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SWR2 Wort zum Tag

Die Liebe. Für wen wäre sie nicht lebenswichtig!
Sie lässt Menschen über sich hinauswachsen, beflügelt, macht lebendig.
Wer einen Weg zu zweit geht, erfährt im Alltag ebenso wie in den überwältigenden Augenblicken, was das heißt: Liebe – im Wunder der Zuwendung zum anderen, in der Erfahrung, dass der andere sich mir zuwendet. So wird das Wort Liebe – wie Günter Kunert sagt - zu einem Vermögen dem, der durch nichts sonst zu leben vermag als durch sie.
Ohne Liebe kein wahres Leben. So denkt auch Isaak.
Im Alten Testament, im 1. Buch Mose wird davon erzählt. (1. Mose 24, 62-67)
Isaak trauert um seine Mutter Sara. Sie hat ihm viel bedeutet. Seine Trauer ist groß. Sie führt ihn weg aus seinem alten Leben in die Wüste, in die Einsamkeit.
Er kommt zu einem Brunnen mit einer alten Geschichte. Von Hagar erzählt sie. Von einer Frau, die tief verzweifelt in die Wüste gegangen war und an diesem Brunnen wieder neu ins Leben zurückgefunden hatte. Darum hat der Brunnen sogar einen Namen. Den Brunnen des Lebendigen, der mich sieht, nennt man ihn. An diesen Brunnen flüchtet sich Isaak.
Er sucht an diesem Brunnen Zuflucht und Trost, vielleicht auch sich selbst. Und ihm widerfährt an diesem Brunnen eine Geschichte von Sehen und Gesehenwerden: ein Wendepunkt in seinem Leben.
Rebekka kommt zu diesem Brunnen. Sie sieht ihn, seine Not, seinen Schmerz, während sein Blick von Tränen und Trauer verschleiert ist. Sie erscheint ihm wie ein Engel, der ihn sieht.
Meint sie mich? Wirklich mich? fragt sich Isaak.
Es ist der liebende Blick Rebekkas, ein Blick, der wahrnimmt, was ein Mensch braucht. Und dieser Blick, der auf ihm ruht, verändert ihn. Isaak wirkt wie verwandelt, weil Augen der Liebe ihn ansehen. Unter diesem Blick fühlt er sich geborgen.
Isaak und Rebekka erkennen sich, wissen, dass sie zueinander gehören und miteinander leben wollen. Sie gewinnen an gemeinsamer Zukunft, was der Einsamkeit, der Trauer und dem Alleinsein abgerungen ist.
Sie erkennen: Gott ist mit ihnen. Es ist der nahe Gott, der menschliche Gott, der Gott, der mich sieht.
Wie gut, wenn zwei Menschen sich so sehen, sich so begegnen können und in der Hinwendung zum Du dem Anderen Geborgenheit und Halt geben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18170
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SWR2 Wort zum Tag

Was fehlt, wenn Kirchen schließen, verkauft oder abgerissen werden? Was fehlt, wenn ein Kirchenraum für den Gottesdienst plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht?  Es fehlt Wesentliches. Es fehlt der bergende Raum.
In meiner Gemeinde St. Johannis in Mainz ist das so. Es fehlt der Kirchenraum, Er ist seit über einem Jahr eine Ausgrabungsstätte, ein Ort interessanter alter Funde, ein Juwel für jeden Archäologen. Spuren reichen bis in die frühkarolingische Zeit. Funde des alten Mainzer Doms und Reste eines noch älteren Baus wurden ausgegraben, so dass die Johanniskirche als die älteste Domkirche nördlich der Alpen gelten kann.
Was sagt mir das? Auch diese Kirche hat eine lange Geschichte. Viele Menschen haben an dieser Kirche gebaut, haben ihr eine Form und ein Gepräge gegeben, haben sie zu einem steinernen Credo gemacht. Heute ist sie Ort evangelischen Bekenntnisses.
Was aber fehlt, wenn dieser Kirchenraum nicht für Gottesdienste genutzt werden kann, weil er für eine zu lange Zeit eine Ausgrabungsstätte ist?  Es fehlt das Eintauchen-können in sein Schweigen.  Es fehlt der Klang der Orgel. Es fehlt ein Ort der Ruhe, der Stille, ein Raum für die Seele.
Diese Situation spricht Pascal Mercier in seinem Roman „Nachzug nach Lissabon“ an.  Da heißt es: Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und ihre Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt… Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen.
Was Mercier anspricht, ist die  Schönheit, die Erhabenheit, die von Kathedralen ausgeht. Für mich stehen sie für Beständigkeit, trotzen der geschäftigen Welt. Sie haben eine Vergangenheit und strahlen etwas aus, was Tradition symbolisiert: Gestalt gewordenes Gedächtnis.Ihre Ruhe im Innern steht gegen die Welt draußen. Es sind Orte des Glaubens, in denen viele Menschen seit Jahrhunderten von Jahren die Nähe Gottes suchen, Gottesdienste feiern, beten und singen; wo Menschen  ihre Hoffnungen aussprechen, sich von Gottes Wort trösten lassen. Betrete ich einen solchen Raum, dann werde ich hineingenommen in seine Geschichte, in das, was unzerstörbar und unverlierbar ist.
Wenn dieser Raum fehlt, fehlt für mich Entscheidendes, das Eintauchen- können in dieses Gestalt gewordene Gedächtnis.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17628
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SWR2 Wort zum Tag

Auf meinem Schreibtisch steht ein Engel des Künstlers Karlheinz Oswald. Er hat ein menschliches Antlitz, ist mir zugewandt und hält Zwiesprache mit mir, ganz wie es Rainer Maria Rilke in einem Gedicht sagt: Denn da ist keine Stelle, die dich nicht ansieht… Seine ausgebreiteten segnenden Arme geben mir das Gefühl, behütet zu sein.
Das begegnet mir auch bei manchen Menschen, deren Augen  Wesentliches wahrnehmen. Gibt es das - Engel mit menschlichem Antlitz, die Wesentliches sehen?
Im Neuen Testament wird davon erzählt:
Da wird einer zusammengeschlagen und ausgeraubt. Halbtot bleibt er am Weg liegen. Einer, der wissen müsste, dass da geholfen werden muss, geht vorüber. Ebenso ein zweiter. Beide haben gute Gründe. Es gibt fast immer Gründe, sich abzuwenden und vorüberzugehen. Ein Dritter kommt vorbei. Ein Fremder. Aus Gründen der Religion ist er gesellschaftlich ein Außenseiter. Er gilt nichts, aber er hilft. Er hilft am Ort, und er versorgt den Verletzten für die nächste Zukunft. Er schenkt Zuwendung und Zeit und Geld. Ein Mensch ist gerettet.
Was mag der Gerettete empfunden haben, als sich ein Mensch über ihn beugt und wahrnimmt, was er braucht: Da sieht mich jemand in meiner Not, da ist keine Stelle, die (mich) nicht ansieht. Ein Fremder, von dem ich es nicht erwartet habe, wird mir zum Rettungsengel.
Solche Engel fliegen  nicht, sondern handeln auf der Erde.
Diese Geschichte, die Lukas erzählt, zeigt mir, wie ich auch von Engeln reden kann. Ich kann von ihnen erzählen, weil ich Unvermutetes erlebt habe. Ich tue es in der Sprache der Symbole, der Bilder und der Musik. Gegen Begriffe, gegen Definitionen sperren sie sich. Engel gehören zum schönsten, was die Erfahrung schenkt: Auf dieser Ebene gehören sie gleichsam zur Poesie, zu einer „Poesie des Glaubens“.
Der Künstler Karlheinz Oswald will mit seinem Engel davon etwas verdeutlichen: Es gibt offenbar Engel mit menschlichem Antlitz, mit menschlicher Gestalt, die um uns sind. Und ich lebe vielleicht öfter, als ich es merke, von der Zuwendung von Engeln.
Wenn ich von Engeln rede, dann will ich auch sagen, dass zu meinem Leben mehr gehört als das, was  logisch ableitbar ist. Es wird reich, wo Zuwendung erfahrbar wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17627
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SWR2 Wort zum Tag

Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen, sagt Ingeborg Bachmann in einem Gedicht.Wer spricht so?Eine Verzweifelte, die keine Perspektive, keinen Ausweg mehr sieht. Vielleicht ein Mensch, der sich verrannt hat, der durch Verluste einsam und mutlos geworden ist.
Bin ich das nicht auch oft - mutlos? Weil sich Hoffnungen zerschlagen haben, Enttäuschungen mich niederdrücken. Wie gehe ich damit um? Versinke ich in Trauer,  verschließe die Augen vor der Wirklichkeit, suche Abstand?
Distanz gewinnen. Das wollen auch zwei Jünger Jesu. Nur weg von Jerusalem. Weg von Golgatha, von den Weggefährten, weg vom Ende der Hoffnungen. In sich gekehrt gehen sie ihren Weg nach Emmaus, in ihr Dorf, als hätte es den Aufbruch mit Jesus nicht gegeben. Jesu Tod hat alle ihre Hoffnungen zunichte gemacht.
Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde…
Ich  hatte gehofft… Wie oft sage ich diese Worte im Blick auf meine Enttäuschungen. Ich hatte gehofft…
Unterwegs reden die Jünger miteinander über die Vergangenheit. Ihr Blick zurück hindert sie, offen für die Zukunft zu sein. Und während sie verzagen und verstummen wollen, da gesellt sich ein Fremder zu ihnen. Er geht mit ihnen, teilt ihren Weg. Er bleibt bei ihnen in der dunklen Stunde, wo sie in keinem Weg mehr einen Weg sehen. Sie sprechen über ihre Traurigkeit, über das, was ihr Denken und ihren Glauben bisher erfüllt hat. Es sind Gespräche auf dem Weg, die der Trauer eine Sprache geben. Der Fremde verändert ihren Blick, deutet ihre Erfahrung von Kreuz und Leiden neu.
Der Evangelist Lukas hat diesen Weg der beiden Jünger als einen Weg von der Blindheit zum Sehen beschrieben. Als der Fremde mit ihnen das Brot teilt, werden ihre Augen geöffnet. Sie erkennen: Jesu Tod ist nicht das Ende. Er ist auferstanden. Aus er Dunkelheit des Todes, des Verlustes wird etwas hell, was ihnen Kraft und Hoffnung zum Leben gibt. Sie begreifen: Jesu Auferstehung hat etwas zu tun mit dem Weg, den sie gehen, mit den Gesprächen auf dem Weg und dem gemeinsamen Mahl. In diesem Gefüge teilt er ihren Weg, teilt er sich ihnen mit.
Diese Erfahrung der Jünger hat für mich etwas Ermutigendes. Wie sie kann auch ich erkennen: Jesus lebt nach seinem Tod auch in meinem Leben weiter, wo und wie ich in seinem Namen lebe, handle und arbeite, so dass die Welt und das Leben nicht bleiben, wie sie sind. Auferstehung – das ist der immer neue Traum vom neuen Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17242
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SWR2 Wort zum Tag

Alles ist Windhauch, sagt Kohelet.
Kohelet ist ein kleines Buch im Alten Testament, das fälschlich dem Prediger Salomo zugeschrieben wird.  Es wurde rund 200 Jahre vor Christus geschrieben und zählt zur Weisheitsliteratur des Alten Testaments.
Kohelet ist ein Mensch mit Lebenserfahrung, ein Skeptiker, der nüchtern die Situation seiner Zeit betrachtet. Er fragt: was hat wirklich Bestand?
Alle Bereiche des Lebens haben ihre Zeit: weinen und lachen, reden und schweigen, fasten und genießen, lieben und hassen, geboren werden und sterben. Windhauch ist das ganze Leben: flüchtig und vergänglich. Alles vergeht: Wissen, Erfolg, das Schöne, Reichtum, die Jugend und das Leben selbst.
Den Mächtigen und Reichen, die glauben, in Sicherheit zu leben und in ihrem Besitz ihr Heil suchen, ruft Kohelet zu: Alles ist flüchtig, vergänglich. Alles ist Windhauch.
Höre ich diese Sätze, frage ich mich, ob sie auch heute ihre Gültigkeit haben?
Es ist ja kein Zufall, dass ich in besonders angespannten Situationen, auch in Zeiten, wenn manches etwas aus dem Ruder läuft, nach Sinn und dem frage, was Bestand hat.
Das Haben ist flüchtig, sagt Kohelet. Ich kann mich nicht darauf verlassen.
Aber es gibt andere Schätze. Sie gehören auf die Seite des Seins. Dazu zählen für mich die Liebe, das Vertrauen, das Behütet- und Geborgensein, die Hoffnung auf ein Morgen.
Was also hat Bestand im Leben?
Es sind die Dinge, die das Leben reicher machen über das Nötige und Nützliche hinaus: Nahrung für die Seele, mitmenschliche Begegnungen, Farben, Töne, Worte. Dieses Mehr macht Leben aus, geben dem Leben Sinn und Bestand.
Kohelet meint, dass das, was wir manchmal so wichtig nehmen, nicht alles im Leben ist. Deshalb kann er sagen und ich denke, dass das auch für die Fastenzeit gilt:

Genieße das Leben mit dem Menschen, den du liebst,
alle Tage Deines Lebens, die dir Gott gibt unter der Sonne...,
denn das ist dein Anteil am Leben und an deiner Arbeit,
für die du dich abmühst unter der Sonne.
Alles, was deine Hand zu tun findet, das tue mit vollem Einsatz.

Übersetzung nach Diethelm Michel, Qohelet (1988)

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17241
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SWR2 Wort zum Tag

Lots Frau ist eine namenlose Frauenfigur aus dem Alten Testament. Sie ist mit ihrer Familie auf der Flucht, weil sich in Sodom und Gomorra Recht in Unrecht verkehrt hat, Moral, Sitten und Werte verkommen sind. Sie flieht mit ihrer Familie vor Gewalt und Zerstörung. Sie schaut zurück und erstarrt über das, was sie sieht.
Die große polnische Lyrikerin Wislawa Szymborska, die 1996 den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, schreibt in ihrem Gedicht Lots Frau:

Angeblich sah ich zurück aus Neugier.
Außer der Neugier hätt ich auch andere Gründe haben können…
Ich spürte das Alter in mir. Die Entfernung.
Die Schläfrigkeit. Leere des Wanderns.
Ich sah zurück aus Angst, wohin die Schritte lenken…
Ich sah aus Verlassenheit zurück…

Wer ist diese Frau, von der Szymborska spricht?
Lots Frau steht symbolisch für alle Frauen, die mit ihren Familien fliehen müssen, weil ihr Zuhause durch Gewalt, Krieg und Terror zerstört ist. Eine Frau blickt hinter sich und erstarrt vor Entsetzen. Sie bleibt wie versteinert stehen. Die Bibel erzählt: sie wurde zur Salzsäule.
Warum dreht sich diese Frau um? 
Loszureißen vom Ort des Schreckens kann lähmen, kann versteinern. Lots Frau sieht ihre Stadt, denkt an die Menschen, die sie zurück gelassen hat, ihre Freunde, die Nachbarn. Ihre Trauer über Verlorenes lässt sie umdrehen.
Szymborska spricht vom Alter, der Leere des Wanderns, von der Angst, wohin die Schritte führen, von Verlassenheit. Es sind Gründe, die einen Menschen am Weitergehen hindern, die mutlos machen können.
Ich erinnere mich an Erzählungen meiner Eltern vom zerstörten Kassel, vom Verlust des Zuhauses, dem Neuanfang. Ich habe immer bewundert, dass sie nach vorne sahen, nicht in der Vergangenheit verharrten, sondern mutig neu anfangen konnten.
Wie gehe ich mit Verlusten um? Lebe ich rückwärtsgewandt oder kann ich mit Verlusten leben und dennoch nach vorne schauen? Das schließt Erinnerung nicht aus. Aber Erinnerung ist etwas anderes als gebannte Rückschau. Erinnerung ist auch Verarbeitung, so dass aus der Dunkelheit des Verlustes etwas licht werden kann, was Kraft und Hoffnung zum Leben gibt. Dazu gehören Menschen, die nicht ausgrenzen, sondern mithelfen, dass Menschen, die vor Gewalt und Zerstörung fliehen mussten, wieder neu anfangen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17240
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SWR2 Wort zum Tag

Ulla Hahn fragt in einem Gedicht: Seid ihr ganz sicher, dass ihr lebt…?
Was hier hinterfragt wird, ist das gelebte Leben. Ist es sinnerfüllt, authentisch? Es ist für mich die Frage: Was ist wesentlich? Wo bin ich lebendig? Wo bin ich ich selbst?
Auch Lydia, eine Purpurhändlerin aus Philippi, stellt ihr Leben in Frage, sucht nach Orientierung, fragt nach dem Sinn ihres Lebens. In der Apostelgeschichte wird von ihr erzählt. Lydia ist eine alleinstehende Frau, die von Thyatira in Kleinasien nach Philippi in Mazedonien kommt. Warum sie aufbricht, wissen wir nicht. Vermutlich hängt es mit den Arbeitsbedingungen im römischen Reich zusammen. In Philippi blühte der Handel, und auch gesellschaftlich und kulturell herrschte ein großes Angebot. Lydia handelt mit dem Luxusartikel Purpur, der nur für Reiche erschwinglich war.
Ich stelle mir Lydia als selbstbewusste, unabhängige Frau vor, die verantwortungsbewusst mit sich und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht. Aber auch eine Frau, die überzeugt ist, dass es mehr als Geld und Macht geben muss. Sie sucht nach Orientierung, nach dem Halt im Leben.
Lydia hört vom Glauben der Juden, die nur einen einzigen Gott verehren. Als Paulus auf einer seiner Missionsreisen nach Philippi kommt, redet er von diesem Gott, der nah bei den Menschen ist. Er erzählt von Jesus. Dann heißt es im Text: Und der Herr öffnete ihr Herz. Lydia begreift, dass dieser Gott ihrem Leben Sinn gibt. Sie lässt sich und ihr Haus taufen. Und bald wird ihr Haus Versammlungsort der ersten Christengemeinde in Philippi.
Lydia findet Halt und Geborgenheit im Glauben. Sie lebt ihn und verkündet Hoffnung, die mit Jesus in die Welt gekommen ist.
Mich fasziniert Lydias Geschichte, weil sie Kraft und Mut aus dem Glauben bezieht. Sie bringt Menschen in Gemeinschaft zusammen, die sich an Gott und Jesus Christus orientieren.
Die Frage nach Sinn, nach einem authentischen Leben ist zeitlos. Es ist die Sehnsucht nach etwas anderem, nach etwas, das trägt und erhält, etwas, das größer ist als ich selbst. Das ist für mich Gott. Ich bin ein Teil der Liebe Gottes, die mit Jesus in die Welt gekommen ist. Weil ich aus dieser Liebe lebe, kann ich gegen Ulla Hahn sagen: Ja, ich bin sicher, dass ich lebe. Ich weiß mich in dieser Liebe gehalten, weiß mich von guten Mächten wunderbar geborgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16829
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SWR2 Wort zum Tag

Wenn die Propheten einbrächen
durch die Türen der Nacht  …
würdest du hören?

So fragt die große jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs. Würde ich, würden wir auf Propheten hören, die zum Umdenken und Umkehren auffordern, weil es für das Überleben ein Zu-spät gibt?
Propheten sind kritische Mahner. Ihr Auftreten ist gerade in der alttestamentlichen Prophetie beispielhaft. Sie warnen vor einem gottfernen Leben.
Sind Prophetenworte auch heute aktuell? Wenn ich an die Not in der Welt denke, an Gewalt und Kriege in vielen Ländern, den Raubbau an der Natur, dann sind auch heute Menschen wichtig, die ihre mahnende Stimme erheben.
Wenn die Propheten einbrächen / durch die Türen der Nacht / und ein Ohr wie eine Heimat suchten - würden wir ihnen unser Ohr leihen? Oder würden wir von Sachzwängen, militärischen Notwendigkeiten, von Zuwachsraten reden?
Hören wir auf Propheten? Höre auch ich, was sie sagen? Oder denke ich mit vielen anderen: Es wird schon irgendwie weitergehen wie bisher. Nein, das wird es nicht, denn es gibt ein Zu-spät für das Überleben auf unserer Erde.
Wo sind diese Propheten, die heute die Stunde ansagen. Gibt es sie?
Ich möchte Stéphane Hessel als ein Beispiel für einen modernen Propheten nennen, der Leben als Umkehr versteht. Empört euch! rief der 93-jährige ehemalige französische Widerstandskämpfer, KZ-Überlebender und Mitautor der UNO-Menschenrechts-Charta. Er sagte: schaut denen auf die Finger, die an den Schaltstellen der Macht sitzen, auch denen in Wissenschaft und Technik. Fragt, ob es gerecht zugeht in der Welt. Empört euch!
Ein alter Mann, der nicht geschwiegen hat zu dem Unrecht, das in unserer Welt existiert, der nicht resigniert hat. Er sagte nein zu den lebenszerstörenden Hoffnungen, nein zur Unterdrückung von Minderheiten, nein zur Diktatur des Geldes, nein zur  Zerstörung des Lebensraumes Erde.
Solche Rufer in unserer Zeit, die zur Umkehr mahnen, die nicht nach dem Motto handeln „nach mir die Sintflut“, ermutigen, an der Veränderung zum Guten zu arbeiten. Es gilt der Satz: Nichts ist gut, wo Ausbeutung,  Ungerechtigkeit und Gewalt herrschen.
Wir brauchen die Bereitschaft, die offenen Ohren, auf prophetische Stimmen zu hören, uns von ihnen wachrütteln und zum Handeln auffordern zu lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16828
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SWR2 Wort zum Tag

Wenn man so tief gebeugt ist, greift man nicht mehr nach den Sternen. Und nimmt nicht mehr wahr, was man konkret tun könnte, sagt die Ärztin Ruth Pfau über Kranke, die sie in Pakistan behandelt und die wegen mangelnder medizinischer Versorgung oft die Hoffnung auf Heilung aufgegeben haben.
Der Evangelist Lukas erzählt davon eine Geschichte. Es ist die Geschichte einer Frau, die so gekrümmt ist, dass sie den Himmel nicht mehr sehen kann, nicht mehr das Schöne um sie herum, nichts mehr erhofft. Sie kann nicht nach den Sternen greifen.
Was beugt diese Frau? Was hat sie so verkrümmt?
Vielleicht sind es die Sorgen um das tägliche Leben. Vielleicht haben sie Enttäuschungen und Verlusterfahrungen geprägt, vielleicht ist es auch anderes.
Die verkrümmte Frau - sie hat viele Gesichter. Sie kann für alle stehen, die unter einer Last ihres Lebens krumm geworden sind. Aber vielleicht auch für die, die durch Arbeit, Profitstreben, diesem Tanz um das goldene Kalb, sich haben verbiegen lassen und den aufrechten Gang verloren haben.
Nicht alle gekrümmten Rücken sind auf den ersten Blick sichtbar. Ist nicht auch mein Rücken oft krumm, wenn ich nicht aufstehe gegen Unrecht, nicht gegen ein Leben auf Kosten anderer? Resigniere ich nicht auch oft, nehme nicht wahr, was ich konkret tun kann.
Diese Frau, von der Lukas erzählt, hört von Jesus, von seinen Krankenheilungen. Er ist ihre Hoffnung. Ob er ihr helfen kann? Sie macht sich auf, geht in die Synagoge, wo Jesus predigt. Und Jesus nimmt sie wahr. Er ruft sie zu sich und sagt: Sei los von deiner Krankheit.
Für mich heißt das: Du kannst hinter dir lassen, was dich krank macht, was dich quält und niederdrückt. Nimm dein Leben in die Hand. Du kannst aufrecht leben.
Jesus hilft dieser Frau, die Sterne wieder zu sehen. Ihr wird das Leben wie neu geschenkt. Das ist wahrlich ein Wunder, von dem Lukas erzählt.
Diese Geschichte ist für mich eine Auferstehungsgeschichte, die Auferstehung eines Menschen mitten im Leben. Ein Mensch ist gekrümmt, wie gelähmt, kann nicht mehr. Und da bekommt einer, der gekrümmt ist, der in seine Krankheit eingesperrt war, sein Leben wieder in den Griff und kann wieder aufrecht gehen, das heißt: er nimmt wahr, was konkret zu tun ist.

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SWR2 Wort zum Tag

Ich kann ohne Hoffnung nicht leben.
Das hat der Liedermacher Wolf Biermann vor Jahren bei der Verleihung des Georg- Büchner-Preises gesagt. Wer könnte diesem Satz widersprechen?
Für mich ist Hoffnung ein Geschenk des Advents. Aber was ist meine Hoffnung? Worauf warte ich im Advent? Wenn ich ehrlich bin: Auf nichts anderes als das ganze Jahr über. Ich hoffe, ich warte darauf, dass das, was ist, nicht alles ist. Ich hoffe, ich warte:  auf Frieden, damit keine Gewalt mehr einen anderen tötet. Ich hoffe auf Brot für jeden, damit niemand mehr Hungers sterben muss. Und ich hoffe auch in den großen Hoffnungen immer zugleich auf das kleine Glück. Solches Hoffen bewahrt vor der Verzweiflung über die Gegenwart von Krieg und Hunger und Leid.
Für solches Hoffen steht der Name Jesu, und der kommt im Namen des Herrn, verkündetden Hoffnungsnamen Gottes. Darum ist es wichtig, wie ich in meinem Leben diesem Namen Raum gebe. Aber wie geschieht das?
Auf diese Frage antwortet ein kurzer Abschnitt im Römerbrief:
Seid niemand etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt; denn wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
Das ist Evangelium, konzentriert in einem Satz: Ihr schuldet einander nichts außer dem einen: einander zu lieben. Nur dies. Das heißt für mich: für den Anderen offen zu sein, ihm Hoffnung zum Leben zu ermöglichen. Licht im Dunkel zu sein. Diese Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt, sagt Fulbert Steffensky. Das ist es, was im Neuen Testament das Wort Liebe meint. Im Kommen Jesu hat diese Liebe in der Welt Gestalt gewonnen. Sein Leben und seine Verkündigung wollen mich zu unterschiedlichem Handeln inspirieren. Denn Liebe und Offenheit für den Anderen werden in jeder Lage anders aussehen: hier materielle Hilfe, dort das offene Ohr, hier Ermutigung und Trost, dort Widerspruch und Widerstand, hier Fürsprache, dort Protest.
Solche gelebte Offenheit ist ein Stück aufgeklärter Lebensstrategie. Sie kann Menschen zusammenführen – Menschen, die einander sympathisch sind oder nicht, fremd oder einander vertraut, gleich oder ungleich.
Darum ist Advent mehr als Kerzenschein. In diesem „Mehr“ ist es eine gesegnete Zeit. Sie ist Licht im Dunkeln, geteiltes Brot, gelebte Hoffnung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16579
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