SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Feiertagsgedanken zu Fronleichnam (Ba-Wü)

(die Feiertagsgedanken in Rh-Pfalz von Kalle Grundmann finden Sie unten)

In meiner Jugendzeit – wir hatten noch kein Fernsehen – betrachtete ich oft die schönen Bilder in den Kunstbänden der elterlichen Büchersammlung.. Ein Bild beschäftigte mich damals besonders: Man sieht eine Straße mit vielen Bäumen, Häuser mit Vorgärten und einen kleinen Platz. An einer Balustrade im Vordergrund lehnt ein schöner junger Mann in lässiger Haltung, seiner Kleidung nach ein Student oder ein junger Künstler vom Ende des 19. Jahrhunderts. Mit einem gelangweilt-spöttischen Gesichtsausdruck sieht er dem zu, was sich in einiger Entfernung von ihm abspielt. Auf der Straße zieht eine Prozession vorüber, eine lange Reihe von Menschen, die hinter einem Baldachin hergehen. Unter dem Tragehimmel geht ein Priester in langem Gewand mit einem Kelch in den Händen. Einige Ministranten in Chorröcken tragen Fahnen und Kerzen voran, andere schwenken Weihrauchfässer, die mitziehenden Leute scheinen zu beten oder zu singen. Der Titel des Bildes ist „Fronleichnam in München“, gemalt wurde es von Hans Thoma.
Was mich an diesem Bild betroffen machte, war der Gegensatz zwischen der erhaben-feierlichen Prozession und der distanzierten, ja, herablassenden Haltung des Zuschauers.
Irgendwie kam mir die Situation bekannt vor. Ich wuchs in der Diaspora auf, d.h. in einer Gegend, in der die katholischen Christen der Nachkriegszeit in der Minderheit waren. Ich ging bei den Fronleichnamsprozessionen mit, fühlte mich dabei aber höchst unbehaglich. Hatten die Häuser, an denen wir vorbeikamen, nicht alle Augen? Was dachten die Leute von uns, wenn sie neugierig oder befremdet stehen blieben und uns beim Beten und Singen zusahen?
Als ich älter wurde, kamen eigene Glaubenszweifel hinzu:
Was machen wir Katholiken eigentlich, wenn wir hinter einem goldenen Gefäß herlaufen, in dem sich nichts als ein rundes Stückchen Brot, genannt Hostie, befindet? Der Priester trägt sie vor lauter Ehrfurcht mit verhüllten Händen, sie wird beweihräuchert, die Gläubigen gehen vor ihr sogar in die Knie. Kann man glauben, was die kirchliche Lehre sagt: dass in diesem Brot Jesus Christus gegenwärtig ist?
Heute i s t Fronleichnam. An diesem Tag nicht arbeiten müssen – das wird gern von vielen akzeptiert. Wo aber stehe ich in der Szenerie des Festes selbst: am Rande wie der junge Mann auf dem Bild - drinnen oder draußen? - Dazu nach der Musik ein paar Anregungen.

(M u s i k)

Katholiken feiern heute Fronleichnam. Der Name kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet: „Leib des Herrn“. „Leib“ meint nach biblischem Sprachgebrauch den ganzen Menschen, hier also: Jesus Christus, den die Christen als ihren Herrn bekennen.
Dieser Jesus, Handwerker aus Nazaret, war es, der etwas so Alltägliches wie Brot auf sich hin deutete. „Nehmt hin, das ist mein Leib, das bin ich für euch“, sagte er zu seinen Jüngern, als er zum letzten Mal vor seinem Tod mit ihnen zusammen aß. Das war vor gut 2000 Jahren und doch haben die Christen aller Konfessionen diese Worte und dieses letzte Abendmahl nie vergessen, sondern es ist für sie wichtig bis heute.
Jesus lebte aus einer tiefen Verbundenheit mit Gott, den er als seinen liebenden Vater erfahren hatte. Nun „konnte“ er gar nicht anders als diese Liebe weiterzugeben an alle: ganz konkret, ohne Vorbehalt, auch an die, die ganz unten sind.
So war er wie Brot, dessen Sinn darin besteht, verbraucht zu werden. Essen heißt aber auch: Die Speise wird verwandelt und spendet so neues Leben. „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus über sich selbst. „Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben“ (Johannes 6, 35 und 51).
Das erinnert mich daran: Ich kann auf Dauer nicht leben von Kreuzworträtseln, Fernsehserien und Börsengängen, sondern davon, dass ich geliebt werde und selbst lieben kann.
Fronleichnam will auf diese Lebensquelle hinweisen und sie feiern: auf Jesus, in dem die Liebe Gottes sichtbar geworden ist und der im Zeichen des Brotes weiter unter uns lebt.

Kein Tag vergeht in unserer Mediengesellschaft, an dem nicht irgendwo Shows „abgezogen“ werden. Stars auf der Bühne, Stars im Fernsehen - sie werden beklatscht, bejubelt, bezahlt - und irgendwann sind sie „weg vom Fenster“. Die „Show“, die sich heute, am Fronleichnamstag, ereignet, ist von anderer Qualität: Sie „zeigt“ jemanden „vor“, „stellt“ jemanden „aus“, der nichts sein wollte als Brot – Brot, das von Gott kommt und zu Gott hinführen will. Und das hat Folgen.

Der Schriftsteller Lothar Zenetti bringt es in diese Verse:

So gab der Herr sein Leben,
verschenkte sich wie Brot.
Wer dieses Brot genommen,
verkündet seinen Tod.

Wer dies Geheimnis feiert,
soll selber sein wie Brot,
so lässt er sich verzehren
von aller Menschennot.

Als Brot für viele Menschen
hat uns der Herr erwählt,
wir leben füreinander,
und nur die Liebe zählt.



Feiertagsgedanken zu Fronleichnam von Kalle Grundmann, Koblenz

[autoren/grundmann.jpg]

Fronleichnam: Von der Prozession zur Demonstration so kann man mit zwei Schlagworten umschreiben, wie sich das Fronleichnamsfest in den letzten Jahrzehnten geändert hat. W

Teil 1

Meistens haben wir geschwitzt, manchmal sind wir aber auch nass geworden. Auf alle Fälle war sie sehr lang und sehr feierlich: Die Fronleichnamsprozession in dem Dorf meiner Kind-heit. Sie war früher in katholischen Dörfern einer der wichtigsten Veranstaltungen im Jahr. Und auch für mich als Kind gehörte sie zum Jahresrhythmus wie die Umzüge an Fastnacht, Kirmes und St. Martin. In meinen Kindheitserinnerungen hat sich dieser Tag fest einge-prägt. Noch heute sehe ich das Dorf vor mir; festlich geschmückt: mit Blumen, Kerzen, Heiligenfiguren und Fahnen an den Häusern. Ja, ich kann den Weihrauch förmlich riechen und die Schellen hören, die erklangen, wenn wir uns zum feierlichen Segen knien mussten. Und noch heute sind mir die feierlichen Kirchenlieder und die Blaskapelle im Ohr.
Natürlich weiß ich auch noch, dass es für uns als Kinder nicht nur feierlich sondern auch langweilig war. In Zweierreihen wurden wir aufgestellt, Mädchen und Jungs getrennt. Wir durften nicht rennen oder laufen, geschweige den reden. Wir durften nur feierlich schrei-ten, mussten singen und beten..
Heute ist das anders. Es gibt nur noch wenige Dörfer, in denen Fronleichnam so feierlich begangen wird wie zu meiner Kindheit. Selbst dort, wo noch der überwiegende Teil der Be-völkerung katholisch ist, sind längst nicht mehr alle Häuser geschmückt und auch nicht alle Katholiken machen mit. Wie denn auch, viele sind nämlich gar nicht da. Sie nutzen diese Tage für einen Kurzurlaub oder machen heute einen Tagesausflug. Die Fronleichnamspro-zession ist heute nicht mehr eine Veranstaltung des ganzen Dorfes, sondern höchstens noch der Kirchengemeinde. Man kann also sagen: aus der Prozession aller wurde eine De-monstration einiger. Wobei das Wort Demonstration bei uns häufig einen negativen Beige-schmack hat. Leute machen eine Demo, wenn sie gegen etwas sind. Die Fronleichnamspro-zession ist da anders. Sie ist eine Demonstration für etwas. Eine Demonstration für das Kleine und Unscheinbare. Denn während der Fronleichnamsprozession wird in einer Monst-ranz ein kleines Stück Brot getragen, eine Hostie. Mehr nicht. Keine Machtdemonstration also, keine Protestdemonstration. Mit der Fronleichnamsprozession wird deutlich: Gott zeigt sich in den kleinen, unscheinbaren Dingen, wie in einem Stück Brot.

Teil 2

Wenn heute wieder in vielen Dörfern und Städten eine Fronleichnamsprozession durch die Straßen zieht, dann ist das auch eine Demonstration . Aber für was demonstrieren diejeni-gen, die in einem kleinen Stück Brot Gott durch die Straßen tragen? Denn nichts anderes geschieht an Fronleichnam. Der „Leib des Herrn“, die Hostie, das kleine Stück Brot, von dem wir sagen, da ist Gott ganz anwesend, wird in einem prachtvollen Schaugefäß durch den Ort getragen. Gott durch den Ort zu tragen, ist für mich eine sinnenfällige Demonstra-tion dafür, dass der Gott Jesu Christi ein Gott ist, der sich nicht in eine Kirche einschließen lässt. Der nicht nur für die Gebete der Frommen da ist. Dem die Sorgen und Nöte aller Menschen wichtig sind. Ein Gott, der auf die Straßen und Plätze will – unabhängig davon, wie viele Leute am Straßenrand stehen und ihn bejubeln.
Gott will auf die Straßen und Plätze und er will, dass wir ihn dorthin tragen. Eine kleine Epi-sode aus den herrlichen Geschichten von Don Camillo und Peppone, dem katholischen Pfar-rer und dem kommunistischen Bürgermeister aus einem oberitalienischen Städtchen, macht dies anschaulich. Jährlich findet hier eine Prozession statt, in der das Kruzifix aus der Kir-che an den nahe gelegenen Fluss getragen wird. Peppone möchte mit einer Abordnung sei-ner Kommunistischen Partei und der roten Fahne daran teilnehmen. Don Camillo verbietet dies natürlich. Darauf hin droht Peppone jedem, der an der Prozession teilnehmen möchte. Und so kommt es, dass tatsächlich niemand mitgeht. Alle haben Angst vor ihrem Bürger-meister – und bleiben zuhause. So geht dann der Pfarrer Don Camillo ganz allein mit dem schweren Kreuz durch die menschenleeren Straßen. Nur ein Hund begleitet Don Camillo und Jesus. Während des ganzen Weges flucht Don Camillo über Peppone und die, die sich von ihm haben einschüchtern lassen. Aber Jesus am Kreuz geht gar nicht auf das Geschimpfe ein, sondern freut sich, endlich auf den Straßen und Plätzen des Ortes zu sein und bald in der Sonne am Fluss zu stehen. Dort angekommen, kommen dann auch die Menschen dazu, an ihrer Spitze Peppone, der kommunistische Bürgermeister.
Nun, das ist vielleicht ein bisschen viel Happy End. Aber wenn durch die vielen Fronleich-namsprozessionen, die heute stattfinden, deutlich wird: Gott will zu den Menschen, dann haben sich diese Demonstrationen gelohnt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6122
weiterlesen...