SWR4 Abendgedanken BW

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Das Christentum hat versagt. Das ist eine alte Behauptung. In vielen Abschnitten der Geschichte ist das auch wahr. Und wegen der Vorwürfe des Missbrauchs in den letzten Monaten hört man es wieder: Das Christentum hat versagt. Oder genauer: die Christen , wir Christen versagen immer wieder, wenn es etwa um die Aufforderung Jesu geht, sich mit anderen zu versöhnen, Vergebung statt Hass zu üben und einfach das zu tun, was er immer wieder gesagt hat: Folgt mir nach.
Der Engländer Gilbert K. Chesterton hat dieser Feststellung vor hundert Jahren aber einen anderen Satz entgegen gesetzt: Ich sage, dass das Christentum noch gar nicht versucht worden ist. Die Christen hätten also noch gar nicht ernst gemacht mit dem, was ihr Herr und Gründer ihnen mit seinem Testament hinterlassen hat. Darin hat Chesterton sicher recht: Wir sollten es immer wieder versuchen, das aufzunehmen, was er uns vorgelebt hat, dann würden wir glaubwürdiger. Wenn man wie der barmherzige Samariter dem hilft, der am Straßenrand liegen geblieben ist und Hilfe braucht, oder wenn ich mich mit Liebe und Hingabe mich einsetze für Benachteiligte und Fremde, so wie Jesus das getan hat, ja dann wird deutlich, was es mit dem christlichen Glauben auf sich hat.
„Sie sagen, dass das Christentum versagt hat, ich sage, dass es noch gar nicht versucht worden ist". Ich kann diesem Satz trotzdem nicht ohne Einschränkung zustimmen. Denn es ist ja doch immer wieder versucht worden, und auch heute versuchen immer wieder Menschen, ihren Glauben umzusetzen, und  dies geschieht nicht vergeblich. Immer wieder haben Menschen durch ihre christliche Überzeugung anderen Hilfe und Orientierung gegeben. Viele diakonische Einrichtungen in unserer Kirche sind Zeichen dafür, wie Christen versuchen, ihren christlichen Glauben aktiv umzusetzen. Darum kann ich auch nicht einfach sagen, das Christentum habe versagt. Viele Christen haben immer wieder versagt, aber viele haben auch immer wieder glaubhaft und wirksam ihren Glauben umgesetzt.
Das Christentum ist kein Parteiprogramm, das nun verwirklicht werden muss. Das Christentum - das sind Menschen mit ihren Schwächen, aber auch mit ihren Begabungen. Sie versuchen nicht nur, ihre Gaben umzusetzen in Einrichtungen für behinderte und pflegebedürftige Menschen. Sie sind auch bereit, in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen und soziale Ungerechtigkeit zu verändern. Sie stehen offen und wahrhaftig ein für ihr Verhalten und geben so anderen ein  Beispiel dafür, wie man Vertrauen gewinnen kann. Jeder Versuch, seinen Glauben so umzusetzen, lohnt sich.

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