SWR4 Abendgedanken RP

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Irgendwann ist Schluss! Das lernt schon meine kleine Nichte, mit der ich oft ein Spiel mache: Hubschrauber - ich lege sie auf meine Schulter und drehe mich ganz schnell im Kreis, bis es uns beiden schwindelig wird. Dann stelle ich sie wieder auf ihre beiden kleinen Füße und sobald sie wieder gerade laufen kann, kommt sie zu mir und sagt: noch mal, noch mal! Natürlich machen wir das Ganze dann auch noch mal und noch mal. Aber irgendwann sage ich: das ist jetzt das letzte Mal. Weil ich es auch so meine, weiß sie: das Spiel ist gleich aus. Irgendwann ist Schluss; und was für das Spiel gilt, das gilt für jeden Tag und für das ganze Leben. Dabei fallen mir viele Dinge ein: Irgendwann trinke ich meinen letzten Kaffee, setze mich zum letzten Mal auf meine Lieblingsbank im Park, fahre zum letzten Mal Fahrrad. Irgendwann schließe ich die Bürotür zum letzten Mal ab, lese zum letzten Mal die Zeitung, und irgendwann sehe ich auch meine Lieben zum letzten Mal. Ist das ein Grund zum Traurig-Sein? Es stimmt: manchmal macht es mich nachdenklich und ein bisschen melancholisch. Aber auf der anderen Seite empfinde ich auch das Gegenteil: ich weiß ganz genau, dass mein Leben endlich ist, und das schärft meine Sinne. Und weil ich nicht beliebig oft auf die Wiederholtaste drücken kann, bin ich wach und aufmerksam: Abends frage ich mich dann hin und wieder: Welche Geschenke hat dieser Tag für mich bereitgehalten? Was habe ich heute ganz bewusst erlebt und wahrgenommen? Wann habe ich mich heute gefreut? Und da kommt tatsächlich einiges zusammen, was mich dankbar macht: Danke, für den leckeren Kaffee am Frühstückstisch! Danke, für den Spaziergang durch den verschneiten Wald! Danke, für den Blick in die strahlenden Kinderaugen meiner Nichte! Irgendwann ist Schluss. Und das erst lässt mich die kleinen Geschenke in meinem Alltag entdecken und dankbar genießen - so wie meine Nichte das Hubschrauberspiel.

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