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SWR2 Wort zum Sonntag

Kein Thema ist zur Zeit so in aller Munde wie die Fußball-Europameisterschaft. Viele Menschen, die sonst weniger Interesse am Sport haben, verfolgen die Spiele mit Leiden-schaft. In unserem oft unterkühlten und kargen gesellschaftlichen Leben bricht für drei Wochen eine richtige hitzige Begeisterung aus. Diese Welle wird im August von den O-lympischen Spielen abgelöst und zugleich fortgesetzt. Sport ist ein wichtiger Bereich un-seres Lebens.
Schon sehr früh in der Geschichte der Menschheit gibt es einen Drang, die Kräfte zu messen und sich steigernde Leistungen zu erringen. Dabei spielen auch die Wettkämpfe von Gruppen, ja auch bald von Nationen eine Rolle. Dabei steht der friedensfördernde und völkerverbindende Aspekt im Vordergrund.
Es ist gut, dass sich auch heute die Völker zu einem so friedlichen Wettbewerb treffen, wenn freilich die Bedingungen sehr viel anders geworden sind. Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, als würden regelrechte säkulare Liturgien gefeiert. Es ist freilich auch unübersehbar, dass im Schatten der Spiele Verhaltensweisen zum Vorschein kommen, die eher fragwürdig sind: Es gibt gelegentlich eine Überhöhung nationaler Gesichtspunk-te, die mitunter auch zur Gewalt neigt. Nicht selten ist auch die Sprache verräterisch, wenn man vom „Hinauswerfen“ oder „Wegputzen“ in einem Ton redet, der regelrechter Vernichtung ähnlich wird. In der momentanen Erregtheit und Hitze sind solche Ausdrücke bei einem Einzelnen verständlich, aber wenn sie die Titelseiten großer Boulevardzeitun-gen beherrschen, ist nach meinem Dafürhalten die Grenze überschritten. Schnell sind Fanatismus und Chauvinismus im Spiel, nicht nur Leidenschaft und Spielfreude. Dadurch werden im Menschen ungebändigte Urinstinkte angesprochen, die man gerade im Sport, wo einem ja auch die Regeln dazu zwingen, beherrschen soll. Ich mache mir keine Illusi-onen über den Kontext des heutigen Sports. Er lässt sich auf vielen Ebenen nicht zuletzt auch in hohem Maß von der Verlockung des großen Geldes verführen. Für viele, die sonst eigentlich keine Sportsfreunde sind, ist es ein Laufsteg der Eitelkeiten, des Sozialpresti-ges und auch politischer Werbung geworden. Dies alles lässt sich nicht so leicht in den Griff bekommen.
Deshalb ist es auch schwierig, die Tugenden der Klugheit und der Gerechtigkeit, der Be-herrschung und der Mäßigung zu beschwören. Aber gerade dies möchten wir ja im Sport lernen. Es geht um mehr als nur um das Einhalten von Spielregeln. Gerade im Sport wol-len wir uns in einem fairen Umgang miteinander und darum auch in Selbstbeherrschung einüben.
Ein Element ist jedoch im Sport und gerade auch bei großen Wettbewerben unverzicht-bar. Es ist und bleibt ein Spiel. Auch wenn Spiele noch so von anderen Interessen und Tendenzen beherrscht zu drohen werden, so sind sie doch nicht einfach verfügbar zu ma-chen. Gott sei Dank, es bleibt eine Unberechenbarkeit, Überraschung und manchmal auch der Sieg z. B. des Außenseiters. Kleine – oder solche, die man dafür gehalten hat – werden groß, und Große, die manchmal den Mund etwas voll nehmen, werden auf niedri-gere oder auch letzte Ränge verwiesen. Ein bisschen Zufall und Laune gehören gewiss zu dieser Unberechenbarkeit, die sich schon im runden Leder anzeigt, das überall hin fliegen kann. Aber das unberechenbare Spiel, das man im Letzten nicht manipulieren kann, fin-det sich nicht nur im Sport, sondern gehört auch zum Leben der Menschen. Und die Freude an diesem Spiel, an dem Messen der Kräfte und auch an einem lebendigen Wett-bewerb wollen wir uns nicht nehmen lassen. Gerade heute nicht, in einem Europa, das immer mehr zusammenwachsen soll. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3954
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SWR2 Wort zum Sonntag

Ob es nun immer so war oder ob wir es heute stärker bemerken: Kinder sind vielen Gefahren ausgesetzt. Nicht nur im Verkehr, sondern leider auch im Blick auf manche unberechenbaren Eltern. Es ist gut, wenn man früher aufmerksam wird auf solche Gefährdungen und ihnen, vor allem durch rechtzeitige Beratung, entgegentritt. Freilich kann man manchmal die Sorge haben, der Staat mische sich – von ausgesprochenen Lebensgefährdungen abgesehen – unter Umständen auch zu viel in die Sorgepflicht und in die Rechte von Eltern ein.
Kinder sind für unsere Gesellschaft offenbar auch deshalb wichtiger geworden, weil sie seltener geworden sind. Kleine Veränderungen der Geburtenstatistik beheben noch nicht die lauernden Gefahren einer ohnehin alternden Gesellschaft. Dahinter aber steht eine Gefahr, die keine so große Rolle spielt in unseren öffentlichen Diskussionen, aber nicht minder bedrohlich ist. Wir dürfen Kinder nicht einfach unter künftigen wirtschaftlichen Erfordernissen sehen, weil wir mehr Arbeitskräfte brauchen. Manchmal hat man den Eindruck, Kinder würden vor allem als Faktor der ökonomischen Entwicklung in Rechnung gestellt. Dies ist sicher auch ein wichtiger Gesichtspunkt, aber er darf andere Dimensionen nicht verdecken oder gar auf die Seite schieben.
Es gibt viele Tendenzen, die dies, vielleicht ungewollt und unbeabsichtigt, fördern. Die Hirnforschung hat gewiss Nachdenkliches an den Tag gebracht, so dass wir z. B. Kinder auch schon vor dem sechsten Lebensjahr geistig stärker fordern können und sollen. Darum wird die Frage einer vorschulischen Bildung wichtig, gewiss auch stärker in den Kindertagesstätten.
Aber auch hier wird manchmal des Guten zu viel getan. Man erwartet, oft auch von Seiten der Eltern, dass die Kinder schnell überzogene Leistungen erbringen, die sich freilich auch schädlich auswirken können. Manche vertreten Konzepte, in denen man unschwer künftigen Wettbewerb und Konkurrenz z. B. um Noten schon in eine ganz frühe Zeit verlegt. Der Erwartungsdruck kann für alle schlimm werden.
Nun will ich keinen Mythos einer heilen Kindheit erneuern, als ob Kinder gleichsam außerhalb der Zeit leben. Auch hier ist ein gründlicher Wandel eingetreten. Wir können nicht ganz verhindern, dass die Zeitstrukturen Erwachsener in die Lebenswelt der Kinder eindringen. Moderne Kindheit ist auch in hohem Maß Medienkindheit geworden. Durch die Liberalisierung unserer Gesellschaft und so auch der Eltern orientieren sich viele Kinder weniger an pädagogischen und religiösen Standards. Es gibt bereits eine relativ große Individualisierung der Meinungen und Werturteile auch bei Kindern.
In diesem Sinne lauert, auch wenn man kein Romantiker ist, eine fundamentale Gefahr, dass wir Kinder viel zu früh in eine bestimmte Erwachsenenwelt versetzen und sie schon früh danach ausrichten. Deshalb muss in allen unseren Bemühungen und bei allen Wandlungen die Kindheit als eigenes, einmaliges und unersetzliches Lebensalter gerettet werden. Sie darf nicht brutal verzweckt werden. Kinder dürfen nicht schon früh auf künftige Leistungen abgerichtet werden. Zur Kindheit gehört eben auch das Absichtslose, ja in fundamentaler Weise das Spielerische. Diese Zeit des Spiels darf nicht verrechnet werden. Menschliche Erziehung ist keine Hundedressur. Nicht zuletzt darin besteht eine Gefahr für Kinder, dass wir dies nicht mehr beachten. Schnell ziehen dann auch verschiedene Ideologien in die Erziehung ein. Es gibt einen uralten Spruch eines großen Denkers aus der frühesten Zeit Europas, nämlich des manchmal dunklen, aber tiefen Heraklit (um 500 v. Chr.), der einmal sagt: „Das ewige Leben ist ein Kind, spielend wie ein Kind, die Brettsteine setzend; die Herrschaft gehört einem Kind.“ Das Wort hat Geschichte gemacht und sagt uns heute noch viel. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3491
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SWR2 Wort zum Sonntag

Die Tage, in denen wir stehen und die vor uns liegen, bilden einen starken Gegensatz. In der Fastnacht geht es ganz um das Lachen und die Freude, ja auch um das Austoben mit viel Spaß und Witz. Bei manchen hat man das Gefühl, nach dem Fastnachtsdienstag käme geradezu das Weltende. So sehr wollen sie die tollen Tage bis zur letzten Neige genießen. Der Aschermittwoch und die beginnende Fastenzeit erscheinen nur als dunkle Folie gegenüber dem ausgelassenen Treiben. Man muss vor dem Beginn der traurigen Zeit noch alles ausschöpfen.
Gewiss wechseln im Leben des Menschen Nüchternheit und Überschwang, Traurigkeit und Freude immer wieder ab. Wir müssen lernen, mit beidem umzugehen, dabei auch eine Mitte, das Maß, einzuhalten. Fastnacht und Fastenzeit erinnern uns an diese doppelt-eine Aufgabe.
Die Fastnacht hat, gerade auch in den unterschiedlichen Regionen unseres Landes, recht verschiedene Ursprünge und ist mit dem Charakter der jeweiligen Volksstämme eng verwoben. Bei den einen herrscht immer noch die Auseinandersetzung zwischen Winter und Frühling, den kalten, dunklen Mächten und dem Neuerwachen des Lebens. Es ist auch ein Ringen mit bösen Mächten, die das Leben der Menschen bedrohen. Anderswo hat die Fastnacht geholfen, das Los von Unterdrückung leichter zu ertragen und – in Witz und Karikatur versteckt – sich gegen die Mächtigen aufzulehnen und sie zu verspotten. Aber auch ein altes religiöses Motiv ist nicht zu übersehen: Es tut dem Menschen gut, wenn er eine Zeit des Verzichtes besonders auf Genussmittel und ein üppigeres Leben einübt, sich mehr auf die Richtung seines Lebens und Gott besinnt sowie durch Freigiebigkeit und Hilfsbereitschaft zeigt, dass er die Not der Armen nicht vergessen hat. So sind Fasten, Gebet und Almosen bleibende Wurzeln der kirchlichen Bußzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern.
Da mag es gut sein, gerade wenn man in dieser Fastenzeit den Riemen enger schnallt, sich noch einmal auszutoben und die Freuden dieser Welt zu genießen, nicht zuletzt auch durch Witz und Fantasie, wie sie im Lachen zum Ausdruck kommen.
In Wirklichkeit liegt beides näher beieinander. Der wahre Humor soll helfen, dass wir uns nicht im Alltags-, im Familien- und besonders im Berufsleben verlieren und darin verkrallen. Da kann Fastnacht ein regelrechter Befreiungsschlag werden. Das ist aber etwas anderes als sich besinnungslos allen Vergnügungen auszuliefern und sich geradezu zu vergessen. Umgekehrt ist auch die richtig verbrachte Fastenzeit positiv zu sehen: Wir fressen nicht alles in uns hinein, können leer werden von uns allein und können uns öffnen für Gott und den Nächsten. Dann ist es auch möglich, bei verkorksten Verhältnissen und Beziehungen neu anzufangen, z. B. von Grund auf zu vergeben und gute Anfänge, an die man sich erinnert, zu erneuern. Deswegen gibt es eine echte Freude der Umkehr. In diesem Sinne gehören Reue und Neuanfangendürfen zu dieser Zeit. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3107
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SWR2 Wort zum Sonntag

Heute wird das Fest des heiligen Martin, mit dem schönen Datum des 11.11. verbunden, an einem Sonntag gefeiert. So mag es angebracht sein, einige Worte zu seiner Bedeutung heute zu sagen, zumal wir im deutschen Südwesten, nicht zuletzt auch durch viele Kirchenpatrone, eine alte und intensive Verehrung haben. Für die Bistümer Mainz und Rottenburg-Stuttgart ist der heilige Martin nicht nur Patron der Bistumskirchen, sondern auch der Diözesen.
Ein Bild geht um die Welt, das keiner vergisst, wie immer die jeweiligen Illustrationen auch sind: Der junge Offizier Martin teilt am Stadttor von Amiens mit einem Schwert seinen Soldatenmantel und gibt die Hälfte einem notdürftig bekleideten Armen. Das ist eine Geste des Teilens, die man nicht so schnell vergisst. Sie gehört durch die lange Überlieferung zu den Urbildern unserer europäischen Kultur. Dahinter ist die Gestalt des heiligen Martin selbst, der später Bischof von Tours wurde, beinahe verschwunden. Die Geschichte mit dem Mantel reicht weit über seinen Tod hinaus bis in die Gegenwart.
Und auch heute noch lassen sich besonders viele Kinder und Jugendliche von diesem Ursymbol ansprechen, sodass das Brauchtum mit vielen Legenden und Umzügen heute immer mehr auch mit neuen Ideen gepflegt wird.
Über lange Zeit haben die Menschen zwar Martins Erbarmen mit den Bedürftigen stets vor Augen gehabt, aber es gibt noch einen anderen Zug, der Beachtung fand: Normalerweise ist zwischen einem Offizier und einem Bettler eine große gesellschaftliche Schranke. Indem Martin sich für den Bettler interessiert und ihn in seiner Notsituation überhaupt wahrnimmt, durchbricht er diese Abgrenzung und relativiert damit auch alle Vorurteile und aus ihnen erwachsenden Mentalitäten. Der Uniformierte akzeptiert den zerlumpten Bettler als seinesgleichen, dem er brüderlich begegnet. Deshalb bleibt er bei manchen Darstellungen auch nicht auf seinem Pferd sitzen, sondern steigt herab zu dem Armen selbst. Es gibt auch Darstellungen, wo er überhaupt kein Pferd hat.
Diese Mantelteilung rührt uns auch noch aus einem anderen Grund: Der Soldat Martin gibt keine Spende aus seinem eigenen Wohlstand oder gar Überfluss. Er gibt dem Bettler die Hälfte seines ureigenen Kleides. Deswegen steht auch die spontane, im Augenblick dringliche Hilfe im Vordergrund. Es ist ein schlagendes Zeichen für spontane Solidarität. Und diese Geste ist und bleibt auch der Keim und die Urzelle jeder institutionellen Hilfe, wie sie Wohlfahrtsorganisationen eindrucksvoll leisten. Am Anfang steht das Erbarmen mit dem konkret Notleidenden. Dies ist die Wurzel aller Nächstenliebe und Solidarität.
Die Geschichte aus dem 4. Jahrhundert ist aber damit nicht zu Ende. Martin hat nämlich in der nächsten Nacht eine Traumvision, in der ihm Jesus Christus selbst mit dem umgelegten Mantelteil erscheint. „Dann hörte er – so schreibt sein Biograf Sulpicius Severus – Jesus laut zu der Engelschar, die ihn umgab, sagen: ‚Martin, obwohl erst Katechumene, hat mich mit diesem Mantel bekleidet.’ Eingedenk der Worte, die er einst gesprochen, ‚Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.’ erklärte der Herr, dass er in den Armen das Gewand bekommen habe.“
Es gibt jedoch Vertreter der Wirtschaftstheorie und -ethik mit der Meinung, das Bild des heiligen Martin sei kein Modell für die Ordnung moderner Gesellschaften, Wettbewerb sei solidarischer als Teilen. Ich bin fest überzeugt, dass dies ein verhängnisvoller Irrtum ist, ohne dass man deswegen den solidarischen Effekt auch des Wettbewerbs leugnen müsste. Die Weisheit der Jahrhunderte und auch der Kinder von heute weiß um die Dringlichkeit der Hilfe und der Zuwendung für den vom Erfrieren Bedrohten. Deswegen hält sich das Fest auch so eindringlich und ermutigt uns zum Teilen, besonders mit den Bedürftigen.
(Ich wünsche Ihnen einen frohen und gesegneten Sonntag.)

Hinweis:
J. Drumm (Hg.), Martin von Tours. Der Lebensbericht von Sulpicius Severus. Übertragen von W. Rüttenauer, Ostfildern 1997 (Schwabenverlag);
M. Becker-Huberti, Der heilige Martin. Leben, Legenden und Bräuche, Köln 2003 (Greven-Verlag);
R. Mensing, Martin von Tours, Düsseldorf 2004 (Patmos-Verlag) https://www.kirche-im-swr.de/?m=2556
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SWR2 Wort zum Sonntag

Die Familienpolitik ist Gott sei Dank immer noch unter den vorherrschenden Themen der gesellschaftlichen Diskussion. Dies ist und bleibt notwendig. Es ist eben nicht mehr so, wie der Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer, als er einmal auf die Notwendigkeit der För-derung von Geburten angesprochen worden ist, sagte, Kinder bekommen die Leute von selbst. Heute wissen wir von den elementaren Gefährdungen, die von der Bevölkerungs-entwicklung in unserem Land ausgeht, auch wenn kleine Besserungen festgestellt werden können.
Lange Zeit dauerte es, bis die Einsicht reifte, dass wir mehr Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren brauchen. Dabei geht es um reine Krippenplätze, aber auch um neue Tagesmütter-Netze oder auch betriebliche Kinderbetreuung. Erst dann kann auch wirklich von der viel gesuchten und gepriesenen „Wahlfreiheit“ im Blick auf die Form der Kinder-betreuung die Rede sein. Diese ist unter den gegebenen Umständen für 2013 vorgese-hen. Viele Kompromisse, auch zwischen dem Bund und den Ländern, waren notwendig, um zu dieser Konzeption zu gelangen.
Wer nach einem Jahr Elterngeld noch weiter mit dem Kind zu Hause bleiben will, soll eine Art „Betreuungsgeld“ erhalten. Man spricht auch von einem „Erziehungsbonus“. Einzelheiten sind wohl noch nicht klar. Jedenfalls werden damit auch viele Wünsche gerade derer erfüllt, die sich dafür einsetzten, dass die Betreuung der Kinder zu Hause durch die Eltern eine Anerkennung finden müsste. Diese Gruppe ist ja schließlich keine kleine Minderheit, sondern es ist ein Lebensmodell, das Millionen von Eltern gewählt und vereinbart haben. Der Vorschlag schien insgesamt eine Richtung zu markieren, auf die sich die verschiedenen familienpolitischen Konzeptionen gemeinsam einstellen konnten.
Nun ist in der Diskussion ein unglücklicher Begriff aufgetaucht, der dazu geeignet ist, die gefundene Annäherung wieder zu zerschlagen. Man hat dafür nämlich das Wort „Herd-prämie“ benutzt. Dieses kann nicht nur als Kampfbegriff verstanden werden, sondern er klingt auch in der Tat herabwürdigend und verächtlich gegenüber den Menschen, die zeitweise oder dauerhaft zu Gunsten der Kinder auf Erwerbsarbeit verzichten. Vielleicht ist dies beim ersten spontanen Gebrauch des Wortes gar nicht beabsichtigt gewesen. Aber die Sprache verrät eben auch mögliche Denkweisen. Es wäre fatal, wenn man die gefundene Kompromisslösung auf diese Weise diffamieren würde.
Der Begriff wirkt außerdem in der negativ eingefärbten Stimmung gegen ein solches Le-bensmodell rücksichtslos und intolerant. Er scheint am Ende eben doch nur eine be-stimmte Form von Kinderbetreuung zu begünstigen, und dies im Lichte einer bestimmten Konzeption von Emanzipation der Frau. Frauen, die sich anders entscheiden, erscheinen dann wie das Heimchen am Herd, das fern vom wirklichen Leben ist.
Schon Aristoteles hatte festgestellt, dass nicht die Taten die Menschen bewegen, sondern die Worte über die Taten. Die Sprache verändert nicht selten unsere Welt und nistet sich in den Köpfen ein. So gibt es manche Unworte, mindestens Reizworte, die das Miteinan-der vergiften können. Ich denke z.B. an das Wort „Kopfpauschale“. Vielleicht hat man noch kein gutes Wort für den angezielten Kompromiss im Blick auf „Betreuungsgeld“, „Erziehungsbonus“ usw. gefunden.
Auf alle Fälle sollte man das Kampfwort „Herdprämie“ vermeiden. Die Pause während des Sommers sollte dazu genützt werden, dieses destruktive Wort zu begraben, bis nach den parlamentarischen Ferien die Debatte über die Familienpolitik und die Lösungsmuster wieder von neuem beginnt. Daran müssten alle ein Interesse haben. Es gehört zu den Aufgaben der Kirche, solche Unwörter, die friedensstörend sind, zu entlarven und die Suche nach geeigneten Worten anzuregen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2025
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SWR2 Wort zum Sonntag

In den letzten Jahren ist es gelungen, den Blick des öffentlichen und politischen, besonders auch des kirchlichen Interesses stärker auf Afrika zu lenken. Die Nöte sind immer größer geworden, die Weltöffentlichkeit hatte sich aber eher etwas abgewandt. In der Zwischenzeit hat sich die Aufmerksamkeit im positiven Sinne geändert. Man geht nicht einfach mehr an Afrika vorbei. Natürlich ist dies alles nur ein Anfang des Anfangs, ein Tropfen auf den sprichwörtlichen Heißen Stein.
Immer wieder gilt es freilich, auch andere im Windschatten der Weltpolitik liegende Länder, ja große Teile von Kontinenten, der Vergessenheit zu entreißen. Eine solche Gelegenheit besteht heute, wenn Papst Benedikt XVI. im brasilianischen Marienwallfahrtsort Aparecida die Fünfte Generalversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CE-LAM) eröffnet, die vom 13. bis 31. Mai stattfindet.
Allein schon die Zahlen machen deutlich, wie wichtig dieses Treffen ist. In Mittel- und Südamerika lebt mehr als die Hälfte aller Katholiken der Welt. Allein in Brasilien gibt es 130 Millionen Katholiken, die von über 400 Bischöfen begleitet werden. Der Papst selbst hat Brasilien als Ort für diese Fünfte Generalversammlung gewünscht. Er ist schon seit Mittwoch dort und kehrt morgen, am 14. Mai, nach Rom zurück.
Um das Gewicht dieser Generalversammlung zu verstehen, muss man ein klein wenig zurückschauen. 1955 in Rio de Janeiro, also noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wurde der Lateinamerikanische Bischofsrat (CELAM) gegründet, in dem alle 22 Bischofs-konferenzen Mittel- und Lateinamerikas vertreten sind. Von geradezu historischer Bedeu-tung war 1968 die Versammlung in Medellín (Kolumbien). Dieser wohl bedeutendste pas-torale Aufbruch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat mit den Anliegen des Konzils radikal ernst gemacht und unter Einbeziehung des ökonomischen und sozio-kulturellen Kontextes eine Vision des Lebens und Wirkens sowie der Theologie in Lateinamerika ent-worfen. Die Bischöfe brachten die unmenschliche Situation der Armut der Mehrheit der Menschen auf dem südlichen Subkontinent Amerikas zur Sprache und in Beziehung zum Befreiungswillen Gottes. Aus dem Glauben und auf der Grundlage des Wortes Gottes in der Heiligen Schrift zogen sie daraus die Konsequenz der so genannten „Option für die Armen“, ein zentrales Schlüsselwort der Sendung der Kirche bis heute. Entscheidend da-für waren auch die vor allem in Brasilien in hoher Zahl entstandenen kirchlichen Basis-gemeinden. Die Theologie der Befreiung ist die etwas spätere theologische Entfaltung dieses Grundimpulses.
Die Folgekonferenzen, vor allem in Puebla (1977), Santo Domingo (1992) und Santiago de Chile (1994), litten unter der Spannung und Spaltung, die daraufhin entstand. Auf der heute zu eröffnenden Fünften Generalversammlung gibt es neben diesen schon klassisch gewordenen Themen, zu denen vor allem auch der Schutz des Lebens gehört, aber den wichtigen Tagesordnungspunkt: Die Kirche in Lateinamerika steht schon länger unter dem Druck der so genannten evangelikalen Sekten. In Brasilien läuft jährlich ein Prozent der Katholiken zu diesen Sekten über. Dabei handelt es sich um aggressiv missionari-sche, neoprotestantische Bewegungen, vor allem charismatischer und pfingstlerischer Prägung, die häufig aus den USA finanziert werden. Es ist auch bekannt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Lateinamerika immer weiter auseinandergeht, Sozialrevoluti-onäre, die leichter an die Macht kommen, schaffen eine sehr aufgewühlte Stimmung. Viele fürchten um die Zukunft Lateinamerikas.
Wir dürfen den Papst nicht allein in Brasilien lassen, auch nicht die dort versammelten Bischöfe und Mitchristen. Wir brauchen einen neuen Blick und ein frisches Interesse für die Menschen und die Kirche in Lateinamerika. Ich bitte auch um Ihr Gebet, gerade heute. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1316
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SWR2 Wort zum Sonntag

In den letzten Wochen ist Bewegung gekommen in die Familienpolitik unseres Landes. Es ist der unermüdlich tätigen Familienministerin Ursula von der Leyen gelungen, viele bisher zögernde Politiker aller Richtungen für die Krippenoffensive zu gewinnen, d.h. bis zu einem bestimmten Datum vor allem für Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz zu besorgen. Diese Überlegungen sind auch in letzter Zeit ausgeweitet worden auf Ideen im Zusammenhang der Kindergärten und ihrer Funktion als Vorschule frühkindlicher Bildung.
Die Kirchen tragen nicht nur seit jeher Sorge für die Familie im Allgemeinen, sondern belegen diese auch durch die Trägerschaft sehr vieler Kindergärten. Wenn sie bisher im Blick auf diese neue Familienpolitik wenigstens im öffentlichen Echo eher etwas zurück-haltend waren, so bedeutet dies nicht, dass sie diese Ausbaupläne nicht unterstützen würden. Aber vielleicht sind da und dort noch einige klärende Unterscheidungen notwen-dig.
Es ist zweifellos für viele Familien eine wichtige Hilfe, wenn sie für die jüngsten Kinder mit einem Krippenplatz rechnen dürfen. In vielen Situationen müssen beide Ehepartner eine vollberufliche Tätigkeit aufnehmen. Unser Land war und ist bisher, verglichen mit seinen ökonomischen Möglichkeiten im internationalen Vergleich ziemlich Mittelmaß. Die gestaffelte Initiative hat darum mit Recht mannigfaltige Zustimmung erhalten, wo man es bisher nicht vermutete.
Mit Recht haben viele darauf hingewiesen, dass es unbedingt bei einer „Wahlfreiheit“ bleiben müsse, dass nämlich die Eltern sich für die Erziehung der Kinder zu Hause entscheiden können und auch entsprechend unterstützt werden müssen, ohne dass diese Entscheidung abgewertet oder benachteiligt wird. Es gibt schließlich viele Erkenntnisse der frühkindlichen Pädagogik, wie wohltuend und fruchtbar die enge Lebensgemeinschaft der Eltern, besonders der Mutter, mit Kleinkindern ist und wie viel dies zu ihrer frühen persönlichen Entfaltung beiträgt. Dabei muss sicher von Problemfamilien abgesehen werden. Dies sagt auch nichts gegen die pädagogischen Fähigkeiten sehr vieler Erzieherinnen in den Kindergärten.
Aber manchmal haben wir zu Unrecht vergessen, dass es noch nicht so lange her ist mit einer fatalen Dominanz des Staates in der Kindererziehung, vor allem marxistischer Ge-sellschaftssysteme. Es bleibt eine Verführung mancher Politiker, die so genannte „Lufthoheit über die Kinderbetten“ zu gewinnen, um an ein bekanntes Schlagwort zu erinnern. Die größere Anzahl von Kinderkrippen in den neuen Bundesländern wird manchmal geradezu verherrlicht, ohne dass man die ideologischen Implikationen im System von früher genügend wahrnimmt. In manchen Köpfen ist eine umfassende staatliche Kindererziehung ziemlich lebendig. Dies wird mit vielen Problemfällen und auch der angeblichen Unfähigkeit vieler Eltern zur Erziehung begründet. Rasch ist man dann auch dabei, den Kindergarten mit der Aufgabe frühkindlicher Bildung zu verknüpfen.
An dieser Stelle ist höchste Wachsamkeit am Platz, denn gerade wenn die neue Familien-politik hohe Zustimmung bekommt, die sie auch braucht, muss die Rückkehr unbedachter aber keineswegs harmloser Ideologien sorgfältig und kritisch verfolgt werden. Die neue Familienpolitik muss sich auch bewusst bleiben, dass sie Rahmenbedingungen dieser Art verbessern helfen kann, dass daraus aber noch nicht automatisch eine beträchtliche Vermehrung der Kinderzahl abgeleitet werden darf. Dazu gehören noch die Wiederbelebung und Aktivierung vieler Werte, die der Staat nicht regeln kann. Es kommt auf die Einstellung der Eltern und ermutigende Hilfe der freien gesellschaftlichen Kräfte an, z.B. auch und gerade der Kirchen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=820
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SWR2 Wort zum Sonntag

Wir wissen, dass in unserer Gesellschaft die Gefahr einer tieferen Spaltung zwischen Reich und Arm besteht. Wir sehen manchmal einen unbeschreiblichen Luxus. Zugleich gibt es hun-gernde Kinder. Die eingerichteten „Suppenküchen“ und „Tafeln“ zeigen, dass es auch sicht-bare Armut bei uns gibt. Zugleich rückt die ganze Welt mit ihren vielen Fragen und Proble-men immer mehr in unsere eigene Gesellschaft hinein. Die Globalisierung verschont uns nicht mit den Nöten der Welt, einschließlich der terroristischen Gefahren.
An diesem Morgen des Heiligen Abends möchte ich besonders auf eine Gruppe von Men-schen zurückkommen, die wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Es sind die so genannten „Illegalen", die bei uns wohnen. Niemand kann sie genau schätzen. Man darf aber eine Zahl zwischen 500.000 und 1 Million annehmen. Es sind Menschen, die keinen rechtlich gesicher-ten Aufenthalt bei uns haben. Sie sind darum oft im Untergrund und haben große Angst vor Ausweisung und Abschiebung, wenn sie entdeckt werden.
Es sind Menschen, die aus sehr verschiedenen Anlässen bei uns sind. Einige wollen bei ihren rechtmäßig bei uns wohnenden Familienangehörigen sein, sie selbst haben aber kein Nach-zugsrecht. Andere wissen nicht, wie sie ihre Familien zu Hause ernähren können. Wieder an-dere haben zu Hause ein permanent gefährdetes Leben, sodass sie die Unsicherheit der Illega-lität vorziehen. Man muss sich auf jeden Fall vor allen Pauschalurteilen hüten.
Es ist ein wenig gespenstisch, wenn man von diesen „Illegalen“ redet. Eigentlich gibt es sie ja gar nicht. Wir ignorieren sie. Dennoch leben sie mitten unter uns. Deswegen haben wir auch oft ein zwiespältiges Verhältnis zu ihnen, was uns selbst wiederum ein gespaltenes Bewusst-sein verursacht.
Sie verstecken sich oft. Manchmal müssen sie eine unverschämt hohe Miete aufbringen, da-mit sie ein sicheres Versteck haben. Gelegentlich tauchen sie auf, besonders in den kirchli-chen Gemeinden. Hier fühlen sie sich sicherer. Dies ist besonders in Notsituationen der Fall, wo sie anderswo kaum Hilfe erhalten können.
Es gibt viele Probleme, durch die sie ein schweres Leben haben. Es fängt an bei der elementa-ren Existenzsicherung, die sehr mit dem Finden von Arbeit verbunden ist. Nicht selten wird ihre Arbeitsleistung nur unzureichend entlohnt. Sie können sich wenig wehren. Ein großes Problem stellen auch die Kinder dar, die keine Schule besuchen können. Es ist dann nur allzu verständlich, dass die Kinder und Jugendlichen unter dieser Voraussetzung schlechte Chancen für ein berufliches Fortkommen haben und auch leichter in die Kriminalität abgleiten können. Ganz besonders schwierig wird es aber, wenn einzelne Familienmitglieder in Not kommen, weil sie krank sind. Sie trauen sich oft nicht in eine ärztliche Praxis oder in ein Krankenhaus. Nicht nur weil sie es nicht bezahlen können, sondern auch weil sie ihre Anonymität wahren möchten.
Es ist ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft, dass wir trotz aller Mängel und Schwierigkei-ten in den letzten Jahren die Not dieser Menschen besser wahrgenommen haben. Auch wenn manches noch unzulänglich ist, so hat doch auch die Politik die Not erkannt. Viele Netzwerke sind in unserer Gesellschaft entstanden. So gibt es in manchen Großstädten Initiativen für die medizinische Betreuung. Der Malteser Hilfsdienst hat z.B. eine eigene medizinische Einrich-tung (Malteser Migration Medizin) eingerichtet, die dank der unentgeltlichen Hilfe nicht we-niger Ärzte die oft verzweifelten Mitmenschen unterstützt. Dabei muss man auch an Schwan-gerschaft und Geburt denken.
Dies bringt Licht in das Dunkel der Welt, wie vor bald 2000 Jahren. Jesus wurde unterwegs in einem Stall geboren, weil kein Platz in der Herberge mehr war. Ihm und seinen Eltern ist auch die Flucht nach Ägypten nicht erspart geblieben. Dennoch hat er gerade durch die Zuwendung zu den bedrängten und ausgestoßenen Menschen ein Licht in die Welt gebracht, das wir auch durch unsere Hilfe für die „Illegalen“ weitertragen sollten. https://www.kirche-im-swr.de/?m=457
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