SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Zeit, zu mir zu kommen
Ein in Meditation erfahrener Mann wurde gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne. Dieser sagte:
Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich . . .
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: Das tun wir auch, aber was machst du noch darüber hinaus?
Er wiederholte: Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich . . .
Wieder sagten die Leute: Das tun wir doch auch.
Er aber sagte zu ihnen: Nein, wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon; wenn ihr steht, dann lauft ihr schon; wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel . . .
Ein wenig fühle ich mich ertappt: Da will ich Ihnen und mir ans Herz legen, wie es gelingen kann, zu sich zu kommen. Und dann führt mich mein eigener Lebens- und Arbeitsstil eher von mir weg: Gedanklich bin ich oft schon dem voraus, was ich gerade tue.
Natürlich gehört das zum Erwachsenenleben dazu: dass ich vorausschaue und -plane, nächste Schritte eines Ablaufs schon jetzt im Kopf habe. Ich könnte nicht Autofahren ohne diese Fähigkeit. Da muss ich vorwegdenken, was sich in den nächsten Sekunden entwickeln könnte aus dem, was ich im Augenblick wahrnehme.
Das ist sicher das eine: Vorauszudenken, um reagieren zu können; planen und vorzubereiten, was als nächstes und übernächstes dran sein soll und gewiß ist der Straßenverkehr nicht der richtige Ort, um innezuhalten und zu mir zu finden, aber der Stachel sitzt: "... wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon; wenn ihr steht, dann lauft ihr schon; wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel ..."
"Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage." (Mt. 6,34). Jetzt, am Beginn der Fastenzeit, höre ich das Wort Jesu in der Bergpredigt so: Sei nicht immer schon dem 'jetzt' voraus, sei achtsam mit diesem Augenblick, mit dem, was du gerade tust. Du übersiehst die Möglichkeiten der Gegenwart, wenn Du immerzu nur für die Zukunft planst. Die Gegenwart ist mehr als eine Vorbereitung der Zukunft.
Was morgen, was in Zukunft sein wird, weiß ich nicht, kann ich nicht wissen. Ob es mich unsicher macht oder hoffnungsvoll: Ich bin dann meiner Gegenwart voraus und verpasse das Leben in der Gegenwart. Das wäre doch schade ...?
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