SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1
Lieber ein Nussbecher oder doch das Spaghetti-Eis? Zieh ich das leichte Sommerkleid an oder die praktische Hose? Bleib ich zuhause vor dem Fernseher oder geh ich zum Public Viewing?
Jeden Tag habe ich die Wahl und treffe Entscheidungen. Manchmal bin ich ziemlich entschlussfreudig und weiß schnell, was ich möchte. Zuweilen aber tue ich mich schwer, die richtige Entscheidung zu treffen. Das ist besonders dann so, wenn es um wichtigere Dinge geht als Kleidung, Essen oder Freizeit.
In welcher Schule melde ich mein Kind an? Soll ich im Job ausharren oder mir was anderes suchen? Bleibe ich in meinem Haus oder mach ich jetzt den Schritt ins betreute Wohnen?
Das sind knifflige Fragen, bei denen man sehr gut abwägen muss, wie die Weichen richtig gestellt werden. In dieser Woche haben die Wahlfrauen und -männer die Qual der Wahl. Sie haben die ehrenvolle Aufgabe, den nächsten Bundespräsidenten zu wählen. Sich zwischen drei Persönlichkeiten zu entscheiden. Ob sich wohl schon alle festgelegt haben, wem sie ihre Stimme geben werden?
Es ist schön, sich entscheiden zu dürfen. Und manchmal ist es schwer, sich entscheiden zu müssen.
In der Bibel gibt es einen Mann, der muss sich auch entscheiden. Ihm fehlt etwas in seinem Leben. Obwohl er alles hat, wovon man träumen kann. Denn er ist sehr vermögend. Und trotzdem scheint die Angst in ihm zu nagen. Was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Mit dieser Frage kommt er zu Jesus. Er ahnt offenbar, dass großer Reichtum und ewiges Leben bei Gott nicht ohne weiteres zusammengehen. Deshalb möchte er etwas ändern. Ich finde das lobenswert. Er deckt sein Gewissen nicht zu, sondern sucht aufrichtig nach Antworten. Und die bekommt er auch: Jesus zitiert die zentralen Gebote. Du sollst nicht töten, du sollst die Ehe nicht brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst Vater und Mutter ehren.
Der junge Mann atmet auf. Damit hat er keine Probleme. Die Gebote haben einen wichtigen Platz in seinem Leben.
Aber das ist nicht alles. Jesus mutet ihm fast Unmögliches zu, als er zu ihm sagt: „Geh, verkauf was du hast, gib das Geld den Armen und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach!" Mir tut dieser junge Mann Leid. Wenn wir heute Menschen in die Kirche aufnehmen, müssen sie vorher nicht ihr ganzes Vermögen hergeben. Wir haben kein Problem mit Wohlhabenden in unseren Reihen. V. a. dann, wenn sie mit ihrem Geld viel Gutes tun, soziale Projekte unterstützen oder der Kirchengemeinde eine neue Orgel ermöglichen. Warum fordert Jesus hier eine so radikale Entscheidung? Entweder Geld oder Nachfolge. Beides geht nicht zusammen. Gäbe es nicht einen goldenen Mittelweg?

Teil 2
Manchmal muss man sich entscheiden. Und tut sich unendlich schwer damit. Pest oder Cholera. Gibt es keinen Kompromiss, der einfacher und schmerzloser wäre? Der junge Mann, der riskierte, Jesus nach dem ewigen Leben zu fragen, hat jetzt die Bescherung. Er muss sich entscheiden: Entweder reich und satt, aber weiter suchend. Oder arm und ohne festes Dach überm Kopf, aber nah bei Gott. Warum legt Jesus die Latte so hoch? Für den jungen Mann ist sie zu hoch; „er wurde betrübt und ging traurig weg" steht in der Bibel.
Warum macht Jesus die Entscheidung, bei Gott zu sein nicht leichter? Man kann doch auch fromm sein ohne sein Konto zu plündern. Ich kann auch an Gott glauben, ohne in die Kirche zu gehen. Ich bin doch ein guter Christ, auch wenn ich im Dauerstreit mit meinem Nachbarn lebe. Ich vermute, dass Jesus dazu sagen würde: Eben nicht. Entweder mit mir oder ohne mich. Entweder ganz oder gar nicht. Dieser ausschließliche Anspruch Jesu auf das ganze Leben, angefangen vom Sonntagmorgen bis zum Geldbeutel macht christlichen Glauben bis heute unbequem. Und manchmal anstößig. Und doch übt der radikale christliche Lebensstil auf Menschen eine hohe Anziehungskraft aus. Z.B. auf Elisabeth, meine alte Freundin. Sie hat sich bewusst entschieden, mit Jesus eine innige Beziehung zu leben. Sie hat nicht geheiratet, arbeitet soviel, dass es für eine bescheidene Wohnung und das Lebensnotwendigste reicht.
Darüber hinaus hat sie Zeit, für andere Menschen da zu sein und zu helfen, wo Not ist. Wann immer es geht, besucht sie morgens vor der Arbeit die Frühmesse. Aus den klaren alten Worten der Messe schöpft sie Kraft für ihren Tag. Sie macht auf mich einen in sich ruhenden und glücklichen Eindruck. Im bewussten Verzicht hat sie die Erfüllung ihres Lebens gefunden. Ihre Entscheidung, diesem Jesus von Nazareth nachzueifern, bereut sie nicht.
Und was ist mit denen, die nicht so asketisch veranlagt sind? Die das Leben genießen wollen, sich an Schönem erfreuen, ob Essen, Kleidung, Autos oder Häuser? Sind die künftig, wenn es um das ewige Leben geht, außen vor? Ich glaube, dass es auf die innere Einstellung zu den schönen Dingen des Lebens ankommt, die ich auch gern genieße. Sie dürfen mein Herz nicht so in Beschlag nehmen, dass meine Gedanken ausschließlich darum kreisen. Ich darf mich nicht zur Sklavin von Geld und Besitz machen lassen. Ich soll nicht horten und mein Leben damit absichern wollen, wo ich es doch an Gott festmachen kann. Diese Entscheidung wird mir nicht abgenommen. Ich habe jeden Tag die Wahl. Und jeden Tag eine neue Chance, es richtig zu machen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8526
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