SWR4 Abendgedanken BW

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„Sollen wir eigentlich die Tiefkühltruhe immer noch laufen lassen?", fragt Erika beim Abendessen.
„Wieso, du tust da doch immer die Himbeeren rein und das Eis und wenn du Kuchen übrig hast?" Erwin ist richtig erschrocken. „Es ist doch schön, dass immer was da ist, wenn die Kinder vorbeikommen."
„Ja, aber so oft kommen die auch nicht, und für uns zwei lohnt es sich eigentlich nicht mehr. Was wir brauchen, kann ich auch so kaufen."
„Ja, wenn du meinst." Erwin weiß nicht so recht, was das auf einmal soll.
Erika ohne ihre Tiefkühltruhe - das kann er sich gar nicht vorstellen.
Und plötzlich begreift er es. Sie will sich darauf einstellen, dass sie nicht mehr für alle sorgen muss. Sie will ihre Kreise enger ziehen.
Alle kennen Erika nur als die tüchtige, die alles selber macht, stolz ist auf das Gemüse aus dem Garten, den selbst gezogenen Salat, das eigene Obst.

Aber in der letzten Zeit hat sie einsehen müssen, dass ihre Sorge für die anderen nicht mehr so gefragt war. Die Kinder essen gar keine Marmelade. Von den eingemachten Zwetschgen hat sie ein paar Gläser wegtun müssen. Und wenn sie sich Sorgen macht über die Enkel, zum Beispiel dass Lena mehr lernen sollte, da hat die Schwiegertochter ihr zu verstehen gegeben, dass sie das gar nichts angeht. Dass Lena das selber kapieren muss.
Das hat ihr in der letzten Zeit zu schaffen gemacht. Wenn die Sorgen so ins Leere laufen...
Und jetzt versucht sie auf ihre Art, an das Problem ranzugehen. Aber ob das so gut ist?
„Wie ist das mit dem Fisch, den du immer einfrierst?"
„Kann ich frisch kaufen."
„Und das Eis?"
„Das passt in den Kühlschrank oben rein."
„Und das Gemüse aus dem Garten?"
„Das macht allmählich sowieso zu viel Arbeit, das können wir auch kaufen. Ist bestimmt nicht teurer, wenn man alles rechnet."
„Und die Beeren? Willst du die auch aufgeben?"
Sie sagt erst mal nichts. Erwin denkt: Jetzt hab ich sie.
„Ach", sagt sie dann, „ja, um die Beeren wär's schade. Dieses Gefühl - die ersten Erdbeeren holen, wenn sie schon ein bisschen warm sind von der Morgensonne..., oder auf der Veranda sitzen und die Johannisbeeren abzupfen. Und im Winter hat man dann noch was vom Sommer. Ach, ich glaube, ich lasse es noch eine Weile mit der Tiefkühltruhe. Wir beide sind doch auch noch da... Klingt das blöd, wenn ich sage, der liebe Gott sorgt sich doch auch noch um uns, auch wenn wir alt werden?"
„Nein", sagt er, „das klingt nicht blöd. Das gefällt mir sogar sehr gut. Das gefällt mir viel besser, als wenn du sagst: Für uns zwei lohnt es sich doch nicht.
„Ja", sagt sie, „wir beide, wir sind auch noch wichtig. Zufrieden?"

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