Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Eigentlich kann es dieses Jahr nicht Weihnachten werden, denke ich jedes Jahr um diese Zeit. Es ist so dunkel auf der Welt und es passiert so viel Schlimmes.
Wie sollen wir denn da feiern? frage ich mich manchmal, wenn ich von Familientragödien und Hungerkatastrophen, von Krieg und Gewalt höre.

Da fallen mir die Hirten ein, von denen die Weihnachtsgeschichte erzählt. (Lukas 2,8) Denen war damals auf dem Feld vor Bethlehem bestimmt auch nicht zum Feiern zumute. So allein draußen in der Kälte und im Dunkeln.
Ihre Arbeit war ganz schön schwer und ihr Leben kein bisschen angenehm. Und trotzdem haben sie ausgehalten und sind bei ihren Tieren geblieben. Auch wenn sie manchmal vielleicht lieber abgehauen wären und irgendwo ein neues Leben begonnen hätten. Sie sind stehen geblieben und haben der Dunkelheit und Einsamkeit standgehalten.

Und mitten in der aller finstersten Zeit, mitten in den kältesten Nächten hat sich dann alles verändert. Da ist der Himmel plötzlich aufgerissen und es ist hell geworden und sie haben unglaubliche Dinge gehört und gesehen. So erzählt es die Weihnachtsgeschichte.

Aber so weit sind wir heute noch nicht. Weihnachten kommt erst noch.

Die Hirten helfen mir, die Zeit bis dahin auszuhalten. Weil sie so beständig sind und so beharrlich. Weil sie einfach da stehen bleiben, wo sie hingehören. Egal ob es regnet oder schneit. Egal ob es dämmert oder schon ganz duster ist, sie machen ihre Arbeit. Sie tun das, wofür sie gebraucht werden. Sehen, was los ist und laufen trotzdem nicht weg.

Vielleicht hilft das ja auch, wenn man das Gefühl hat, eigentlich kann es dieses Jahr gar nicht Weihnachten werden: Einfach stehen bleiben, da, wo ich hin gehöre, und sehen, was da ist. Das heißt dann aber auch: nicht gleich alles Schreckliche auf einmal sehen, sondern nur das, was mir gerade am nächsten ist.
Da kann es dann auch dunkel und kalt sein. Vielleicht ist der Himmel da auch verschlossen. Und es ist mir wirklich nicht nach Feiern zumute bei dem, was ich sehe.

Aber es ist ja auch noch nicht Zeit zum Feiern. Jetzt ist noch warten dran und aushalten, was schlimm ist. Dazu gehört auch, die nicht alleine zu lassen, denen es schlecht geht. Sondern bei ihnen zu bleiben und mit ihnen die Dunkelheit zu ertragen.
Aushalten und warten – das lehren mich die Hirten. Und sie sind für mich ein Zeichen der Hoffnung: dass es uns so geht wie ihnen damals. Dass sich auch dieses Jahr der Himmel auftut und das Licht die Finsternis vertreibt. Dass der Engel auch zu uns sagen wird: „Frieden auf Erden!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5098
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