SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Nur der ist wirklich Realist, der glaubt. Das hat Martin Buber gesagt, ein jüdischer Religionsphilosoph, der 1933 seinen Lehrstuhl an der Frankfurter Universität aufgeben musste. Er lebte und lehrte in der festen Überzeugung, dass nur der wirklich Realist ist, der glaubt. Wer glaubt, lebt ganz in der Wirklichkeit ohne Abstriche und Verkürzung. Denn zur Wirklichkeit gehört nicht nur, was wir sehen, wahrnehmen, messen und überprüfen können. Wirklichkeit ist auch meine Sehnsucht und das, worauf ich hoffe, mein Glück und woran ich verzweifle, Wirklichkeit ist mein ganzes Leben und auch sein Ende. Zu meiner Überzeugung von Wirklichkeit gehört, dass Gott hier immer seine Hand im Spiel hat - mit ihm zu rechnen gehört zur ganzen Wirklichkeit.
So ist es also nicht nur ein bestimmtes Gefühl, wenn ich versuche, an Gott zu glauben und diesen Glauben verteidige gegen meine  Zweifel. Sondern ich verstehe dies auch als einen Teil der Wirklichkeit, in der ich lebe. Was ich tue und wie ich mich entscheide, wie ich meinen Alltag und meine Zukunft plane, das hat auch immer etwas mit meiner Überzeugung, mit meinem Glauben zu tun. Der Glaube ist nicht eine Art Dekoration, die man sich an bestimmten Festtagen leisten kann, sondern er ist wie das Salz in der Suppe, ohne das die ganze Mahlzeit nicht gelungen wäre.
Dass sich Wirklichkeit und Glauben widersprechen, wird immer wieder behauptet. Etwa dann, wenn man sagt, die biblische Schöpfungsgeschichte mit den sieben Tagen könne keinesfalls mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen Darwins über die Entstehung der Arten zusammen gebracht  werden. Dabei kann ich gerade in den Erkenntnissen über die Geschichte der Erde und der Lebewesen zugleich an das dauernde schöpferische Handeln Gottes glauben. Wie Wirklichkeit und Glauben zusammengehören können, zeigt mir das  Lied von Matthias Claudius zum Erntedank. Dort wird beschrieben, wie die Arbeit der Bauern, Sonne, Tau und Regen die Saat zum Wachsen bringen bis hin zur Ernte, ja bis zu unserem täglichen Brot. Und dann heißt es: es geht durch unsere Hände ,kommt aber her von Gott.
Das ist für mich realistisch: alle unsere Kräfte und Fähigkeiten einzusetzen, mit unserer Vernunft und unserem Wissen  zu planen und zu handeln und doch zu wissen, dass alle diese Gaben nicht aus mir selber kommen, sondern mir von meinem Schöpfer mitgegeben werden.
Deshalb ist es auch gar nicht weltfremd, sondern ganz realistisch, wenn es in dem lied von Matthias Claudius heißt: „ Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn. Drum dankt ihm, dankt, und hofft auf ihn."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8540
weiterlesen...