leben. Wenn ich das, was ich erlebe und was mich beschäftigt, in Ruhe durch mich hindurchwandern lasse, kann ich es sozusagen keltern, eine Essenz herausfiltern, von der ich dann auch später noch etwas habe. Wenn ich über mich nachdenke, kann ich mir klarer darüber werden, was ich will, wofür ich stehe und wer ich bin. Und das beeinflusst im besten Fall, was ich tue. Das kann ich an Orten wie St. Peter tun und mich vom Geist des Hauses inspirieren lassen. Oft reicht es aber schon, aufmerksam zu sein und einfach mal zwischendurch – wie das meine Tochter gesagt hat – in meinem Kopf zu gucken, was die Buchstaben eigentlich bedeuten, die mein Leben so schreibt.

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SWR4 Sonntagsgedanken

A real Man


Es gibt da ein interessantes Teamspiel. Vier Leute stellen sich vier anderen gegenüber und strecken ihre Zeigefinger aus. Sie verzahnen die Finger so wie bei einem Reißverschluss. Dadurch entsteht eine Art Zeigefingerstraße, auf die der Spielleiter dann einen ausgeklappten Zollstock legt. Dann bekommt das Team die Aufgabe, den Zollstock auf dem Boden abzulegen. Einzige Bedingung: alle Finger bleiben am Holz.Ich hab das erst nicht geglaubt, aber dieses Spiel kann echt lange dauern. Acht Leute brauchen dafür schon mal zehn Minuten Zeit! Ohne Absprachen geht das nicht. Das Team muss sich überlegen und darauf einigen, wie es vorgehen will. Schließlich muss jeder seine Finger am Holz lassen und das ist gar nicht so einfach. Das geht nur, wenn die Teammitglieder auch auf diejenigen achten, die sich mit der Übung schwer tun: weil Knie oder Rücken schmerzen und sie deshalb nicht in die Hocke gehen können oder weil sie vielleicht die Finger nicht ruhig genug halten. Die Gruppe muss offen darüber sprechen, was zu tun ist, sich dem Tempo der Langsameren anpassen und Rücksicht auf sie nehmen. Nur dann klappt das.

Wenn ich dieses Teamspiel anleite, dann nehme ich dafür nicht irgendeinen Zollstock. Ich habe einen besonderen: den „Maßstab Mensch“. Das steht auch auf diesem Zollstock drauf. Ich finde, dieser „Maßstab Mensch“ passt zu dem Spiel besonders gut, da es ja darum geht, am anderen Menschen Maß zu nehmen. Das Spiel ausgerechnet mit diesem Zollstock zu spielen, macht die Leute oft nachdenklich. Sie tauschen sich darüber aus, wie sie mit einander umgehen, woran sie andere Menschen messen und woran sie selber gemessen werden wollen.

Ich sage dann meistens auch noch etwas zu dem Wort „Mensch“. Dieses Wort ist vom Deutschen ins Jiddische gewandert und von da ins Englische. Und in allen drei Sprachen heißt es gleich, nämlich „Mensch“. Wenn man im Jiddischen „wirklicher Mensch“ sagt oder im Englischen „a real Mensch“, dann heißt das so viel wie „eine Seele von Mensch“. So ein „wirklicher Mensch“ ist besonders aufrichtig und vertrauenswürdig. Er ist tapfer und anständig. Er ist authentisch und tut das Richtige, weil er auf andere achtet. Er respektiert sie, nimmt Rücksicht auf sie und schert sich nicht darum, ob sie hübsch oder hässlich, reich oder arm, mächtig oder hilflos sind. Ihm geht es um den Kern des anderen, um sein Wesen. „A real Mensch“ weiß, dass alles, was er tut, Folgen hat. Daher handelt er umsichtig; zuhause, draußen und bei der Arbeit. Und wenn er mal was falsch macht, dann gibt er das zu. Schließlich muss er keine äußere Fassade wahren.

„Maßstab Mensch“. Mit diesem Zollstock kann man tolle Spiele machen. Aber auch so richtig in die Tiefe gehen und darüber philosophieren, woran man als Mensch Maß nimmt und was einem wichtig ist, wenn man mit anderen zu tun hat. Und besonders spannend wird es, wenn man direkt mit diesen anderen darüber spricht.

Von Gott geliebt und angenommen

Gerade habe ich in meinen Sonntagsgedanken vom „Maßstab Mensch“ erzählt. Das ist ein klassischer Zollstock, der einfach so heißt. Auf ihm sind neben den Zahlen aber auch Zitate, Namen und Schlagworte abgedruckt; aus der Geschichte der Philosophie und Medizin, aus der Bibel oder von wichtigen Personen. Da ist zum Beispiel „Gandhi“ zu lesen und was man mit ihm verbindet: „gewaltloser Widerstand“. Auch Franz von Assisi und Luther, Galilei und Napoleon. Menschen also, die die Welt geprägt und Geschichte geschrieben haben, weil sie etwas Besonderes geleistet, etwas entdeckt, sich sonst wie hervorgetan und Maßstäbe gesetzt haben.

Wer sich mit diesem Maßstab misst, bei dem könnte schnell Frust aufkommen. Irgendwie vergleicht man sich doch mit diesen Persönlichkeiten und das schüchtert ein. Gut, dass da auch Zitate aus der Bibel auf dem Holz stehen. Ich finde nämlich, die bewirken grad das Gegenteil: sie machen Mut. Da heißt es zum Beispiel: „Du, Gott, umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich“ (Ps 139). Und weiter, dass Gott jeden einzelnen Menschen kennt, noch bevor er geboren ist. Dass er ihn segnet und bei ihm ist. Das heißt doch, dass ich als Mensch zunächst einmal sein darf, wie ich bin. Denn ich bin von Gott gewollt und geliebt, auserwählt und gesegnet. So wie ich bin. Ich habe eine Würde allein dadurch, dass ich bin. Ich muss nicht gleich so großartig sein wie die großen Leuchten der Menschheitsgeschichte. Ich darf wachsen, größer werden und reifen; an den Umständen, die mir das Leben beschert, und an den Personen, die mir begegnen.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat das mal auf seine ganz eigene Art ausgedrückt. Er hat gesagt. „Ich werde am Du“. Auch der Satz steht auf dem Zollstock. Ich wachse an meinem Gegenüber, dadurch, dass ich mich ständig mit ihm und mit der Welt, die mich umgibt, auseinandersetze. Ich darf also werden, mich entwickeln, wachsen. Und wenn ich damit beginne, den anderen so zu respektieren wie er ist, wenn ich auf ihn Rücksicht nehme, weil er vielleicht mit meinem Tempo nicht mithalten kann oder weil er meine Hilfe braucht, dann ist ein Anfang gemacht. Ob ich mich dann mit ihm solidarisiere, ihm helfe und am Ende vielleicht sogar ein kleiner Franz von Assisi oder ein kleiner Gandhi werde, das kann sich ja dann immer noch zeigen.

Ich nutze den „Maßstab Mensch“ gerne, um Leute ins Gespräch zu bringen. Ich lasse ihn dazu manchmal aufklappen und zu einem Kreuz formen. Das Kreuz erinnert nämlich an Jesus, der den Menschen auf Augenhöhe begegnet ist, weil sie ihm etwas bedeutet haben – so wie sie sind. Für Gott ist jeder Mensch wichtig, auch wenn er nicht perfekt ist. Daran möchte ich gemessen werden und daran kann auch ich Maß nehmen.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Auf der Bühne meines Lebens

„Gott spielt keine Rolle in meinem Leben.“ Ich kenn diesen Spruch schon länger und hab ihn neulich wieder mal auf einem T-Shirt gelesen. Er berührt mich immer wieder neu. Gott spielt in meinem Leben keine Rolle. Ich glaube, das ist wirklich oft so.

Die Hauptrollen auf der Bühne meines Lebens sind gut besetzt; auch ohne Gott. Durch Personen, die mir nahe stehen zum Beispiel, die mich prägen oder geprägt haben – auch wenn sie mittlerweile vielleicht von der Bühne abgetreten sind. Dazu gehören die Familie, Freunde und Kollegen. Die Hauptrollen sind aber auch besetzt durch das, was mir besonders wichtig ist: Projekte zum Beispiel, an denen ich gerne arbeite, oder Dinge, die mich interessieren. Auch die Nebenrollen sind vergeben, manchmal schneller als mir das lieb ist: durch das, was ich tun muss, oder durch Menschen, die auftauchen, etwas von mir wollen und mich auf Trab halten. Für Gott bleibt da kaum Spielraum: er kommt vielleicht noch vor, wenn ich den Gottesdienst mitfeiere, wenn ich bete oder eine Erzählung aus der Bibel höre, die mich anspricht. Sonst aber nicht.

Ich arbeite viel, schaue, dass ich genügend Zeit für meine Familie, für mich oder das habe, was sonst noch so ansteht. Das ist nichts, was die Welt bewegt, und wahrscheinlich ist es viel zu banal, zu alltäglich, als dass Gott da eine Rolle spielen könnte.

Wer jenes T-Shirt schon mal gesehen hat, weiß, dass der Spruch noch weitergeht: „Gott spielt keine Rolle in meinem Leben“, steht auf der Vorderseite – und hinten drauf: „Er ist der Regisseur.“ Das überrascht vielleicht, aber ich finde die Vorstellung ganz interessant. Im Theater bleibt der Regisseur ja meistens unsichtbar. Und doch gibt es ihn. Er spielt keine Rolle auf der Bühne, weil er das ganze Stück überblicken muss. Und das kann er nun mal von außen viel besser als jeder, der mitspielt und selber auf der Bühne steht. Ein Regisseur fordert seine Schauspieler heraus, indem er ihnen immer wieder neue Rollen zuteilt. Manchmal solche, die ihnen liegen und in denen sie zeigen können, was in ihnen steckt. Ein andermal solche, an denen sie wachsen müssen, ja, vielleicht sogar über sich hinaus. Er bringt die vielen Haupt- und Nebenfiguren so zusammen, dass sie sich gegenseitig ergänzen, sich entfalten und ihre jeweilige Rolle mit Leben füllen können. Das zeichnet ihn aus.

„Gott spielt in meinem Leben keine Rolle. Er ist der Regisseur.“ Dieser Gedanke spricht mich an, denn ein Regisseur kennt seine Leute. Er weiß, was er mir zumuten kann und womit er mich überfordert. Er hat den Überblick und das macht es mir leichter, die Rollen anzunehmen, die ich ausfüllen und gestalten soll. Ich darf Gott vertrauen, auch wenn mir meine Rolle mal nicht gefällt oder ich mich nur schwer in sie reinfinde, weil ich keinen Sinn in ihr sehe. Schließlich sollte der große Regisseur doch wollen, dass das Stück meines Lebens gelingt.

Wenn Gott die Regie übernimmt

„Gott spielt in meinem Leben keine Rolle. Er ist der Regisseur.“ Über diesen Spruch habe ich mir eben meine Sonntagsgedanken gemacht. Gott gibt mir die Rolle meines Lebens. Aber was dann? Muss ich alleine damit klar kommen – oder greift er auch mal ein?

Die Bibel erzählt von Leuten, bei denen Gott sehr deutlich Regie geführt hat: von Mose, Elija und Jesus zum Beispiel.

Mose wird von Gott beauftragt, Israel aus der Sklaverei zu führen. Kein leichter Job. Dementsprechend druckst er herum: „Herr, sie werden mir nicht glauben. Und überhaupt: Ich kann nicht gut reden, geschweige denn überzeugen. Nimm doch einen anderen.“ Aber für Gott ist klar: Mose ist der richtige Mann.

Der lässt sich schließlich auch drauf ein und bekommt Unterstützer zur Seite: sein Bruder Aaron steht ihm bei, und sein Schwiegervater Jitro berät ihn. Das stärkt Mose und er wächst über sich hinaus: Erst verhandelt er knallhart mit dem Pharao, dann führt er das Volk trotz großer Mühen in die Freiheit.

Der Prophet Elija hingegen schlägt sich eher als Einzelkämpfer durch. Er versucht, in Israel den rechten Glauben durchzusetzen, macht sich damit aber keine Freunde. Eines Tages erfährt er, dass es ihm an den Kragen gehen soll, und taucht erst mal unter. Elija ist ziemlich am Ende, fast depressiv. Er hockt in einer Höhle und klagt: „Ich bin für Gott eingetreten. Nun bin ich allein und sie trachten mir nach dem Leben.“ Elija ist erschüttert; der Boden unter seinen Füßen wankt. Erst als es wieder ruhiger wird, hört er ein leises Säuseln im Wind. In dieser Stille spricht Gott zu ihm, gibt ihm eine neue Perspektive und motiviert ihn weiterzumachen. Mit Erfolg.

Mose und Elija vertrauen auf Gott. Das zeichnet sie aus. Genau wie Jesus, der selbst im Tod noch darauf hofft, dass Gott ihm hilft. Diese drei sind Paradebeispiele dafür, wie Menschen sich von Gott führen lassen. Allerdings nicht blind. Sie wenden sich auch mal kritisch an den großen Regisseur: Mose wehrt sich dagegen, seinen Auftrag anzunehmen. Elija will nicht mehr weitermachen. Und selbst Jesus hadert am Kreuz: mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Genau deshalb finde ich die drei so sympathisch. An der Regie zu zweifeln, das kenne ich doch auch von mir: Manchmal weiß ich nicht, wie und wo ich anfangen soll, bin frustriert, mutlos oder komplett unsicher, ob Gott überhaupt noch da ist.

Wenn ich zurückschaue, wie diese Situationen jeweils bei mir ausgegangen sind, dann ist das ein bisschen wie bei Mose und Elija: Auch mir haben schon Leute unerwartet beigestanden, wo ich überfordert war. Menschen sind auf einmal aufgetaucht, die mir gut getan haben. Neue Perspektiven haben sich eröffnet, als ich bewusst in mich gegangen bin. Und es hat sich schon oft etwas als gut erwiesen, was mich zunächst aus der Bahn geworfen.

Ich kenne auch das Gefühl, dass Gott manchmal die Hände in den Schoß legt, abwartet und mich einfach machen lässt. Aber ich glaube, er ist trotzdem da. Wenn mir mein Leben über den Kopf wächst, dann greift er schon mal ein, besetzt Rollen neu oder flüstert mir etwas zu – ein bisschen so wie damals bei Mose und Elija.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Seid wachsam!

Wenn morgens der Wecker klingelt, schlafe ich meist noch tief und fest. Was ich da nicht brauchen kann, ist ein Weckruf, der mich aus den Federn schmeißt. Und doch komme ich nicht anders in die Gänge. Ganz ähnlich ist das bei mir mit dem Advent. Wach auf und sei wachsam – das ist die Botschaft des Tages. Jesus hat das zu seinen Jüngern gesagt und sie damit wachgerüttelt. Er sagt: Mit Gott ist es wie mit einem Hausherrn, der irgendwann vor der Tür steht. Nur wer wach ist, kriegt den Moment mit. Nur wer aufmerksam ist, kann dann, wie es im Kirchenlied heißt, die Tür hoch und die Tore des Herzens weit machen, um den Herrn zu empfangen.

Auch wenn ich Wecker nicht mag, bin ich doch froh, dass mich der Advent so deutlich wachrüttelt. Mir passiert es nämlich oft, dass ich in meinem Alltag nur wenig mit Gott rechne. Mir ist schon klar, dass er überall auftauchen kann. In meinem Gegenüber zum Beispiel. Ich denke auch manchmal an ihn, wenn ich einen Regenbogen sehe, denn der ist für mich so eine Art Brücke zwischen Himmel und Erde. Aber dass Gott auch direkt an die Tür meines Herzens klopft und auch in mir etwas bewirkt, das geht mir oft durch. Um das zu merken, bräuchte ich nicht nur einen adventlichen Weckruf. Ich müsste mir auch die Zeit nehmen, mal genauer hinzuschauen. Und daran hängt es oft.

Ordensleute sind da geübter. Sie meditieren und beten regelmäßig. Dabei lernen sie sich selbst besser kennen. Wer still ist und sich Zeit für sich nimmt, stellt fest, was er denkt und fühlt. Er merkt, wonach er sich sehnt, was er sich wünscht und was er tun kann, um das zu erreichen. Das verändert, wie er die Welt sieht und wie er mit ihr umgeht; denn wer so achtsam ist, prüft im Idealfall genau, was für ihn und andere gut ist – und das tut er dann auch.

Ich denke, genau hier kommt Gott ins Spiel, der da anklopft. Denn wenn ich in mich gehe, entdecke ich, dass ich mich nach Liebe und Geborgenheit sehne, nach Frieden und Gerechtigkeit. Dinge, die Gott wichtig sind. Visionen, die Jesus verkündet und gelebt hat. Ideale, an denen auch ich mich orientieren kann und die ganz konkret lenken, was ich tue. Wenn ich zum Beispiel davon ausgehe, dass Gott bei mir durch das wirkt, was mir selber wichtig ist, was ich mir ersehne und wünsche, dann werde ich dem Kollegen sicher keins reinwürgen, nur weil ich mich über ihn geärgert hab. Das führt nicht weiter und bringt mich dem Frieden nicht näher. Besser, ich spreche ihn auf die Sache an und kläre das. Dadurch verändert sich etwas.

Wacht auf und achtet auf den Herrn; zum Beispiel in der Stille. Die Ordensleute haben früher sogar körperlich erfahren, dass sich was tut, wenn man diesem Weckruf folgt. In St. Peter im Schwarzwald zum Beispiel. Dort gibt es nämlich besondere Kniebänke: Wenn sich die Mönche früh morgens in der eiskalten Kirche versammelt haben, um zu beten, sind sie auf Holzkästen gekniet, in denen heiße Steine lagen. Wer also aufmerksam war und sich Gott zugewandt hat, hat schon bald nicht mehr gefroren. Er hat am eigenen Körper gespürt: beten wärmt.

Und wenn ich zu müde bin?

Wacht auf und seid wachsam, denn ihr wisst nicht, wann der Herr kommt. Das ist die Botschaft des Advents. In meinen Sonntagsgedanken habe ich überlegt, was das heißen kann. Mir Zeit zu nehmen, um still zu werden, zu meditieren und zu beten zum Beispiel. Dabei kann ich nämlich entdecken, wonach ich mich sehne, was ich mir wünsche und was mir wichtig ist. Dadurch kann ich Gottes Stimme in mir hören, die mich letztlich dazu anleitet, anders zu leben, friedlicher, gerechter und liebevoller.

Was aber, wenn ich zu müde bin, um zu meditieren, zu beten und wachsam darauf zu achten, wie Gott bei mir ankommt? Theresa von Avila hat sich das mal gefragt. Sie hat im 16. Jahrhundert gelebt, mehrere Klöster gegründet und dabei richtig angepackt. Sie hat dabei geholfen, die Häuser herzurichten und für den Einzug vorzubereiten. Sie hat sich um ganz banale Dinge gekümmert, das Stroh zum Beispiel, auf dem die Ordensleute schlafen sollten. Das hat sie ganz schön geschlaucht. Sie soll gebetet haben: „Herr der Töpfe und Pfannen, ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein und Dir zum Wohlgefallen in der Nacht zu wachen, auch kann ich nicht meditieren in der Morgendämmerung.“

Dann macht sie Gott einen Vorschlag: „Mache mich zu einer Heiligen, indem ich Mahlzeiten zubereite und Teller wasche. Nimm an meine rauen Hände, weil sie für Dich rau geworden sind. Kannst Du meinen Spüllappen als einen Geigenbogen gelten lassen, der himmlische Harmonie hervorbringt auf einer Pfanne? Sie ist so schwer zu reinigen (…)! Hörst Du, lieber Herr, die Musik, die ich meine? Die Stunde des Gebetes ist vorbei, bis ich mein Geschirr vom Abendessen gespült habe, und dann bin ich sehr müde. Wenn mein Herz noch am Morgen bei der Arbeit gesungen hat, ist es am Abend schon längst vor mir zu Bett gegangen.“

Theresa von Avila ist realistisch. Nicht jeder kann sich die Zeit nehmen, um in Ruhe zu meditieren oder zu beten. Ich kenne das gut: oft ist zu viel los und ich bin einfach zu müde dafür. Neulich stand in der Zeitung, dass es sogar dem Papst so geht und dass er manchmal beim Beten einschläft. Aber so wie Theresa betet, zeigt sie, worauf es ankommt: sie geht davon aus, dass Gott immer und überall da ist. Sie rechnet mit ihm und glaubt, dass Gott auch dann bei ihr anklopft, wenn sie einfach nur dem nachgeht, was sie täglich so tut. Das zeigt eine Grundhaltung, die für mich adventlich ist: zu meditieren und zu beten ist wichtig; und es braucht manchmal Auszeiten dafür. Ich kann Gott aber auch entdecken, wenn ich einfach achtsam tue, was gerade ansteht – vielleicht ab und zu unterbrochen durch ein Stoßgebet wie das von Theresa.

Wacht auf und seid wachsam! Es gibt viele Möglichkeiten, „aufgeweckt“ zu leben und aufmerksam dafür zu sein, wo und wie Gott bei mir ankommt.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten ersten Advent.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Wie ich auftrete sagt vieles über mich aus

Pferde auszuführen, sie zu bürsten und zu striegeln, gehört nicht gerade zum Kerngeschäft eines Theologen. Dennoch habe ich es getan; beruflich. Meine Kollegen und ich waren „pferdeflüstern“ im Kraichgau. Wir haben einen Pferdehof besucht, um etwas über Kommunikation zu lernen, vor allem über das, was sich auf der nicht-sprachlichen, der non-verbalen Ebene abspielt, wenn Menschen aufeinandertreffen. Menschen kommunizieren immer; sie können gar nicht anders. Aber nur ein kleiner Teil davon geschieht mit Worten. Das meiste drücken sie ohne Sprache aus: Wie ich dastehe, meine Hände halte oder meinen Kopf neige – das alles sagt etwas aus und bewirkt etwas beim Gegenüber. Pferde sind für solche Signale sehr empfänglich und daher als Kommunikationstrainer besonders geeignet. Sie reagieren prompt auf das, was ich bewusst oder unbewusst ausstrahle; und spiegeln es sofort zurück.

Die erste Übung scheint einfach zu sein: „Sucht Euch ein Pferd aus, nehmt es an den Strick und führt es herum.“ Leichter gesagt als getan! Ich habe großen Respekt vor den Tieren. Also betrete ich ganz langsam die Koppel und nähere mich vorsichtig einem Pferd. Es merkt wohl irgendwie, wie unschlüssig ich bin und nutzt das sofort aus. Was auch immer ich versuche: es bleibt einfach stehen und verweigert sich. Die Trainerin rät mir, entschlossener aufzutreten, bei allem Respekt vor dem Tier. Ich soll nicht zögern, es einfach anleinen und loslaufen. Auch unterwegs soll ich ihm zeigen, dass ich mir ganz sicher bin und den Weg kenne. Ich versuche das und es klappt wirklich.

Schnell wird mir deutlich, was das für Menschen heißt und die Art, wie sie auftreten: In jeder Begegnung schwingt mit, was ich denke oder fühle, ob ich Respekt habe oder Angst, ob ich mir meiner Sache sicher bin oder nicht. Was in mir vorgeht, spiegelt sich darin wider, wie ich auftrete. Das fängt schon damit an, wie ich jemanden begrüße: wertschätzend und respektvoll ist das dann, wenn ich aufrecht dastehe und dem anderen in die Augen schaue. Ihm kräftig die Hand zu schütteln, kann bedeuten, dass ich voller Energie bin, selbstsicher und entschlossen. Das ist übrigens eine gute Voraussetzung dafür, jemanden für etwas zu gewinnen, das mir wichtig ist. Wenn ich wach und aufmerksam bin, den Blick des anderen suche und erwidere statt ins Leere zu schauen, wenn ich offen und zielsicher auftrete statt verschlossen und zögerlich, dann strahlt das eine gewisse Offenheit aus. Es zeigt, dass ich am anderen interessiert bin und dass ich mich auf ihn einlasse. Und es spricht für meine innere Klarheit! Mein Gegenüber spürt dann nämlich: der weiß, was er will. Er hat einen Plan; ihm kann ich vertrauen und folgen.

Ja, gefolgt ist mir mein Pferd dann tatsächlich. Allerdings nicht lange. Schon beim nächsten Versuch hat es mich wieder abblitzen lassen. Es gibt nämlich noch mehr Dinge, die man über Pferde wissen muss oder vielmehr darüber, was im Kontakt mit anderen wichtig ist – abgesehen davon, sicher aufzutreten.

Dem anderen Raum geben, Umwege zulassen, Beziehungen pflegen,

In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben von einem Seminar erzählt, das ich mit Kollegen besucht habe. Wir haben mit Pferden gearbeitet, um von ihnen etwas über Kommunikation zu lernen, über das, was sich auf der nicht-sprachlichen Ebene abspielt, wenn Menschen zusammentreffen. Wenn ich zum Beispiel sicher und entschlossen auftrete, kann ich andere leichter zu etwas bewegen. Sie vertrauen mir, weil ich ihnen zeige, dass ich weiß, was ich will und was ich tue.

Bei meinem Pferd hat das geklappt. Es ist mir gefolgt, weil ich entschlossen war. Leider nur kurz; dann ist es wieder stehen geblieben. Aber nicht, weil ich gezögert habe. Der Weg war ihm zu schmal! Das Pferd war eingeengt und hatte nicht genügend Platz, um sich zu bewegen. Es hat sich unwohl gefühlt und hätte gegen seinen Instinkt handeln müssen. Das hatte ich nicht bedacht.

Auch zwischen Menschen ist das manchmal so: etwas läuft nicht, weil einer dem anderen zu wenig Raum lässt. Zum Beispiel bei der Arbeit. Um etwas zu erledigen oder ein Ziel zu erreichen, hat jeder so seinen Weg, seine Methode und sein Tempo. Nur wenn jeder genug Spielraum hat, Dinge auf seine Art anzupacken, funktioniert es. Auch Beziehungen scheitern oft daran, dass sich Partner zu wenig Freiraum zugestehen. Partnerschaft heißt ja nicht: „Du gehörst mir. Lass uns alles gleich tun.“ Es geht vielmehr darum, dem anderen Luft zu lassen und die Möglichkeit zu geben, er selbst zu sein und auch mal zu tun, was ihm wichtig ist.

Und noch etwas ist mir aufgegangen, als ich versucht habe, das Pferd dorthin zu lenken, wo ich hin wollte: Ich verliere nicht, wenn ich dem anderen mal nachgebe und seinen Weg einschlage. Vielleicht mache ich dadurch einen Umweg. Aber ich spare viel Kraft, weil ich ihn nicht erst lange überzeugen und dann doch mühsam mitschleifen muss.

Am besten bin ich übrigens mit dem Pferd zurechtgekommen, nachdem ich es gebürstet, gestriegelt und von Stechmücken befreit hatte. Durch all das nämlich hat das Tier gespürt, dass ich ihm nichts Böses will. Auch das lässt sich auf Menschen übertragen. Wenn die Beziehung stimmt und Menschen einander vertrauen, ist vieles möglich. Deshalb ist es auch so wichtig, immer wieder mal mit Kollegen zu plauschen, Freunde zum Grillen einzuladen oder dem Nachbarn einen Gefallen zu tun! Kleine Gesten eben. Beziehungen leben davon, dass man dem anderen Zeit schenkt, sich für ihn interessiert und Anteil nimmt an dem, was ihn bewegt. Dazu gehört auch, ihn mal zu loben oder ihm ein nettes Wort zu sagen.

Ob dem Pferd unserer Seminar gefallen hat, kann ich schlecht sagen; zum echten Pferdeflüsterer fehlt mir dann doch noch die Übung. Aber ich war begeistert, denn ich habe besser verstanden, was sich da so abspielt, wenn Menschen auf Menschen treffen – oft unbemerkt, ganz ohne Worte.

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SWR4 Feiertagsgedanken

Der dreifaltige Gott und das Wasser

Gott mit etwas zu vergleichen, muss eigentlich schief gehen. Denn Gott ist mehr als alles, was ich aus meiner Erfahrungswelt kenne. Und doch tue ich es manchmal! Ich kann nicht anders. Ich muss Gott mit etwas vergleichen, wenn ich eine Ahnung davon bekommen will, wer oder was er ist. Das geht mir gerade an Pfingsten so, wenn der Heilige Geist gefeiert wird. Was soll das denn sein – heiliger Geist? Und wie verhält er sich zu Vater und Sohn. Ein Gott in drei Gestalten?

Um in das Geheimnis Gottes ein wenig vorzudringen, kann Wasser helfen. Wasser fließt. Es kommt in Bächen und Seen vor, macht lebendig, nährt Pflanzen, tränkt Tiere und Menschen. Und es trägt Schiffe. Wasser kann aber auch hart und kalt sein, glatt und rutschig: als Eis nämlich. Dann trägt es zwar auch, aber anderes: Schlittschuhläufer zum Beispiel. Als Eisblock kühlt es Lebensmittel, als Eiswürfel Getränke. Wasserdampf hingegen macht genau das Gegenteil: Er ist heiß und gefährlich. Anders als Eis erzeugt er Energie und treibt Maschinen an. Er lässt sich nicht anfassen und doch bewirkt er etwas.

Wasser kommt also auf drei Arten vor: fest als Eis, flüssig als Wasser und gasförmig als Dampf. Will ich wissen, was Wasser wirklich ist, muss ich alle drei Formen zusammen­nehmen. Es geht nicht anders. Und genau so erlebe ich es, wenn ich über Gott nachdenke. Natürlich ist kein Bild perfekt. Aber wie Wasser hat auch Gott ein Wesen, dem ich nur auf die Spur komme, wenn ich mir die drei Gestalten genau anschaue, in denen er sich zeigt: Gott Vater, Sohn und Geist.

Eis ist fest und kann Menschen tragen. Wenn man so will: wie Gott-Vater. Für mich ist er der Grund, der alles hält. Er sorgt dafür, dass alles „flutscht“, dass die Dinge laufen und die Welt sich dreht.

Wenn Eis schmilzt, wird es zu Wasser. Aus Gott Vater wird der Sohn geboren, Jesus! Die Bibel erzählt, wie er Menschen Hoffnung gibt. Jesus bezeichnet sich selbst einmal als lebendiges Wasser und er schenkt den Menschen neues Leben, mit denen er zusammen ist: den Jüngern zum Beispiel, den Armen und Kranken.

Wasserdampf kommt für mich dem Heiligen Geist am nächsten, weil man ihn nicht greifen kann. Den Geist sieht man nicht, aber er wirkt, wo immer etwas aufbricht, das die Welt verändert. Er wirkt, wo etwas Fahrt aufnimmt wie eine Dampflok. Dieses Bild gefällt mir, denn die Lok wird von Wasserdampf angetrieben, einer Kraft, die sich nicht greifen lässt, die aber unheimlich stark ist, Energie erzeugt und bewegt.

Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Für mich sind das drei Dinge, drei Gestalten. Aber wie Eis, Wasser und Dampf sind sie von ihrem Wesen her eins. Gott mag mit nichts vergleichbar sein. Aber Bilder wie das vom Wasser brauche ich manchmal, um ein klein wenig von dem zu erahnen, was meine Vorstellungskraft sprengt.


Gottes Geist und die „heilige Unzufriedenheit“

Was ist der Heilige Geist? Darüber habe ich mir gerade Gedanken zum Pfingstfest gemacht. Der Heilige Geist ist der Geist Gottes. Ich kann ihn nicht sehen, aber fühlen. Wie Wasserdampf kann ich ihn nicht greifen, aber er wirkt, hat Energie und Kraft. Wie das konkret aussieht, kann ganz unterschiedlich sein.

Wenn die Bibel vom Heiligen Geist spricht, dann spricht sie zum Beispiel von den Früchten des Geistes (vgl. Gal 5,18-25). Sie sagt: Wo Menschen herzensgut, treu oder freundlich sind, fröhlich, friedlich oder liebevoll, wo sie sich für andere einsetzen, da handeln sie im Geist Gottes. Der Apostel Paulus denkt zudem über die Gaben des Geistes nach. Er sagt: Jeder hat von Gott etwas mitbekommen, das er gut kann: Fähigkeiten, die aus göttlichem Geist erwachsen, weil sie mir und anderen nutzen (vgl. 1 Kor 12).

Paulus sagt auch, dass der Geist Menschen zu Kindern macht, die Gott ihren Vater nennen (vgl. Röm 8,15). Ich habe lange nicht verstanden, was er damit meint, und ich habe mich auch ein wenig dagegen gesträubt, als Kind bezeichnet zu werden. Vielleicht geht es Paulus aber um das Gefühl, das Kinder ihrem Vater gegenüber haben, wenn er sie zum Beispiel in die Luft wirft und wieder auffängt. In dem Moment spüren sie tief im Herzen, was sie mit ihm verbindet: sie wissen, wo sie hingehören und dass ihr Papa sie liebt. Das ist keine Kopfsache; es geht da um etwas ganz tief drin. Paulus schreibt einmal, dass der Geist dem Herzen Gewissheit gibt, dass Gott es liebt (Röm 5,5). So fühlt sich für ihn heiliger Geist an: er geht zu Herzen und er macht die Liebe Gottes spürbar.

Paulus selbst hat einmal erfahren, was es heißt, von einer „heiligen Unzufriedenheit“ geplagt zu sein. Auch darin sieht er eine Variante, wie der Geist wirkt. Als er in Athen die vielen Götterstatuen sieht, wird er stinksauer! Er beschließt, länger dort zu bleiben, um das Evangelium zu verkünden und gegen diese Götzen anzupredigen (Apg 17,16). Er wirft seine Reisepläne über Bord, um sich selbst treu zu bleiben und weil er eben unzufrieden ist. Für ihn zeigt sich in dieser heiligen Unzufriedenheit der Geist Gottes. Ich glaube, das gibt es bis heute: Ich kenne Menschen, die ihren Beruf aufgegeben oder ein Amt abgegeben haben, um zu tun, was sie im Herzen umtreibt: für andere da zu sein. Und ich denke auch an Menschen, die ihren eigenen Weg gehen und nicht den, den andere für sie vorsehen – weil sie sich dazu berufen fühlen. Und ich rechne auch die Leute dazu, die in diesen Tagen auf die Straßen gehen, weil Unrecht geschieht – einigen Menschen in der Türkei zum Beispiel. Diese Leute verspüren eine heilige Unzufriedenheit und handeln entsprechend.

Nicht alles, was mich bewegt, kommt von Gott. Und ich muss vorsichtig sein, dass ich nicht, ja, meinen eigenen Vogel für den Heiligen Geist halte. Aber manchmal ist da eben eine offene Tür, die vielversprechend ist, eine innere Unruhe, die mich lenkt, oder jenes tiefe Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Für mich hat das immer dann etwas mit Gottes Geist zu tun, wenn es letztlich zu etwas Gutem führt: für mich und auch für andere.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Partnerschaft - die Kunst, die Blance zu halten

Immer wieder habe ich mit jungen Paaren zu tun, die heiraten möchten. Einen Tag lang nehmen sie sich Zeit für sich und ihren Partner und beschäftigen sich damit, was sie von einander erwarten. Sie überlegen sich, was eine Partnerschaft ausmacht und wie ihre Beziehung gut werden kann.

Die Vorstellungen der Paare sind ganz unterschiedlich: Für die einen gehört zu einer guten Beziehung, sich zu fetzen und auch mal heftig zu streiten; andere halten das für ungut. Manche betonen die gemeinsamen Interessen und wollen möglichst viel zusammen erleben; anderen ist es wichtiger, dass jeder für sich sorgt und seinen Freiraum hat. Es zeigt sich dann schnell, dass es weder das eine noch das andere Extrem ist: Alles gemeinsam zu tun, fördert eine Partnerschaft ebenso wenig, wie wenn jeder nur die eigenen Wege geht. Nähe und Distanz sollten gut ausbalanciert sein. Ebenso Streit und Harmonie. Das ist wie in der Musik: sie wird erst richtig interessant, wenn sie nicht nur harmonisch und auch nicht nur dissonant klingt. Die Mischung macht‘s. Genauso ist es in der Partnerschaft: zu viel Streit schadet, zu wenig aber auch. Wer immer nur friedlich und höflich ist, fördert einen falschen Frieden, eine „Friedhöflichkeit“, die – wie der Name schon sagt – Beziehungen sterben lässt. Ideal ist ein Mittelweg: Wer sich ab und zu konstruktiv und fair streitet, macht sich Luft und klärt die Fronten.

Den Paaren fallen meist noch mehr Dinge ein, die gut ausbalanciert sein sollten und die zu einer guten Beziehung gehören: So sollte jeder die Stärken und Schwächen des anderen gleichermaßen annehmen. Keinem tut es gut, ständig auf seine Schwächen angesprochen zu werden. Und wer ständig idealisiert wird, muss hohen Erwartungen genügen. Auch das geht auf Dauer schief. Eine Beziehung gelingt eher, wenn beide Partner um ihre Ecken und Kanten wissen, aber auch darum, was den anderen auszeichnet und besonders macht. Beziehungen leben außerdem davon, dass die Partner einbringen können, was sie von früher her geprägt hat, Werte und Vorstellungen aus ihrer Familie, die sie leben und vielleicht sogar an ihre Kinder weitergeben möchten – und die decken sich ja nicht immer mit denen, die der andere mitbringt. Gleichzeitig darf das aber nicht alles sein: Es sollte auch genug Platz bleiben für das, was die Partner gemeinsam entwickeln. Auch hier kommt es darauf an, einen guten Mittelweg zu finden.

Ich bitte die jungen Paare in solchen Gesprächen oft, ihre Gedanken auf den Punkt zu bringen und in wenigen Worten zu sagen, was ihre Beziehung tragfähig machen könnte. Meist staunen sie dann nicht schlecht: sie wählen nämlich oft genau die Worte, die das kirchliche Trauversprechen vorsieht. Das Miteinander gelingt, wenn der eine den anderen annimmt – so wie er ist als Mann und Frau mit allen Eigenheiten, wenn sich die Partner lieben, achten und ehren, wenn sie also respektieren, was jeder aus seiner Familie so mitbringt. Und das alles nicht nur heute, wenn es gerade passt, sondern langfristig: in guten und schlechten Tagen.

Obdach für die Seele

Heute wird in den Kirchen der Familiensonntag gefeiert. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben überlegt, was eine gesunde Partnerschaft ausmacht. Eine Beziehung ist tragfähig, wenn es den Partnern gelingt, einige Dinge gut auszubalancieren, zum Beispiel Nähe und Distanz oder Streit und Harmonie, auch Festhalten und Loslassen, Reden und Schweigen oder Annehmen und Verändern.

Ich denke da oft an eine Sage aus der griechischen Mythologie. Sie erzählt von Philemon und Baucis, einem Pärchen, das zusammen alt geworden ist und es offenbar geschafft hat, eben jene Balancen zu halten. Die beiden sind arm, aber das stört sie nicht weiter, denn sie haben ja sich. Eines Tages klopfen zwei Männer an der Tür. Philemon und Baucis bitten sie herein und bieten ihnen von dem Wenigen an, das sie haben. Als sich der Weinkrug immer wieder füllt, erkennt das Paar seine Gäste: es sind Zeus, der Göttervater, und Hermes, sein Bote. Philemon und Baucis schämen sich, weil sie nicht mehr aufgetischt haben, doch die Götter sind zufrieden. Sie belohnen die beiden. Das Paar wünscht sich aber keinen Reichtum, wie man vermuten könnte! Es geht ihnen um ihre Partnerschaft. Sie wünschen sich, dass sie noch etwas Zeit miteinander verbringen können und dann gemeinsam sterben. Keiner soll den anderen vermissen müssen. Die Götter erfüllen den Wunsch und als es soweit ist, werden Philemon und Baucis in zwei Bäume verwandelt.

Mich berührt an dieser Geschichte, wie eng die beiden miteinander verbunden sind. Ihre Partnerschaft ist tragfähig und das offenbar nicht durch Äußerlichkeiten. Sie lieben und achten, ehren und respektieren sich. Und das strahlt aus: trotz ihrer äußeren Armut nehmen sie ihre Gäste selbstverständlich auf. Weil sie als Paar gefestigt sind und weil ihre Beziehung in der Balance ist, können sie für andere da sein.

Was mich da so fasziniert, hat der Theologe Paul Michael Zulehner einmal ganz gut auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt, dass Menschen ein „Obdach der Seele“ brauchen, einen Raum, der stabil ist und von Liebe getragen, wo sie Wurzeln schlagen und wachsen können, weil sie angenommen sind, ohne etwas leisten zu müssen. Zulehner meint damit Partnerschaft und Familie. Philemon und Baucis sind für mich insofern nicht nur ein Idealbeispiel dafür, wie tragfähig Beziehungen sein können. Sie haben für mich ihr „Obdach der Seele“ gefunden, eine Liebe, die ausstrahlt, einen Raum, der so stabil und groß ist, dass er sogar Platz für andere hat; in diesem Fall für die beiden Fremden.

Partnerschaft trägt, wenn sie gut ausbalanciert ist, stabil und von Liebe getragen. Dann kann sie sogar Heimat für die Seele werden, für die eigene, für die vom Partner, für die anderer Menschen oder vielleicht sogar von Kindern. Damit das gelingen kann, müssen sich die Partner gut kennen, sich um den anderen bemühen und immer wieder offen miteinander sprechen. Sie sollten sich aber auch hin und wieder direkt sagen, was sie an sich schätzen. Denn sich über Partnerschaft zu verständigen, ist das eine. Dem anderen direkt zu sagen, warum gerade er der Richtige ist, etwas ganz anderes.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Der Kerl im Spiegel

Es gibt Momente im Leben, die entscheiden darüber, wie es weitergeht. Ich meine jetzt nicht die großen Weichenstellungen. Ich denke vielmehr an ganz alltägliche Situationen. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue zum Beispiel. Vielleicht kennen Sie das: Sie stehen auf, gucken in den Spiegel und fragen sich, wer Sie da anstarrt. Denn die Person sieht so mitgenommen aus, so wenig vertrauenserweckend: ihre Augen stehen auf Halbmast, die Haare sind völlig zerzaust und das Gesicht ist ganz schön zerknittert.

Genau in diesem Moment aber entscheidet sich, wie der Tag verlaufen wird. Das jedenfalls sagen Motivationstrainer. Johannes Warth zum Beispiel. Er nennt sich selber „Ermutiger“ und „Überlebensberater“. Ich habe ihn neulich erlebt und einiges von ihm gelernt. Er sagt: „Vor dem Spiegel kann man zwei Dinge tun, sich aufgeben oder sich ermutigen. Beides hat Folgen.“ Und er nennt Beispiele dafür:

Wer sich schon im Spiegel nicht leiden kann, leidet den ganzen Tag über: „Ach, wie war die Nacht so furchtbar. Oh je, wie sehe ich nur aus. Du liebe Zeit, was wird das für ein schwerer Tag.“ Und dann kommt es, wie es kommen muss: Es geht tatsächlich was schief und der Tag wird schwer. Denn wer unzufrieden ist, zieht runter; sich selber und andere. „Man erntet, was man sät“, sagt Johannes Warth! Schlechte Laune strahlt aus! Bin ich mies drauf, sind es die anderen mir gegenüber auch. Bei der Arbeit zum Beispiel sind dann alle irgendwie komisch; keiner lacht zu mir rüber oder spricht mehr mit mir als er muss. Und auch zuhause liegt was in der Luft; offenbar sind heute alle auf Streit aus. Für Johannes Warth ist klar, woran das liegt: ich selber habe morgens die Weichen falsch gestellt!

Die Alternative ist, sich morgens gezielt zu ermutigen. Warum nicht der Person im Spiegel ein wenig schmeicheln und was Nettes sagen? Zum Beispiel, wie es bei mir daheim im Dialekt heißen würde: „Kerl, Du gfallsch ma.“ Der Motivationstrainer ist überzeugt: Wer den Tag so anfängt, der gewinnt. Er geht aus dem Badezimmer und ist sich sicher: „Das Beste, was der Welt heute passieren kann, bin ich.“ Und es wird tatsächlich so sein! Denn wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Wer offen in die Welt geht, wird herzlich empfangen! Oder wie Johannes Warth sagt: „Glücklich wird, wer glücklich macht.“ Selbst Schwieriges wird mir leichter fallen, weil ich es gelassen angehe. Und das baut mich auf, den ganzen Tag über immer wieder neu.

Für Warth entscheidet sich übrigens oft schon vor der Badezimmertür, wo es an diesem Tag hingeht – sprachlich nämlich. Manche Menschen stehen morgens auf, um sich hübsch zu machen für das, was kommt. Andere hingegen gehen ins Bad, um „sich zu richten“. Sie ziehen los und „machen sich fertig“. Und dann wundern sie sich, dass die ganze Welt gegen sie ist.

...du bist einziartig

Viele Menschen erschrecken, wenn sie morgens in den Spiegel schauen. Allerdings ist genau dieser Moment enorm wichtig. Er entscheidet darüber, wie der Tag verlaufen wird. Das jedenfalls sagt Johannes Warth, ein Motivationstrainer, von dem ich eben in meinen Sonntagsgedanken erzählt habe. Wer vor seinem Spiegelbild kapituliert, geht unzufrieden in den Tag: Was soll der schon Gutes bringen? Die Alternative ist, sich bewusst zu ermutigen und sich klar zu machen: „Das Beste, was der Welt heute passieren kann, bin ich!“

Darf man aber von sich so überzeugt sein? Johannes Warth fragt sich das ernsthaft. Ist das nicht überheblich und gerade für Christen unangebracht, die sich doch traditionell eher um den Nächsten kümmern sollten als um sich selber. Warth schaut in die Schöpfungsgeschichte und gibt sich dann selber eine Antwort. In seinen humorvollen Worten klingt das so: „Gott schöpfte die Welt. Und bei allem, was er schöpfte, sah er, dass es gut war. Nur beim Menschen nicht. Den fand er sehr gut.“

Wer die Schöpfungsgeschichte genau liest, stellt fest, dass sich dieses „sehr gut“ auf alles bezieht, was Gott gemacht hat: auf Pflanzen, Tiere und auch auf den Menschen. Aber ich finde, Johannes Warth hat dennoch Recht. Der Mensch ist sozusagen das i-Tüpfelchen der Schöpfung. Daran jedenfalls lässt die Schöpfungsgeschichte keinen Zweifel. Dem Menschen nämlich vertraut Gott alles an, was er gemacht hat. Wenn das mal nicht grandios ist!

Es gibt viele weitere Bibelstellen, die zeigen, dass der Mensch ganz besonders ist, einzigartig und von Gott gewollt. Zu meinen Lieblingsstellen gehören zwei Psalmen. In Psalm acht zum Beispiel kann es der Beter kaum fassen, dass Gott den Menschen gemacht hat. Er schreibt: „Sehe ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist da der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände.“ Für den Beter ist es unfassbar: der Mensch ist das Abbild Gottes; jeder Einzelne. Psalm 139 vertieft das noch: Gott kennt jeden Menschen bis ins Letzte, ja, er kennt ihn so gut wie sich selbst. Er hat ihn schließlich gemacht und schon vor seiner Geburt erwählt. Es heißt da: „Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast.“

Ist es also wirklich übertrieben, morgens in den Tag zu starten mit der Einstellung, dass ich zum Besten gehöre, was der Welt passieren kann? Nein, es ist nicht übertrieben. Denn jeder Einzelne ist ganz besonders. Er spiegelt Gott wider und ist von ihm gemacht. Was kann es Besseres geben? Überheblich wird es nur dann, wenn ich nicht auch im anderen oder in der Schöpfung Gott sehe. Auch das sollte ich mir bei aller Selbstliebe immer wieder mal klar machen. Am besten dann, wenn ich mal wieder morgens im Bad schon gleich damit anfange, mein Gegenüber fertig zu machen – diesen unrasierten Kerl im Spiegel.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Dehnungsstreifen, Falten, Cellulite

„Schatz, findest Du, dass ich älter geworden bin?“ Jedem Mann rutscht das Herz in die Hose, wenn ihn seine Frau das fragt. Egal, was er sagt, es geht daneben: „Ja klar siehst Du älter aus. Guck nur mal Deine Runzeln an.“ Welche Frau will sowas hören? Auch „nein“ ist keine Alternative: „Du siehst genauso jung aus wie damals.“ Soll sie das wirklich glauben? Er glaubt es doch selber nicht. Schließlich kennt er sein eigenes Spiegelbild nur zu gut – die grauen Haare, die Falten und die Bauchmuskeln im Speckmantel. Bleibt nur eine Antwort: „Wir werden doch alle nicht jünger.“

Ich habe neulich von einer Frau gelesen, die ihren Mann in eine ähnliche Lage gebracht hat. Mit Ende Vierzig fühlt sie sich nicht mehr ganz so attraktiv und knackig wie mit Zwanzig. Sie hat Angst, dass sie ihrem Partner nicht mehr gefällt. Das bringt sie auf eine Idee: Sie lässt Fotos von sich machen, die ihren Mann beeindrucken sollen. Der Fotografin sagt sie genau, wie sie sich das vorstellt: „Entfernen Sie alle Dehnungsstreifen, die Falten und auch die Cellulite.“ Für die Fotografin kein Problem: sie dunkelt das Licht ab, wählt die Pose gekonnt aus und retuschiert am Ende die restlichen Problemzonen. Heraus kommen brillante Fotos von einem nahezu perfekten Model.

Dann kommt der Tag, an dem die Frau ihrem Mann die Bilder zeigt. Der aber reagiert anders als gedacht: er zuckt nämlich zusammen. Zwar findet er die Frau auf den Fotos attraktiv. Keine Frage. Aber es ist nicht seine Frau. Nicht die, die ihm über all die Jahre so vertraut geworden ist und deren Makel er nur allzu gut kennt. Es ist nicht mehr die, die er all die Jahre geliebt hat. Ihre Dehnungsstreifen sind weg und damit auch die Spuren der Kinder, die die Zwei zusammen haben. Auch fehlen die Falten und mit ihnen all die Jahre voller Lachen und Sorgen, Höhen und Tiefen. Was die beiden verbindet, was sie erlebt und zusammen durchgestanden haben, ist einfach weg.

Jede Lebensphase hat ihre „Zeit“

In meinen Sonntagsgedanken spreche ich heute darüber, dass sich viele Menschen schwer damit tun, älter zu werden und nicht mehr so knackig zu sein wie früher. Sie sorgen sich darum, dass sie nicht mehr so attraktiv und jugendlich wirken, und sie investieren viel Zeit, Mühe und Geld, damit das nicht passiert. Und doch altern wir alle.

Der Prediger Kohelet macht sich da nichts vor. Im Alten Testament sagt er ganz direkt, was Sache ist: „Die Jugend und das dunkle Haar sind Windhauch“, also vergänglich. Er beschreibt sprachlich sehr schön und doch von der Sache her ganz nüchtern, was eines Tages kommen wird (vgl. Koh 12,1-8). Alles wird beschwerlich werden: „Die Wächter des Hauses werden zittern, die starken Männer sich krümmen.“ Kohelet spielt damit auf die Hände und Beine an. Weiter sagt er: „Die Müllerinnen“, also die Zähne, „werden ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind. Es wird dunkel bei den Frauen, die aus den Fenstern blicken, das Tor zur Straße wird verschlossen und das Geräusch der Mühle verstummt“; Kohelet meint damit Augen, Ohren und Stimme. Er schreibt weiter: „Der Mandelbaum blüht“, also die Haare werden weiß. Und: „Die Heuschrecke schleppt sich dahin“; damit meint er die Art zu gehen. [Schließlich, so sagt Kohelet, „reißt die silberne Schnur, das Rad zerbricht, der Staub fällt auf die Erde zurück.“]

Kohelet beschreibt das Alter so nüchtern und doch irgendwie so liebevoll, finde ich. Für ihn gehört es ganz selbstverständlich dazu. Offenbar hat er es für sich akzeptiert und kommt gut damit klar. Jedenfalls schwingt für mich in seinen Zeilen keine Wehmut mit. Er scheint nicht damit zu hadern, dass jeder irgendwann älter wird. Und er macht sich auch keinen Kopf um das, was damit verbunden ist. Er akzeptiert einfach, dass alles im Leben seine Zeit hat: „Es gibt eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben; eine zum Pflanzen und zum Ernten. Zum Weinen und Klagen ebenso wie zum Lachen und Tanzen.“ Für Kohelet ist das einfach so. Ein Leben lang gibt es Momente, die wie ein Windstoß kommen und vergehen, Lebensphasen, die einander ablösen. Und jede dieser Phasen schickt ihre Boten voraus, die grauen Haare zum Beispiel, und sie hinterlässt Spuren, Lachfalten oder Dehnungsstreifen von einer Geburt. Für Kohelet ist das nicht schlimm. Er akzeptiert es und kann damit leben – gut und leicht leben.

Mir gefällt diese Einstellung! Kohelet sagt schon auch, dass man für sich sorgen und auf sich achten soll; wörtlich meint er: „Halte deinen Sinn von Ärger frei und schütz deinen Leib vor Krankheit.“ Wenn ich ihn aber recht verstehe, macht er es sich nicht zum Lebensinhalt, gesund und leistungsfähig, jung und attraktiv zu bleiben. Das unterscheidet ihn von vielen Menschen heute. Alles hat eben seine Zeit. Nur wer das akzeptiert, kann den Moment auskosten. Er schaut nach vorne und verliert sich nicht in dem, was er nicht mehr kann, hat oder ist.

Ich wünsche mir, dass mir das auch gelingt. Vor allem dann, wenn ich wieder mal vor dem Spiegel stehe und sie sehe, die Falten, die ersten grauen Haaren und meine Bauchmuskeln im Speckmantel.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Gehalten und geführt

Der gute alte Bleistift hat eine lange Tradition: die Ägypter haben ihn erfunden. Sie haben flüssiges Blei in Holzrohre gegossen und damit geschrieben. Heute werden Grafitminen dafür verwendet. Ich selber nutze Bleistifte eigentlich kaum noch. Und doch habe ich mir zum Jahreswechsel einen ganz neuen auf meinen Schreibtisch gelegt – so einen mit einem Radiergummi oben drauf!

Nicht, dass ich künftig wieder mehr mit Blei schreiben möchte! Der Stift soll mich an einiges erinnern, was ich im neuen Jahr nicht vergessen will. Bleistifte haben nämlich Eigenschaften, die auch im Leben wichtig sind. Der Schriftsteller Paolo Coelho aus Brasilien hat einmal darauf hingewiesen.

Er sagt zum Beispiel, dass Bleistifte gehalten werden müssen. Alleine aus sich heraus können sie nichts. Sie brauchen eine Hand, die sie hält und führt. Bei Menschen sei das ganz ähnlich. Coelho denkt bei dieser Hand vor allem an Gott – und ich kann das gut nachvollziehen.

Gott ist für die Menschen da – glaube ich. Davon erzählt die Bibel und ich habe das selber auch schon so erlebt: Ich kann mich an ihn wenden, wenn ich ihn brauche. Im Gebet zum Beispiel kann ich ihm Dinge anvertrauen, die mich beschäftigen. Schon oft habe ich gemerkt, dass mir das gut tut. Ich spreche vor Gott aus, was mich umtreibt. Dadurch eröffnen sich manchmal neue Perspektiven und so manche Sorge wird kleiner. Gott wirkt in meinem Leben insofern also mit und begleitet mich. Wenn ich mit ihm spreche, tun sich neue Wege auf und er führt mich dadurch immer wieder einen Schritt weiter. Das ist viel wert, denn wenn ich auf ihn vertrauen kann, kann ich gelöster in die Zukunft gehen, in ein neues Jahr, von dem ich nicht weiß, was es mir bringt. Mir jedenfalls geht das so und insofern hat Coelho recht, finde ich: Wenn Gottes Hand mich hält, bin ich zu mehr imstande, als ich es nur alleine aus mir heraus wäre.

Für mich gibt es aber auch noch andere Hände, die mich halten und führen. Die kleine Hand von meiner Tochter zum Beispiel. Immer wieder nimmt sie mich beiseite, um mir etwas zu zeigen. Etwas, wofür ich als Erwachsener schon viel zu blind bin: die Farben und zarten Details auf der Müslipackung zum Beispiel oder den Glitzerstein am Wegrand, der so schön funkelt. Ihre Hand lässt mich Neues entdecken und die Welt mit ihren Kinderaugen sehen; eben mal wieder so ganz anders, so erfrischend neu! Und es gibt Menschen um mich herum, die ganz wichtig sind für mich: Sie sind da, wenn ich sie brauche, sie helfen mir, wo ich nicht weiterkomme, und sie führen mich, wenn ich den Durchblick verliere.

All diese Hände halten mich, lassen mich stark sein und weisen mir den Weg. Und genau deshalb habe ich den Bleistift auf meinen Schreibtisch gelegt. Ich will sie nicht vergessen; gerade jetzt, am Beginn des neuen Jahres. Ich will bewusst an diese Hände denken, weil ich ihnen dankbar bin. Was wäre ich ohne sie?!

Gebrauchsspuren sind unvermeidlich, Gebrauchsspuren sind unvermeidlbar, machen aber einzigartig

In meinen Sonntagsgedanken habe ich davon erzählt, dass ich mir zum Jahreswechsel einen Bleistift auf den Schreibtisch gelegt habe. So ein Bleistift hat nämlich Eigenschaften, die sich aufs Leben übertragen lassen. Denke ich über sie nach, wirft das ein anderes, größeres Licht auf mein Leben. Und das tut mir von Zeit zu Zeit mal ganz gut.

Bleistifte nutzen sich zum Beispiel ab; manchmal bricht ihre Spitze. Dann muss ich die Arbeit unterbrechen und sie anspitzen. Ich glaube, das ist im Leben genauso. Bei mir wird es auch in diesem Jahr rundgehen und lange nicht alles wird so laufen wie ich es will. Eine Herausforderung kenne ich jetzt schon: Ich werde umziehen und befürchte, dass Kontakte abbrechen, die mir wichtig sind. Vielleicht werden auch einige meiner Pläne durchkreuzt werden oder ich muss mich für immer von lieben Menschen verabschieden. Dann wird es darauf ankommen, stehen zu bleiben und zu schauen, wie es weitergehen kann. Ich muss mich dann neu ausrichten, wieder anspitzen sozusagen, bevor ich weitermache – auch wenn es weh tut und ich mich dadurch verändere. Der Bleistift macht das anschaulich: durchs Anspitzen wird er kürzer. Aber: er schreibt auch wieder! Vielleicht sogar besser als vorher. Das beruhigt mich irgendwie.

Mein Bleistift hat übrigens einen kleinen Radierer oben drauf. Wenn ich mich verschreibe, kann ich das gleich verbessern. Bei mir selber ist das leider nicht ganz so einfach. Ich mache Fehler, verrenne mich manchmal in etwas oder sage und tue Dinge, die andere verletzen. Ich weiß das durchaus. Das Problem ist nur, dass es mir oft unheimlich schwerfällt, meine Fehler zuzugeben und zu korrigieren. Dabei könnte es doch so einfach sein – jedenfalls sagt mir das mein Bleistift. Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich Fehler eingestehe und versuche, sie wieder in Ordnung zu bringen! Daran will ich denken, wenn es das nächste Mal soweit ist!

Und an noch etwas soll mich der Bleistift erinnern: Das Wichtigste an ihm ist sein Inneres, die Mine. Sie hinterlässt Spuren, Teilchen von dem, woraus sie gemacht ist. Auch jeder Mensch hinterlässt Spuren, egal, was er tut. Sie hängen mit dem zusammen, was in ihm steckt, wie er tickt und was ihn ausmacht. Sie spiegeln, was er fühlt und denkt und was ihm wichtig ist. Mein Bleistift fragt mich da sozusagen, wie das bei mir so ist, welche Spuren ich hinterlassen möchte. Und dann ist es wichtig, dass ich mit meinem Inneren in Kontakt bin: ich muss mir über Dinge klar werden, mir eine eigene Meinung bilden und Position beziehen. Ich sollte meine Talente entfalten, zeigen was in mir steckt und für was ich stehe. Da habe ich noch einiges zu tun!

Ich bin gespannt, wie das mit mir und meinem Bleistift weitergeht. Vielleicht entdecke ich ja noch mehr Dinge, die er mir zu sagen hat und an denen ich dran bleiben will.
Sicher gibt es auch Dinge, die Sie sich für das neue Jahr vorgenommen haben. Was es auch Gutes ist – ich wünsche Ihnen, dass es gelingt!

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