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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

12DEZ2023
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Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Fest des Friedens. So heißt es zumindest. Aber wenn ich mich umschaue, dann ist mir dieses Jahr kaum nach einem solchen Fest zumute. Wo bitte geht’s denn hier zum Frieden, will ich dem Weihnachtsfest zurufen. Ukraine, Gaza, Iran, die Liste lässt sich fast unendlich fortsetzen. Und oft genug denke ich, dass das mit dem Frieden einfach unrealistisch ist. Friedliche Zeiten waren schon immer Mangelware. Klar, hier in Deutschland gibt es keinen Krieg. Und trotzdem herrscht auch hier Unfrieden. Streit darum, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird. Streit um Klimamaßnahmen und Tempolimit. Und in vielen Familien sieht es gerade in diesen Tagen oft genug auch unfriedlich aus.

Ich weiß, auf vieles habe ich gar keinen Einfluss. Krieg und politische Entscheidungen, Umgang mit Flüchtlingen und Naher Osten – mir sind die Hände gebunden. Und trotzdem will ich mich davon nicht bestimmen lassen. Ich will diese ganze Unfriedlichkeit als Anstoß für mich selbst nehmen. Nach Frieden zu suchen. Da, wo ich was machen kann.

Ich halte mich da an meinen Glauben. An das biblische Wort schalom. Das Wort steht für einen umfassenden Frieden. Ein Friede, den es nur gibt, wenn Menschen und Tiere, wenn die Umwelt und der ganze Kosmos, wenn alle zu ihrem Recht kommen. Dazu kann ich selbst ein kleines bisschen beitragen. Kann den Streit in der Familie versachlichen und nach Lösungen suchen. Kann mit Menschen ins Gespräch kommen, die ganz andere Ansichten haben als ich. Kann Zuhören, versuchen zu Verstehen. Kann ein Lächeln in die Welt setzen. Auf dem Bahnsteig, wenn der Zug nicht kommt. In der Warteschlange im Baumarkt. Wenn andere nerven.

Und wenn mich jemand fragt: Wo, bitte, geht’s zum Frieden? Dann kann ich sagen: Überall. Da, wo Menschen einfach damit anfangen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

11DEZ2023
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Bereits letzte Woche hat der Schnee richtig zugeschlagen in Deutschland. Wir hier in Rheinland-Pfalz wurden zum Glück verschont. Aber im Norden und vor allem im Süden knackte die Schneemenge alle Rekorde. Und sorgte für Schneechaos und Staus auf Autobahnen, ausgefallene Züge und Stromausfälle.

Und trotzdem wünschen sich viele nichts sehnlicher, als Schnee an Weihnachten. Wer mal durch einen schneebedeckten Wald gewandert ist, der weiß, warum. In einer Zeit, in der viele Tage trist und grau sind, verzaubert der Schnee die Landschaft. Die Welt strahlt und glitzert. Die Nacht wird hell und alles ein bisschen leiser.

Alles, dank der Schneeflocken. Die sind ein Wunderwerk. So wie ein Fingerabdruck, so sind auch Schneeflocken einmalig. Klar, das zu beweisen ist unmöglich. Schließlich könnten irgendwo auf der Welt zwei identische Schneeflocken zur Erde herunterschweben. Aber ihre Entstehung ist unglaublich komplex. Schneeflocken bilden sich in Wolken. Hier kristallisieren kleinste Wassertropfen. Eine Schneeflocke entsteht. Wie genau, das hängt von unheimlich vielen Faktoren ab. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und eine Unzahl weiterer Bedingungen.

Auch deshalb kann ich Schnee und Weihnachten zusammendenken. Weihnachten, das Fest der Geburt eines einmaligen Kindes. So wie jedes Kind einmalig ist. Und der Schnee? Besteht aus lauter einmaligen, einzigartigen Schneeflocken. Schneeflocken und ein neugeborenes Kind: Beide ein unglaublich komplexes Wunderwerk der Natur. Vielfältig ohne Ende. Ein Grund zum Staunen.

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Anstöße sonn- und feiertags

10DEZ2023
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Zweite Kerze an. Zweiter Advent. Halbzeit. Noch zwei Wochen bis Weihnachten. Da passt der Name Advent ziemlich gut. Der alte Begriff heißt übersetzt „Ankunft“. Weil da was ankommt. Und was kommt? Geschenke, die liebe Verwandtschaft, gutes Essen, Urlaubstage, Staus auf der Autobahn und vieles mehr. Alles richtig. Aber allzu oft geht dabei unter, woher dieser Hype vor Weihnachten eigentlich kommt.

Im Kern geht es doch darum, dass auf ein Kind gewartet wird. Advent ist die Wartezeit bis zur Geburt eines Kindes. Eines besonderen Kindes.

Ich selber durfte schon einmal bei einer Geburt dabei sein. Und hab erlebt: Geburt, das ist mehr als der Zeitpunkt, wo ein Mensch tatsächlich auf die Welt kommt. Geburt betrifft auch die Zeit davor. Die Zeit der Erwartung. Und die ist ganz schön gefüllt: Namen auswählen, Untersuchungstermine, erste Klamotten finden, Wiege besorgen, ganz viele Ratgeber wälzen. Und viel mehr. Und dann endlich kommt dieses Kind auf die Welt.

Warten darauf, dass etwas ankommt, das bestimmt meine Adventszeit in diesem Jahr aber noch auf andere Weise. Ich warte darauf, dass sich die Krisen dieser Welt wenden. Dass Wege gefunden werden, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Dass sich Israelis und Palästinenser aufeinander zubewegen. Dass Menschen nicht mehr fliehen müssen. Dass wir uns hier in Deutschland darauf besinnen, wie reich unser Land ist.

Ich weiß, es ist naiv, bei diesen Problemen auf weihnachtliche Lösungen zu hoffen. Aber der Advent erinnert mich auch daran, dass vieles im Leben länger braucht. Dass es oft langen Atem braucht. Für Frieden, für Liebe, für Versöhnung. So wie eine bevorstehende Geburt, auf die ich warte. Daran erinnere ich mich heute, wenn ich die zweite Kerze anzünde.

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SWR4 Sonntagsgedanken

19NOV2023
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Lebe jeden Tag

Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter. Der Satz hat mich immer geärgert. Es wäre nämlich vor allem ein trauriger Tag. Denn an meinem letzten Tag würde ich viele Dinge einfach lassen. Dinge, die das Leben reich und schön machen. Ich würde keine Urlaubspläne mehr schmieden, keine Besuche planen, keins von den Büchern mehr anfangen, die sich bei mir im Regal stapeln, keinen Radiobeitrag mehr schreiben. Wenn heute mein letzter Tag wäre, würde ich vieles von dem lassen, was ich mir schon so lange vorgenommen habe: Endlich die ganzen alten Unterlagen ausmisten, die ich warum auch immer aufgehoben habe, Joggen gehen, die Fliese im Bad austauschen, die zersprungen ist. An meinem letzten Tag hätte ich sicher Angst. Wäre wütend. Würde vielleicht unbedingt noch so vieles klären wollen. Keine richtig schöne Vorstellung.

Jetzt könnte man sagen: Der Satz ist ja ganz anders gemeint. Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter, das meint: Lebe intensiv, tue heute, was dran ist. Vertrösten und Verschieben gilt nicht. Versöhn dich heute und lass den Streit. Räume dein Leben so auf, dass du tatsächlich jeden Tag gehen kannst.

Dafür reicht aber auch eine alte Weisheit aus. „Nutze den Tag.“ Der Satz bringt auf den Punkt, um was es eigentlich geht. Dass ich jeden Tag und seine Chancen wahrnehme. Dass ich meine ja ziemlich begrenzte Lebenszeit gut gestalte. Dass ich ganz praktisch, durch das, was ich tue und sage, was ich lasse und denke, eine Antwort auf die Frage gebe: Was mache ich eigentlich aus meinem Leben?

„Carpe diem“ haben dazu die alten Römer gesagt. „Pflücke den Tag“, heißt das wörtlich übersetzt. Ein wundervolles Bild. Es macht deutlich: Jeder Tag liegt wie eine Blüte oder wie ein ganzes Sonnenblumenfeld vor mir. Voller Farbe, Licht und Duft. Den Tag zu pflücken heißt in diesem Bild: Den Tag zu ergreifen wie eine Blume, die mein Leben bunt macht. Den Tag zu sehen mit all seinen Blüten und Wundern und Sonnenstrahlen und Herbstgewittern. Da ist es dann egal, ob dieser Tag nur irgendeiner oder tatsächlich mein letzter ist. Wichtig ist nur, dass ich mich auf diesen einen Tag heute konzentriere. Damit er wie eine Blume vor mir seine Blütenblätter öffnet.

                                                

Gegen die Angst

Nutze den Tag. Mehr als nur ein Kalenderspruch. Ein Satz, der das Leben reicher macht. Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken in SWR 4.

Nutze den Tag. Was dieser Satz meint, kann eine biblische Geschichte deutlich machen. Da ist ein reicher Mann, der sich auf eine Reise macht. Vorher ruft er seine Angestellten zu sich. Ihnen vertraut er einen Teil seines Vermögens an. Sie sollen mit dem Geld wirtschaften. Der eine legt das Geld riskant an, investiert in neue Unternehmen. Dank Glück und Geschick verdoppelt er ziemlich schnell das Geld. Ein anderer ist vorsichtiger. Aber auch er verdoppelt das Geld seines Arbeitgebers. Der dritte hebt alles von der Bank ab und verwahrt es sicher in einem Tresor. Als ihr Chef zurückkommt, wird abgerechnet. Von seinen ersten beiden Angestellten ist er begeistert. Der dritte dagegen erklärt: „Ich hatte Angst, das Geld zu verlieren. Angst vor dir. Aber zum Glück ist ja alles noch da.“

Ich hatte Angst. Das kenne ich auch. Die Angst, dass etwas schief geht. Angst, dass ich was falsch mache. Angst, dass hinter meinem Rücken über mich geredet wird. So eine Angst lähmt. Und dann tue ich nichts, nur damit nichts passiert. Da geht es mir wie dem dritten Mann.

Die Geschichte macht aber auch klar: Mit Angst, da kann ich nichts gewinnen. Ich will dem dritten Angestellten zurufen: Nutze den Tag. Mach was aus deinen Möglichkeiten. Und davon gibt’s es ja tatsächlich viele. Mit dem Geld kann der Mann was Sinnvolles kaufen. Oder auch alles spenden, Gutes damit tun. Denn offensichtlich verfügt sein Chef ja über genug Geld. Das wäre mal eine starke Aktion.

Mich fordert das auf, dass ich nach Möglichkeiten suche, aus Wenigem etwas zu machen. Aus wenig Geld, wenig Zeit, wenig Energie. Denn die tausend Situationen und Begegnungen, die tagtäglich da sind, die kann ich am Schopf packen. Kann etwas Gutes daraus machen. Auf dem Parkplatz ein paar Worte mit Bekannten wechseln, auch wenn ich es eilig habe. Meiner Frau eine Tafel Schokolade mitbringen, einfach so. Auf der Brücke mein Fahrrad anhalten und die Spiegelung im Wasser bewundern. Beim Telefongespräch mutig sein und ehrlich sagen, wie es mir geht.

Der Tag ist mir geschenkt, so wie in der Geschichte die drei Angestellten Geld bekommen. Es liegt auch an mir, etwas daraus zu machen.

Zu Mt 25, 14–30

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SWR2 Wort zum Tag

25OKT2023
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Demokratie – die galt lange Zeit in der westlichen Welt als die beste aller gesellschaftlichen und politischen Lebensformen. Demokratie, übersetzt: die Herrschaft des Volkes. Brachte Freiheit und Unabhängigkeit. Sorgte dafür, dass sich Menschen selbst entfalten können. Steht für sorgenlose Begegnung von Menschen unterschiedlichster Herkunft, Länder und Kulturen. Doch mehr und mehr Menschen sind mit der Demokratie unzufrieden. In vielen Ländern der Erde brechen sich rassistische und populistische Strömungen Bahn. Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht das. Demokratie: keineswegs mehr unumstritten.

Ganz ähnlich geht es derzeit den Religionen. Lange Zeit war der christliche Glaube für Europa selbstverständlich und prägend. Bildung, Wissenschaft, Technik: dafür sorgte das Christentum. Die Idee, dass alle Menschen gleich sind, die Abschaffung der Sklaverei, alles auf christlichem Boden gewachsen. Doch immer mehr Menschen treten aus, immer lauter wird die Kritik an den Kirchen. Blickt man in andere Regionen der Erde, verschärft sich das Problem. Nur ein Beispiel: Im Iran werden Frauen im Namen des Glaubens von einer Sittenpolizei unterjocht. Religion sorgt hier für Terror und Unterdrückung.

Demokratie und Religion. Kämpfen derzeit mit ähnlichen Problemen. Allen voran: Glaubwürdigkeit. Beide müssen sich fragen lassen: Wofür brauchen wir euch noch?

Ich finde, das ist eine große Chance. Wenn etwas in die Krise gerät, dann muss man ja fragen: Welchen Sinn hat es? Warum soll ich mich für Demokratie einsetzen? Oder für meinen Glauben? Meine Antwort: Ich kann mir ein Leben ohne Freiheit nicht vorstellen. Mehr noch: Der Mensch braucht Freiheit, um sich zu entfalten. Die Demokratie ist die bisher beste Form, die diese Freiheit garantiert.

Aber eine Frage bleibt: Wofür frei sein? Und wohin? Hier hat die Religion eine wichtige Bedeutung. Sie kann dem Leben Ziele und Richtung geben. Viele Menschen zeigen das. Aus ihrem Glauben heraus handeln sie. Teilen an der Tafel Lebensmittel aus, machen Musik mit Flüchtlingen, organisieren Besuch für den alten Nachbarn, spenden Geld für die Erdbebenopfer in Marokko. Sie zeigen, was wichtig ist im Leben: Dass es darauf ankommt, sich und den anderen Menschen wahrzunehmen. Füreinander einzustehen. Ohne das kann auch Demokratie nicht funktionieren.

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SWR2 Wort zum Tag

24OKT2023
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Ich liebe den Herbst. Farbige Blätter, Nebel am Morgen, warmes Licht am Abend. Die Sommerhitze ist vorbei, der Winter lässt sich noch etwas Zeit.

Aber gerade deswegen fordert mich der Herbst auch heraus. Er ist eine Jahreszeit, da bin ich immer falsch angezogen. Wenn ich mich morgens aufs Rad schwinge, dann brauche ich schon Handschuhe und ziehe eine warme Jacke an. Aber kaum bin ich unterwegs, fange ich an zu schwitzen. Und wenn mittags die Sonne rauskommt, dann reicht fast ein T-Shirt. Abends dagegen wird es schnell wieder kühl.

Das ist mein Herbstgefühl: Ich ziehe mich dauernd an und um. Zwiebellook ist deshalb angesagt. Ein paar dünne Sachen übereinander. So kann ich jede Tageszeit genießen.

Zwiebellook. Ein Bild für das Leben. An vielen Tagen reicht es, wenn ich, bildlich gesprochen, dünn angezogen bin. Wenn alles glatt läuft. Mir alle wohlgesonnen sind. Wenn mich ein warmes Gefühl durchströmt: Ein nettes Gespräch mit der Kollegin, meine Lieblingslimo ist im Supermarkt runtergesetzt, alle Ampeln stehen auf grün. Dann brauche ich weder ein dickes Fell noch Schutzschichten auf der Seele.

Aber es gibt auch andere Tage. Da bläst mir der Wind ins Gesicht. Ich mache Fehler auf der Arbeit, vergesse einen Geburtstag, werde zu Unrecht angemeckert, bin ich mit dem falschen Fuß aufgestanden. An solchen Tagen, da kann ich ein paar Klamotten mehr gebrauchen. Da muss ich mich wappnen.

Deshalb ist der Herbst meine Jahreszeit. Weil er ein bisschen so ist, wie mein Leben. Denn ich trage tagein, tagaus Zwiebellook. Bei meiner Familie, da bin ich leichtangezogen. Bin verletztlich, kann Schwäche zugeben, kann über meine Zweifel sprechen, meine Angst. Unterwegs, da ziehe ich ein paar Lagen über. Auf der Straße, im Zug, da begegnen mir wildfremde Leute. Oft genug weiß ich nicht, wie die drauf sind. Wie die reagieren. Da sorge ich für ein bisschen Abstand zwischen mir und den anderen. Je nach Situation hat der Zwiebellook, den ich trage, mal mehr, mal weniger Schichten.

Genauso wie jetzt, im Herbst.

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SWR2 Wort zum Tag

23OKT2023
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Heute fängt alles an. Vor genau 6027 Jahren. Die Welt, das Universum, einfach alles. Im Jahr 4004 vor Christi Geburt. Zumindest berechnete das der englische Theologe James Ussher im 17. Jahrhundert. Er war überzeugt: Heute, am 23. Oktober vor über sechstausend Jahren erschuf Gott das Universum.

Bis heute halten sich solche kreationistischen Theorien. Der Begriff leitet sich ab vom lateinischen creatio, Schöpfung. Diese Theorien gehen davon aus, dass Gott alles buchstäblich so geschaffen hat, wie es in der Bibel erzählt wird. In sieben Tagen. Aus dem Nichts. Vor allem mit Hilfe der Altersangaben im Alten Testament errechnete Ussher das Alter der Welt. Und er war keineswegs allein. Auch der berühmte Physiker Issac Newton verfasste eine ähnliche Chronik.

Wissenschaftlich hat sich das heute erledigt. Konsens ist: Vor knapp 14 Milliarden Jahren entstand das Weltall aus einem gewaltigen Urknall. Seitdem entwickelt sich alles: das Universum dehnt sich aus, Sterne entstehen und vergehen, Leben beginnt und verändert sich.

Auf den ersten Blick erscheint das als Widerspruch: Entweder Gottes Schöpfung oder Urknall. Was diese Alternative übersieht: Die biblischen Texte sind kein Gegenmodell zu physikalischen Theorien. Biblische Schöpfungserzählungen bieten eine religiöse Perspektive auf den Anfang. Es sind Sinngeschichten zu existentiellen Fragen: Wo kommen wir her? Warum sind wir da? Wofür sollen wir leben? Fragen, die mich auch heute umtreiben. Mir hilft da der Begriff der Schöpfung. Schöpfung sagt mir, dass ich eingebettet bin in alles. Dass ich Teil der Natur, des Universums bin. Und das lässt mich in Beziehung treten zu allem: Zu Menschen, Tieren, Pflanzen und Bäumen, zum Sonnenaufgang und zur Milchstraße.

Das lässt sich sogar naturwissenschaftlich unterfüttern. Wenn am Anfang der Urknall steht, dann stammen wir alle von diesem Ereignis ab. Wir sind aus Sternenstaub und Energie gemacht. Und so mit allem verbunden. Auch mit dem was kommt und dem, was vergangen ist. Weit über 6027 Jahre hinaus.

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SWR2 Lied zum Sonntag

22OKT2023
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As I went down in the river to pray, studying about that good ol’ way, and who shall wear the starry crown, good Lord, show me the way.

Den richtigen Weg finden, das ist wohl ein Menschheitsthema. Und ist mir wichtig. Klar, viele Wege gehe und fahre ich wie selbstverständlich. Auch im übertragenen Sinn. Im Umgang mit anderen, was die Einstellungen und Überzeugungen angeht, da bewege ich mich auf eingefahrenen Wegen. Da muss ich nicht lange überlegen. Dann aber wieder gibt es Situationen, dass ich mich frage: Wo geht’s für mich lang? Das Lied Down to the River to Pray macht diese Lebenswege zum Thema.

Oh, sisters, let’s go down, let’s go down, come on down. Oh, sisters, let’s go down, down in the river to pray.

Down to the River to Pray, ein traditioneller Song aus den USA. Ein Lied, das oft zur Taufe gesungen wird. So erklärt sich der Refrain: Als ich zum Fluss hinunterging, um zu beten, da dachte ich über den richtigen Weg nach und darüber, wer die mit Sternen geschmückte Krone tragen soll. Guter Gott, zeig mir den Weg! In vielen christlichen Gemeinschaften ist die Taufe in einem Fluss üblich. Und so fordert das Lied Schwestern und Brüder, Mütter und Väter und letztlich alle auf, zum Fluss zu gehen. Sich zu erneuern, zu waschen. Und wie neugeboren aus dem Wasser aufzutauchen. Gekrönt von Sternen statt von Dornen. So skizziert der Song den Lebensweg des Menschen: Als Umkehr, als ein Leben, das sich auf Gott ausrichtet.

As I went down in the river to pray, studying about that good ol’ way, and who shall wear the robe and crown, good Lord, show me the way.

 Typisch für dieses und andere traditionelle Lieder: Ihr Anfang liegt im Dunklen. Sie werden lange Zeit nur mündlich überliefert. Gedruckt wurde Down to the River to pray lange nach seiner Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts. In einer Sammlung von traditionellen Songs der Sklaven in den USA.

Vor diesem Hintergrund gewinnt der scheinbar harmlose Text an Brisanz. Dann lassen sich nämlich die Schlüsselwörter des Liedes auch als Fluchtbotschaften verstehen. Im Wasser eines Flusses konnten Hunde die Spur der geflohenen Sklaven nicht mehr wittern. Die Sternenkrone spielt darauf an, dass sich Flüchtlinge auf ihrer Flucht an den Sternen orientierten. Und „zeige mir den Weg“ lässt sich als Gebet um Gottes Unterstützung auf der Flucht verstehen. Denn zu Zeiten der Sklaverei gab es gut gehütete Fluchtwege, die Untergrund-Eisenbahn. Mit ihr konnten Sklaven aus dem Süden der USA in den Norden fliehen – konnten aus der Sklaverei fliehen.

Oh, brothers, let’s go down, let’s go down, come on down. Oh, sisters, let’s go down, down in the river to pray.

As I went down to the river to pray, studyin’ about that good old way, and who shall wear the starry crown, good Lord, show me the way.

Was mich an diesem Lied bewegt: Wie sich Glaube und Alltag verbindet. Das Gebet und die Sehnsucht nach Freiheit. Und wenn ich Down to the River to Pray höre oder selbst singe, dann klingt hindurch, welche Kraft der christliche Glaube besitzt: Widerstand gegen Unterdrücker leisten, Partei für die Menschen zu ergreifen, die machtlos sind.

Wenn ich nach meinem Lebensweg frage, dann stellt mich dieses Lied selbst in Frage: Wo setze ich mich für Menschen ein, die Hilfe nötig haben? In welchen Fluss steige ich, bildlich gesprochen, um Kraft für mich und andere zu schöpfen?

As I went down to the river to pray, studyin’ about that good old way, and who shall wear the starry crown, good Lord, show me the way.

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SWR4 Sonntagsgedanken

10SEP2023
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Du sollst den Nächsten lieben …

Ich sitze schon im Zug, da steigt noch schnell ein Mann ein. Er spricht eine Passagierin an. Die Frau scheint ihn nicht zu verstehen. Da holt der Mann sein Handy aus der Tasche. Spricht rein. Zeigt das Display der Frau. Ich bin neugierig und sehe: Der Mann nutzt ein Übersetzungsprogramm. Die Frau versteht: Der Mann fragt nach seinem Zielbahnhof. Sie nickt. Ja, er kann diesen Zug benutzen. Und sie gibt ihm zu verstehen. Ich sage ihnen, wann ihr Bahnhof kommt. Drei Stationen weiter zeigt die Frau auf den Eingang. Der Mann blickt sie fragend an, sie nickt. Er steigt aus, dreht sich in der Tür kurz um. Lächelt die Frau an – und bedankt sich, ganz ohne Worte. Seine Augen sagen „Danke“.

Da ist ein Mensch, der Hilfe braucht. Und ein anderer Mensch, der hilft. So einfach geht das, denke ich mir. Mit der Nächstenliebe. Zugegeben, Nächstenliebe, das hört sich etwas altbacken an, hat einen moralischen Unterton. „Du sollst deinen Nächsten lieben“, heißt es ja auch. Dabei geht es um eine großartige Menschheitserfindung. Dass Menschen in der Lage sind, einem anderen Menschen mit Respekt zu begegnen. Einem anderen Menschen Würde zuzusprechen. Und das unabhängig von Sympathie, Herkunft, Sprache, Geschlecht, Hautfarbe oder Ansichten. Nächstenliebe heißt: Ich setze mich für den anderen ein, damit es ihm gut geht.

Nächstenliebe ist auch deshalb ein zentrales Erkennungszeichen des Christentums. Leider oft genug nur theoretisch. In der Geschichte des Christentums gibt es genug Beispiele dafür, dass die Nächsten nicht geliebt wurden. Verfolgung und Unterdrückung Andersdenkender und Andersglaubender gehören auch zum Repertoire christlicher Religion.

Doch ein Blick in die biblischen Erzählungen, der Grundlagen des christlichen Glaubens, macht deutlich: In seinem Tun und Reden geht es Jesus vor allem darum, dass der andere Mensch in den Blick gerät – mit seinen Sorgen und Wünschen, seinen Verwundungen und Handicaps, seiner Suche nach Sinn und Glück. Deshalb tritt Jesus in Kontakt mit Armen und Kranken, mit Lahmen und Blinden, mit Suchenden und Fragenden. Nächstenliebe heißt hier: Verbindung zum anderen aufbauen, Beziehung eingehen. Und Jesus macht so deutlich, dass die Nähe eines Menschen gesund machen kann, glücklich machen kann, das Leben leichter macht.

Nächstenliebe heißt konkret: Menschen, die in mein Sichtfeld treten, wahrzunehmen. So wie die Frau, die dem Mann hilft, am richtigen Bahnhof auszusteigen.

… wie dich selbst

Das Christentum ist eigentlich eine ganz einfache Religion. Es geht um die Liebe. Andere Menschen und sich selbst zu lieben. Mehr braucht es nicht, um eine Christin oder ein Christ zu sein. Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken in SWR 4.

Das Christentum gilt als Religion der Nächstenliebe. Dabei wurde aber oft vergessen: Der Satz geht weiter. Komplett heißt er: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Die Selbstliebe, die wurde oft genug unter den Teppich gekehrt. Denn Selbstliebe, das klingt für viele nach Egoismus, nach Rücksichtslosigkeit. Aber das Gegenteil ist der Fall. Bei der Selbstliebe geht es erst einmal darum, sich selbst anzunehmen. Und dann ist sie die Basis für Nächstenliebe.

Selbstliebe ist manchmal schwer. Ich sehe bei mir selbst oft genug nur das, was nicht gelingt. Sehe meine Fehler und Macken. Das, was ich falsch mache. Wo ich versage. Es fällt mir dann schwer, mich selbst zu akzeptieren, mich zu respektieren.

So geht’s vielen anderen auch. Dabei weiß ich: Es ist wichtig, sich selbst anzunehmen. Auch, weil ich kaum liebevoll zu anderen sein kann, wenn ich mich selber nicht schätze. Denn wie soll ich anderen Respekt erweisen, wenn ich respektlos mit mir selbst umgehe?

Aus der Psychologie ist bekannt: Selbstliebe hat einen starken Einfluss auf das Wohlbefinden, auf die psychische Gesundheit, auf die eigene Lebensqualität. Nur aus einem stabilen Ich heraus kann ich mit anderen gut umgehen. Kann Freundschaften schließen und mich für andere engagieren. Mich selbst zu lieben, das hilft mir außerdem, mit stressigen und belastenden Situationen umzugehen. Sie macht mich stabil. Und gerade deshalb macht es mir die Selbstliebe leicht, auf andere zuzugehen.

Selbstliebe und Nächstenliebe, das sind zwei Seiten einer Medaille. Einer Medaille, die Liebe heißt. Beide brauche ich, damit ich gut leben kann. Damit das Leben gelingen kann. Für mich und für die Menschen, die um mich herum sind.

 

 

Zu Röm 13,8-10

Schwestern und Brüder! Niemandem bleibt etwas schuldig, außer der gegenseitigen Liebe! Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.

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SWR2 Wort zum Tag

30AUG2023
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Der Mann hatte viele Namen. Sein bekanntester: Matthias Grünewald. Heute wird in der evangelischen Kirche an den berühmten Maler gedacht.

Grünewald ist einer der Rockstars der Renaissance im frühen sechzehnten Jahrhundert. Der Maler und Grafiker hat viele bedeutende Werke hinterlassen. Am bekanntesten sicherlich: Der Isenheimer Altar, der heute in Colmar im Elsass steht. Er zeigt unter anderem eine spektakuläre Version der Auferstehung Jesu: Es scheint so, als würde dieser Jesus langsam aus seinem Grab emporsteigen. Dieser Jesus schwebt förmlich. Keine Erinnerung mehr an Kreuz und Tod. Sein Gewand hat kräftige Farben, sein Gesicht wirkt unheimlich lebendig.

So bekannt und faszinierend das Werk von Grünewald, so rätselhaft seine Herkunft. Sein Geburtsdatum: unbekannt, sein Geburtsort: umstritten. Und dann sind da noch seine vielen Namen. Sein Vorname variiert zwischen Matthias oder Matthaei oder Mathis. Nachnamen finden sich ebenfalls viele: Grünwalt mit t und Grünwald mit d, manchmal einfach nur Grün und dann wieder Grünenwald und noch ein paar mehr. Dieser Wirrwarr ist wohl der Barockzeit geschuldet. Hier finden sich in verschiedenen Texten diese unterschiedlichen Schreibweisen des Künstlernamens.

Mich fasziniert diese Vielzahl von Namen. Sie macht deutlich, dass der Name letztlich gar nicht so entscheidend ist. Denn so spannend das Rätsel ist, wer Grünewald war, es sind doch seine Bilder, die bis heute faszinieren. Vor Jahren habe ich den Isenheimer Altar und sein Auferstehungsbild gesehen. Es hat mich in seinen Bann gezogen. Da war es unwichtig, wie der Maler hieß und welche Lebensgeschichte er hat. Das Bild hat mich angesprochen. Hat mir Fragen gestellt: Was siehst du? Was fasziniert dich? Was findest du rätselhaft? Was spricht dich an? 

Namen sind Schall und Rauch, heißt es. Bei Grünewald kapiere ich, was das heißen kann. Dass es nicht der Name, das Etikett ist, das zählt. Sondern das, was Menschen aus ihren Fähigkeiten und ihrem Leben machen. Und wie sie dadurch andere Menschen bewegen.

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