SWR4 Sonntagsgedanken

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Nur im Dunkeln sind bekanntlich alle Katzen grau. Bei Licht bese-hen, zeichnen sich die Konturen klar ab. Deshalb finde ich im ei-gentlichen Wortsinn „erhellend”, was ich in der Bibel lese. Ein ge-wisser Johannes schreibt an frühchristliche Gemeinden; an Men-schen, die wissen wollen, woran sie sich als Christen in einer un-christlichen Umgebung orientieren können. Er schreibt ihnen, wie sie den Geist Gottes erkennen und ihn von dem Ungeist unterschei-den können: „Jeder Geist, der bekennt, dass Christus im Fleisch ge-kommen ist, der ist aus Gott”. Und dieser Gott, so sagt Johannes weiter, ist „Liebe”.

Auch ich brauche Orientierung und überlege, wie der Tip des Jo-hannes für meinen Alltag, etwa als Bürger dieses Landes, praktisch sein könnte.

Zunächst einmal: „Gott ist Liebe”. Drei Worte nur. Früher gingen sie mir glatt über die Lippen. „Gott ist Liebe” - so selbstverständ-lich und regen keinen mehr auf. Oder doch?

Ich mußte wohl erst alt genug werden, um die Tragweite der drei Worte zu ermessen. Die weltpolitische Entwicklung hat das ihre dazu beigetragen. Wenn Gott ein Gott der Liebe ist, dann ist er ein anderer Gott als der, für den die Fanatiker aus den unterschiedlich-sten Lagern in den Krieg ziehen! Der Gott der Liebe erlöst uns Menschen von dem Fluch, einander zu bekämpfen und zu vernich-ten. Der Gott der Liebe macht Menschen nicht klein, sondern hat zum Beispiel ein Interesse daran, dass sie lernen und ihren Verstand gebrauchen. Dem Gott der Liebe sind Menschen heilig und keine Prinzipien.

Wenn ich das ausspreche, merke ich, dass Johannes mit seinem Rat, sich an den Gott der Liebe zu halten, den Christen einiges zumutet. In unserer Gesellschaft werden Schwache an den Rand gedrängt und die Starken nehmen, was sie kriegen können. Menschen, die anders sind, finden keinen Platz zum Leben. Ich finde, da dürfen wir Christen unsere Weisheit nicht für uns behalten. Es braucht Mut, sich gegen einen Trend zu stellen, gegenüber Vorurteilen und Klischees wachsam zu sein und klar zu denken. Aber Gott ist Liebe, Versöhnung also möglich. Versöhnung meint: Mit einem Widersa-cher so umgehen, dass er immer noch die Chance behält, als Mensch geachtet zu werden. Es lohnt sich mit dem Andersdenken-den zu leben, statt an der eigenen Gnadenlosigkeit unterzugehen. Gelegenheiten, für andere einzutreten, gibt es genug: Der eine ist mutig genug, sich auf einer Schul-Elternversammlung zu Wort zu melden und für bessere Lernbedingungen einzutreten. Ein anderer bringt den Mut auf, nicht in abfällige oder resignierende Bemer-kungen einzustimmen. Eine Studentin war mutig genug, die frem-denfeindlichen Äußerungen ihres Hochschullehrers nicht hinzu-nehmen, wonach Ausländer für die gleiche Tat härter zu bestrafen seien als Deutsche.

Wer Mut zeigt, ermutigt damit andere, Licht ins Dunkel zu bringen. Dieses Engagement sind wir Christen der Gesellschaft schuldig.

Für Johannes gehört die Unterscheidung der Geister zum Wesen des christlichen Glaubens. Er meint, Christen können den Geist des liebenden Gottes von menschenverachtenden Ungeistern unter-scheiden. Sie können Licht ins Dunkel bringen und haben deshalb für die Gesellschaft Erhellendes beizutragen.



„Gott ist Liebe”. Das ist die biblische Erkenntnis. Solche Klarheit kann Konflikte schaffen. Wer die Geister zu unterscheiden gelernt hat – wer also weiß, welche Folgerungen es hat, wenn wir an den Gott der Liebe glauben - der verunsichert diejenigen, die das Sagen haben in einer Gesellschaft. Deshalb haben die Mächtigen den Christen zu allen Zeiten geraten, sie sollten sich allein um das jen-seitige Heil des Einzelnen kümmern und diese vergehende Welt getrost den Politikern überlassen oder den Technokraten oder den Generälen. Christlicher Glaube sei eine Privatangelegenheit zwi-schen dem Einzelnen und Gott, gut für das innere Gleichgewicht und die seelische Gesundheit. Doch in der Welt geht es anders zu. Da kommt man mit dem Glauben nicht weit. Der Glaube solle die Art und Weise unseres Zusammenlebens getrost den Fachleuten überlassen.

Anders das Evangelium. In wünschenswerter Klarheit stellt es fest: Jesus ist nicht gekommen, um unsere Seelen ins Jenseits zu retten, uns in der Dunkelheit bloß zu beruhigen und uns mit angenehmen Phantasien aus der Realität wegzulocken. Der Glaube muß sich vielmehr dort bewähren, wo Menschen am liebsten die Augen zu-machen möchten, damit sie nicht sehen, wie schrecklich es zugeht in der Welt.

Hoffen trotz schlimmer Erfahrungen, glauben obwohl so viel dage-gen spricht - Glaube macht das Leben also nicht satt und bequem. Manchmal schafft er Konflikte. Doch diese Konflikte unterscheiden sich von fanatischer Gewalt. Anders als fanatische Gewalt sind die-se Konflikte nämlich lebensförderlich, weil sie gute Maßstäbe an die Hand geben. Maßstäbe, die unser Zusammenleben friedlicher machen. Maßstäbe, nach denen alle eine Chance bekommen.

Wer einen guten Maßstab, also auch ein stabiles Fundament für sich hat, der ist standfest. Wer standfest ist, kann sich auf Fremdes und Fremdartiges einlassen. Fanatisierte Menschen können sich nicht auf andere einlassen. Ihre Maßstäbe sind so ausschließlich, dass sie Menschen ausgrenzen, die anders denken, anders glauben, anders leben. Ihre Prinzipien sind ihnen so heilig, dass Menschen ihnen nicht mehr heilig sind.

Die Bibel dagegen zeigt: Wenn Jesus Mensch geworden ist, um un-ser Zusammenleben für die guten Möglichkeiten Gottes zu öffnen, dann werden die Starken für die Schwachen einstehen, dann muss man das Anderssein von Menschen nicht als Gefahr fürchten. Men-schen die anders sind, machen mit ihrer Kultur und Religion das Leben für alle bunt und vielfältig. Wer an den Gott der Liebe glaubt, kann sich über diese Vielfalt seiner Geschöpfe freuen. So wird es hell in der dunklen Welt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=637
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