SWR4 Sonntagsgedanken
SWR4 Sonntagsgedanken
Gestern war der 1. Mai, Tag der Arbeit. In den Reden ging es vor allem um Arbeitsplätze, gerechte Löhne und Kündigungsschutz - wichtige Ziele, um die immer neu gekämpft werden muss. Allerdings: Wer Arbeit hat, empfindet sie oft als ödes Einerlei oder drückende Last. Vielleicht brauchen wir manchmal mehr Aufmerksamkeit, einen offenen, wohlwollenden Blick - und unser Arbeitsalltag bekommt Farbe und GIanz.
In einem Gedicht von Matthias Claudius - er lebte um 1800 - beschreibt ein Bauer , wie er seinen langen, harten Arbeitstag beginnt:
Frühmorgens, wenn der Tau noch fällt,
geh ich, vergnügt im Sinn,
gleich mit dem Nebel naus aufs Feld
und pflüge durch ihn hin
und sehe, wie es wogt und zieht
rund um mich, nah und fern,
und sing dazu mein Morgenlied
und denk an Gott den Herrn.
Der Bauer beginnt seinen Arbeitstag buchstäblich "in aller Herrgottsfrühe", denn sein wichtigster Kontakt, seine "hotline", steht bereits: Es ist die Verbindung zu Gott, von ihm fühlt er sich getragen und begleitet.
Überall an seinem Arbeitsplatz entdeckt er Gottes Spuren :
Indessen steigt die Sonn herauf -
und scheinet hell daher -
ist so was auch für Geld zu kauf
und hat der König mehr?
Und wenn die junge Saat aufgeht,
wenn sie nun Ähren schießt,
wenn so ein Feld in Hocken steht,
wenn Gras gemähet ist:
Oh, wer das nicht gesehen hat,
der hat des nicht Verstand.
Man trifft Gott gleichsam auf der Tat
mit Segen in der Hand.
Ich meine, diese Verse könnten auch uns heute noch inspirieren: Jeder ist eingeladen, in seinem Arbeitsalltag die Schönheiten der Schöpfung wahrzunehmen: den Sonnenaufgang über dem Nachbarhaus, den Vogel, der vor dem Bürofenster singt, die silbernen Regentropfen an der Fensterscheibe.
Man trifft dann - sagt das Gedicht - " Gott gleichsam auf der Tat / mit Segen in der Hand." Das gilt auch für unsere Arbeitsvorgänge. Wenn der Kranführer Bauelemente bewegt, dann leistet er Millimeterarbeit. Wenn die Laborantin chemische Prozesse in Gang setzt oder die Hausfrau die richtige Backtemperatur einstellt - immer werden dabei Naturgesetze angewandt, die in der Schöpfung schon angelegt sind.
Für gläubige Menschen ist Arbeit daher immer auch ein Mitwirken mit den von Gott gegebenen Kräften, eine Einladung, sie weiter zu entfalten und mit-schöpferisch einzusetzen. So gesehen, hat jede Arbeit - auch die unscheinbarste - ihren Wert und ihre eigene Würde - allerdings gehören menschenwürdige Bedingungen dazu. In den "Sonntagsgedanken" geht es um den Arbeitsalltag, um seine Last und um seine oft unentdeckten Freuden. Der Dichter Matthias Claudius lässt einen Bauern von seiner harten Arbeit sprechen. jedes Selbstmitleid ist ihm fremd:
Und wird's mir auch bisweilen schwer:
Mag's doch! Was schadet das?
Ein guter Schlaf stellt alles her
und morgen bin ich baß
und fange wieder fröhlich an
für Frau und Kind. Für sie,
solang ich mich noch rühren kann,
verdrießt mich keine Müh.
Dieser Bauer weiß, wofür er sich plagt: Es ist seine Familie, für die er zu sorgen hat, und deshalb ist ihm nichts zu viel. "Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie," sagt der Psychologe Frankl und spricht damit eine zeitlose Erfahrung aus: Erkenne ich einen echten Sinn in meiner Arbeit, werden auch Mühen und Lasten erträglich. Unzählige Menschen arbeiten so und tragen durch ihren hohen Einsatz zum Gelingen in unserer Gesellschaft bei.
Ich frage eine Krankenschwester, ob ihre Tätigkeit in der Unfallnachsorge nicht sehr unbefriedigend sei: jeden Tag "nur" Verbände erneuern, Gipsschalen polstern, Papiere hin- und hertragen. "Nein", antwortet sie lächelnd, "meine Arbeit macht mir Freude: Ich begleite die Menschen in der ersten Zeit nach ihrem Unfall, in dem oft langwierigen Heilungsprozess mit seinen Hochs und Tiefs. Wenn ein Patient vor mir sitzt, begegne ich einem ganz bestimmten Menschen mit seiner eigenen Krankheit und Geschichte, die mich interessieren. Natürlich gibt es auch mal Ärger und zu viel Stress, aber: Ich liebe meine Arbeit! Der Facharzt äußert sich ähnlich: "So weit möglich, möchte ich meinen Patienten etwas von der Schwere ihrer Situation nehmen - auch seelisch". Er erzählt und lacht dabei, dass er damit bei einer alten Dame unerwarteten Erfolg hatte: Nach abgeschlossener Behandlung tauchte sie eines Tages wieder bei ihm auf und fragte, ob er nicht noch einen schönen Witz auf Lager habe. sie könne den für ihr Kaffeekränzchen gebrauchen!
Arbeit hat viele Gesichter, düstere und helle. "Der glückliche Bauer" in dem Gedicht von Mattthias Claudius hat gewiss kein leichtes Leben, aber er steht in Verbindung mit Gott und das ist für ihn wie ein Stück offener Himmel.
Wenn die christlichen Kirchen so entschieden gegen Sonntagsarbeit und verkaufsoffene Sonntage kämpfen, dann deshalb, um möglichst vielen Menschen ein solches Stück offenen Himmel zu ermöglichen, eine Pause, ein Aufatmen, damit sie nicht ständig dem Arbeits- und Konsumdruck ausgesetzt sind.
Die französische Schriftstellerin Madeleine Delbrel sagte es so:
"Geh - ruh dich aus - in Gott".
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