SWR4 Sonntagsgedanken

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Vor 800 Jahren wurde eine Königstocher geboren, die bis heute als große Europäerin und ökumenische Heilige fasziniert: Elisabeth von Thüringen. Einzigartig für ihre Zeit brachte sie Frömmigkeit und Nächstenliebe zusammen. Und sie lebte radikal, woran sie glaubte.


Tei I

Christlicher Glaube ist undenkbar ohne tätige Nächstenliebe. Was uns heute fast selbst-verständlich erscheint, wurde vor 800 Jahren von der Kirche im besten Fall milde belä-chelt.

Elisabeth von Thüringen wurde als Tochter des Königs von Ungarn im Jahre 1207 gebo-ren. Sie wuchs am glanzvollen Hof der Landgrafen von Thüringen auf. Sie heiratete sehr früh, bereits im Alter von 14 Jahren. Landgraf Ludwig von Thüringen wurde ihre große Liebe, obwohl die Ehe – wie damals üblich – arrangiert worden war. Elisabeth und Ludwig lebten zunächst auf der Wartburg. Dort wurden auch die drei Kinder geboren. Über ihre Tochter Sophie wurde Elisabeth zur Stammmutter der hessischen Landgrafen.

Elisabeths Begeisterung für den christlichen Glauben war seit früher Kindheit unüberseh-bar. Aus der Bibel wusste sie um den unauflöslichen Zusammenhang von Frömmigkeit und Nächstenliebe. Als Thüringen von einer Hungersnot heimgesucht wird, öffnet Elisa-beth die Vorratsspeicher der Landgrafen. Aus Solidarität mit den Ärmsten wechselt sie Lebensstil und Kleidung. Das verstärkt sich besonders, als ihr Mann in Italien an einer schweren Krankheit stirbt.

Als nunmehr allein erziehende Frau verlässt Elisabeth im Alter von zwanzig Jahren die Wartburg mit ihren drei Kindern. Längst hält die Familiendynastie die radikale Landgräfin für eine fromme Spinnerin. Ihre religiöse Hingabe ist den standesbewussten Feudalherren ein Dorn im Auge. Besonders die Armenfürsorge stößt merkwürdig auf. Sie könnte ja das Hab und Gut verschleudern, so hieß es am Hof.

So zog Elisabeth nach Marburg. Trotzdem wird gemunkelt, auch Kaiser Friedrich II. habe um ihre Hand angehalten, denn sie war eine anmutige und schöne Frau. Elisabeth hatte längst anderes im Sinn. Sie widmete den größten Teil ihres Besitzes und vor allem ihr Leben der Pflege von Armen und Kranken. Vor den Toren Marburgs lässt sie eine Kapelle und ein Hospital errichten. Sie kümmert sich um leprakranke Menschen und um hungrige und verwahrloste Kinder. Es wird berichtet, dass sie die Wunden der Menschen küsste und sich für nichts zu schade war. Und sie habe alles mit Fröhlichkeit und einem Lächeln getan.


Teil II

Elisabeth von Thüringen war maßlos in ihrer Nächstenliebe. Sie würde am liebsten alles verschenken, was sie besitzt, sagte sie einmal. Aber sie war auch impulsiv und anstren-gend für ihre Umgebung, denn ihre Hingabe gegenüber den Schwachen und Kranken kannte keine Grenzen. Doch ihr Körper war diesem anstrengenden Leben nicht gewach-sen. Völlig erschöpft stirbt sie im Jahre 1231, nicht einmal 25 Jahre alt. Schon vier Jahre nach ihrem Tod wurde sie heilig gesprochen. Ihr zur Ehre wurde die Elisabethkirche in Marburg gebaut, in der sie begraben wurde.

Wer Elisabeth verstehen will, muss wissen, dass sie unter dem Einfluss von Franz von Assisi stand. Sie schloss sich der frommen Armutsbewegung an, die vor allem Frauen in ganz Europa ergriffen hat. Ihr Interesse bestand nicht darin, Nächstenliebe in eine große Organisation zu fassen oder gar einen Wohlfahrtsverband zu gründen. Wenn sie heute als Mutter der Diakonie gefeiert wird, dann deshalb, weil sie sich das Herz für die Ärmsten unter den Menschen bewahrt hat. Weil sie sich nicht scheute, sich gerade um die Men-schen zu kümmern, die andere schon aufgegeben hatten. Weil sie wusste, dass bei allem Handel und Wandel die Menschlichkeit nicht untergehen darf. Weil sie darauf bestand, dass ihr Reichtum zum Segen werden muss. Wie gesagt, sie hat das alles nicht als Pflichtveranstaltung des christlichen Glaubens verstanden. In allem, was sie tat, war und blieb sie eine leidenschaftliche Frau, die sich begeisterte für das von Gott geschaffene Leben.

Was wären wir ohne solche Menschen, Frauen und Männer, die nicht abwarten, die nichts und niemanden scheuen. Die nicht zuerst nach dem starken Staat oder dem starken Mann oder der starken Kirche oder wer weiß was rufen. Die einfach aus vollem Herzen und mit wachem Blick zupacken. Die brauchen nicht Elisabeth zu heißen. Sie brauchen keinen großen Namen, um den Anfang zu machen.

Ich denke dabei an die Grünen Damen in den Krankenhäusern, die Besuchsdienste der Kirchengemeinden, die vielen Ehrenamtlichen, die sich in der Bahnhofsmission um Men-schen kümmern, die nicht wissen wohin. Menschen mit Herz und Hand, die sich für Woh-nungslose einsetzen. Und dann sind da die vielen Namenlosen, die kein Aufhebens davon machen, täglich für die alte Nachbarin einzukaufen oder die Wäsche mit zu waschen. Die sich um den kranken Kollegen kümmern, bis es ihm wieder besser geht, einfach so. Die es praktisch leben: Ich muss dort hingehen, wo niemand sonst hinkommt. Wie gut, dass es bis heute Menschen gibt wie diese Elisabeth vor 800 Jahren, die davon überzeugt sind: Einander besuchen und zuhören, einander helfen und pflegen – das ist die vor-nehmste, ja das ist die dankbarste Aufgabe der christlichen Kirche. Dazu haben wir die-ses Leben, das uns Gott geschenkt hat: Damit wir es teilen. Und wo wir es teilen, kommt das, was wir geben, tausendfach zurück.

Liebe Hörerinnen und Hörer, ich wünsche Ihnen solche Erfahrungen. Erfahrungen, die zeigen: Nur gemeinsam können wir leben. Und niemand lebt für sich allein. Wo immer sich dies herumspricht, wird die Welt zum Guten verändert. Bleiben Sie behütet. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=836
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