SWR4 Abendgedanken BW

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„Also, ich weiß nicht", sagt Erwin, „ich finde das übertrieben."
Er ist mit Erika beim Einkaufen, und offenbar hat es sich jetzt wirklich überall eingebürgert, dieses: Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Die Kassiererin in der Drogerie sagt es, die Frau beim Metzger, der Kellner, bei dem sie ihren Cappuccino bezahlen.
„So schön kann mein Tag gar nicht werden, wie die es mir dauernd wünschen," brummt Erwin.
„Wieso, was stört dich dran", fragt Erika, „das ist doch nett. Mich muntert das immer ein bisschen auf, wenn jemand freundlich ist zu mir, und dann versuche ich es auch zu sein, so freundlich und aufmerksam."

„Aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass die das wirklich so meinen", sagt Erwin, „das kommt doch ganz automatisch: ‚Sechs Euro 80, sammeln Sie Rabattpunkte? Nein? 20 Cent zurück, Wiedersehen, schönen Tag noch...' Als nächstes wünschen sie einen ganz wunderschönen Tag  Also mir geht das nur noch auf die Nerven."

„Meine Güte", sagt Erika, „also manchmal hab ich das Gefühl, du suchst wirklich nach den Sachen, die dir auf die Nerven gehen können. Ein bisschen Freundlichkeit ist doch nicht schlecht zwischen den Menschen, aber du musst immer alles runterziehen, also das geht mir auf die Nerven."

„Mich stört doch nur", sagt Erwin, „dass das nicht echt ist, das ist antrainiert, die müssen das machen, wahrscheinlich kontrolliert das ab und zu mal einer, und das ganze ist sowieso nur dafür gut, dass die Kunden lieber kommen und mehr kaufen. Auf diese Art von Freundlichkeit kann ich verzichten."

„Ich glaube", sagt Erika, „dass so was auch von außen nach innen geht."
„Bitte was?"
„Also wenn ich außen freundlich bin, dann wandert das nach innen und dann fühl ich mich innen auch freundlicher."

„Das sind ja merkwürdige Vorstellungen", sagt Erwin. „Wenn Freundlichkeit nicht von innen kommt, ist sie nicht echt, sondern falsches Getue: Nur was wirklich von Herzen kommt, das ist echt, und keine Kassiererin kann alle ihre Kunden von Herzen gern haben, also soll sie auch nicht so tun müssen als ob."

„Du kannst mich mal gern haben", sagt Erika. „Deine schlechte Laune verdirbt mir die Stimmung. Das kommt davon, wenn man meint, man könnte auf so was wie Höflichkeit und Freundlichkeit verzichten."

„Und du bist immer freundlich und höflich?", sagt Erwin.
Sie bleiben stehen und fangen an zu lachen.
„Na, wenigstens wissen wir beide immer, wie der andere es meint", sagt Erika.
„Und wenn ich freundlich bin, dann kommt es von Herzen", sagt Erwin und nimmt sie in den Arm.
„Und trotzdem meine ich", sagt sie, „dass man es auch ein bisschen üben könnte."

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